Die Meinungsfreiheit steht dieses Jahr im Mittelpunkt der Frankfurter Buchmesse. Die deutsche Buchbranche hat deshalb die europäischen Politiker aufgefordert, sich für ebendiese in der Türkei „kompromisslos“ einzusetzen. Dieser Apell bringt zwar angesichts der realen Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen der EU und Sultan Erdogan nicht viel, klingt aber besorgt und engagiert. Und um das geht es ja in erster Linie.
Solche hohlen Rituale, standardisierten Appelle, so ein „mutiger“ Einsatz für Demokratie, Frieden und Gerechtigkeit gehören zu dieser geistigen Leistungsshow, wie leicht bekleidete Damen zu einer Tuningmesse.
Eine besonders ausgeprägte Eigenschaft des Juste Milieus ist es, Engagement und Tatkraft stets von anderen einzufordern. Dafür ist die Buchmesse eine ideale Bühne. Über den erbärmlichen Zustand der Meinungsvielfalt im eigenen Land machen sich die Verleger, Autoren und Intellektuellen bei ihrem Bücher-Jamboree hingegen kaum Gedanken. Warum auch? Schließlich haben sie die richtige und von der politischen Elite akzeptierte Meinung. Schließlich sind die Protagonisten dieser Szene Teil jener Elite, die die Meinungsrichtung vorgibt und die Grenzen des Akzeptablen absteckt.
Außerdem sind die riesigen Ausstellungshallen mit den vielen tausenden Buchtiteln ohnehin so bunt und abwechslungsreich gestylt. Man täuscht einen wahren Dschungel an Ansichten und Perspektiven vor. Denn vielfältig sind nur die Verpackungen, der Wortschatz und Inszenierungen. Was hier so stolz an Inhalten präsentiert wird, bewegt sich alles im seit Jahrzehnten gleichen Meinungsspektrum, hat mehr oder weniger die gleiche ideologische Aus- und Zielrichtung.
Hier gilt die Devise: Alle dürfen unserer Meinung sein. Kritisches, Neues, Mutiges, Innovatives sucht man vergebens. Was hier präsentiert wird, ist abgestanden und ranzig. Nur ganz wenige Verlage, um genau zu sein nicht einmal eine Handvoll (das ist wörtlich gemeint), die nicht in dieses vorgegebene Schema passen, sind unter den hunderten Ausstellern vertreten.
Doch selbst diese Einsprengsel werden von den Hütern der Buchmesse und der poltisch-korrekten Moral bestenfalls geduldet. So erzählte mir Dieter Stein, der Chefredakteur der „Jungen Freiheit“, dass sein Messestand kurzfristig von den Verantwortlichen vom angemieteten Platz unter einem fadenscheinigen Vorwand in eine hintere Ecke einer Messehalle verbannt wurde. Der böse konservative Mief sollte offenkundig die bunte linke Meinungsvielfalt nicht zu sehr verpesten.
In so einem Umfeld fühlen sich Politiker wie Martin Schulz besonders wohl. Zur Eröffnung der Buchmesse fordert er lautstark einen Aufstand der Anständigen, zu denen er sich offensichtlich selbst zählt: „Das europäische Gesellschaftsmodell muss gegen die ‚Feinde der Freiheit‘ verteidigt werden.“
Die Feinde der Freiheit. Große Worte, zumal es Sozialisten wie Schulz niemals um Freiheit geht, sondern lediglich um die Erhaltung jenes Systems, von dem Schulz und seine Brüsseler Kumpane so prächtig leben. Aber in Frankfurt kommen solche Sprüche immer gut an, schließlich sitzt man im selben Boot, hat mehr der weniger dieselben Interessen, Ziele und Gegner.
Doch die goldenen Zeiten sind vorbei. Das weiß Schulz, das wissen die Verleger und Autoren. Man spürt die Verunsicherung, die sich in diesem Milieu angesichts der politischen und gesellschaftlichen Verwerfungen breitmacht, überall auf der Buchmesse. Hier herrscht keine Aufbruchsstimmung mehr, hier werden keine neuen Ideen, keine Innovationen mehr präsentiert, man spielt Normalität, verkauft Meinungen, Ansichten und Lösungen, die immer weniger Menschen interessieren. Überall ideologische Ladenhüter. Man versucht den Niedergang und das Absinken in die Bedeutungslosigkeit nur noch zu verlangsamen.
Ein Umdenken, ein Paradigmenwechsel ist nicht möglich, zu sehr sind die Strukturen verkrustet, zu eng und verfilzt das Netz an Abhängigkeiten, zu tief eingefressen das Weltbild. Vereinzelt finden sich zwar kritische Werke abseits des linken Meinungsmainstreams auch bei den etablierten Verlagen, doch sie sind nur das berühmte Feigenblatt, um im Bedarfsfall sagen zu können: Seht her, wir haben ja ohnehin…
Es ist eine seltsame Welt, die sich da in Frankfurt leicht verunsichert präsentiert. Man ist nach wie vor eine verlässliche Stütze des schulzschen Geschäfts-, pardon Gesellschaftmodells, gibt sich tolerant, couragiert, innovativ, kritisch und weltoffen und ist doch nur opportunistisch. Man hetzt gegen seine Kritiker und kämpft um sein Plätzchen im immer instabiler werdenden politischen System.
Seit Jahrzehnten werden die immer gleichen linken Binsenweisheiten verkauft, mit abnehmenden Erfolg. Man setzt sich für Meinungsfreiheit in fernen Ländern (Indonesien) ein, arbeitet die Vergangenheit auf, leugnet gleichzeitig die rezenten Fehlentwicklungen in Europa und hetzt gegen alle, die diese Probleme benennen und nach echten Lösungsansätzen suchen. Es ist eine sich selbst genügende Scheinwelt, die Jahr für Jahr ein wenig schrumpft und immer mehr an Außenwirkung verliert, weil sie mit der realen Welt und ihren Problemen kaum noch etwas gemein hat, kaum noch etwas verbindet.
Dieser Umstand zeigt sich, wenn man die abgegrenzte und gut bewachte Frankfurter Buchwelt – in diesem Fall sind Grenzen ausnahmsweise nicht böse – verlässt, und in sein Hotel in einem grindigen Frankfurter Multikultiviertel fährt. Augenscheinlicher könnte der Unterschied nicht sein. Auf der einen Seite die adretten, belesenen, weißen Frauen und Männer, mit ihren aufgesetzten Weltrettungs-Attitüden, auf der anderen Seite, oder besser außerhalb dieses kleinen geschützten Bereiches, die neue sich überall rasant ausbreitende europäische Multikulti-Realität mit all ihren unschönen Folgen.
Hier prallen zwei Welten aufeinander. Wer bei diesem Clash als Sieger hervorgehen wird, scheint ziemlich klar zu sein, außer für jene, die in dieser Blasenwelt leben.
Werner Reichel ist Journalist und Autor aus Wien. Kürzlich sind seine neuen Bücher „Die Feinde der Freiheit“ und „Das Phänomen Conchita Wurst: Ein Hype und seine politischen Dimensionen“ erschienen.