Ist Kurz der neue ÖVP-Messias?

Sieben – die Zahl „sieben“ ist aufgeladen mit mythologischen Bezügen und symbolischen Bedeutungen. Laut Bibel hat Gott die Welt in sieben Tagen erschaffen. Die „sieben Plagen der Endzeit“ werden ihre bisherige Existenz wieder beenden, wenn Hamageddon die Wiederkehr des Messias einleitet. Im Islam umkreisen die Pilger im Zuge der Hadsch die Kaaba in Mekka siebenmal gegen den Uhrzeigersinn. Und in der ismailitischen Variante der Schiiten zeigt sich der verborgene, da entrückte, „siebente Imam“ nach einer Zeit der Entbehrung und Verzweiflung den Gläubigen im Triumph und leitet als wahrer Erlöser ein goldenes Zeitalter ein. Im spektakulären Hollywood-Film „Sieben“ sucht der polizeiliche Ermittler (Morgan Freeman) nach dem psychopathisch-genialen Killer (Kevin Spacey), der seine Opfer nach der dramaturgischen Logik der „sieben Todsünden“ bestialisch ermordet. Die „sieben Sakramente“ der katholischen Kirche; die „sieben Weltmeere“; die „sieben Weltwunder“. Die Zahl „sieben“ steht stets für das Ehrfurchgebietende, für das Numinose, ja gar für das Divine.

Und jetzt umso mehr. Sebastian Kurz, der „verborgene Erlöser“, zeigt sich nach einer jahrzehntelangen Dürreperiode im Jammertal seinen Gläubigen und lässt sich seine Herrschaft als ÖVP-Führer mit der bedingungslosen Akzeptanz von „sieben Forderungen“ einbegleiten. Nach dem Abgang von Reinhold Mitterlehner hat er die vollständige Erfüllung seiner sieben Forderungen zur unabdingbaren Voraussetzung gemacht, um als ÖVP-Parteiobmann und Spitzenkandidat zur Verfügung zu stehen.

Diese Forderungen werden mittlerweile hymnisch gefeiert. Sie scheinen die lang ersehnte Rettung der ÖVP und ihre Rückkehr an die Spitze zu garantieren. Und nach wenigen Tagen der Medien-Hype habe sie den Status eines Zaubermittels zur Lösung der Probleme der gesamten österreichischen Innenpolitik erlangt.

Die Rezeptur besticht zunächst durch ihre Simplizität: Obmann Kurz erhält die Zustimmung, mit einer eigenen Liste zu kandidieren, die von der ÖVP, aber auch von anderen Organisationen und Personen unterstützt wird bzw. werden kann. Er selbst, Kurz, erhält das alleinige Entscheidungsrecht für die Kandidatenliste auf Bundesebene, für die Zusammensetzung der Regierung und für die Bestellung des Generalsekretärs. Jede Besetzung einer Landesliste ist von seiner Zustimmung abhängig. Seine einzige Einschränkung ist die Beachtung des „Reißverschlussprinzips“, mit dem eine 50-prozentige Frauenquote durchgesetzt werden soll. Koalitionsverhandlungen führt der Obmann völlig frei nach eigenem Ermessen. Und schließlich: Der Bundesparteiobmann führt die Partei im Alleingang inhaltlich, das heißt, er legt die programmatische Ausrichtung nach Gutdünken fest.

Mit diesem Programm wird verheißen, dass die altbekannten „Strukturprobleme der ÖVP“ beseitigt werden. Handlungs- und Reaktionsunfähigkeit und die völlige Uneinheitlichkeit und Chaotik des gemeinsamen Auftritts würden damit verschwinden. Die Partei, die bis jetzt aufgrund polyzentrischer Entscheidungsabläufe bis dato de facto unführbar gewesen war, würde ab sofort einheitlich, straff geführt und schlagkräftig auftreten – wie ein professionell gemanagter internationaler Großkonzern. Dass Parteiobleute wie Hampelmänner und Witzfiguren vorgeführt werden würden – auf den Verschleiß von 14 Parteiobmännern in der zweiten Republik wird stets hingewiesen –, würde der Vergangenheit angehören.

