Christoph Matznetter: Tarnen, täuschen, tricksen

 

Wer wenn nicht er: Der interimistische SPÖ-Geschäftsführer Christoph Matznetter und Leiter der vor wenigen Tagen eingerichteten Task-Force ist zweifelsohne der beste Mann, um den SPÖ-Schmutzkampagnen-Skandal gegen ÖVP-Spitzenkandidat Sebastian Kurz aufzuklären, und zwar gründlich. Über sämtliche Geldflüsse an Silberstein müsste er als Kassier der SPÖ-Bundespartei ohnehin bestens Bescheid wissen. Und sollte jemand Zweifel an der Ernsthaftigkeit seiner Ermittlungen haben, so konnte ihm bereits Matznetters erstes Interview im ORF die Augen öffnen. Bereits hier wird klar: Der Mann ist der Garant für eine lückenlose Aufklärung jenes Skandals ... und Nestroy hätte seine Freude.

Im Ernst: Wie glaubwürdig es ist, wenn der Beschuldigte – die SPÖ – gegen sich selbst ermittelt, wurde bereits beim Interview mehr als deutlich. Denn schon hier fungiert Matznetter als Verteidiger der massiv unter Beschuss geratenen SPÖ, anstatt als neuer "Inspektor Clouseau" seiner Partei sofort allen Hinweisen – vor allem den nächstliegenden – nachzugehen.

Tatsächlich wäre die "Affäre Silberstein", die in Wahrheit eine "Causa Kern" ist, binnen 24 Stunden vollständig aufzuklären gewesen, und dafür bräuchte es nicht einmal den bestechenden Scharfsinn eines Sherlock Holmes. Alle Belege samt Rechnungen, die der SPÖ-Kassier ohnehin kennen muss, plus Gespräche mit den zentralen Mitarbeitern in dieser Affäre hätten gereicht.

Ein objektiver Ermittler dürfte auch das für die SPÖ "Schlimmste" nicht von vornherein ausschließen, und das wäre: Der Kanzler und sein Team haben Silbersteins Dirty Campaigning und somit auch die Betreuung der rechtslastigen Facebook-Seite "Die Wahrheit über Sebastian Kurz" zur Gänze befürwortet und sind deshalb dafür mitverantwortlich. Dass Matznetter aber genau das eisern ausschließt, wie sich zu Beginn des Interviews zeigt, beweist seine Befangenheit, die für einen SPÖ-Geschäftsführer nur wenig verwunderlich ist.

Clouseau präsentiert Version 1: Ab August steckte wer Anderer hinter den Facebook-Seiten

Die Frage der Moderatorin, weshalb die SPÖ erst so spät eine Anzeige gegen die Betreiber dieser Facebook-Seiten einbringt, beantwortet Matznetter erst gar nicht. Er hält fest: "Christian Kern hat ja darauf verwiesen, dass wir diese Art von Schmutzkübelkampagne, insbesondere wo dann auch antisemitische Inhalte und Ähnliches vorkommen, zutiefst ablehnen. Wir wollen diese Art von Wahlkampf nicht."

Damit ist bereits alles klar: Die SPÖ war es nicht. Sie will für diese Kampagnen nicht die Verantwortung übernehmen, auch nicht der Bundeskanzler, der das alles "unmoralisch" und "unglaublich blöd" findet. Freilich: Genau für solche schmutzigen Kampagnen war Tal Silberstein bekannt und hat sie auch schon in der Vergangenheit im Auftrag der SPÖ angewandt. Warum sollte es diesmal anders sein?

Als nächstes kommt das Gespräch auf einen Mitarbeiter, der sich Anfang September bei einem Fahrrad-Unfall beide Arme gebrochen hat. Gemeint ist Paul Pöchhacker, ein langjähriger und besonders loyaler Mitarbeiter der Löwelstraße, der mit Silberstein vor dessen Verhaftung am engsten zusammengearbeitet hat.

Hier gibt Christoph Matznetter eins zu eins die von Christian Kern in die Welt gesetzte Version wieder, wonach Pöchhacker vor der Haftung Silbersteins Mitte August etwas, wenn auch sehr wenig über diese Schmutzkübel-Kampagne auf Facebook gewusst haben soll, nach der Verhaftung Silbersteins hingegen gar nicht mehr involviert war: "Die SPÖ hat sofort alle Verbindungen, den Vertrag beendet." Und: "Auch dieser Mitarbeiter der SPÖ hat ab diesem Zeitpunkt keinerlei Kontakt mehr gehabt."

