Die Radarfalle hat getan, was sie tun musste, sie hat zugeschnappt. Freundlich und bestimmt übergibt mir die Polizistin den Strafzettel. Wenig später erwähne ich im Beisein meiner neunjährigen Tochter gegenüber einer Bekannten diese Begebenheit, wobei ich nichts ahnend den Fauxpas begehe, von einer „Politesse“ zu sprechen. Wiederum freundlich und bestimmt wird mir die Rückständigkeit meines Vokabulars zu verstehen gegeben. Das Wort „Politesse“ impliziere eine typisch männliche Abwertung des weiblichen ordnungshütenden Personals zu einem Hilfsdienste leistenden optischen Aufputz. Gut, wieder etwas gelernt, diesmal sogar kostenfrei. Polizistin heißt es also, nicht Politesse.
Auf der Fahrt nach Hause fragt mich meine Tochter, ob es nicht besser wäre, in Zukunft auch das Wort „Henne“ zu vermeiden und dafür „Hähnin“ zu sagen. Hm. Ja, warum eigentlich nicht? Aber: „Hähnin“ klingt doch auch irgendwie komisch, weil ja der eindeutig männliche Wortstamm „Hahn“ darin steckt. Also vielleicht besser statt von der „Hähnin“ von der „Hühnin“ sprechen. Das Männchen wäre dann wohl der „Hühnerich“. Gut. Also „Hühnin“ und „Hühnerich“. Klingt gleichberechtigt und irgendwie auch korrekt. Super. Thema abgeschlossen.
Zu Hause berichtet meine Tochter der Mama von unserem neuesten Durchbruch in Sachen gendergerechte Sprache: Statt Hahn und Henne sagen wir jetzt „Hühnin“ und „Hühnerich“! Aha. Nach kurzem Nachdenken hat nun meine Frau einen Einwand: Eine Hühnin könnte ja eigentlich auch ein weiblicher Hüne, also eine sehr große Frau sein, oder? Die Annahme, dass es nur männliche Hünen gibt, ist ja auch wieder nicht gleichberechtigt. Und das stumme „h“ hört man beim gesprochenen Wort ja schließlich nicht. Also – Thema wohl doch noch nicht abgehakt. Gar nicht so einfach, eine wirklich korrekte und auch praktikable Bezeichnung für Herrn und Frau Huhn zu finden. Schließlich einigen wir uns auf „Hühnerin“ und „Hühnerich“.
Ja, die deutsche Sprache wirkt bei oberflächlicher Betrachtung nicht besonders gleichberechtigt – und Sprache steht immer in Wechselwirkung mit dem Denken und dem Unterbewusstsein der Menschen. Daher ist der Vorschlag seitens der feministischen Bewegung, in der Sprache eine bessere Balance zwischen den Geschlechtern herzustellen, durchaus verständlich.
Die erste wichtige Frage bezüglich der gendergerechten Sprache lautet also, ob wirklich eine bessere Balance erreicht wird. Sprechen Sie einfach einmal laut die Worte LehrerInnen, SportlerInnen oder SchülerInnen. Wenn man es nicht geschrieben sieht, sondern nur hört, sind auf einmal die männlichen Lehrer, Sportler und auch Schüler verschwunden. Sprache ist ja eigentlich, wie der Name schon sagt, nicht nur zum Schreiben, sondern in erster Linie zum Sprechen da. Die Genderregeln führen aber in der Praxis der Sprache, also beim Sprechen, zu keiner geschlechtermäßigen Ausgewogenheit, sondern zu einem vollkommenen Verschwinden der männlichen Seite – das ist ja schon mal bemerkenswert.
Aber schauen wir uns die Schriftform noch mal genauer an: Wie ist es denn bei Worten wie ProfessorInnen und SoldatInnen? Hier sind die männlichen Exemplare auch im Schriftbild verschwunden. Es müsste ja eigentlich „ProfessorenInnen“ und „SoldatenInnen“ heißen, wenn man den männlichen Anteil korrekt berücksichtigen wollte. Das Gleiche gilt für die männlichen Bauern bei dem Plural „BäuerInnen“ – es ist ein sprachliches Bauernsterben. Dazu kommt noch, dass, symbolisch betrachtet, das große Binnen-I den weiblichen Teil des Wortes hervorhebt. Auch beim Aussprechen neigt man zu einer besonderen Betonung des Binnen-Is, weil es ja groß und daher besonders prominent ist. – Ausgewogenheit sieht anders aus.
Offen bleibt oft auch, wie man die Regeln in der Praxis umsetzen soll. Wie soll man mit Begriffen wie „Rennfahrer“ umgehen? Muss man aufgrund vereinzelt auftretender weiblicher Exemplare jetzt „RennfahrerInnen“ sagen? Gilt das ab einem Frauenanteil von 1 Prozent oder schon ab 0,1 Prozent? Muss man sich also, bevor man einen Satz riskiert, statistische Daten beschaffen? Das Gleiche gilt für Soldaten und Soldatinnen, Kranführer und Kranführerinnen und viele weitere Begriffe. Wie brüllt ein Offizier seine Truppe an, wenn diese aus 99 männlichen Soldaten und einer Soldatin besteht? Vielleicht „Soldaten und -in, Stillgestanden!“? Was sagt er zu einem männlichen und einem weiblichen Soldaten? „SoldatIn“ oder „Soldat und -in“?
