Die Redl Papers (VIII): Einmal hü, einmal hott

In diesem Kapitel geht es um die abenteuerliche Geschichte der Fleischwerdung der Abfangjäger, um US-amerikanische Präpotenz, militärischen Geheimnisverrat und das Abstinken unserer schwedischen Freunde.

Ende März 2001 lagen dem Verteidigungsministerium die gewünschten Informationen über den Gripen, den Fighting Falcon, die Super Hornet und den Eurofighter vor. Ein Schwede, zwei Amerikaner, ein Internationaler (Deutschland/ Großbritannien/ Italien/Spanien) wollten ins Rennen gehen. Und das Ministerium sah das mit Wohlwollen und stellte den Unternehmen daraufhin die offizielle Leistungsbeschreibung zu. Sie hatten nun neun Monate Zeit, es abzuarbeiten. Der dann auf die Angebotslegung folgende Bewertungszeitraum wurde mit noch einmal sechs Monaten festgelegt.

Wobei die Hornet nach acht Monaten gleich wieder ausschied. Nämlich freiwillig. Unser Austronaut Franz Viehböck, inzwischen Vertreter des Herstellers Boeing, schrieb in einem netten Brief sinngemäß: wir können so viel mehr, dass unser Flugzeug einfach zu teuer sein wird. Ob dies tatsächlich aus zehrender Sorge geschah, den österreichischen Armutschkerln keine Abzocke zuzumuten, oder ob es für die Foreign Military Sales, die Staatsagentur, über welche die Amerikaner ausschließlich ihr Kriegsgerät verkaufen, nicht bloß einfacher war, sich auf ein einziges Angebot zu konzentrieren, sei dahingestellt.

Spürbares Ergebnis dieses Boeing-Verzichts war jedenfalls, dass sich der ganze mächtige politisch-militärische Apparat der USA mit vollem Engagement hinter das F-16- Angebot von Lockheed Martin stellte. Dieser Energie, die sich da von jenseits des Atlantiks entfaltet, als Kleinstaat standzuhalten, das ist schon eine Leistung. Für alle Involvierten.

Der zweite Akt: "Request for Proposal"

Am Mittwoch, dem 10. Oktober 2001, führt das Bundesministerium für Landesverteidigung eine verbindliche Angebotseinholung in Form einer freihändigen Vergabe im Wettbewerb gemäß der ÖNORM A 2050 in Fassung vom 30. März 1957 durch. In diesem "Request for Proposal" werden die Bieter aufgefordert, ihr nunmehr verbindliches Angebot bis spätestens 23. Jänner 2002, 14:00 Uhr beim Bundesministerium für Landesverteidigung einzureichen.

So schaut das in offizieller Juristensprache aus. Es gab also keine wie sonst bei allen möglichen Beschaffungen übliche Ausschreibung in der Wiener Zeitung à la "Die Republik Österreich sucht Abfangjäger", denn die Marktlage ist hier eine etwas andere als bei der Bestellung von Büromöbeln, es handelt sich um einen bekannten und geschlossenen Markt. Aber vor allem: es geht bei einer Flugzeugbeschaffung um zentrale Belange der Sicherheit Österreichs und der Landesverteidigung. Die Unterlagen, die ein Bewerber bekommt, fallen also zu einem großen Teil unter das Geheimhaltungs-Gebot. Deshalb handelt es sich um eine sogenannte "Interessentensuche" und nicht um eine Ausschreibung, bei der jeder mittun kann. Die ja auch durch den Request for Information schon gründlich vorbereitet worden war.

Und was die Formulierung "freihändige Vergabe im Wettbewerb" betrifft, so wird sie später noch sehr wichtig werden. Es ist damit nämlich gemeint, dass nicht automatisch der Bestbieter zum Zug kommen muss. Zum Beispiel, wenn man nur einen bestimmten Betrag in der Brieftasche hat, und dieser einfach zu teuer ist.

Die Offerte

Dienstag, 22. und Mittwoch, 23.Jänner 2002. Wien 1. Bezirk, Amtsgebäude Franz-Josefs-Kai, Verteidigungsministerium. Die Angebote trudeln ein. Die zugehörigen Preisvorstellungen landen im Tresor, die Kuverts mit allen detaillierten Spezifikationen der Technik, Logistik und Lieferung werden geöffnet. Aber bald weicht die Hochspannung einer allgemeinen Enttäuschung. Keines der drei Angebote ist gültig, denn keines erfüllt die Ausschreibungs-Anforderungen.