Einen Tag später sollten den Medien zugespielte Dokumente anderes belegen: Pöchhacker hatte bis zu seinem Unfall sehr wohl Kontakt zum Team, das jene Facebook-Seiten betreute und gab auch nach Silbersteins Verhaftung die Order, diese weiter mit rechtsextremen Inhalten zu befüllen. Doch am Montag suggeriert Matznetter noch, dass das ganz anders war:

"Am 14. August, das ist schon länger her, wurde das abgebrochen, und diese Seiten gingen einfach weiter. ... Wenn Sie so wollen, ich bin jetzt nicht der Verteidiger jener, die dort verantwortlich sind, aber wenn man den Eindruck hätte ‚Hey, das könnte mit uns zu tun haben’ – das lief einfach weiter nachher, sodass für den unbefangenen Beobachter das von woanders kam."

Der nüchterne Betrachter kommt freilich schon am Montag zu einer anderen Schlussfolgerung: Wären die Facebook-Seiten gegen Kurz gleich nach Silbersteins Verhaftung eingestellt worden, hätte das sofort einen Hinweis auf die Urheberschaft der SPÖ geliefert. Ein paar Wochen später wurden die Seiten dann tatsächlich vom Netz genommen, just zu dem Zeitpunkt, als erstmals die Urheberschaft der SPÖ im Raum stand. Das macht die Verbindung zur SPÖ freilich noch naheliegender...

Clouseau bleibt ratlos: Pöchhacker und Silberstein geben keine Auskunft

Auf die Frage der ORF-Moderatorin, ab wann Pöchhacker über die Facebook-Seiten Bescheid wusste, entgegnet Matznetter: "Das wissen wir noch nicht genau, das ist ein Teil dessen, was wir untersuchen wollen."

Mehrere Tage später wissen wir es noch immer nicht. Speziell in dieser Hinsicht scheint der verschollene SPÖ-Mitarbeiter sehr schweigsam zu sein – aber vielleicht hat man ihn ja noch nicht gefragt. Doch Pöchhacker ist nicht der einzige, mit dem Matznetter sprechen könnte, wie auch die sichtlich unzufriedene Moderatorin festhält:

ORF: Herr Matznetter, Sie könnten ja – Sie sollen das jetzt alles aufklären – mit einem oder vielleicht mit zwei Anrufen klären. Nämlich Tal Silberstein anrufen, der wird Ihnen ja das erklären können. Für wen hat er das gemacht und wie viel hat er dafür bekommen, und jener besagte Mitarbeiter.

Matznetter: Wir haben nur ein anderes Problem auch: Es ist ja eine Fremdbeauftragung gewesen, das die Agentur Tal Silberstein, und jetzt stellt sich heraus –

ORF: Was heißt Fremdbeauftragung?

Matznetter: Na eine fremde Firma wird beauftragt mit bestimmten Leistungen, die nichts mit den Facebook-Seiten zu tun hat, sondern Analyse, Facebook-Fokus-Gruppen usw. zu machen hat.

Sollte Matznetter mit diesem Geschwurbel meinen, Silberstein wurde zwar nicht für Facebook-Seiten, sehr wohl aber für "Facebook-Fokus-Gruppen" beauftragt, könnte der Fall eventuell bereits geklärt sein, und zwar dann, wenn sich herausstellen sollte, dass die Anti-Kurz-Seiten eben Teil dessen war, was Matznetter als "Fokus-Gruppen" bezeichnet. Auch hier könnten alle Mitarbeiter sofort für Klarheit sorgen.

Clouseau kennt nicht Silbersteins Aufgabenbereich

Christoph Matznetter unterstreicht auch: Geld sei nach "meinem ersten Blick nur für die Arbeit geflossen, wo Tal Silberstein beauftragt wurde, nämlich die Fokusgruppen-Analyse und Beratung."