Auch auf das begeisterte Publikum, ja selbst die „kritische“ Presse scheint die geplante Reform eine magische Anziehungskraft auszuüben. Geht es doch schließlich um die Kastration des verhassten Parteifunktionärs und seiner unsympathischen Umtriebe. Dieser gilt als der Inbegriff des Machtmissbrauchs, der Mauschelei, der Freunderlwirtschaft, der Seilschaftsbildung, des Postenschachers, des Gruppenegoismus, des Erpressungs- und Gegengeschäfts, ja sogar der Bestechlichkeit – und das alles auf dem Rücken der Allgemeinheit. In der ÖVP würde die bündische Struktur und ihre föderative Gliederung das ideale Unterfutter für die Schacherdemokratie in ihrer übelsten Ausprägung abgeben. All dem würde die Kurz'sche 7-Punkte-Erlösung nunmehr den Garaus machen.

Die angesprochenen Übel und ihre entsetzlichen Effekte sollen im Folgenden nicht kleingeredet werden. Dasselbe gilt für die schreiende Notwendigkeit einer „Strukturreform“ bzw. Totalerneuerung der ÖVP, an deren tatsächlicher oder vermeintlicher Unmöglichkeit ganze Generationen von Obmännern gescheitert sind. Noch viel mehr ist die damit verbundene Frage eines potentiellen systemischen „Untergangs der Parteiendemokratie“ und ihrer Überführung in eine neue Demokratieform eine Überlebensfrage des demokratischen Gemeinwesens schlechthin. Der Autor dieser Zeilen hat genau diesem Themenkomplex vor beinahe drei Jahrzehnten ein Buch gewidmet. Aber bevor die Eignung der magischen „sieben Forderungen“ als Instrument zur „Strukturreform“ beurteilt werden kann, ist ein kurze Reflexion der Geschichte der Parteiendemokratie unumgänglich.

Die Sozialdemokratische Partei und die Christdemokratische Partei (Vorläufer von SPÖ und ÖVP) wurden gegen Ende des 19. Jahrhunderts gegründet (1888 bzw. 1893) und entfalteten ihre Arbeit im Zeitalter der konstitutionellen Monarchie. Sie wurden rasch zu Massenparteien, die die großen politischen Lager ausbildeten. Den Wesenszug von Massenorganisationen verdanken sie zunächst dem geringen Ausmaß an gesellschaftlicher Komplexität. In den ersten Jahrzehnten nach der Industriellen Revolution und dem Beginn einer bürgerlichen Gesellschaft hatten große Gruppen von Menschen gleiche oder zumindest sehr ähnliche Interessen, die als politische Anliegen und Forderungen repräsentiert werden konnten.

Sie konnten daher in großen Parteiorganisationen zusammengefasst werden, die dabei ein hohes Ausmaß an innerer Homogenität aufwiesen. Identische persönliche Interessen einer großen Zahl von Einzelpersonen konnten damit als das gemeinschaftliche Interesse einer sozioökonomischen Großgruppe (Klasse) begriffen und von Massenparteien vertreten werden.

Aber es wären keine Massenparteien entstanden, wenn diese nicht weitere Funktionen ausgebildet hätten, die mit dem ökonomischen Interesse amalgamiert wurden. So wurden Parteien zu Stätten des Bildungserwerbs und der Kenntnisvermittlung, der individuellen und medialen Informationsverarbeitung, des Gemeinschafts- und Geselligkeitslebens, der künstlerischen Inspiration und des Kulturvollzugs – und all das eingehüllt in ein politisches Glaubensbekenntnis, das wir als Ideologie oder Weltanschauung kennen. All das begann die Lebewelt der Mitglieder und Sympathisanten einer Partei so sehr zu bestimmen, dass man teilweise von einem Familien- oder Kirchenersatz sprechen kann.

