Das Heldenplatz-Denken der Geschichtsvergessenen

Wenn Michael Fleischhacker Kanzleramtsminister Thomas Drozda im Zusammenhang mit der Diskussion um den Namen des Heldenplatzes „Geschichtsvergessenheit“ vorwirft, hat er in einem viel umfänglicheren Sinn Recht, als er es möglicherweise selbst annimmt. Drodza hat diese Debatte bekanntlich mit einem Interview angestoßen, in dem er den aktuellen Namen als eine belastete Variante bezeichnete.

Als Belastung sieht Drozda zweifelsohne die Assoziation mit Hitlers Auftritt am 15. März 1938, als die Nationalsozialisten eine hochaufwendige Anschluss-Show am Heldenplatz inszenierten. Denn eines muss man den Nazis neidlos zugestehen: Von Propaganda verstanden sie etwas. Und so denkt Drozda heute an Hitler, wenn er auf den Heldenplatz angesprochen wird.

Die Nazis hatten mit dem dargestellten Massenauflauf zweierlei im Sinn:

Erstens sollte das Ausland darüber hinweggetäuscht werden, dass die Österreicher hinsichtlich des Anschlusses tief gespalten und die Truppen der Wehrmacht mit dem Einmarsch einer Volksabstimmung zuvorgekommen waren. Jede Unterstützung für ein freies Österreich sollte im Keim erstickt werden. So berichtete auch die „Times“ in London von den Anschluss-Feierlichkeiten und die britische Regierung kam gar nicht auf die Idee, für Österreich den Finger zu heben. Nur einer ließ sich nicht beirren: Winston Churchill (und Mexiko). Er beschrieb den Einmarsch in seinem Werk über den Zweiten Weltkrieg als das, was es war: die Vergewaltigung Österreichs (the rape of Austria).

Zweitens lag den Nazis die nachhaltige Manipulation des kollektiven Bewusstseins am Herzen. Um diesen Gedanken zu verstehen, müssen wir etwas ausholen. Hitler hatte am 25. Juli 1934 seine erste herbe Niederlage erlitten. In Österreich wurde der Putschversuch der Nationalsozialisten niedergeschlagen, wobei Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ermordet wurde. Zwar hatte man den Putschisten freies Geleit zugesagt, als sich allerdings der Tod von Dollfuß herausstellte, hängte man die Mörder auf.

Dreieinhalb Wochen nach dem sogenannten Röhm-Putsch ahnten die Österreicher, was ihnen bei einem Sieg des Nazis drohen würde und machten kurzen Prozess – und Hitler konnte nichts tun (wobei er wegen Hindenburgs Tod gerade damit beschäftigt war, ein für ihn vorteilhaftes Testament aus dem Hut zu zaubern und seine Macht abzusichern). Noch mehr als diese Verurteilung zur Untätigkeit musste ihn aber die Reaktion der Österreicher auf den NS-Putschversuch geärgert haben: Anlässlich des Begräbnisses von Dollfuß versammelten sich viele Tausende Österreicher am Heldenplatz und demonstrierten eindrucksvoll für ein freies und unabhängiges Österreich.

Heutzutage muss man zwar etwas suchen, aber es gibt sie: Die Bilder vom 8. August 1934, die ein selbstbewusstes Aufbegehren des kleines Österreich gegen das sogenannte dritte Deutsche Reich illustrieren. Auch dieser Erinnerung an den Unabhängigkeitswillen des kleinen Nachbarn wollte Hitler mit seiner Inszenierung vier Jahre später ein Ende bereiten. Wo ihm dies gelungen ist, hat Fleischhacker mit seinem Vorwurf der Geschichtsvergessenheit in einem besonders weiten Sinne Recht.

Die Heldenplatz-Dominanz des Jahres 1938 in den Köpfen der Geschichtsvergessenen kann man als späten, völlig überflüssigen Sieg Hitlers deuten. Die Umbenennung mit dieser Begründung wäre tatsächlich einer – noch dazu auf Kosten bedeutender Teile unserer Geschichte, die nicht nur aus der Zeit der Republik, sondern auch der Habsburger und der Babenberger besteht.

So betrachtet würde auch einem demokratischen Minister des 21. Jahrhunderts kein Zacken aus der Krone fallen, wenn ihm beim Heldenplatz spontan die Namen Prinz Eugen und Erzherzog Carl einfallen würden.

Dr. Georg Vetter ist selbständiger Rechtsanwalt in Wien. Er ist Nationalratsabgeordneter der ÖVP.

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