Sebastian Kurz: Da war mehr drinnen

Die türkisen Bäume sind bei dieser Wahl nicht in den Himmel gewachsen. Dabei schien die Ausgangslage phantastisch.

Denn:

  • Die SPÖ ging mit einem launenhaften Kandidaten ins Rennen, dessen Wahlkampfstrategie sich mit dem Silberstein-Skandal in Luft aufzulösen schien. Wie die rote Basis zu den Wahlurnen zu bewegen war, schien schleierhaft.
  • Die FPÖ startete ihre Wahlbewegung erst in den letzten Wochen. Der Spitzenkandidat, der den Wechsel forderte, schien lange Zeit selbst der alte Systemkandidat zu sein.
  • Den Grünen gingen nach Eva Glawischnig zunächst die Jungen Richtung Kommunisten und anschließend die Realos Richtung Liste Pilz verloren. Der Rest schien nur noch aus ein paar Fundis zu bestehen.
  • Die NEOS wirkten irgendwie farblos und ausgebrannt. Selbst Irmgard Griss konnte den Pinken keinen Glanz verleihen.
  • Die Liste Pilz tat sich ohne Geld und trotz ORF sichtlich schwer – und war auf indirekte Unterstützung von Rot und Grün angewiesen.
  • Allen anderen Gruppen fehlte jede Relevanz.

Bei einer solchen Ausgangslage und einer tadellosen Performance des Spitzenkandidaten in den Fernsehduellen sollte der Stimmenanteil der ÖVP deutlich über 40 Prozent liegen. Dennoch ist das Ergebnis nicht überraschend. Die ÖVP beging nämlich ihren klassischen Fehler: Sie vernachlässigte die Politik.

Der einzige, der sich politischen Themen widmete, war Sebastian Kurz selbst. Dies tat er praktisch ausschließlich in den übersättigten TV-Konfrontationen, in denen es weniger darum ging, Wähler zu überzeugen als Fehler zu vermeiden. Letzteres gelang, wobei inhaltlich die realistische, bodenständige Haltung in Sachen Migration dominierte. Die fast monothematische Konzentration auf das Zuwanderungsthema war nicht zu beanstanden und als solche erfolgreich. Ohne diese Strategie wäre Sebastian Kurz untergegangen.

Bei der Wirtschaft, die die Stärke der ÖVP sein sollte, haperte es ein wenig. Kapitalismus ohne Kapital ist schwer vorstellbar. Was die Sozialpolitik betrifft, lag er dort richtig, wo es um Ansprüche der Zuwanderer ging.

Im Übrigen fürchtete man den Vorwurf der sozialen Kälte und vergraulte schon vor dem Wahlkampf wichtige Kernwählerschichten. Die Forderung nach Abschaffung des Pflegeregresses war eine undurchdachte Spontanaktion, mit der man der Konkurrenz Wind aus den Segeln nehmen wollte. In der Folge hielt die ÖVP zwar die Linie, dass man im Wahlfieber keine budgetwirksamen Maßnahmen ergreifen sollte, konsequent durch – doch die diesbezügliche Glaubwürdigkeit war bereits beeinträchtigt. Insofern war Schelling kurzes Aufmucken gegen die Abschaffung des Pflegeregresses nicht kontraproduktiv, sondern die Artikulation eines bei den Entscheidungsträgern weit verbreiteten Grundgefühls.

Jenseits der TV-Auftritte führte die ÖVP einen ziemlich politikfreien Wahlkampf. So wie Wolfgang Schüssel 2006 den Sieg für selbstverständlich hielt ("Er kann es"), glaubte auch die Liste Kurz an die Strahlkraft der sauberen Hände. Mit der Propagierung des "neuen Stils" setzte man auf eine Sekundärtugend, die in der Politik selbst zweitrangig ist. Sichtbarer Ausdruck dieser Politikfreiheit waren die Plakate der ÖVP, die wie in den vergangenen Jahrzehnten durch Inhaltsarmut auffielen: "Damit sich etwas bewegt" "Es ist Zeit" "Jetzt. Oder nie!". Bei der Satzzeichensetzung des letzten Slogans kann man nur den Kopf schütteln. Selbst in den Zeitungsinseraten am Samstag vor der Wahl warb Sebastian Kurz nicht für politische Inhalte, sondern mit seinem besseren Benehmen ("neuer Stil").

Auch von den übrigen Kandidaten kam keine inhaltliche Unterstützung. Im Gegenteil warnte die Parteiführung eher vor inhaltlichen Aussagen, damit in der Öffentlichkeit nur ja kein Widerspruch zum Spitzenkandidaten konstruiert werden könne. Wahlaufrufe ersetzten Substanz. Damit verkamen auch die Vorzugsstimmenkampagnen zu spaltungsgeneigten Abhol- und Überredungskonkurrenzen. Statt Politik betrieben die Funktionäre Kundenbindungsprogramme im persönlichen Bekanntenbereich. Fazit: Plakate und Kandidaten harmonierten nicht mit den TV-Botschaften des Sebastian Kurz.

