Wo sind die Intellektuellen geblieben?

In einer immer mehr durch Social Media geprägten Welt dominieren immer stärker diejenigen den öffentlichen Meinungsbildungsprozess, die am lautesten auf sich aufmerksam machen. Dabei stellt sich die Frage, wo freimütige und engagierte Denker überhaupt noch gesamtgesellschaftlich relevante Debatten auslösen können und inwiefern diese in einer Talkshow-geprägten Welt ihren Stellenwert haben. Warum verlieren die sogenannten Intellektuellen zunehmend an Bedeutung in unserer immer komplexer und vielschichtiger werdenden Welt?

Für das Verstummen und auch Aussterben der Intellektuellen und geistigen Eliten gibt es mehrerlei Gründe. Erstens ist kognitive Exzellenz keine produzierbare Ressource und wahre Spitzenleistungen auf diesem Feld stellen statistisch gesehen eher Ausreißer dar. Wie jeder Kreative, Künstler oder Wissenschaftler weiß, sind intellektuelle Höchstleistungen nicht beliebig oft erbringbar und bedingen auch dementsprechende langjährige Vorarbeit und individuelle Entwicklung. Dieser Wertschöpfungsprozess benötigt aber Zeit und auch gewisse Rahmenbedingungen. Von diesen kann man zwar träumen, aber einfach so herzaubern kann man sie nicht, wie wir auch aus dem schulpolitischen Diskurs wissen.

Hände falten, Goschen halten

Wie viele von uns erleben mussten, wird aber leider allzu oft dieser Prozess des Hinterfragens und der gepflegten Reflexion bereits in der Schule im Keim erstickt. Hier geht die Erziehung in vielen Fällen in Richtung Anpassung und Reproduktion von Wissen. Einst schilderte der ÖVP-Politiker Ferdinand Maier den Stil in seiner Partei mit „Hände falten, Goschen halten“. Nicht viel anders sieht die Praxis auch am Bildungssektor, in der Wirtschaft und in der Politik aus.

Wer aus der Reihe tanzt, wird zurechtgestutzt. Wer nicht belehrbar ist, wird kaltgestellt oder gar aus dem jeweiligen System entfernt. Aus diesem Frust heraus, aufbauend auf negativen Systemerfahrungen und falschen Attributionen, wenden sich immer mehr Menschen dann von diesem ab und schaffen sich ihr Paralleluniversum basierend aus Lügenpresse, Fake News und neuen Wertmaßstäben.

Zauberlehrlinge am Werk

Viele geistige Großmeister haben sich – wie auch Spitzenpolitiker oder Topmanager –mit Jasagern und Zauberlehrlingen umgeben. Die heutige Führung auf diesem Gebiet ist daher leider mehr Lehrling als freidenkender Zauberer, obwohl ihr Selbstbild sie als Meister ausweist. Dies manifestiert sich auf verschiedenen Ebenen unserer Gemeinschaft. Die Größe zu haben, auf einem Gebiet, ob es nun Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft ist, Andersdenkende hochkommen zu lassen, ist nicht im Übermaß gegeben. Als Beleg dazu dienen nicht nur die politischen Talkshows, die mit den immer gleichen Experten besetzt sind, sondern auch diverse andere Indikatoren, wie die permanente Zitierung ebendieser in den etablierten Medien.

Dass unter derartigen Rahmenbedingungen die besagten Intellektuellen, wer auch immer das je nach mentalem Blickwinkel sein mag, immer mehr verstummen oder sogar zunehmend aussterben verwundert da nicht. Dass die aktuellen geistigen Eliten in der breiten Masse zunehmend an Autorität und Respekt verlieren, ist zum Teil hausgemacht.

Intellektualität versus Intelligenz

Vielleicht sind die „Intellektuellen“ von heute aber auch nicht das, was die Intellektuellen einst einmal waren. Man darf nicht vergessen, dass nur das Attribut ein Intellektueller zu sein, oft ein von den Medien verliehener Adelstitel mit dem damit verbundenen aufgesetzten Expertenstatus ist. Die Intelligenz und die Persönlichkeit, Menschen mit ihren Ideen und Visionen zu motivieren und zu inspirieren, ist ganz etwas anderes.

Daher sollte man nicht den Fehler machen Intellektualität mit Intelligenz zu verwechseln. Denn dieser bedarf es zusammen mit einer holistischen Wahrnehmung und einem Gespür für die Zeit und ihre Bedürfnisse, um fundamentale Debatten einzuleiten. Wie wäre es sonst möglich, dass der wenig intellektuell wirkende Donald Trump anstatt der intellektuellen Hillary Clinton Präsident der USA wurde?

Daniel Witzeling, (*1985) IST Psychologe und Sozialforscher. Leiter des Humaninstituts Vienna.  Als Sozialforscher beschäftigt er sich mit angewandter Psychologie auf verschiedenen gesellschaftlichen Tätigkeitsfeldern unter anderem Wirtschaft, Politik und Soziales.

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