Es wird meist übersehen, dass das Entstehen der Ersten Republik nach der Zäsur des Ersten Weltkrieges und des Zusammenbruchs der Donaumonarchie viel weniger durch das Inkrafttreten der Kelsen-Verfassung, sondern durch die Wiederbelebung der Parteien grundgelegt ist. Diese fanden in der Verfassung keine Erwähnung, bildeten aber eine Realverfassung des Staates aus, dessen Macht eben nicht „vom Volk“, sondern von den Parteien ausging. Die Parteien waren es, in denen Personal rekrutiert, ausgebildet und in Stellung gebracht wurde. Sie erlangten das vollständige Monopol der Besetzung von Mandaten, Regierungsämtern und anderen öffentlichen Funktionen. Und sie bestimmten allein Richtung und Ausgestaltung des politischen Prozesses und all seiner Felder. Dies hatte insofern eine systemprägende Bedeutung, als damit innerhalb des institutionellen Rahmens der demokratischen Republik die legislative und die exekutive Gewalt miteinander verschmolzen. Regierung und parlamentarische Mehrheit waren plötzlich ident – ganz zum Unterschied vom Bauprinzip der konstitutionellen Monarchie, in der die Regierung vom Monarchen bestellt wird.

Eine zweite Entwicklung ist zu beachten: Mit der Beseitigung des monarchistischen Pathos mussten die Parteien auch die Funktionen der nationalen Identität und eines beträchtlichen Teils der Gestaltung der öffentlichen Meinung übernehmen. Letztere wird zwar auch von den Medien bedient (heute wohl eher als „veröffentlichte“, denn als öffentliche Meinung), aber im Hinblick auf viele Politikfelder war die meinungsbildende Rolle der Parteien in vielen Politikfeldern lange absolut dominant. Hierzu kommt der Sektor der Interessenorganisationen und berufsständischen Einrichtungen. Es ist ein Spezifikum der österreichischen Situation, dass dieser Sektor mit dem Parteiensektor in einem sehr hohen Ausmaß verschränkt ist.

Die Industriegesellschaft der Ersten Republik wurde aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Arbeitsteilung – zaghaft – komplexer, aber diese Entwicklung wurde durch die Polarisation des Partei-Systems und die daraus resultierende Lagerbildung überwachsen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg trugen der rapide technische Fortschritt, die wachsende Internationalisierung der Wirtschaft und das Entstehen verschiedenster Formen und Mittel der wirtschaftlichen Kooperation zu einer rasanten Steigerung des gesellschaftlichen Komplexitätsgrades und damit zu einer Auflösung der sozioökonomischen Großgruppen bei, die die Basis der demokratischen Massenparteien gebildet hatten.

Obwohl die sozioökonomische Basis der Parteien also abhanden kam, blieb deren Einfluss und Machtherrlichkeit zunächst noch bestehen. Der Grund waren die oben angesprochenen Parteifunktionen als ideologische Heimstätten, der wachsende Wildwuchs der Schacherdemokratie und das Entstehen von Hilfsstrategien zur Loyalitätsbildung (die hier nicht näher ausgeführt werden können). Deshalb betrug der Organisationsgrad unter österreichischen Arbeitnehmern (Prozentsatz an Parteimitgliedschaften) zu Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts noch sagenhafte 65 Prozent.

