Bereicherung oder Niedergang. Wie man die rasante Transformation der europäischen Gesellschaften wahrnimmt, hängt neben der jeweiligen Weltanschauung vor allem vom sozialen Status und dem Umfeld des Betreffenden ab. Wer in einer noblen Wohngegend lebt, eine gehobene berufliche Position innehat, seine Kinder – soferne er welche hat – auf eine Privatschule schickt, einen eigenen Pool besitzt, seine Freizeit vornehmlich in gehobener Gastronomie, Fünf-Sterne Hotels, Museen oder im Theater verbringt, der macht völlig andere Alltagserfahrungen, als die Supermarktkassiererin im versifften Brennpunktviertel. Er kennt die „Segnungen“ der Multikulturalisierung nur aus zweiter und dritter Hand.
Für diese Gruppe bedeutet Multikulti vor allem teures Essen beim Nobel-Libanesen, nette und hochqualifizierten Arbeitskollegen aus aller Welt, lateinamerikanische Literatur, traditionelle chinesische Medizin, Jazzkonzerte und Gespräche mit Gleichgesinnten über den rassistischen autochthonen Pöbel. Kurz, die sogenannten Schutzsuchenden aus Nordafrika oder Afghanistan kennt man nur aus Funk und Fernsehen. Und dort sind sie fast immer nett, treuherzig, bedürftig, dankbar und freundlich. So macht Multikulti Spaß.
Die Multikulturalisierung ist für diese Menschen ein Prozess, den man nur aus sicherer Entfernung gefiltert und gut aufbereitet wahrnimmt. Die Erzähler und Vermittler sind Journalisten, Politiker, Künstler, Experten, Comedians, Wissenschaftler, Schauspieler und andere honorige Mitglieder unserer politisch-korrekten Gesellschaft. Also Menschen, die ebenfalls selten bis nie mit den negativen Folgen der ungesteuerten Massenzuwanderung aus dem islamischen Raum direkt konfrontiert sind.
Die Angehörigen dieser politisch-korrekten Oberschicht versichern sich gegenseitig und ihren Untertanen in monotoner Dauerschleife, wie wichtig, bereichernd, notwendig, freud- und sinnvoll diese Völkerwanderung für „uns“ und „unsere“ Zukunft sei. Gleichzeitig versucht man die zunehmend unschönen Entwicklungen zu verdrängen, sich anzupassen, sprich zu unterwerfen, um diese politisch-korrekten Narrative nicht zu konterkarieren. Plötzlich finden Feministinnen Burkas befreiend, Burkinis sind gut gegen Hautkrebs und Schweinefleisch ohnehin ungesund. Man ist flexibel.
Die fröhlich-bunte Multikultiwelt ist für deren Priester ebenso wie für die Gläubigen ein von der Realität gut abgeschottetes Paralleluniversum. In dieser virtuellen Welt sind sie wie in einem Teenie-Computerspiel die strahlenden Helden; ihre Feinde, denen sie stets mutig entgegentreten, sind die degenerierten Ork-ähnlichen AfD/FPÖ-Wähler und anderes rechtes Gesocks; und die „schutzsuchenden“ Orientalen sind jene Statisten, die man für diesen virtuellen Gut-gegen-Böse-Kampf braucht.
Wie wenig dieses Gutmenschen-Ego-Booster-Spiel mit der realen Welt zu tun hat, wurde bereits zu Beginn der Völkerwanderung deutlich, als in den Medien fast ausschließlich weinende Kinder und zerlumpte Frauen zu sehen waren, tatsächlich aber fast ausschließlich gut genährte, unduldsame Männer im wehrfähigen Alter nach Europa strömten. Egal. Die engagierten Gamer, die Welcome-Refugee-Enthusiasten, haben zu dieser Zeit viele Moralpunkte für das nächste Level in dieser Scheinwelt gesammelt.