Schon am Donnerstag, als Matznetter auf öffentlichen Druck Abschnitte des Silberstein-Vertrags schließlich offenlegt, wird aber deutlich: Silbersteins Aufgabenbereich war weitaus umfassender, als es Matznetter hier darstellt. Darunter befanden sich auch strategische Planung, "War-Room"-Management, Medienbeobachtung, Vorbereitung auf TV-Debatten sowie Krisenmanagement. Zum Zeitpunkt des Interviews mit Matznetter wusste man freilich bereits von den Anti-Kurz-Videos, über die "Profil" berichtet hat. 

Die ORF-Moderatorin hackt nach:

ORF: Man kann aber nicht ausschließen, dass das bereits von der SPÖ bezahlte Honorar an Herrn Silberstein auch dafür (Anm: die Anti-Kurz-Seiten) verwendet wurde?

Matznetter: Na ja, ist eine fremde Firma. Die waren vereinbart, die Beträge, die waren marktkonform. Wenn er das Geld bekommen hat und anderwärtig dann verwendet hat, kann ich... – Wenn Sie eine Therme kaufen beim Installateur und die kostet 2000 Euro, können Sie ihm auch nicht vorschreiben, ob er jetzt damit auf Urlaub nach Korsika fährt oder nicht.

Das kann man in der Tat auch Silberstein nicht vorschreiben, nur ist es im Gegensatz zur Betreuung jener Facebook-Seiten auch völlig irrelevant. Jeder Berater – garantiert auch Silberstein – erhält von seinem Kunden aber einen penibel ausformulierten Vertrag mit einem Verhaltenskodex, den er unterschreiben muss. Dieser Vertrag hält fest, was der Berater tun darf, und – noch wichtiger – was er nicht tun darf, um seinen Kunden nicht zu schädigen.

Wenn Kern in einem Vertrag solche Schmutzkübel-Kampagnen untersagt hätte, müsste die SPÖ auf der Stelle Tal Silberstein klagen. Gleichzeitig müsste man Silberstein für einen Wahnsinnigen halten, der in seiner Freizeit Social-Media-Experimente startet, mit denen er in den Wahlkampf seines Kunden eingreift. Silbersteins Behauptung, er habe hier ohne Wissen des Kanzlers gehandelt, ist daher ebenfalls vollkommen unglaubwürdig.

Dann wird Matznetter noch mit der Aussage von Bürgermeister Michael Häupl konfrontiert, wonach "Menschen, die an der Peripherie der Partei der SPÖ stehen, involviert waren." Dazu meint Matznetter: "Wenn es jemand macht, verstehe ich das nicht, weil es in Wirklichkeit ein extrem parteischädigendes Verhalten [ist]. Also selbst aus der Peripherie müsste man wissen, dass man mit so etwas nur einem schadet: Der SPÖ. Wir sind objektiv die Geschädigten durch diese Affäre."

Wäre freilich die ganze Schmutzkampagne nicht vor der Wahl aufgeflogen, dann wären am Wahltag die ÖVP und ihr Spitzenkandidat die Geschädigten gewesen.

Clouseau verteidigt Version 1 und bastelt schon an Version 2

Veröffentlichungen von "Profil" und "Presse" am Dienstag brachten Version 1 ins Wanken. Gleichzeitig wird der mysteriöse Fortbestand der Facebook-Seiten nach Silbersteins Verhaftung weniger erstaunlich: Wie beide Medien berichten, hat der SPÖ-Mitarbeiter Paul Pöchhacker "nachweislich weiter Input geliefert und Inhalte abgestimmt". Er soll "nach der Trennung von Silberstein, die Truppe beauftragt haben, an den Schmutzkübelaktionen gegen Kurz weiterzuarbeiten.

In einem Chat-Forum soll das SPÖ-Kampagnenmitglied die Truppe um Silberstein-Mitarbeiter Peter Puller angewiesen haben, die Facebook-Seiten weiterzubetreiben, da sonst ein Konnex zum Silberstein-Rauswurf entstehen und der Verdacht der Urheberschaft auf die SPÖ gelenkt werden könnte", wie die "Presse" festhält. Pöchhacker hat also offensichtlich die Sichtweise des nüchternen Betrachters geteilt.