Lauter Nullnummern

Für den großen Zusammenhang ist es nicht wichtig, aber um der Präzision willen: eigentlich gab es fünf Angebote, weil Lockheed und Gripen je zwei verschiedene Pakete vorlegten. Lockheed einmal für neue und einmal für gebrauchte Maschinen, Gripen ein "Standardpaket" und ein "Alternativpaket", beide mit nicht geforderten Zweisitzer-Maschinen als Zuschlag, der Unterschied fand sich in den Liefermodalitäten.

Es lag also kein einziges gültiges Angebot vor. Warum?

Beim Gripen waren die Kalkulationsgrundlagen nicht koscher: statt der geforderten Festpreise waren Gleitpreise (unterschiedlich je nach Zeitpunkt des Vertragsabschlusses) angegeben. Die Amerikaner hatten gleich zweimal die Angebots-Anforderungen links liegen lassen. Sie hatten einige Muss-Kriterien nicht erfüllt: so wollten sie etwa bestimmte geforderte Radarleistungen nicht hergegeben, weil sie unter Geheimhaltung standen. Und sie hatten im Alternativpaket statt neuer Maschinen gebrauchte angeboten, die nie die geforderte Lebensdauer gehabt hätten. EADS dagegen hatte alle Ausschreibungsbedingungen buchstabengetreu erfüllt, aber keine Zwischenlösung angeboten. Wie das mit der Zwischenlösung auch keiner der anderen Bieter kapiert hatte.

Verteidigungsminister Scheibner sagte darauf, machen wir trotzdem weiter, weil es sinnlos ist, das immer wieder hin und her zu schieben, bis formal alles stimmt, das kann Jahre dauern, bis wir total blank sind in der Luft. Und lassen wir alle im Boot, dann haben wir eine ordentliche Konkurrenz-Situation. Und so wurden Liefertermine adaptiert, neue Zahlungsvarianten vorgegeben und einige ursprünglich angefragte Systemkomponenten gestrichen. Und alles sollte ungebraucht, fabrikneu sein.

33 Schiedsrichter

Am Dienstag, dem 26.März 2002, ging die neue Angebotseinholung mit der Auforderung um Anpassung und Konkretisierung an die Flugzeugbauer hinaus. Am Dienstag, dem 30.April 2002, lagen die revidierten Angebote auch schon vor.

Die Bewertungsphase läuft nun voll an. Sie liegt in den Händen von dreiunddreißig Auserwählten. Oder sollte man besser sagen Verfluchten? Dass die Abfang- und Militär-Paranoiker jederzeit jeden von ihnen mit wüsten Verdächtigungen verfolgen können würden, lag ja auf der Hand. Denn die Fama wuchs weiter. Eundo.

Bereits am Donnerstag, dem 31.Jänner 2002, hatte sich die ministerielle "Bewertungskommission für die Beschaffung von Kampfflugzeugen" konstituiert, eine bunte Mischung aus Soldaten und Zivilisten, Fliegern und Bodenpersonal, Diplomingenieuren und Juristen. Die Leitung der fünf Unterkommissionen hatten über:

  • Technik – Brigadier Andreas Knoll, Leiter Materialstab Luftfahrttechnologie beim Kommando Fliegerdivision
  • Flugbetrieb – Major Wolfgang Luttenberger, Kommando Fliegerdivision
  • Operation – Brigadier Erich Wolf, Luftabteilung im Generaltruppeninspektorat
  • Logistik – Ministerialrat Karl Hofer, Abteilung Luftzeugwesen
  • Kommerzielles – Regierungsrat Manfred Blind aus der kaufmännischen Abteilung des Ministeriums.

Das Ganze stand unter der Leitung des Chefs der Luftzeugabteilung im Ministerium, Brigadier Wolfgang Katter. Sein Mitarbeiter in dieser Abteilung, der Leiter des Referats für Flächenflugzeuge, Dr. Friedrich Gsodam, ist auch stellvertretender Kommissionsvorsitzender.

Für die Beurteilung wird ein maximal 1000 Punkte umfassender Katalog erstellt, mit Muss- und Soll-Kriterien etwa im Verhältnis 2:1 (genau 650 zu 350). Jeder Bewerber, der die Muss-Kriterien erfüllt, hat also schon einmal 650 Punkte auf seinem Konto. Bei der Schlussberechnung, der sogenannten Nutzwertermittlung, wird die Gesamtsumme der Punkte mit dem Kaufpreis zusammengeführt und das Angebot als Ganzes einer Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen.