Die freche Multikulti-Propaganda, der die Bürger praktisch immer und überall ausgesetzt sind, wird über Zeitungen, Rundfunk, Filme, Kleinkunstbühnen, Literatur, Theater, Schulen, Kindergärten, Unis, Kirchen und Politik verbreitet. Prominente aus all diesen Bereichen, von Campino bis Angela Merkel, von Claus Kleber bis Kardinal Woelki verkünden unverdrossen und zunehmend hysterischer die multikulturelle Frohbotschaft und hetzen gegen alle Abweichler, denen das Fegefeuer schon im neosozialistischen Diesseits droht. Sie helfen den Untertanen beim Denken, geben ihnen Orientierung.
Allerdings fühlt sich nur noch in dieser hochmoralischen Scheinwelt gut aufgehoben, wer sich den Luxus leisten kann, gebührenden Abstand zur Multikulti-Realität halten zu können. Jene Menschen, die das nicht können, weil sie in öffentlichen Spitälern arbeiten, in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, in einem Brennpunktviertel wohnen oder deren Kinder eine Brennpunktschule besuchen, auf der sozialen Leiter unten stehen, sind gegen diese Propaganda weitgehend immunisiert.
Wer sich angesichts seiner unschönen Alltagserfahrungen nicht mehr in jene Scheinwelt flüchten kann oder will, wird von deren stetig schrumpfenden Bewohnerschaft zutiefst verachtet, um sich eine unangenehme inhaltliche Auseinandersetzung zu ersparen. Wer aus dem vorgegeben Meinungsgkorridor ausbricht, wird sofort zum Geisteskranken (Phobiker, Paranoiker), Kriminellen (Hetzer), Nazi und Idioten. Auch das ist ein Grund, warum viele die politisch-korrekte Blase nicht verlassen. Wer will schon zu den politisch Aussätzigen gehören, vor allem, wenn er einen gutbezahlten Job, einen Freundeskreis, also ein angenehmes Leben zu verlieren hat.
Deshalb vertraut der gemeine Gutmensch, oft wider besseren Wissens, den Leitmedien und ihren Meinungsführern. Weil man sich seiner Sache aber nicht so wirklich sicher ist, versichern sich die Bewohner des helldeutschen (österreichischen) Biotops mehrmals pro Tag gegenseitig, dass die bunte Utopie trotz klitzekleiner Rückschläge bald Realität sein wird, man zu den Guten und Anständigen gehört.
Man klopft sich unaufhörlich auf die Schulter, erteilt sich wechselseitig die Absolution und reagiert immer gereizter auf lästige Störenfriede. Trotz intensiver Bemühungen lässt sich die Realität aber nicht vollständig fernhalten. Ein gar nicht mehr so fernes Donnergrollen ist auch in den Bobo-Vierteln, den Universitäten, im subventionierten Kulturbetrieb und in den Redaktionen und TV-Studios zu hören. Die politisch-korrekte Schafherde rückt deshalb noch enger zusammen und folgt noch unbeirrter ihren Leithammeln.
Wenn man solche geistigen Herdentiere in Diskussionen mit ganz konkreten Vorfällen aus der doch nicht so schönen Multikultiwelt konfrontiert, bekommt man in der Regel zu hören, dass solche Vorfälle von „den“ Medien nur aufgebauscht würden bzw. die Neubürger von der bösen autochthonen Gesellschaft mit ihrer unterentwickelten Willkommenskultur zu solchen Taten getrieben, ja geradezu gezwungen werden.
Wer darüber berichtet, tue das, um zu hetzen, um seine Auflage zu steigern, um die Gesellschaft zu spalten etc. Man kennt diese immer gleichen Phrasen. Das ist zwar völlig abstrus, weil alle relevanten Medien ohnehin mit allen Mitteln versuchen, das Bild von einer lieblichen Multikulti-Welt aufrecht zu erhalten. Nur, was sich nicht mehr unter den Teppich kehren lässt, wie zum Beispiel die Silvesternacht von Köln, taucht auch in den Medien auf. Aber selbst dieser weichgespülte, uminterpretierte, kärgliche Realitätsrest gilt vielen noch als völlig übertrieben, überzeichnet und verzerrt. Für die Bewohner dieser kuscheligen Medienwelt gilt nur als real, was in den Medien vorkommt. Solange die eigenen Erfahrungen dieser Traumwelt nicht allzu sehr entgegenstehen, funktioniert das auch ganz gut.