Überrascht ist nur die SPÖ, die Pöchhacker noch Dienstagabend suspendiert. Am Mittwoch stellt Matznetter aber dann diese Enthüllungen in Frage: Der suspendierte SPÖ-Mitarbeiter – der für die Medien nach wie vor nicht erreichbar ist – bestreite, ab Mitte August weiterhin an den Seiten beteiligt gewesen zu sein.

Nur leider widerspricht die "Presse" Matznetter umgehend: "Laut den der ‚Presse’ vorliegenden Dokumenten hat Paul Pöchhacker aber deutlich über Mitte August hinaus an den umstrittenen Facebook-Seiten mitgewirkt." Eine schlüssige Alternativ-Version, weshalb die Facebook-Seiten ab Mitte August weiterhin intensiv betreut wurden, liefert die SPÖ vorerst nicht.

Die vielen Nebelgranaten, mit denen Matznetter und der Kanzler um sich werfen, verdecken der Bevölkerung die Sicht auf die Sachlage, die viel einfacher ist, als es ihre komplizierten Ausführungen vermuten lassen. Alles deutet auf folgenden Ablauf hin: Tal Silberstein bot der SPÖ ein Gesamtkonzept an. Christian Kern wollte das Konzept samt Silberstein haben. Daraufhin finanzierte die SPÖ Silberstein, Silberstein wiederum bezahlte seine Mitarbeiter, und diese arbeiteten dann mit den SPÖ-Mitarbeitern zusammen. So einfach ist es.

Doch nun nehmen Christoph Matznetters Erkundungen erst richtig Fahrt auf. Was er am Mittwoch als nächstes andeutet, hätte tatsächlich das Zeug zum spektakulärsten Spionage-Kommando der Zweiten Republik.

Clouseaus zweite Version entpuppt sich als abenteuerlicher Spionage-Krimi

Zwar kann Matznetter am Mittwoch noch immer nicht die Abrechnungen und Silbersteins Arbeitsfeld der Öffentlichkeit präsentieren. Den Vertrag Silbersteins, den die SPÖ vorlegen wollte, will sie nun doch nicht herzeigen. Dafür hat Matznetter aber einen neuen Verdacht: Die ÖVP soll Silbersteins Dirty-Campaigning-Team nach dessen Rauswurf fliegend übernommen und finanziert haben. Eine "heiße Spur" führt Matznetter dabei zu Efgani Dönmez, der bei der Nationalratswahl auf Platz 5 der ÖVP-Liste kandidiert. Worum geht es?

Dönmez hat für seine Plattform "Stop Extremism" auf Dienstleistungen des Silberstein-Mitarbeiters Peter Puller zurückgegriffen, der, wie wir heute wissen, auch die Anti-Kurz-Seiten betreut hat. Laut einem von Matznetter zitierten Vertrag wurde dafür eine Honorarsumme von 180.000 Euro vereinbart. Diesen Betrag findet Matznetter "besonders komisch", schließlich habe Dönmez doch behauptet, das Budget für den Verein betrage nur 20.000 Euro. Nun müsse man der Spur nachgehen, ob nicht mit dem Honorar an Puller in Wahrheit andere Aktivitäten bezahlt wurden, erklärt Matznetter.

Man sieht: Noch ehe sich Christoph Matznetter um die naheliegenden Belege gekümmert hat, will er bereits einem neuen Verdacht nachgehen. Demnach ist jenes mysteriöse Facebook-Team ab Mitte August offenbar die von feindlichen Maulwürfen aus den Reihen der ÖVP am Leben erhaltene Hinterlassenschaft Silbersteins, die dieser zuerst in einem Paralleluniversum ohne Wissen der SPÖ errichtet hat.

Hier überrascht uns die SPÖ gegen Ende des Wahlkampfs mit ganz neuen, bisher unbekannten Ergüssen ihrer Phantasie.