Wo kein Kläger, da kein Richter

Wir verzichten hier auf eine detaillierte Darstellung von Leistungsbeschreibung und Bewertungskatalog, weil das gefährlich in die Nähe eines Bruchs der militärischen Geheimhaltung kommen würde. Nicht aus formalen Gründen, sondern aus essentiellen. Unsere Luftwaffe soll so gut wie möglich geschützt sein, das heißt, ihre Daten sollen nicht einfach einem Buch entnommen werden können. Entgegen landläufiger Meinung spielen sich neunzig Prozent aller nachrichtendienstlichen Tätigkeit nicht mittels Knacken von Tresoren und Anwerbung von Spionen ab, sondern es werden einfach öffentlich zugängliche Quellen ausgewertet, man muss sie nur finden.

Deshalb werden unter dem Deckmantel der politischen Immunität strafrechtliche Grenzen überschritten, wenn Abgeordnete geheime Militärakten ins Netz stellen, was immer wieder seitens jenes Herrn geschah, dessen Namen wir alle kennen. Aber wo kein Kläger, da ist auch kein Richter. Wobei die Kläger gar nicht das Problem sind, das Problem ist der politische Druck, der auf sie ausgeübt wird. Politiker können sich in diesem Land anscheinend aufführen, wie sie wollen, das Parlament kommt gar nicht erst in die Lage, Immunitäten aufzuheben zu müssen. Die Führungspolitiker, die sich das untereinander ausmachen, wollen einfach keine Zores, denn erstens ist das mühsam und zweitens könnte es ja auch einmal sie selbst treffen. Nicht umsonst ist die Sentenz "Mir wer'n kan Richter brauchn" eines der geflügeltsten Wörter hierzulande.

Trotzdem hier ein ungefährliches Beispiel für einen Leistungs-Parameter und seine Behandlung durch die beiden Endkonkurrenten Gripen und Eurofighter. Eine der Soll-Anforderungen war das Vorhandensein eines Spracherkennungs-Systems im Cockpit. Das heißt, das Flugzeug folgt "seinem" Piloten – nämlich nur dem, dessen Stimme es erkennt – sozusagen aufs Wort, der Pilot kann Befehle mündlich eingeben, die er sonst durch manuelle Manipulationen tätigen müsste. Welche Vorteile das gerade in schwierigen Situationen mit sich bringt, kann sich jeder vorstellen. Beim Eurofighter ist das selbstverständliche Ausstattung. Die Schweden hatten noch nicht einmal damit begonnen, so etwas zu integrieren.

Das Pokerspiel der Amis

Die Amerikaner hatten hoch gepokert. Mit 1,4 Milliarden einen sensationell günstigen Einsatz vorgegeben. Und trotzdem alles verloren.

Das F-16-Angebot stellte sich zwar als das mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis heraus. Der Pferdefuß: es fehlte die geforderte zukunftsträchtige Hochtechnologie. Ein ordentliches Bordradar mit der notwendigen Frequenzbandbreite gab es nicht. Eine moving map, das ist die Bildschirm-Darstellung des gesamten geographischen Einsatzraums, ungefähr so etwas wie ein Navigationssystem im Auto, war nicht dabei. Nicht aus finanziellen Gründen, sondern aus strategischen. Die Amis wollten so etwas den Österreichern nicht liefern. Und das nicht aus Gründen der Neutralität oder Nicht-NATO-Mitgliedschaft, sondern – wie US-Vertreter auch ganz offen Journalisten gegenüber bestätigten – aufgrund der immer wieder aufgekommenen Technologietransfer-Diskussion der vergangenen Jahre. Da war nämlich in vielen Fällen wirklich was dran. Deshalb galt und gilt dieses Land als "nicht zuverlässig".

Nicht dass man gemeint hätte, die Österreicher wären ein Volk von Spionen und Verrätern, die den Amerikanern nur Böses wollten. Aber die lässige Haltung im Umgang mit hochsensiblem Material wird von den USA einfach nicht goutiert. Die Österreicher sind sich dieser Dimension einfach nicht bewusst, sie leben nach dem Motto "da wer' ma kan Richter brauchen". Das ist ja schön und menschlich, aber der heutigen Zeit nicht mehr angemessen. In bestimmten Dingen kann es eben kein "sowohl – als auch", sondern nur ein klares "Ja oder Nein" geben.