Diese Loyalität und die daraus resultierende faktische oder zumindest emotionale Zugehörigkeit verfiel in den letzten zwei Dekaden des 20. Jahrhunderts im Zuge der Effekte der „postindustriellen“ Gesellschaft rapide und messbar, sodass das Wort „Politikverdrossenheit“ zum dominanten Schlagwort der politischen Kultur Österreichs wurde. Bereits lange vor der Jahrtausendwende sank die Zahlungsquote betreffend den Partei-Mitgliedsbetrag in den größten Segmenten von ÖVP und SPÖ auf unter 10 Prozent, sodass die bis heute kolportierten teils sechsstelligen Mitgliederzahlen in den Teil- und Landesorganisationen der beiden „Großparteien“ als bloße Lebenslügen begriffen werden müssen. Die einstmaligen österreichischen staatstragenden politischen Gebilde waren also auf dem Weg in den Kältetod, denn das Zeitalter der Massenparteien war endgültig vorbei.

Alle, die das Verschwinden der Parteien mit den ersten Jahren des neuen Jahrtausends vorausberechneten, hatten jedoch „die Rechnung ohne den Wirt gemacht“. Der Wirt war in diesem Zusammenhang die Europäische Union. Und diese ermöglichte bzw. bewirkte eine weitgehende Funktionstransplantation der altgedienten, ehemaligen politischen Massenparteien. Die meta-nationale Herrschaftsentfaltung der EU machte den Einsatz örtlicher Repräsentationen erforderlich, die Zielsetzung der „Vertiefung des Integrationsprozesses“ in den Nationalstaaten durchsetzen sollten, solange diese noch existierten.

Genau diese Funktion übernahmen die Parteien auf immer intensivere und folgenschwere Weise: durch die europäische Verschickung ihres Personals mit entsprechender Karriereperspektive, durch die Herstellung eines Verbundes kofinanzierter Projekte von Einrichtungen in ihrem Einflussbereich und durch den schleichenden Ersatz der eigenen Ideologie zugunsten eines neosyndikalistischen, globalistischen Kultursozialismus. Beide ehemaligen Großparteien, SPÖ und ÖVP, wurden gleichermaßen mit dem Geist dieser Ideologie geflutet und hatten Anteil an der europäischen Verschränkung von Ressourcen und Personal. Das nicht abzustreitende Resultat dieses Transplantationsprozesses ist, dass beide Parteien Heimstätten einer europäischen Nomenklatura sind, deren politische Arbeit sich nur mehr im Detail, nicht aber in der großen Linie an ihren ehemaligen Zielgruppen orientiert und sich dadurch graduell unterscheidet.

Noch gibt es aber nationale Parlamente, nationale Volkswirtschaften und nationale Zivilgesellschaften. Und es gibt Völker, an deren Begrifflichkeit und Realexistenz das Verständnis und die Lebensfähigkeit der Demokratie gebunden sind. Beides ist in den alten Parteiapparaten quasi geronnen und in ihrer Verfasstheit und Arbeitsweise verankert. Daran ändert auch die neue Funktion der Parteien als Agenten der EU zunächst nichts.

An dieser Stelle sei an zwei der oben erwähnten Funktionen politischen Parteien erinnert: Parteien waren und sind (auch) Stätten der Bildung von öffentlicher Meinung und Mechanismen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessensausgleich. Es muss davor gewarnt werden, Demokratie als eindimensionales Gebilde einer Beziehung zwischen Bürgern, die bloße Wähler sind, und Politikern zu sehen, die bloße Entscheidungsträger in den Parlamenten oder europäischen Vertretungskörpern sind. Es kann nicht eindrücklich genug festgehalten werden, dass es keine Demokratie ohne organisch gewachsene öffentliche Meinung gibt und geben kann. Und ebenso wenig kann Demokratie ohne den vieldimensionalen und auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen stattfindenden Prozess des organisierten Abstimmens berechtigter, aber kontroverser Interessen existieren. Beides wird in unserer Demokratie – bei aller wachsenden Unzulänglichkeit – traditionell in hohem Maß von den politischen Parteien bewerkstelligt.

