Kontrastprogramm dringend gesucht!

Ende August gingen die ersten 100 Tage des neuen Bundeskanzlers zu Ende. Es zeigt sich, dass noch kein Neuer im Amt so viele Fehler und Hoppalas, aber auch bewusste Provokationen geliefert hat: Von einer unnötigen Ungarn-Beschimpfung über falsche Flüchtlingszahlen, die inhaltsleere Ankündigung eines „New Deal“, die Verspottung eines Regierungskollegen, weil dieser während einer Sitzung SMS verschickte bis zum Eklat um den Presseauftritt zum Ministerrat reicht diese beileibe nicht vollständige Liste.

2008 hatte Werner Faymann mit dem Slogan „Genug gestritten“ gegen die ÖVP gewonnen; Christian Kern versucht es mit einer ähnlichen Masche: Er beschwört die Zusammenarbeit und dass man Vorschläge erst intern besprechen sollte, bevor man an die Öffentlichkeit geht. Was er macht, ist aber genau das Gegenteil: Er fordert zum Beispiel eine Maschinensteuer, wissend, dass diese von der ÖVP (und auch etwa von SPÖ-Urgestein Hannes Androsch) abgelehnt werden muss, weil sie den Wirtschaftsstandort schwer schädigen würde.

Tatsächlich sind es die Sozialisten, die sich bei vielen wichtigen Fragen nach wie vor gegen Reformen stemmen. Aktuell etwa beim ÖVP-Vorschlag, die kalte Progression abzuschaffen, endlich eine Pensionsreform zu machen, die diesen Namen verdient, bei der Mindestsicherung längst überfällige Anpassungen vorzunehmen sowie bei dem anhaltenden Asylantendruck wirksame Maßnahmen zu setzen.

Kern hat eine andere Agenda: Er ist dabei, einen kräftigen Linksruck einzuleiten – etwa mit einer angekündigten Steuerreform, in der von der Maschinensteuer bis zur Vermögenssteuer alles enthalten sein soll, was das linke Herz erfreut. Gleichzeitig versucht er es mit vollmundigen, populistischen Ansagen: So will er etwa bis 2020 „200.000 neue Jobs“ schaffen und damit wieder „Vollbeschäftigung“ herstellen – wahrhaft ein „Wunderwuzzi“. Abgerundet wird dies durch einen „scharfen Kurs gegen die ÖVP“, so der durchaus SPÖ-freundliche „Standard“, der auch die Kern-Brüskierung seines Koalitionspartners durch seinen Presse-Soloauftritt nach Abschaffung des gemeinsamen Pressefoyers als „Sabotage des Gemeinsamen“ bezeichnete.

Kern ist also dabei, das linke Profil der SPÖ zu schärfen. Die ÖVP sollte dies zum Anlass nehmen, ihr Profil – das durch oftmaliges Nachgeben bei SP-Forderungen stark gelitten hat – neu herauszuarbeiten und sich als Partei zu präsentieren, die für das Eigentum eintritt und für Eigenverantwortung, für Selbstbestimmung, individuelle Freiheit und gegen einen überbordenden Versorgungs- und Bevormundungsstaat. Vor allem sollte die ÖVP klarstellen, dass ihr unsere Traditionen und unsere Identität, unser Rechtstaat und unsere Werte in Zeiten einer dramatischen Völkerwanderung ein echtes Anliegen sind.

Immerhin gibt es in der ÖVP einige Personen, die erkannt haben, dass eine Politik, die ständig linke Positionen übernimmt, nur in der Bedeutungslosigkeit enden kann. So zeigen der Außen- und Integrationsminister sowie der neue Innenminister, dass es gar nicht medial schädlich sein muss, wenn man sich bei schwierigen Themen nicht wegduckt, sondern klare Antworten gibt. Dazu kommt Klubobmann Reinhold Lopatka, der oft diejenigen Themen aufgreift, die andere in seiner Partei liegen lassen. Dafür wird er begreiflicherweise von interessengeleiteten Medien immer wieder angegriffen, aber gerade diese Angriffe zeigen, wie wichtig es bei kontroversen Fragen ist, klare Standpunkte zu formulieren. Und das muss die ÖVP liefern, will sie ein Kontrastprogramm zum Verschwendungsstaat und zum Populismus in SPÖ und FPÖ sowie auch bei den Grünen und Neos liefern.

Prof. Dr. Herbert Kaspar war langjähriger Herausgeber und Chefredakteur der ACADEMIA. Der Beitrag ist sein aktueller Gastkommentar in der Oktober-Ausgabe der ACADEMIA

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