Trotzdem haben die USA knapp vor dem Zieleinlauf noch einmal alles versucht, um im Rennen zu bleiben. Für die Moving Map wurde optional ein kleiner Handheld-PC angeboten, der am Oberschenkel des Piloten angebracht wird. Entzückend! Sehr bequem und ergonomisch muss das sein. Aber vielleicht kann man's ja wenigstens umgeschnallt lassen und weiterbenützen, falls man sich bei der Heimfahrt mit dem Auto verirrt. Wäre ein echter Zusatznutzen. Und obwohl es dafür nach wie vor keine Genehmigung durch den US-Kongress gab, und das Gerät als "streng geheim" klassifiziert war, wollte das Pentagon jetzt doch die modernste Version des F-16 Bordradars wenigstens mündlich erläutern – ohne auf die geforderten Muss-Kriterien einzugehen. Inoffiziell. Ohne Preisangabe. Ohne schriftliche Zusage. Nur mit Handschlagqualität.

Irgendwie war das zu viel für alle in der Bewertungskommission. Denn man muss sich nicht pflanzen und als Nation zweiter Güte abstempeln lassen. Die Polen haben die besseren F-16 bekommen, als wir sie damals bekommen hätten.

Das System muss ja jahrzehntelang betrieben werden, und da braucht man immer die Hilfe des "Mutterhauses". Was hätten die Amis da alles noch mit uns aufgeführt?

So mussten die Amerikaner ihre Karten auf dem Tisch ablegen und den Pott den anderen überlassen. Das waren nur noch zwei. Wobei die Briten sich in ihren Fauteuils zurücklehnen und dem Endspiel gelassen entgegensehen konnten, denn Sie befanden sich in einer unübertrefflichen Win-Win-Situation. Beteiligt sowohl bei SAAB und als auch bei EADS konnte es ihnen geschäftlich egal sein, ob es nun der eine werden würde oder der andere.

Retardierende Momente

Die Ereignisse überschlagen sich jetzt. In der ersten Mai-Woche fallen gleich zwei schwedische Delegationen in Wien ein und hofieren heftig ihre sozialdemokratischen Freunde. Das Pech ist nur, dass diese zwar im Landesverteidigungsrat, aber nicht in der Regierung sitzen. Und die Beschaffung ist Sache des Ministeriums und des Ministerrats und nicht des Parlaments, das nur am Ende seinen Sanktus dazu gibt. Und die Regierung wird der Opposition, der sie, wie sie glaubt, die EU-Sanktionen verdankt, oder die zumindest höhnisch dazu gegrinst hat, eins pfeifen, sich mit ihr zusammenzusetzen und ihre Wünsche zu erfüllen. Außerdem hatte nationaler Konsens in Fragen der Landesverteidigung in der 2. Republik nie wirklich eine Tradition.

Die Fama ist übrigens auch hier eifrig am Werk. Es ist die Rede von Zuwendungen der schwedischen Sozialdemokraten an ihre österreichischen Genossen. Die zwei "Argumente" dafür: Warum hat der neue SP-Vorsitzende Gusenbauer die Finanzen der hoch verschuldeten Partei so schnell wieder in Ordnung bringen können? Und warum wurde alles sowohl über die Gripen-Pressekonferenz im Parlament am 3.Mai 2002 wie auch über den Termin des schwedischen Verteidigungsministers mit dem SP-Klub am 10.Mai 2002 aus dem Internet getilgt?

Die SP-Finanzen sind eine reine Indizien-Vermutung, die bis heute durch keinen einzigen Beweis erhärtet werden konnte. Für die Faktizität der Gripen-Pressekonferenz im Parlament dagegen gibt es Beweise und Zeugen. Man sieht, wenn die Fama außer Kontrolle gerät, verschlingt sie sogar ihre eigenen Kinder.

Am Freitag, dem 10.Mai 2002, geht noch einmal ein Fax an die Bieter hinaus mit der Aufforderung zu einer letzten Nachbesserung des Angebots. Wochenendarbeit für die Mitarbeiter der Unternehmen, denn die Frist für die Abgabe dieses last and final best offer wurde schon mit Mittwoch, dem 15. Mai, 16:30 Uhr festgelegt.

