Lastenräder statt LKW

Schon Platon, der Urvater des Totalitarismus, sah in jeglichem Fortschritt die Tendenz zum Niedergang. Viele Jahrhunderte nach ihm geißelte Jean-Jacques Rousseau, bis heute einer der Säulenheiligen aller linken Kollektivisten, die Errungenschaften der menschlichen Zivilisation und wollte „zurück zur Natur“. Doch nicht nur einige Denker längst vergangener Zeiten, sondern auch viele intellektuelle Leichtmatrosen unserer Tage können nicht von fortschritts- und technikfeindlichen Utopien lassen.

So träumt etwa die Vizebürgermeisterin von Wien und Führerin der Stadtgrünen, Maria Vassilakou, von einem Ersatz übelriechender Diesel-LKW durch Lastenfahrräder (sic!). Ihr schwebt das Ziel einer zu 100 Prozent CO2-freien Hauptstadtlogistik bis zum Jahr 2030 vor.

Von der völlig sinnfreien Reduktion des unbedeutendsten aller „Klimagase“ ganz abgesehen (diesen zur zeitgeistigen Religion entarteten Irrsinn teilt die wackere Frau ja immerhin mit Millionen anderen Klimahysterikern), ist der Gedanke aus einem anderen Grund aber dennoch bemerkenswert: Wäre damit doch das Problem der Arbeitslosigkeit offensichtlich auf einen Schlag zu lösen. Wie viele Hundertschaften an Lastenträgern brauchte es wohl, um die Transportkapazität eines 30-Tonnen-Sattelschleppers zu ersetzen?

Immerhin werden ja mehr und mehr „Zukunftsforscher“ und andere Kaffeesudleser jeden Kalibers nicht müde davor zu warnen, dass künftig Roboter den Menschen die Arbeit wegnehmen und viele Bürger der Industrienationen daher zur Untätigkeit verurteilen würden. Nichts scheint sich seit der Zeit der beginnenden Industrialisierung an der Angst geändert zu haben, durch Maschinen überflüssig gemacht zu werden. Schon damals sahen Weltuntergangspropheten die Apokalypse nahen. Seit damals gingen indes atemberaubende technologische Umwälzungen vor sich – und siehe da: Die Arbeit ist nicht weniger geworden – eher im Gegenteil.

Die Maschinenstürmer unserer Tage zäumen den Ochsen – auf dem sie träumen, demnächst zurück in die Steinzeit zu reiten – allerdings von einer ganz anderen Seite auf, als die Sozialromantiker von anno dazumal. Sie stellen nicht mehr so sehr den Kampf gegen das Kapital als Arbeitsplatzzerstörer in den Vordergrund, sondern wollen am ganz großen Rad drehen: Sie haben nicht weniger als die Rettung des Planeten auf ihrer Agenda – und zwar mittels Verringerung der Produktion von Kohlendioxid. Ob sie, wenn sie schon einmal dabei sind, auch daran denken die Atmung zu limitieren (immerhin emittiert jeder Mensch im Laufe seines Lebens rund 30 Tonnen CO2 bei der Ausatmung), konnte nicht in Erfahrung gebracht werden.

Für praktische Fragen oder gar für die Konsequenzen ihrer Handlungen haben sich Gesinnungsethiker und weltfremde Elfenbeinturmbewohner noch nie interessiert. Sich den Transport von Zement oder anderer schwerer Lasten auf Fahrrädern vorzustellen, dürfte daher nur Frau Vassilakou und anderen Mitgliedern ihrer schrägen Truppe gelingen.

Der neuzeitliche Maschinensturm geht in die nächste Runde. Vorerst gilt er nur den Lastwagen in städtischen Ballungsgebieten. Doch dabei wird es nicht bleiben. Beispiel Landwirtschaft: Wer Felder wieder bestellt, ohne dafür Schadstoffe emittierende Traktoren oder andere technische Geräte einzusetzen, rettet nicht nur den Planeten vor dem Hitzekollaps, sondern schafft, sozusagen als Kollateralnutzen, auch noch Hunderttausende Arbeitsplätze. Ähnliches gilt für das Transportgewerbe oder die Industrie. Muskelkraft statt Motoren; Handkarteien statt EDV: Kein Energieverbrauch, keine ertrinkenden Eisbären, dafür aber Arbeitsplätze en masse. Genial!

Der Vorstoß der Wiener Grünen zeigt, wes Geistes Kinder hier am Werk sind. Wem oder was wir die explosionsartige Wohlstandsmehrung in den letzten 200 Jahren zu verdanken haben, haben die noch nie begriffen. Kleiner Hinweis: Es waren weder Gewerkschaften noch Staatsbürokratien.

Dass die leistungsfreien Einkommen, die Ballastexistenzen wie sie beziehen, einzig und allein durch den produktiven Sektor ermöglicht werden, den sie mit so beachtlichem Furor bekämpfen und der heute so effizient arbeitet wie nie zuvor, erkennen sie einfach nicht. Dass jedes Zurück vom Kapitaleinsatz zur Muskelkraft erhöhte Mühen bei drastisch verringertem Output bedeutet, können oder wollen sie nicht einsehen. Verständlich, denn mit produktiver Arbeit haben sie sich ja Zeitlebens keinen Augenblick lang aufgehalten.

Wer aber kann ernsthaft daran interessiert sein, Menschen wieder mit schwerer körperlicher Arbeit zu belasten, wenn diese auch bequem durch Maschinen zu erledigen ist? Sollen tatsächlich Bagger eingemottet werden, um Spaten und Schaufeln wieder zu Ehren kommen zu lassen?

Und was die angebliche Umweltfreundlichkeit von Elektrokarren angeht: Wer meint, dass in einer Gesellschaft, die dank des konsequenten Verzichts auf die Nutzung der Kernenergie, auf Stromerzeugung durch kalorische Kraftwerke angewiesen ist und – Windräder hin oder her – auch dauerhaft bleiben wird, Elektroautos eine positive Umweltbilanz aufweisen, hat von Physik und Maschinenbau (Stichwort Gesamtwirkungsgrad) keinen leisen Schimmer. Das einzige Land Europas, in dem die Rechnung im Moment möglicherweise aufgehen könnte, ist Frankreich. Frage an Frau Vassilakou & ihre GenossInnen: Warum wohl?

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

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