Aus Clouseaus Sicht übertreffen die Fähigkeiten der ÖVP jene mancher Geheimdienste

Man möge sich vergegenwärtigen, was das bedeutet:

Ein anscheinend wahnsinnig gewordener israelischer Polit-Berater errichtet ohne Wissen seines Kunden, der SPÖ, eine Parallelstruktur im Wahlkampf, vermutlich um eine Art Milgram-Experiment auf Facebook durchzuführen, das die Grenzen des Erträglichen austestet. Diese Parallelstruktur war freilich so geheim, dass selbst die SPÖ davon rein gar keine Ahnung hatte, mit Ausnahme ihres besonders loyalen Mitarbeiters Paul Pöchhacker, der auf seltsame Weise Zugang zu dieser Parallelwelt hatte. Nachdem Tal Silberstein verhaftet und unter Hausarrest gestellt wurde, entglitt diese geheimnisvolle Social-Media-Einheit, von der die SPÖ und ihr Kanzler noch immer nichts wussten, den Händen Pöchhackers und Silbersteins. Maulwürfe aus der ÖVP rissen sich das seltsame Facebook-Projekt unter den Nagel. Freilich war dieses Projekt eigentlich gegen den eigenen ÖVP-Spitzenkandidaten gerichtet, doch die schlaue ÖVP hatte bereits einen genialen Schlachtplan: Sie wollte damit die SPÖ zwei Wochen vor der Wahl in eine Krise stürzen. Deshalb tat die ÖVP nun so, als würde die SPÖ so tun, dass die FPÖ eine Facebook-Seite gegen den ÖVP-Spitzenkandidaten betreibt. 

Da wird manchem schwindlig. Matznetter – der neue Inspektor Clouseau – hat die heiße Spur zur Finanzierung dieses Unterfangens gefunden: Die Plattform "Stop Extremism" von Efghani Dönmez soll dafür gedient haben.

Spätestens an dieser Stelle müssten selbst renommierte Geheimdienste den Hut vor der ÖVP ziehen. Nicht nur ist es ihr gelungen, Spione in den engsten Kreis des Wahlkampfteams einzuschleusen, mehr noch: Die ÖVP konnte auf unerklärliche Weise Zugang zur streng geheimen Unterwelt des SPÖ-Beraters Silberstein finden, von der selbst die SPÖ keine Ahnung hatte.

Auch die Fähigkeiten zur Geheimhaltung innerhalb der ÖVP versetzen in Staunen. Immerhin hat doch die Wiener Stadtzeitung "Falter" erst Mitte September die "Kurz-Leaks" veröffentlicht, aus denen hervorgeht, wie minutiös der Spitzenkandidat seine Machtübernahme in der Republik vorausgeplant haben soll. Man wundert sich nur, dass in diesen Leaks von jenem tolldreisten Spionage-Plan der ÖVP nirgendwo die Rede ist.

Christoph Matznetter ist unbeirrt. Für ihn deutet alles auf den politischen Gegner hin: "Wir haben den maximalen politischen Schaden, und aus allen Ecken und Enden kommen uns ÖVP-Funktionäre mit NEOS vermischt entgegen. Das kann kein Zufall sein."

Dabei sollte Matznetter nicht vergessen, dass es die SPÖ selbst war, die diese ehemaligen ÖVP- und NEOS-Funktionäre engagiert hat. Zuerst werden sie von der SPÖ unter Vertrag genommen, dann wundert sich die SPÖ, dass sie da sind!

Gerade bei Peter Puller hätte die SPÖ Verdacht schöpfen müssen, schließlich war ja bekannt, dass er früher für die ÖVP gearbeitet hat. Doch möglicherweise verfügt auch Peter Puller über schauspielerische Fähigkeiten, die jenen einer Mata Hari um Nichts nachstehen. Die wahrscheinlichere Variante ist freilich, dass Peter Puller gerade wegen seiner Kenntnisse der ÖVP für Dirty Campaigning herangezogen wurde.

Bei aller Wertschätzung für die Phantasie Matznetters: Ein wenig Verständnis wird man doch für den deutschen Medienexperte Stefan Weber aufbringen müssen, der in einem Artikel zum Schluss kommt: "Liebe Herren in Wien, Ihr habt hier eine kranke Welt konstruiert."

Clouseau darf seinen Spionage-Krimi nicht mehr vortragen

Freilich scheinen sich die Verdachtsmomente bezüglich der Plattform "Stop Extremism" von Efghani Dönmez wenig später nun doch wieder in Luft aufzulösen. Die Sache ist etwas komplizierter: Der eigentliche Vertragspartner Peter Pullers ist nämlich nicht Dönmez, sondern die Gesellschaft für Politikanalyse (ÖGP), die sich nun umgehend zu Wort meldet.