Man klammert sich an geschönte Kriminalstatistiken, konstruiert aus Notwehrfällen rechte Gewalt, glaubt an inszenierte Bilder, verniedlicht den Islam, spricht gerne und oft von brennenden Asylheimen und unterschlägt dabei, dass die Brandstifter fast immer Bewohner ebendieser sind, und macht Kritiker mundtot.
Den nächsten logischen Schritt der totalen Realitätsverweigerung setzt nun die ARD. Das Publikumsservice ARD-aktuell schreibt an einen seiner Kunden: „Die zurückliegenden Wochen mit zahlreichen Schreckensnachrichten haben in unserer Redaktion einen Diskussionsprozess in Gang gesetzt, in dessen Verlauf wir uns einmal mehr intensiv mit unserer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft auseinandergesetzt haben. Wir sind dabei zu dem Schluss gekommen, uns eine gewisse freiwillige Zurückhaltung aufzuerlegen, was die Berichterstattung über Bluttaten angeht. (…) entsteht bei der Bevölkerung durch die Berichterstattung über Bluttaten ein überproportionales Gefühl der Unsicherheit und Angst. (…) Es sei Ihnen jedoch versichert, dass wir dies (…) ausschließlich aus medienethischen Gründen und aus einem Verantwortungsgefühl der Gesellschaft gegenüber tun.“ Wie gut, dass wir in einer Medienwelt leben, die von den journalistischen Gatekeepern relativ einfach gesteuert werden kann.
In dieser künstlichen Ersatzwelt finden Terror und Verbrechen nur dann statt, wenn darüber berichtet wird. Wir machen uns die Welt, wie sie uns gefällt. So einfach ist das. Noch. Sowohl die Schattenspieler aus Politik und Medien, als auch deren Publikum sitzen in der Höhle Platons und starren gebannt auf die an die Wand projizierten Lichtspiele. Sie denken gar nicht daran, die warme Höhle zu verlassen, weil man trotz des ständigen Selbstbetruges genau weiß, was einem draußen erwartet. Man hofft inständig, dass Angela Merkel, Herbert Grönemeyer, Heribert Prantl, Anne Will und all die anderen gut bezahlten Multikulti-Scharlatane recht behalten werden. Bitte, lass es „uns“ schaffen.
Es ist wie im Kult-Film Matrix, wo sich ein abtrünniger Rebell ganz bewusst für die Traumwelt und gegen die brutale Realität entscheidet und dafür ohne Skrupel seine Kameraden verrät. Man flüchtet aus Bequemlichkeit, Angst und Opportunismus in eine infantile Traumwelt, aus der man auf den Pöbel herabsieht und sich jedes Mal freut, wenn ein „böser Rechter“ von der politisch-korrekten Meute zur Stecke gebracht und öffentlichkeitswirksam an den Medienpranger gestellt wird. Da johlen die Bewohner der Blasenwelt selbstzufrieden und vor Schadenfreude, weil man sich in seiner Haltung bestätigt fühlen darf.
Doch die Kulissen dieser potemkinschen Medienwelt wackeln angesichts der heftiger werdenden Realitätsstürme bedenklich. Dieser virtuelle Raum wird nicht mehr lang als geistiger Rückzugsort taugen. Wenn die Realität über deren Verweigerer hereinbricht, werden sie erkennen müssen, dass die Versprechungen, Apelle und Parolen ihrer Führer und Vorbilder nichts wert sind, gar nichts. Dann ist niemand mehr da, um sie in ihrer Haltung zu bestätigen oder sie vor dem Chaos zu retten, keine Angela Merkel, kein Sigmar Gabriel, kein Oliver Welke, kein Konstantin Wecker und all die anderen moralischen Instanzen und Prediger. Sie erklären bestenfalls lapidar: Ach, könnte ich doch die Zeit zurückdrehen. Geht aber leider nicht. Pech gehabt.
Werner Reichel ist Journalist und Autor aus Wien. Kürzlich sind seine neuen Bücher „Die Feinde der Freiheit“ und „Das Phänomen Conchita Wurst: Ein Hype und seine politischen Dimensionen“ erschienen.