Die zu diesem Zeitpunkt schon kurz vor dem Aus stehenden Amerikaner sahen wohl, dass es sinnlos ist und besserten nicht nach. Die Eurofighter-Leute meinten, sie hätten ohnehin von Beginn an knappest und kaufmännisch seriös kalkuliert und gingen aus Gründen des Goodwill um ein rundes Prozent herunter. Die Schweden dagegen ließen die Hosen um ganze 7,5 Prozent – das sind weit mehr als 100 Millionen Euro – herunter, was schon irgendwie nachdenklich macht.

Am Dienstag, dem 14. Mai 2002, gab es noch ein Spektakel der drei Anbieter, man könnte sagen viribus unitis. Auf dem Fliegerhorst Graz Thalerhof stellten sie gemeinsam ihre Maschinen zur Schau und zum Angreifen ganz aus der Nähe. Zwischen Journalisten, Politikern, Militärs und Fachleuten der verschiedensten Provenienzen kam es zu einem regen Gedankenaustausch bei ausgezeichneten Buffets der Schweden und der Deutschen. Bezeichnenderweise hatte bei Lockheed das Catering total versagt. Die Fama sagt, dass ihnen gesagt wurde, es gäbe keinen großen Event mit großer "hospitality'".

Der Himmel klart auf

Dann geht alles sehr schnell. Im Juni 2002 ist die Gesamtbeurteilung fertig: bei der rein faktischen Bewertung liegt der Eurofighter mit 941 Nutzwertpunkten klar vor dem Gripen mit 902 Punkten.

Es muss bei dieser Gelegenheit einmal aufgeräumt werden mit der immer wieder auftauchenden Fama, dass der Gripen und der Eurofighter sich ohnehin auf Augenhöhe begegneten, und die Bevorzugung des einen oder anderen reine Geschmackssache sei. Das ist sie nicht. Der Gripen ist das letzte Modell in der SAAB-Reihe "Fliegende Tonne” – Lansen – Draken – Viggen. Das Vorgängermodell Viggen war groß, schwer und ein treibstofffressendes Ungeheuer, Ein imposantes Monster vergleichbar etwas den "Muscle Cars” im Automobilbereich, das auch an keine einzige Luftwaffe außer der schwedischen verkauft werden konnte. Man erkannte, dass da eine absolute Kehrtwendung nötig war, wenn man im Geschäft bleiben wollte. Und so ist ein kleines Flugzeug mit niedrigem Querschnitt herausgekommen, auf das man jedes zusätzliche System außen draufpacken hätte müssen. Doch dabei war der Radarquerschnitt immer noch größer als jener der wuchtigeren Mirage, denn es kommt eben nicht nur auf die Masse an, sondern auch auf die Konstruktion, die Ecken und Kanten, und auf die Materialien.

Bei einem Jagdflugzeug geht es wie bei einem Sportwagen im Wesentlichen um die Kraft, über die es verfügt – man spricht von Energiestatus oder "specific excess power". Um Beschleunigung, Wendigkeit und "Quirligkeit", und darum, dass diese Eigenschaften bei einem Einsatz möglichst lange Zeit in vollem Umfang erhalten bleiben. Denn schlechte Jets neigen dazu, schon nach ein paar Haarnadelkurven im dog fight ihre ganze Power zu verlieren.

Der Gripen ist dem Eurofighter darin haushoch unterlegen, hätte keine Chance, einen Luftkampf zu gewinnen, und darum geht's ja letzten Endes, auch wenn jemand, der euphemistisch von "Friedensflugzeugen" spricht, das nicht wahrhaben will. Das zeigt sich auch an der Höchstgeschwindigkeit, die beim Eurofighter inklusive Bewaffnung bei zwei Mach liegt, während der Gripen mit Müh und Not 1,7 erreicht. Vom Unterschied bei der in einem kleinen Luftraum essentiellen Steigleistung gar nicht zu reden.

Zudem ist es vernünftig, sich die Verteilung bei den Soll-Kriterien anzuschauen. Diese sind nämlich, wie manche meinen möchten, kein dekadenter Luxus, also sozusagen die Lederpolsterung im Auto. Sie sind das Tüpfelchen auf dem I, das vielleicht einmal über Leben und Tod des Kampfpiloten entscheidet. Es ist wie bei einem Gewehr: Muss-Kriterium ist, dass es schießt, Soll-Kriterium, wie gut es schießt. Und das Soll ist in der Regel auch zukunftsweisend, es referiert auf die neueste Technik.