Die ÖGP hat das von Dönmez initiierte Projekt "Stop Extremism" unterstützt und wehrt sich gegen die Behauptung, sie habe an die PR-Agentur von Peter Puller ein Honorar von 180.000 Euro gezahlt: "Tatsächlich wurden seitens der ÖGP lediglich 1.906,17 Euro aus Fremdaufwänden ersetzt und Herrn Puller für diese acht Wochen kein Beratungshonorar bezahlt. Das bedeutet, dass der von der SPÖ kolportierte Vorwurf, dass 180.000 Euro an Herrn Puller geflossen seien, unwahr ist." (Mit der im Vertrag genannten Honorarsumme von 180.000 Euro habe es vielmehr eine andere Bewandtnis: Diese sei ein Gesamthonorar gewesen, das für Leistungen Pullers sowie für "den Aufbau eines Teams zur Unterstützung des Projektes 'Europäische Bürgerinitiative gegen Extremismus' über ein gesamtes Jahr vorgesehen gewesen" wäre.)

Schade. Nun hat die SPÖ auch noch eine Unterlassungsklage für das Weitererzählen dieses abenteuerlichsten Polit-Krimis der Zweiten Republik von der ÖGP erhalten. In diese erstaunliche Geschichte werden wir zumindest vorläufig nicht eintauchen können.

Clouseau enthüllt Teile des Silberstein-Vertrags und bastelt an Version 3

Matznetter gehen aber dennoch die Themen nicht aus. Es sind zwar viel mehr die Medien, die laufend mit neuen Aufdeckungen in der "Causa Kern" aufwarten, und nicht er. Dafür ist Matznetter aber mit anderen Fragen beschäftigt: Mittwochmorgen ortet er nämlich das "wahre Dirty Campaigning" auf anderen Internetseiten wie dem ÖVP-nahen "Fass ohne Boden" oder den FPÖ-nahen "Unzensuriert". "Darüber redet niemand."

Freilich: Die beiden Seiten sind schon lange bekannt, verfügen im Gegensatz zu den Anti-Kurz-Seiten über ein Impressum und suggerieren auch nicht, sie stammten von jemand anderem als den Verantwortlichen.

Die bisher letzte Etappe liefert auch ihren vorläufigen Tiefpunkt. Sie beginnt immerhin mit einem "Teilerfolg" von Matznetters Recherchen: Aufgrund von zahlreichen Beschwerden präsentiert der neue "Inspektor Clouseau" am Donnerstag schließlich doch einen Teil des Silberstein-Vertrags der Öffentlichkeit, wenn auch nicht das Original mit Unterschrift, denn dieses sei leider unauffindbar.

Das Ergebnis verrät zwar nichts über das Mitwissen des Kanzlers, aber immerhin geht aus den Unterlagen hervor, dass Silberstein bereits ab Oktober 2016 für die SPÖ gearbeitet hat, zu einem Zeitpunkt, als von Neuwahlen noch nicht die Rede war, und dass Silberstein bis heute immerhin 536.000 Euro erhalten hat. Und ja: Das war ein umfassender Vertrag. Silberstein betrieb nicht nur Meinungsforschung. Für die ÖVP ist der Kanzler damit der Unwahrheit überführt.

Am Freitag fordert Matznetter den Rücktritt von Außenminister Sebastian Kurz. Anlass ist die Aussage des Silberstein Mitarbeiters Peter Pullers, der nach mehreren Tagen schließlich aus der Versenkung zurückgekehrt ist. Er behauptet, Gerald Fleischmann, der Sprecher von Außenminister Sebastian Kurz, habe ihm 100.000 Euro angeboten, um Informationen über die Aktivitäten von Tal Silberstein zu erfahren.

Ein von Puller vorgelegtes SMS beweist den Vorwurf aber nicht. Das "hält nicht vor dem Medienrichter", meint Thomas Mayer vom "Standard". Fleischmann dementiert auch umgehend und liefert eine Sachverhaltsdarstellung. Die ÖVP klagt Puller. "Das Maß ist voll", sagt ÖVP-Generalsekretärin Elisabeth Köstinger.