Sollte nicht eine Sprachreform zu einem Ergebnis führen, das ein zumindest durchschnittlich intelligenter Mensch einigermaßen korrekt anwenden kann? Hand aufs Herz, wer ist beim sprachlichen Gendern wirklich sattelfest? Heute lese ich in der Zeitung ein Interview mit Alice Schwarzer. Ich zücke den Kugelschreiber und finde auf einer Seite sieben Fehler. Sie spricht von Polizisten, ohne die Polizistinnen zu erwähnen, auch die männlichen Demagogen bleiben unter sich, und Islamisten und Muslime – bei Frau Schwarzer alles Männer.[i]
Eine erfahrene Journalistin und Verlegerin, die also Sprachprofi ist und gleichzeitig die führende Feministin im deutschsprachigen Raum, beherrscht nicht einmal selbst die Kunst der geschlechtsneutralen Sprechweise. Wie realistisch ist es dann, dass Horst Schulze aus Hamburg-Harburg oder das berühmte Lieschen Müller jemals die Gendersprache beherrschen wird? Welchen Sinn hat eine Sprachreform, die so kompliziert ist, dass sie nicht einmal von Vollprofis praktisch umgesetzt werden kann?
Vielsagend ist auch das Phänomen, dass negativ besetzte Begriffe dann doch lieber nicht gegendert werden. Mörder, Waffenschieber und Geldfälscher befinden sich alle auf einer seltsam unberührten Insel der Gender-Keuschheit – sie bleiben männlich. Ähnlich ist es in der Welt der Wirtschaft: Man setzt sich vehement dafür ein, dass Frauen in die Top-Liga der Wirtschaftskapitäne und -kapitäninnen aufschließen, aber wenn die dann in einer negativen Rolle auftauchen – Simsalabim –, ist die Gender Correctness auf einmal wie weggezaubert. Turbokapitalisten, Finanzjongleure, Ausbeuter oder auch Abzocker – sie werden alle auf dieselbe Sprachinsel der Gender-Keuschheit verbannt, wie Mörder und Waffenschieber. Die gibt es nicht in der „-Innen“-Version.
Im Web-Archiv der sonst sehr auf eine genderneutrale Schreibweise bedachten deutschen „taz“ gibt es im gesamten zugänglichen Zeitraum (seit 2007) weder KapitalistInnen noch AbzockerInnen, schon gar keine TurbokapitalistInnen und auch keine FinanzjongleurInnen. Keine einzige. Nicht einmal SpekulantInnen kommen vor. Alle diese Bezeichnungen gibt es nur in männlicher Form. Dafür werden im gleichen Zeitraum 199 ArbeitnehmerInnen, 271 ArbeiterInnen, 645 PolitikerInnen und 46 UmweltschützerInnen erwähnt.[ii] Offiziell sind die Journalistinnen und Journalisten der „taz“ die Vorreiter der Gleichheit von Mann und Frau, aber „das Böse“ bleibt bei ihnen ganz klar „der Böse“, während bei positiv besetzten Gruppen die „-Innen“ natürlich groß geschrieben werden.
Es ist die gleiche herrlich ungleiche Gleichberechtigung, die man auch als Krimi- oder Actionfan genießen darf. Der Frauenanteil bei Chefermittlern, Agenten und Weltrettern aller Art ist beachtlich. Und wenn Angelina Jolie als Mrs. Smith mit ihren zarten Armen Brad Pitt einen Kinnhaken verpasst, dann landet er als Mr. Smith mit so einer Wucht in der antiken Wanduhr, dass die Holzsplitter meterweit fliegen. Die Gendergesetze gehen im Filmstudio allemal über die Gesetzte der Physik. Bei Mördern, Psychopathen, Betrügern und anderweitig abgründigem und bösem Personal haben wir dann wieder eine Männerquote nahe der 100 Prozent.
Schwieriger zu beurteilen als der Gerechtigkeitsaspekt der neuen Genderregeln sind die ästhetischen Flurschäden – die sind Geschmackssache. Dennoch: Können Sie sich ein Gedicht von Hermann Hesse oder Johann Wolfgang von Goethe in gegenderter Form vorstellen? Oder einen Pop-Song? Kann ein Satz, der ein Wort wie „ArbeitnehmerInnenvertreterInnen“ enthält, noch ästhetisch sein?