Bei den Soll-Kriterien führt der Eurofighter gegenüber dem Gripen mit 341 gegenüber 302 Punkten. Das ist ein gigantischer Vorsprung. Und eine weitere Rechtfertigung für die erfolgte Typenwahl.

Wobei auch andere Nationen draufgekommen zu sein scheinen, wie die Dinge tatsächlich liegen. Denn der Erfolg des Gripen ist enden wollend. Die Südafrikaner fliegen ihn ab 2008, für die genügt er auch, er muss ja nicht gerade mit einer Hochtechnologie des umgebenden Schwarzafrika konkurrieren. Tschechen und Ungarn haben ein paar Maschinen geleast, die Ungarn wahrscheinlich aufgrund ihrer chronischen Staatspleite. Bei den Rumänen, Bulgaren und Kroaten ist er im Gespräch, aber die werden sicher behutsam zu einer amerikanischen Lösung hingeführt werden. Letzte Meldung: Thailand hat zwölf Gripen bestellt. Die umliegenden Staaten fliegen durchwegs russisches Material, dem ist er natürlich überlegen.

Der letzte Akt: Die Nacht der Entscheidung

Der Eurofighter führt nach dem Nutzwert, und jetzt werden die Kuverts mit den Preisen zu den jeweiligen Angeboten geöffnet, die bis dato im Tresor lagen.

Am Montag, dem 24.Juni 2002, führt das Ministerium die Bewertungen und die Preise der beiden verbliebenen Bewerber in einer Kosten-Nutzwert-Analyse zusammen. Das Resultat: bei der Barzahlungs- und der 5-Jahres-Variante gewinnt der Gripen, bei der 9-Jahres-Variante hat der Eurofighter die Nase vorn, und das trotz SAAB-Verbilligung um über 100 Millionen Euro.

Am selben Tag noch werden diese Resultate vom Vorsitzenden der Bewertungs-Kommission, Brigadier Diplom-Ingenieur Magister Wolfgang Katter, im Beisein von Brigadier Wolf und Magister Wall sowie einigen anderen hochrangigen Offizieren dem Verteidigungsminister und dessen Beratern zur Kenntnis gebracht. Es ist dies noch kein offizieller Bericht, sondern lediglich eine mündliche Information. Darauf verlangt Scheibner, dass man doch gleich Nägel mit Köpfen machen solle, und er den Bericht bis 9.00 Uhr des folgenden Tages haben möchte, damit er ihn bei der für 10.00 Uhr anberaumten Ministerratssitzung vorlegen könne. Der Grund für diese Eile war nicht unmittelbar ersichtlich, aber wahrscheinlich wollte das Kabinett noch schnell vor den Sommerferien dieses "lästige" Dauerkapitel Abfangjäger vom Tisch haben.

Da ja jetzt alles vorlag, war das kein Problem, es musste nur in die richtige Form gebracht werden. Der schriftliche Bericht war um 2.00 Uhr nachts fertig. Was das größere Problem war: die Kommission sollte am Schluss des Papiers auch Farbe bekennen. Sie musste sich zu einer Empfehlung durchringen, um 6.00 Uhr in der Früh – ein äußerst intelligent angesetzter Termin für eine so wichtige Entscheidung. Die Stimmung zu dieser frühen Stunde, auch wenn Zeit ihres Lebens im Frühaufstehen geübte Soldaten die Akteure waren, kann man sich vorstellen.

Die Drohung

Dienstag 25.Juni, 6.00 Uhr früh. Wien, 3.Bezirk, Büro der Luftzeugabteilung im "Modecenter". Überall unausgeschlafene, angespannte Gesichter, die Kaffeemaschine läuft auf Hochtouren. Die Spitzen der Bewertungs-Kommission, nämlich die fünf Chefs der Teilkommissionen und Brigadier Katter, der als Gesamtvorsitzender kein Stimmrecht, sondern nur bei Stimmengleichstand Dirimierungsrecht hat, treten zusammen. Die Übernächtigkeit löst sich schnell in einer hitzigen Debatte auf. Katter ergreift vehement Partei für den Gripen. Im vorauseilenden Gehorsam eines österreichischen Brigadiers hat er sich die Stimmung eines großen Teils der österreichischen Politik zu eigen gemacht: Wenn überhaupt, dann die billigste Lösung! Diese Kosten! Diese Hypertechnik! Das werden wir alles nicht derheben. Wir wären womöglich die Totengräber unserer eigenen Luftwaffe. Wir müssen uns bescheiden und in die Umstände fügen: denn wenn's der Gripen nicht wird, wird's gar nix ...