Diese Disharmonie führte dazu, dass sich die ÖVP vom Silberstein-Skandal ablenken, ja sich in diesen hineinziehen ließ. Dabei ist es eine alte Erfahrung, dass Skandale der ÖVP nie helfen und der SPÖ kaum schaden. Das war beim AKH-Skandal so, das war bei dem BAWAG-Skandal so, und das hat sich nun neuerlich bewahrheitet. ÖVP und SPÖ wurden eher auf einer Ebene wahrgenommen. Die ÖVP beging weiters den alten Fehler des "Qui s’excuse, s’accuse", indem sie die Gerichte einschaltete. Eine Anzeige nach dem Verbotsgesetz bei gleichzeitiger Forderung nach einer Verschärfung des Strafgesetzbuches bei Dirty Campaigning war im Übrigen widersprüchlich. Entweder war die Silberstein-Aktion strafbar, dann braucht man kein neues Gesetz. Oder sie war nicht strafbar, dann braucht man keine Anzeige.

Liberale Kreise waren überdies durch die geplante Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die ÖVP verstört und erinnerten sich daran, dass der bürgerliche Justizminister und Vizekanzler, den Sebastian Kurz einschaltete, schon in den letzten Jahren bezüglich des Verhetzungsparagraphen populistisch stetig in die falsche Richtung marschierte.

Aus liberaler Sicht hat Sebastian Kurz auch hinsichtlich seiner machtkonzentrierenden Wünsche übertrieben. Zwar war es richtig, dass er die ÖVP personell völlig neu aufstellen und die Zügel spannen musste, um diese Partei nach vorne zu bringen. Gleichzeitig aber eine Richtungskompetenz des Bundeskanzlers zu fordern, war verfehlt, zumindest verfrüht. Ein derartiges Durchgriffsrecht findet in demokratischen Staaten in der Realität nicht statt – schon gar nicht in einer Koalition, die er zwangsweise nach der Wahl wird eingehen müssen. Ein Weisungsrecht gegenüber den Ministern des Koalitionspartners ist, gelinde gesagt, Wunschdenken. Da bedarf es mehr innerer als äußerer Autorität.

Kurz offenbarte allerdings, dass es ihm nicht nur um die Beseitigung alter Zöpfe, sondern überhaupt um den Machtspielraum ging. Er ließ nämlich keine starken neuen Leute neben sich hochkommen. Bei den beiden entscheidenden Machtfunktionen, deren öffentlichkeitswirksamer Unterstützung jeder erfolgreiche Spitzenkandidat bedarf, sorgte er eher für weniger Wahrnehmung. Das Generalsekretariat konzentrierte sich auf Stilfragen und der Klubobmann wurde von Anfang an kaltgestellt. In der letzten Nationalratssitzung am 12./13. Oktober 2017, in der es um entscheidende Weichenstellungen ging, durfte sich Reinhold Lopatka bezeichnenderweise nicht einmal mehr zu Wort melden.

Apropos Parlament: Auch dort manifestieren die kurzfristig wahlwirksamen Quereinsteiger weniger Kompetenz als das Fehlen einer möglichen Machtkonkurrenz. Im Nationalrat wird sich daher eine bunte Mischung von unerfahrenen Neulingen und unattraktiven Vertretern des alten Systems wiederfinden, die zusammenzuführen eine Herkulesarbeit der eigenen Art sein wird. Gnade der ÖVP, wenn sie die Oppositionsbank drücken müsste und dadurch des Knowhows der Ministeriumsapparate verlustig ginge.

Bei dieser Kandidatenauswahl wird es in der nächsten Legislaturperiode übrigens gar nicht so einfach sein, einen Klubobmann zu finden, der erstens politisch erfahren und zweitens fernsehtauglich ist. Anders gewendet: Ein Klubobmann, der die Tücken der Geschäftsordnung kennt und der nach der Schrift zu sprechen in der Lage ist. Konkurrenz für Sebastian Kurz aus dem Nationalratsklub wird es also in den nächsten Jahren nicht geben.

Dass in dem neuen Potpourri von Abgeordneten das Gewicht der Freiberufler viel zu gering ausfällt, ist eine zusätzliche Tragik. In der Kandidatenauswahl spielte Kompetenz - die Kompetenz zur Gesetzgebung – nämlich kaum eine Rolle. Die mehr vom Augenblickseffekt als von der Qualität bestimmte Personalauswahl mag auch ein Grund dafür gewesen sein, dass das Ergebnis der ÖVP nicht weit besser ausgefallen ist.

Die dünne Personaldecke ist nicht nur im Parlament selbst problematisch: Fällt Sebastian Kurz – das Schicksal möge abhüten – morgen aus, ist der Absturz der ÖVP vorprogrammiert. Prozentmäßig wird sie nicht einmal dort zu liegen kommen, wo er die Partei von Reinhold Mitterlehner übernommen hat.

Ein erfolgreicher Vorsitzender muss auch dafür sorgen, dass neben ihm fähige Leute in die Höhe kommen. Divide et impera muss da jemand noch lernen.

Dr. Georg Vetter ist selbständiger Rechtsanwalt in Wien. Er ist Nationalratsabgeordneter der ÖVP.

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