Insbesondere im Bereich des zweiten Punktes hatte die ÖVP aufgrund ihrer historischen Herkunft und ihrer daraus resultierenden Struktur einen viel größeren Teil der Last zu tragen als die SPÖ. Die ÖVP war seit jeher betreffend ihre soziökonomische Basis viel inhomogener strukturiert. Sie beheimatete in einem viel höheren Ausmaß als die SPÖ unterschiedliche, teils divergente Interessen, die – vielfach nur sehr mühsam – durch die gemeinsame weltanschauliche Kultur verklammert werden konnten. Es ist mehr als berechtigt, das unkontrollierte Mengenwachstum und die Verselbständigung der Mechanismen zu kritisieren, die sich in einem mehr als hundertjährigen historischen, das heißt aber auch wildwüchsigen Prozess innerhalb der ÖVP zum Zweck des vorparlamentarischen Interessensausgleich ausgebildet hatten. Aber das heißt nicht, dass man diese straflos ohne Ersatz beseitigen kann.

Seilschaften, Partikularegoismus, Pfründewirtschaft & Co: Man mag (und soll) die Abgleitflächen und Deformationserscheinungen der Parteien und damit besonders der ÖVP kritisieren und für unerträglich halten. Mit der Beseitigung ihrer Symptome ist indes nichts getan. Im Gegenteil.

Mit den innerhalb von zwei Tagen zum Breitbandantibiotikum der verfallenden Parteiendemokratie hochstilisierten Forderungen verfährt Neo-Parteiobmann Sebastian Kurz so wie der berühmte Autofahrer, der bei Ölverlust das warnende Druckmanometer ausbaut und Vollgas gibt.

Eine Partei zu reformieren heißt, sie strukturell und organisatorisch auf eine neue Situation und zu ihr führenden sozio-ökonomischen Bedingungen ein- und umzustellen. Es heißt, ihre Aufgaben neu zu definieren, ihre weltanschauliche Basis neu auszurichten und klarzustellen oder zumindest zu schärfen, die Anreiz- und Motivationsstruktur für Mitglieder und Mitarbeiter gezielt zu modellieren, kurz: den Sinn der Existenz der Partei neu, unmissverständlich und zukunftsorientiert zu definieren – neudeutsch gesagt: den gesamten Parteiorganismus zu „launchen“.

Nichts von all dem, was Kurz hier durchsetzen will, beinhaltet auch nur einen einzigen Punkt dieser Liste. Sein Vorhaben hat mit einer Parteireform nicht das Geringste zu tun. Es läuft zwangsweise auf etwas ganz anderes hinaus: auf die unwiderrufliche und unumkehrbare Liquidation der ÖVP.

Mag sein, dass Kurz der Auffassung ist, dass die ÖVP schon lange nicht mehr reformierbar ist. Vieles spricht in der Tat dafür. Aber das ändert nichts daran, dass sie im Kosmos der österreichischen Demokratie ein Aufgabenset bedient, das nicht so einfach ersatzlos beseitigt werden kann, weil es nicht nur sie selbst betrifft, sondern das ganze Land. Nachdem quer durch die ÖVP einige wichtige Kapillargefäße der Realverfassung der Republik Österreich verlaufen, muss diese durch die Einschläferung der ÖVP maßgebliche beeinträchtigt werden.

Es kann beispielsweise davon ausgegangen werden, dass mit dem Verschwinden der ÖVP wesentliche Bestandteile des Föderalismus und der Sozialpartnerschaft absterben. Auch das mag von manchen nicht besonders bedauert werden. Aber es zeugt von einem hohen Ausmaß an Ahnungs- oder Verantwortungslosigkeit, wenn dieser Vorgang betrieben wird, ohne dass sehr konzise Vorstellungen darüber bestehen, wie die Leistungen dieser beiden Systemelemente ersetzt werden sollen.