Die Abstimmung. Trotz Katters Suada votieren vier der fünf stimmberechtigten Mitglieder auf Basis der Ergebnisse ihrer Unterkommissionen und mit deren Mandat für den Eurofighter. Ein Mitglied enthält sich, der Chef der Logistik-Kommission, weil sich bei ihnen Gleichstand ergeben hatte. Es steht also 4:0 für den Eurofighter.

Es ist jetzt 7.30 Uhr. Der Vorsitzende Katter unterbricht die Sitzung und bittet die fünf Herren in sein Büro. Zu einem 12-Augen-Gespräch unter Offizieren und Gentlemen, ohne die Mitarbeiter des Sekretariats. Katter empfiehlt, dem "in Anschaffung und Betrieb günstigeren Produkt" den Vorzug zu geben. Und: Er weist darauf hin, dass ein Beharren auf der Eurofighter-Entscheidung gravierende Folgen für jeden einzelnen haben könnte. Die Einzelnen bleiben standhaft. Bis auf den Chef der Logistik-Kommission, Ministerialrat Karl Hofer. Menschlich verständlich. Sein Vater war gerade ein paar Tage zuvor gestorben.

Bei der zweiten und endgültigen Abstimmung steht es somit nur mehr 4:1 für den Eurofighter. Aber es steht. Deutlich. Doch keiner traut sich. Da bricht Brigadier Wolf den Bann. Er unterzeichnet als erster das Protokoll. Die anderen folgen.

"Habt Acht!" im Ministerium

Katter persönlich rast jetzt mit dem Bericht unter Missachtung einiger roter Ampeln ins Ministerium. Im Kabinett des Ministers wird dieser Bericht auch dem Chef der Gruppe "Feld- und Luftzeugwesen", dem Chef der Sektion "Rüstung und Beschaffung" sowie dem Generaltruppeninspektor zur Kenntnisnahme vorgeschrieben, wie es im Amtsdeutsch so schön heißt. Jetzt gibt auch noch der Chef der Gruppe Feld- und Luftzeugwesen in einer "Einsichtsbemerkung" eine schriftliche Empfehlung für den Gripen ab. Der Sektionschef und der Generaltruppeninspektor schließen sich beide an.

Der Rechnungshof bemerkt später, dass sowohl die Empfehlung des Leiters der Bewertungskommission als auch die Stimmenthaltung und folgende Stimmänderung jenes Mitglieds der Kommission in sich nicht schlüssig waren, da eine annähernde Gleichwertigkeit der Anbote nicht vorlag.

Und: Weil die Unschuldsvermutung eines unserer grundlegenden Rechtsprinzipien ist, wollen wir annehmen, dass der Brigadier Katter bei den "gravierenden Folgen für jeden Einzelnen" nicht die Person als solche meinte, sondern ihre Funktion. Nämlich dass wir, wenn überhaupt kein Flugzeug käme, alle unsere Jobs verlieren würden. Eine Interpretation ad hominem müsste man als puren   Erpressungsversuch bezeichnen.

Alle Unterlagen sind rechtzeitig bei Minister Scheibner im Parlament. Doch die Entscheidung passiert nicht den Ministerrat. Der lässt sich noch eine Woche Zeit.

Fortsetzung folgt.

 

Die Redl-Texte entstanden während des ersten Eurofighter-Untersuchungs-Ausschusses 2006/07 und stammen von einem Österreicher mit Heimat- und Verantwortungs-Bewusstsein und besten Verbindungen zum militärisch-ministeriellen Komplex. Es ist natürlich immer davon auszugehen, dass sich darin der Erkenntnis-Horizont von vor zehn Jahren widerspiegelt – was aber eher ein Vorteil ist, denn dadurch ist historische Authentizität gegeben. Alles ist original, es wurde nichts aus heutiger Sicht hinzugefügt.

Die Papers sind dem "Tagebuch" von dritter Seite zugespielt worden und werden an dieser Stelle in loser Folge veröffentlicht.

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