Inspektor Clouseau’s hat Leistung erbracht, sein Chef dürfte zufrieden sein

Vor rund einer Woche hat Matznetter mit seinen Recherchen begonnen. Wer in der SPÖ was gewusst oder beabsichtigt hat, konnte – oder wollte? – er bisher nicht in Erfahrung bringen. Dafür hat er uns mit neuen Narrativen versorgt, die dann durch neue Medien-Berichte immer wieder neu herausgefordert wurden. Mal soll die ÖVP die Facebook-Seiten ab Mitte August heimlich betrieben haben über heimliche Finanzflüsse, mal soll die ÖVP im Gegensatz zur SPÖ alles gewusst haben, mal will die ÖVP aber dennoch jemanden bestochen haben, um mehr zu erfahren.

Dabei vermissen allerdings einige eine gewisse Kohärenz. Mehreren Berichterstattern erscheint es als einigermaßen skurril, dass ausgerechnet der für das Dirty-Campaigning gegen Kurz engagierte Silberstein-Mitarbeiter Puller zum Kronzeugen der SPÖ wird. Deutet das nicht eher daraufhin, dass dieser nur das fortführt, wofür er bezahlt wird, nämlich Dirty Campaigning? Und noch etwas: Die SPÖ bezahlte Tal Silberstein 500.000 Euro, wusste aber nichts von den in Auftrag gegebenen Facebook-Seiten. Die ÖVP wusste der SPÖ zufolge hingegen alles, soll aber Peter Puller 100.000 Euro angeboten haben, um erst etwas zu erfahren. Glaubhaft?

Einer aber ist mit Matznetters Ermittlungen sichtlich zufrieden, und das ist dessen Chef Bundeskanzler Christian Kern. Seine Ermittlungsinteressen scheinen sich mit jenen Matznetters zu decken, und die gelten im Augenblick ausschließlich den kolportierten 100.000 Euro Bestechungsgeld.

In einem "Standard"-Interview bemerkt Kern: "Das 100.000-Euro-Schmiergeldangebot des engsten Vertrauten von Sebastian Kurz ist gelinde gesagt aufklärungsbedürftig. Ich fürchte, was wir über die Bespitzelung wissen, ist längst noch nicht die volle Wahrheit. Unsere Wahlkampagne wurde systematisch unterwandert. ... Da zeichnet sich der größte politische Skandal der Zweiten Republik ab."

Den größten politischen Skandal der Zweiten Republik orten Andere auch – allerdings eher bei Kern.

Wir dürfen auf weitere Erkenntnisse der Task Force gespannt sein, haben aber bereits eine gewisse Ahnung davon, wie jene "lückenlose Aufklärung" aussehen wird, die Christian Kern am Sonntag versprochen hat. Die Task Force solle dem Bundeskanzler zufolge " gründlich, transparent und öffentlich einsehbar die ganze Geschichte" aufarbeiten.

Bisher mündeten die Enthüllungen jedoch primär in Vorwürfen gegen politische Mitbewerber. Mit anderen Worten: Der Dreck, der zutage getreten ist, wurde schleunigst weiter geschleudert auf den politischen Gegner. Letzteres scheint eher Matznetters Aufgabe zu sein.

PS: Bis heute arbeitet Viktoria S. im Bundeskanzleramt und soll "sehr nahe an Kern" sein. Sie hat im Jahr 2015 Wahlwerbung für die Neos gemacht, und arbeitete dabei mit Silberstein zusammen. Als Kern im März 2017 eine parlamentarische Anfrage "betreffend die Tätigkeiten Tal Silbersteins und seiner Mitarbeiterinnen für den Bundeskanzler" beantwortete, bestätigte er: "Sie ist zuständig für die Auswahl, inhaltliche Abstimmung und zeitliche Planung von Terminen und Veranstaltungen sowie die Koordinierung mit den jeweiligen Veranstaltern." Ihre Beschäftigung läuft über einen Arbeitsleihvertrag, der mit dem Sozialdemokratischen Wirtschaftsverband (SWV) abgeschlossen wurde. Präsident des SWV ist ein gewisser - Christoph Matznetter. "Heute" hält fest: "Matznetter müsste auch prüfen, ob seine Mitarbeiterin S. während der Zeit im Kanzleramt immer noch Kontakt mit Silberstein hat oder hatte."

Mag. Stefan Beig, Jahrgang 1978, lebt als freier Journalist in Wien. 

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