Das türkise Wahlprogramm fordert die Abschaffung des Stammkapitals bei GmbHs und den Entfall der Mindestkörperschaftsteuer (Mindest-KöSt).
Experimente mit dem Stammkapital der GmbH sind wir bereits gewöhnt. Knapp vor der Wahl 2013 senkte der Gesetzgeber das Mindeststammkapital für GmbHs von 35.000 auf 10.000 Euro. Damit sollte eine Gründerwelle ausgelöst werden. Was der Gesetzgeber nicht bedacht hat: Zahlreiche bestehende GmbHs führten Kapitalherabsetzungen durch und reduzierten damit ihre eigene Mindest-KöSt von jährlichen 1.750 auf 500 Euro.
Daraufhin meldete sich das Finanzministerium zu Wort, weil in Summe offensichtlich erhebliche Einnahmen zu entfallen drohten. Also wurde die Reform 2013 im Folgejahr insofern modifiziert, als das verringerte Stammkapital nach zehn Jahren wiederum auf die ursprünglichen 35.000 € angehoben werden musste. Kommuniziert wurde diese Kehrtwende als "Gründungsprivilegierung". Wohlgemerkt: Die Begründung war eine fiskalische, nicht eine betriebswirtschaftliche.
Vorbild für eine entkapitalisierte GmbH ist die britische "Limited". Solche Gesellschaften können in Großbritannien ohne Kapital gegründet werden und – jedenfalls vor Vollzug des Brexit – in der Europäischen Union am Geschäftsleben teilhaben. Auch Zweigniederlassungen solcher Gesellschaften können in das österreichische Firmenbuch eingetragen werden. Die "Limited" sind bei kapitallosen Geschäftsleuten beliebt und am Markt entsprechend schlecht beleumundet. Die erste Reaktion besteht oft im Rümpfen der Nase.
Hinter der Vulgarisierung der GmbH steht interessenpolitisch die Wirtschaftskammer. Unter dem Dach dieser pflichtmitgliedschaftlichen Organisation sind viele Einzelunternehmer zu betreuen, die im Förderland Österreich ganz ohne eigenes Geld den Start in das Unternehmertum wagen sollen. Sie drängen weniger in das – illusorische – Haftungsprivileg der GmbH als in das Steuerregime der Körperschaftsteuer. Ein Steuersatz von 25 Prozent KöSt entspricht eben nur der Hälfte von 50 Prozent (zweithöchster Est-Satz). Hier rächt es sich wieder einmal, wenn freie Berufe wie Rechtsanwaltschaft und Notariat aus der Politik gedrängt und Wirtschaft und Wirtschaftskammer synonymisiert werden. Kammerwesen und Marktwirtschaft sind eben zweierlei.
Der türkise Vorschlag wird nicht nur dem Finanzminister nicht gefallen, sondern auch am Markt übel aufstoßen. Man kann natürlich auch ohne Anfangskapital reich werden. Aus der Ausnahme die Regel zu machen, wird langfristig allerdings zu beträchtlichen Nachteilen führen. Dass zum Kapitalismus auch Kapital gehört, hat sich in der Geschichte ziemlich bewährt. Die Start-Ups von vornherein vom Eigenkapital zu entfremden und damit das Fremdkapital zu fördern, erscheint gerade für eine Partei, die die Eigenverantwortung auf ihre Fahnen schreibt, ein fragwürdiger Weg.
Dr. Georg Vetter ist selbständiger Rechtsanwalt in Wien. Er ist Nationalratsabgeordneter der ÖVP.