Zahlreiche Bildungspolitiker und ihre Experten betrachten die Schule nicht als ein Wissensunternehmen, sondern als ein Kompetenzunternehmen (=Wissensabbauunternehmen), in dem die Lehrer nicht mehr "nutzloses" fachliches Orientierungs- und Strukturierungswissen lehren/vermitteln, sondern als Coach, als Berater, als Lernbegleiter, als Therapeut und als Kompetenztrainer (vor allem) das Sozial- und Kommunikationsverhalten der Jugendlichen gestalten und steuern.
Die Idee einer Gestaltbarkeit von Kompetenzen, einer Persönlichkeitsadaptierung und des Zurechtcoachens von Persönlichkeitsmerkmalen hat die Schule erobert! Die Schule ist zu einem Soziallabor für die Experimente der Sozialingenieure, der Toleranztrainer, der Konfliktmanager und der Selbstinszenierungsexperten geworden. Der Kompetenzenmensch mit Selbstmanagement-, mit Sozial- und Vermarktungs-/Präsentationskompetenz soll für die Kompetenzgesellschaft fit gemacht werden. Kompetenzen-Fitness steht am Programm!
Die Jugendlichen werden als trainierbare Objekte betrachtet. Kompetenzstandards werden erarbeitet, Teilkompetenzen werden artikuliert und Kompetenzentwicklungspläne/-modelle werden formuliert. Diskussionen über Ziele, Pläne, Strategien, Effizienzkontrolle und Steuerung prägen die Welt der Konstruktivisten.
In der Schulrealität werden die wissensorientierten Fragen durch die kompetenzorientierten Fragestellungen verdrängt. Die Zahl der (Teil- und Fach-) Kompetenzen wächst ständig und niemand kann sagen, wie die einzelnen Kompetenzen im Rahmen einer (bisher fehlenden) Kompetenzen-Leistungsbeurteilung gewichtet und beurteilt werden sollen.
Kompetenzen werden so definiert, dass sie zahlreiche kognitive Fähigkeiten, das Vermögen der Selbstregulation sowie verschiedene motivationale(!), soziale(!) und kommunikative(!) Elemente beinhalten. Schon allein in Bezug auf soziale Fähigkeiten können im Umgang mit sich selbst, im Umgang mit anderen, in Bezug auf die Zusammenarbeit und auf Führungsqualitäten zahlreiche verschiedene Teilkompetenzen aufgelistet werden! Fachspezifische Kompetenzen, die im Rahmen von Kompetenzentwicklungsmodellen genannt werden, können vor allem im Zusammenhang mit den durch den Willen gesteuerten Teilkompetenzen der Selbstmanagementkompetenz und der Entwicklung von Selbstlernkompetenz akrobatisch reflektiert werden. Aber was bringt es?
Auch Analphabeten sind in der Lage, Selbstinszenierungskompetenz zu erwerben. Eine Selbstbewusstseinserziehung ohne konkrete inhaltliche Kenntnisse und ohne den Erwerb von Orientierungs- und Strukturierungswissen ist ein Irrweg! Das hindert aber die Verantwortlichen nicht daran, die Schule permanent als ein Kompetenzunternehmen, als einen Trainingsplatz für eine neue Identität zu propagieren.
Ein Kompentenzunternehmen Schule erweitert die Möglichkeiten für ein Einströmen von Ideologien, für Bewusstseinsbildung, für Manipulation und für Indoktrination. Was ist überhaupt der Unterschied zwischen sozialer und sozialistischer Kompetenz?
Warum wollen die Jugendlichen zu Kompetenzen-Menschen für eine Kompetenzen-Gesellschaft geformt werden? Warum sehnen sie sich nicht mehr nach einer Schule als Wissensunternehmen, als einen Ort der Freiheit, der Muße und der Entwicklung von Urteilskraft? Warum lieben sie die Gesinnung und die Nützlichkeit in der Knechtschaft?
Josef Stargl ist AHS-Lehrer in Ruhe und ein Freund der Freiheit.