Überhaupt sollte über die Folgen und Implikationen der einzelnen Forderungspunkte strenger nachgedacht werden. Im Zuge eines solchen Nachdenkprozesses könnten z.B. die folgenden Fragen formuliert werden:

Wenn nicht mehr Bünde oder Länderorganisationen die Mandatare stellen, woher kommen dann die Kandidaten und was stellt ihre Repräsentativität sicher? Findet man sie via Zeitungsinserat? Sowieso sind Mandatare auf den hinteren Bänken bekanntlich meist nicht Match-entscheidend, sie repräsentieren aber das – möglicherweise unzulängliche – Ergebnis eines Interessensausgleichs. Welches Interesse aber repräsentieren sogenannte Quereinsteiger? Muss ihre Loyalität nicht gekauft und gepflegt werden?

Wenn Koalitionsverhandlungen nicht inhaltlich mit den bisher diesbezüglich damit befassten Gremien synchronisiert werden, wer bestimmt die Inhalte dann tatsächlich und wodurch wird dieser Prozess legitimiert? Nachdem der Parteiobmann selbst wohl nicht alle inhaltlichen und projektiven Belange im Alleingang elaborieren kann, muss es wohl Leute geben, die diese Aufgabe in seinem Namen wahrnehmen. Wer sollen diese sein und wodurch sind sie legitimiert?

„Dem Bundesobmann obliegt die inhaltliche Führung der Partei.“ Auf welche Inhalte, das heißt welche weltanschaulichen und programmatischen Perspektiven darf man sich da einstellen? Kurz hat sich bis jetzt weder in seiner Regierungstätigkeit noch im Rahmen seiner parteipolitischen Arbeit zu einigen der wichtigsten politischen Aufgabengebiete und Entscheidungsfelder geäußert. Nachdem seine bisherige Tätigkeit vorwiegend an ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit ausgerichtet war, ist er weltanschaulich weitgehend ein unbeschriebenes Blatt. Wie ist es möglich, dass ihm – teils sehr erfahrene – Politiker des ÖVP-Vorstandes eine ideologische Blankovollmacht erteilen?

Die Nicht-Beantwortbarkeit dieser und ähnlicher Fragen macht den Vorgang des de facto-Putsches in der ÖVP ziemlich rätselhaft. Im Dunklen liegt auch die Frage, warum Kurz das enorme Risiko auf sich nimmt, das mit dieser Strategie verbunden ist. Denn in mancher Hinsicht ist diese Initiative völlig unkalkulierbar und ergebnisoffen:

Es wäre sehr leicht möglich gewesen, dass der von Kurz angestrebte Neuwahlantrag im Parlament keine Mehrheit gefunden hätte. Auf die tatsächlich erfolgte Zustimmung der Kern-SPÖ hätte er rationalerweise nicht hoffen dürfen. Diesen Schritt als erfolgreich anzunehmen, was ein reisen Hasardspiel.

Ebenso risikoreich ist es, anzunehmen, dass diverse Leitungs- und Vorstandsgremien der ÖVP-Landesorganisationen und -Bünde die erforderlichen Statutenänderungen beschließen werden, zu deren Durchsetzung ihre Obleute in der Vorstandssitzung am Sonntag ihre Verwendungszusage gegeben haben (denn mehr als eine solche konnte eine diesbezügliche Stimmabgabe nicht beinhalten).

Schließlich ist es ziemlich wahrscheinlich, dass die FPÖ nach einer geschlagenen Wahl nicht mit Kurz koalieren würden, da sie sich mit dessen Wahl zum Bundeskanzler wohl das eigene Grab schaufeln würde. Was aber geschieht mit einer Kurz-Liste, mit der keiner koalieren will? Kurz selbst wird wissen, dass er fünf Jahre in der Opposition politisch nicht übersteht.

Die Vorgangsweise von Kurz (die im übrigen keineswegs alternativenlos gewesen wäre) gibt aber zu verstehen, dass er sich seiner Sache sehr sicher ist. Wenn er nicht größenwahnsinnig ist oder bloß hasardiert, kann das nur eines bedeuten: Kurz verfügt über eine Sicherheit, deren Grundlage öffentlich nicht bekannt ist. Worin könnte diese bestehen?