Kommen wir noch einmal zurück auf den eingangs erwähnten Zusammenhang zwischen der Sprache und den Haltungen und Werten einer Gesellschaft. Es ist faszinierend, wie genau die Sprache auch bei künstlichen Regeln wie der genderkorrekten Schreibweise die gesellschaftlichen Entwicklungen spiegelt: Die Genderregeln machen das Verhältnis der Geschlechter so kompliziert, dass es in der Praxis außerhalb soziologischer und kulturwissenschaftlicher Elfenbeintürme gar nicht realisierbar ist. Das trifft auf die Sprache ebenso zu wie auf das gesellschaftliche Zusammenleben. Dazu kommt, dass unter dem Leitstern des Genderismus sowohl in der Sprache als auch im alltäglichen Miteinander das Verhältnis der Geschlechter unelegant, technokratisch und freudlos wird. Die Sprache wird von einem Ort der Kultur und Eleganz zum Schauplatz eines kleinkarierten HähnInnenkampfes um formale Machtpositionen degradiert.
Eine weitere Parallele zwischen sprachlicher und gesellschaftlicher Entwicklung: Während winzige Kreise die Genderregeln mit einem großen Sendungsbewusstsein durchsetzen wollen, werden dieselben Regeln von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung so gut wie möglich ignoriert und umgangen. Man wartet ab, bis der Spuk vorbei ist. Das Ideal ist die sterile und irgendwie blutleere Geschlechtslosigkeit wie z. B. „die Studierenden“, „die Lehrenden“ oder auch „die Lehrpersonen“. Wen wundert es, dass in einer Gesellschaft, die bemühte Geschlechtslosigkeit zum Ideal erklärt, die Geburtenraten niedrig ausfallen?
Die sprachlichen Genderpirouetten spiegeln auch auf eindrucksvolle Art und Weise die Situation in der Genderforschung wider: Es werden akribisch und exakt die vermeintlichen Benachteiligungen der Damen aufgespürt und angeprangert, während nach den ebenso vermeintlichen Benachteiligungen der Herren ganz einfach nicht gesucht wird. Und – wer nicht suchet, der findet natürlich auch nicht: Dass der Plural des Wortes „Professor“ durch das Wort „Professoren“ gebildet wird, wird als Benachteiligung der weiblichen Kolleginnen gewertet, dass aber der Artikel im Plural weiblich ist – es heißt ja schließlich „die Professoren“ – daran hat sich noch keine Genderaktivistin gestört. Wenn sie es also wirklich ernst meinen würden, dann müsste es korrekt nicht „die ProfessorInnen“ heißen, sondern „der/die ProfessorInnen“ oder noch korrekter: „der/die ProfessorenInnen“. Es ist wie in vielen anderen Bereichen: Auch die klassische deutsche Sprache ist gleichberechtigt, aber eben viel eleganter und subtiler als es mit der Gleichheitsdampfwalze möglich ist. Der Artikel im Plural ist weiblich, das Substantiv dafür männlich, besser geht es eigentlich gar nicht. Nur – man muss es eben sehen wollen.
In Zukunft soll das sprachliche Gendern übrigens noch weiterentwickelt werden. Durch die Verwendung einer Underline, wie bei „Leser_innen“, oder Sternchen soll eine angeblich noch vorhandene Diskriminierung von transsexuellen Mitbürger*innen beendet werden. Wirklich spannend wird das dreidimensionale Gendern in der ausgesprochenen, also nicht abgekürzten Form, die ja als die korrekteste Schreibweise angesehen wird. Lieber Leser, liebe Leserin und liebes geschlechtlich nicht festgelegtes lesendes menschliches Wesen – das ist wahrscheinlich der einzige wirklich korrekte Satz dieses Artikels. Wow!
Aber wer leidet eigentlich am meisten unter einer unschönen, umständlichen und weniger nuancenreichen Sprache? Die, die am meisten kommunizieren und das bessere Sprachgefühl haben. Und das sind nicht die Männer.
Was bringen uns die Korrektheitspirouetten in der Sprache? Mit großem Aufwand erreicht man mit den derzeitigen Gender-Regeln nichts Substanzielles, außer einer Beschäftigungsgarantie für ein paar Genderexpertinnen und Kopfschmerzen bei Volksschullehrerinnen, die diese Regeln dem Nachwuchs beibringen sollen. Ästhetisch jedenfalls sind diese Pirouetten eher ein Salto mortale – mit hoher Absturzgefahr.
Der Naturwissenschaftler Dr. Klaus F. Rittstieg behandelt in seinem neuen Buch den Unterschied zwischen Gleichberechtigung und Gleichheit und warum uns die Verschiedenheit bessere Perspektiven bietet - wenn wir konstruktiv mit ihr umgehen. "Die stille Gegenrevolution - Haben wir mit dem Gender-Mainstreaming über das Ziel hinausgeschossen?", Braumüller Verlag, 22 €. (Buch bei Amazon)
Fußnoten:
[i] KLEINE ZEITUNG, Steiermark-Ausgabe, 10.01.2016, S. 6 und 7, Interview zum Thema Islamismus-gefahr, geführt von Manuela Swoboda.
[ii] www.taz.de, Abfrage der Suchbegriffe am 14.09.2015.