Es wird wohl noch lange ein Rätsel bleiben: Wie konnte Emmanuel Macron, ein geradezu archetypischer Protagonist der Finanzindustrie, es schaffen von so gut wie allen Medien und Intellektuellen innerhalb und außerhalb Frankeichs als Lichtgestalt im Kampf gegen das Böse – verkörpert durch die rechte Nationalistin Marine le Pen – aufgebaut und in der Folge mit großer Mehrheit ins Amt des französischen Staatspräsidenten gewählt zu werden. Denn spätestens mit dem Ausbruch der weltweiten Schulden- und Finanzkrise anno 2008, erfreuen sich Investmentbanker (Macron war jahrelang für die Pariser Rothschild-Investmentbank tätig) gemeinhin eines Beliebtheitsgrades, der selbst von Waffenschiebern oder Mädchen- und Rauschgifthändlern nur schwer unterboten werden kann.
Die Champions der Finanzindustrie gelten doch als Inkarnation des "Neoliberalismus" (was auch immer damit gemeint sein mag) und des "Turbokapitalismus" – und beides ist bekanntlich des Teufels. Wie einer aus diesem Umfeld sich des Wohlwollens aller Linken und auch großer Teile derer, die mit ehrlicher Arbeit ihr Geld verdienen erwerben konnte, liegt im Dunkeln.
Wie dem auch sei, jetzt ist er nun einmal da und dank der mit dem Ausstieg Großbritanniens aus der EU verbundenen Linksverschiebung der politischen Kräfte, sehen die Planwirtschaftler ihre Stunde gekommen. Einer von ihnen ist Emmanuel Macron. Denn wer Protagonisten der Finanzindustrie ernsthaft für den fleischgewordenen Kapitalismus hält, hat vom Wesen des auf Recht, Privateigentum, Haftung, Verantwortung und Wettbewerb beruhenden Marktwirtschaftsprinzips keine blasse Ahnung. In einer von politischen Interventionen freien, unverzerrten Marktwirtschaft hat nämlich jeder Akteur für seine Handlungen und deren Folgen zu 100 Prozent geradezustehen. Infolge des Eingehens zu hoher Risiken oder durch unternehmerische Fehlentscheidungen entstehende Verluste sind allein vom Verursacher zu tragen.
Genau das hat der Führer der Grande Nation aber eben nicht im Sinn. Die Privatisierung vom Gewinnen bei gleichzeitiger Vergemeinschaftung allfälliger Verluste kennzeichnet eine auf staatlichen Interventionismus setzende De-facto-Planwirtschaft, nicht aber das "chaotische" kapitalistische Freimarktsystem.
Es ist keine Überraschung, dass der stets bestens geschminkte Herr des Élysée-Palastes sich neuerdings für eine EU-weite Steuerharmonisierung (vorerst nur im Bereich der Unternehmensbesteuerung) stark macht. "Europa kann nicht funktionieren mit zu großen Unterschieden in den Steuersätzen", gibt Macron anlässlich eines Besuchs in Luxemburg zu wissen kund. Und er setzt mit einem Lob des Mikrostaates fort, dessen Bemühungen er würdigt, endlich seine Eigenschaft als "Steueroase" abgelegt zu haben.
Nun sind "Steueroasen" ja bekanntlich dadurch gekennzeichnet, dass sie ihren Bürgern immerhin einen guten Teil des von ihnen verdienten Geld übriglassen, während die in Euroland üblichen Steuerwüsten sich niemals mit weniger als 50 Prozent Enteignungsquote begnügen (meinst ist es deutlich mehr). Wir lernen daraus: Oasen (= niedrige Steuersätze) sind schlecht; Wüsten (= konfiskatorisch hohe Steuern) sind gut. Die Unternehmen sollen offenbar unbedingt davor bewahrt werden, ihr Geld für lauter überflüssige Investitionen zum Fenster hinauszuwerfen, indem der von ebenso klugen wie charakterfesten Politkern geführte Steuerstaat es ihnen rechtzeitig abnimmt. Genial!
Logische Folgerung aus Macrons Einlassungen: Eine Harmonisierung unterschiedlicher Unternehmenssteuersätze kann selbstverständlich nur nach oben erfolgen, da ja sonst die Gefahr bestünde, neue (Steuer-)Oasen zu schaffen. Und das darf nicht sein, denn wo kämen wir da hin, wenn jeder Unternehmer mit seinem Geld anfinge, wozu er lustig ist?!
An diesem Punkt zeigt sich der fundamentale Unterschied zwischen einem auf dem freien Spiel der Kräfte, Angebot und Nachfrage basierenden Markt und der auf Zwang und Gewalt beruhenden Sphäre des Staates: Der freie Markt nötigt Anbieter, die Wert darauf legen, nicht umgehend aus dem Geschäft gedrängt zu werden, zu einer umsichtigen, wirtschaftlichen Haushaltsführung. Schließlich kann kein Unternehmer seinen Umsatz anstrengungslos per Knopfdruck steigern. Der Staat dagegen erhöht einfach, ganz nach Gusto, seine Tributforderungen, denen er nötigenfalls durch den Einsatz bewaffneter Büttel Nachdruck verleiht.
Da dies im interstaatlichen Wettbewerb aber gewöhnlich zur Abwanderung der Leistungsträger ins weniger begehrliche Ausland führen würde, ersinnt die Nomenklatura kurzerhand eine "Steuerharmonisierung", die sie, um diese Chuzpe auch noch mit Ironie zu garnieren, dem Stimmvieh als Beitrag zur "Fairness im Wettbewerb" verkauft. Eine "Abstimmung mit den Füßen" wäre dann nicht mehr möglich oder sinnlos – es sei denn, man wanderte nach Übersee ab – und der Fiskus könnte jedermann nach Herzenslust, auf "harmonisierte" Art und Weise ungebremst ausrauben.
Seltsam, dass die unzweifelhaft vorbildlich verwaltete Schweiz, in der zwischen den Kantonen ein scharfer Steuerwettbewerb herrscht (der ein allgemein moderates Steuerniveau zur Folge hat), sich unglaublicher Prosperität erfreut, wo doch "Harmonisierung" – folgt man den Ideen des "sozialliberalen" französischen Staatspräsidenten – angeblich den Schlüssel zum Glück bedeutet. Allerdings ist ja die ganze Schweiz irgendwie als "Steueroase" verdächtig. Daran wird Herr Macron noch arbeiten müssen.
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.