Um die Frage beantworten zu können, sollten wir uns nochmals vergegenwärtigen, worin der Kern der Kurz'schen Vorhabens besteht: Der Außenminister will seine Popularität nutzen, um die ÖVP als Partei zu beseitigen und durch eine „Bewegung“ zu ersetzen, deren Außenwirkung ausschließlich oder zumindest überwiegend an seiner Person orientiert ist. Es ist schon mehrfach gesagt worden, dass er sich mit seinem Projekt am Erfolg des neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron orientiert. Diese Aussage ist natürlich nicht spektakulär. Aber was ist eine „Bewegung“ und was bedeutet sie? Eine Bewegung ist eine ungegliederte, im Prinzip geschichtslose Massenveranstaltung ohne explizite Ideologie und mit nur vage formulierten Zielsetzungen. Alle schwenken gleichfarbige Fähnchen und tragen gleichfarbige Baseball-Kappen. Sie sind hochemotionalisiert, fühlen sich moralisch legitimiert und glauben daran, eine wichtige Mission zu haben, die sie kaum explizit verbalisieren können.

„Bewegungen“ gab es in den letzten Jahren relativ viele. In der Ukraine beispielsweise, seit kurzem in Ungarn („momentum“) und eben auch in Frankreich.

Nach dem Sieg von Macron jubilierten besonders zwei Personengruppen: Die Angehörigen der sogenannten europäischen Eliten. Und die Betreiber der Internet-Initiative Avaaz. Sie behaupteten am 9. Mai allen Ernstes, mit ihren 200.000 Mitarbeitern in Frankreich (von 4,9 Millionen weltweit) den Ausschlag für den Sieg des eloquenten Newcomers gegeben zu haben. Avaaz ist eines der vielen Projekte einer wohlbekannten, international tätigen Persönlichkeit, die sich gern als globaler Philanthrop feiern läßt. Avaaz-Chefin Emma Ruby-Sachs wurde von ihm, George Soros, persönlich angeworben.

Neben der Installation von False Flag-Organisationen ist die Paralysierung von politischen Potentialen eine Hauptaufgabe der diesjährigen Eliten-Agenda, die sich gegen Bevölkerungsaustausch, Kulturtransformation und die Auflösung der Nationalstaaten wenden.

Angesichts der Zugehörigkeit muss die Frage gestellt werden: Spielt Sebastian Kurz nur eine Rolle, die ihm zugedacht wurde, um systemoppositionelle Kräfte zu binden und damit in die Bedeutungslosigkeit zu schicken?

Der Autor dieses Aufsatzes hat oftmals vor Verschwörungstheorien gewarnt und vertritt die Auffassung, dass man mit diesbezüglichen Unterstellungen ganz besonders vorsichtig umgehen soll. Angesichts von Entscheidungen, die mit radikalen Umwälzungen des politischen Systems in unserem Land verbunden sein würden bzw. werden, muss aber die Forderung nach maximaler Transparenz erhoben werden dürfen.

Sebastian Kurz hat daher die Verpflichtung, aufzuklären, was es mit der Organisation auf sich hat, die den klingenden Namen ECFR - European Council on Foreign Relations trägt. Präsident ist der ehemalige schwedische Ministerpräsident und Außenminister Carl Bildt, derzeit auch Berater des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko. Zu den führenden Mitgliedern der deutschen Sektion zählt sich Joschka Fischer. Das übergeordnete Ziel sei es, die nationalen Entscheidungsfindungsprozesse zu europäisieren. Auf der Homepage finden sich u.a. ein überaus aggressiver Artikel gegen Victor Orban, Anmerkungen zum Stopp von „Populisten“, eine Liste prominenter Befürworter der umstrittenen Soros-Einrichtung „Central European University“ in Budapest, und ein Artikel mit dem vielsagenden Titel „Stopping migration is impossible, managing it is smarter“.

Sechzig hauptamtliche Mitarbeiter, viele von ihnen bereits in mehreren Soros-Einrichtungen tätig gewesen, sorgen für eine professionelles Vorantreiben der Agenda.

Die Liste der österreichischen Mitglieder des ECFR ist bemerkenswert. Sie umfasst folgende Namen:

  • Erhard Busek
  • Steven Heinz
  • Gerald Knaus
  • Sebastian Kurz
  • Ursula Plassnik
  • Albert Rohan
  • Wolfgang Schüssel
  • Hannes Swoboda
  • Andreas Treichl

Es lohnt sich, insbesondere auch den elitären Kreis der ungarischen Sektion dieser Einrichtung zu studieren: Dort findet man George Soros höchstselbst und dessen Sohn Alexander. Welcher Natur der Einfluß von Soros auf die von ihm unterstützten „Bewegungen“ ist, zeigt sich ganz aktuell zum Beispiel bei der soeben installierten französischen Verteidigungsministerin, die ihr Ressort kurzer Hand in „Ministerium der Armeen“ umbenannt hat. Die gelernte Politologin Sylvie Goulard entstammt ebenfalls dem Soros-Netzwerk und hat sich gemeinsam mit Daniel Cohn-Bendit und Guy Verhofstadt in der Spinelli-Gruppe hervorgetan.

 Es ist jedem Leser selbst möglich, die Verbindungen von einigen dieser Personen zu George Soros zu recherchieren. Verwiesen sei nur auf den öffentlich wenig bekannten Gerald Knaus, einem langjährigen Mitarbeiter von Soros-Thinktanks und Mastermind der Merkel'schen Massen-Einwanderungspolitik, ebenso auf Prinz Rohan, ehemaliger Generalsekretär des österreichischen Außenamtes und persönlicher Freund Henry Kissingers, der Sebastian Kurz am Tag seiner Nominierung zum Außenminister quasi persönlich adoptierte und in die Außenpolitik einführte.

Wenn Kurz sein Projekt nicht mit der Agenda der globalistisch orientierten europäischen Herrschaftseliten in Verbindung bringen lassen will, muss er hier vollständige Klarheit schaffen. Denn diese Agenda hat für das Jahr 2017 eine klar definierte Zielsetzung. Nach der Empörung der Mehrheiten der Völker der europäischen Staaten über die entsetzlichen Folgen der zügellosen, politisch erzwungenen, Masseneinwanderung der Jahre 2015/16 musste ein taktisches Moratorium inszeniert werden, um die sogenannten Schicksalswahlen in einigen europäischen Ländern aus der Sicht der EU-Nomenklatura nicht zu gefährden.

Holland, Frankreich, Deutschland – dazu jetzt noch möglicherweise Österreich. Die „Gefahren“ „Geert Wilders“ und „Marine Le Pen“ sind gebannt, Merkels Einzementierung in Deutschland dürfte gesichert sein. Der 11.11. ist nicht nur Faschingsbeginn, sondern auch der Stichtag, mit dem die provisorische Berechtigung zur zeitlich begrenzten Grenzkontrolle ausläuft. Bis dahin sind in Österreich klare Verhältnisse zu schaffen, denn die EU-Agenda beinhaltet nicht nur die abermalige Öffnung der Schleusen für Masseneinwanderung und Flüchtling-Dschihad, sondern auch die endgültige Durchsetzung der „Flüchtlingsquoten“ zur zielgerichteten Abschaffung nationalstaatlicher Souveränitäten in Europa.

Bevor er sein Projekt so richtig ins Werk setzt, muss Sebastian Kurz Farbe bekennen und offenlegen, auf welcher Seite dieses Kulturkampfes er steht. Ansonsten werden seine sieben Forderungen zur gefährlichen Zahlenmagie für Österreich.

Christian Zeitz ist wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Angewandte Politische Ökonomie.

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