"Skandalöse" Burkini-Fotos: Die Sache stinkt gewaltig

Ein paar Fotos von einer Muslimin an einem Badestrand von Nizza sorgten tagelang für mächtiges Rauschen im Blätterwald. Sie zeigen angeblich, wie vier Polizisten die Frau dazu zwingen, sich auszuziehen. Der Grund: Das Burkini-Verbot in vielen französischen Gemeinden. Näher besehen stinkt die Sache gewaltig. Alles deutet auf eine geplante Provokation hin. Das legt vor allem ein Propaganda-Video nahe. Aber alles der Reihe nach.

Ein anonym bleibender Fotograf lässt der Agentur „Bestimages“ Fotos einer vollständig bekleideten Muslimin am Strand zukommen, der sich vier Polizisten nähern. Die uniformierten Männer stellen die Frau zur Rede, die während des Gesprächs ihr türkisfarbenes Oberteil auszieht. 

Der Medienwirbel lässt nicht lange auf sich warten. „Französische Polizei zwingt Frau am Strand zu mehr nackter Haut“, titelt die „Süddeutsche Zeitung“. „Polizei zwingt Frau zum Ausziehen ihrer Kleidung“, schreibt der „Spiegel“. Ein riesiger Shitstorm entlädt sich auf Facebook und Twitter. Muslime zeigen sich empört, Franzosen beschämt. 

Nur die „Deutsche Welle“ recherchiert nach

Doch geht aus den Fotos wirklich hervor, was alle behaupten, nämlich dass die Frau von den Polizisten zum Ausziehen gezwungen wurde? Einzig die „Deutsche Welle recherchiert nach (http://www.dw.com/de/burkini-bilder-aus-nizza-was-geschah-wirklich/a-19503792).

Das Ergebnis: Die Polizei ist nicht befugt, jemanden zum Ausziehen zu zwingen. Der Polizeisprecher unterstreicht: „Bei einem einfachen Erlass dürfen wir Menschen gar nicht zu irgendetwas zwingen – außer, um die Identität von jemandem zu kontrollieren. Sie hat das Oberteil aus freien Stücken ausgezogen." Ebenso äußert sich Erwann Le Hô, Sprecher der Stadt Nizza: „Die Frau wollte zeigen, dass sie einen Badeanzug trägt – aber keiner hat sie dazu gezwungen, ihr Oberteil auszuziehen." Danach hat sie die Tunika „wieder angezogen. Also musste sie eine Strafe von 38 Euro zahlen. Kurze Zeit später hat sie den Strand verlassen – friedlich.“

Die religiöse Muslimin hat ihre nackten Arme also freiwillig hergezeigt. Die Aussagen der Stadtverwaltung werfen aber noch eine weitere Frage auf: Warum bricht die Foto-Story abrupt ab? Wo bleiben die Fotos vom Ende des Geschehens: Die Frau zieht sich wieder an und geht? Darüber hinaus haben sich sicher manche schon vorher gefragt: Warum war der Fotograf zur richtigen Zeit am richtigen Ort? In sicherer Distanz positioniert fotografiert er bereits die Vorgeschichte: die Polizisten, die auf die Frau zukommen...

Die Darstellungen von Stadtverwaltung und Polizei sind glaubwürdig. Dennoch fragt die „Deutsche Welle“ seriöserweise nach, ob die Ausführungen auch stimmen. Sie ergänzt: „Es ist jedoch schwierig, diese offizielle Version zu überprüfen. Denn der Name der Frau ist bis heute nicht bekannt."

Ein Propaganda-Video wirft weitere Fragen auf 

Und nun wird es spannend: Einzig einem Team jugendlicher Aktivisten ist es offensichtlich gelungen, die anonym bleibende Frau ausfindig zu machen. Entstanden ist ein propagandistisches Video (https://www.facebook.com/ajplusenglish/videos/785317664943076/?pnref=story) gegen das Burkini-Verbot, das der Online-Kanal AJ+ (http://www.ajplus.net/english) ins Internet gestellt hat. AJ+ gehört zum Al Jareera Media Network (mehr Infos: https://en.wikipedia.org/wiki/AJ%2B). Er ist auf Facebook hochaktiv (https://www.facebook.com/ajplusenglish/) und hat schon in mehreren Videos gegen das Burkini-Verbot gewettert.

Das Kurzvideo ist ein Lehrbeispiel für mediale Manipulation. Anfangs wird erneuert behauptet – unterlegt mit den bekannten Strand-Fotos – die Frau sei „von bewaffneten Polizisten“ gezwungen worden, sich auszuziehen. Und: Sie sei nicht das erste Opfer gewesen. Bei 0:55 kommt der französische Anti-Islamophobie-Aktivist Yasser Louati zu Wort, der die Rechtstaatlichkeit zugunsten von Meinungen und Vorurteilen außer Kraft gesetzt sieht.

Zornige Worte richtet er an die französische Regierung: „ISIS erklärt: ‚Sie verfolgen die Muslime und behandeln sie wie Bürger zweiter Klasse.’ Ist sich die Regierung bewusst, dass sie ISIS dabei hilft, Leute zu rekrutieren?“ Mit anderen Worten: Ein Burkini-Verbot reicht aus, um in Frankreich einen anti-muslimischen Apartheid-Staat zu sehen – zumindest gemäß dem „Islamischen Staat“ und gemäß Yasser Louati. 

Aber vor dem Aktivisten kommt die geheimnisvolle muslimische Frau zu Wort (0:23). Spricht sie nun davon, dass sie zum Ausziehen gezwungen wurde? Sie verliert darüber keine Silbe. Sie erzählt nur, dass ihre Kinder geweint hätten und dass man ihr verboten habe, den Strand zu betreten. Sie beklagt sich zuletzt über das Kopftuch-Verbot, denn schließlich seien die Musliminnen ja erwachsene Frauen, die selbst entscheiden können. Doch von einer polizeilichen Anordnung, sich auszuziehen: „rien“.

Eine gesteuerte Aktion?

Für eine praktizierende Muslimin wäre es am weitaus Schockierendsten gewesen, wenn sie vier Männer gegen ihren Willen dazu gezwungen hätten, sich öffentlich auszuziehen. Dass sie das nie erwähnt, spricht für die Richtigkeit der Ausführungen von Polizei und Stadtverwaltung. Doch es wirft auch ein höflich formuliert schräges Licht auf die Filmemacher: Im Gegensatz zu allen anderen Journalisten konnten einzig sie die Muslimin ausfindig machen, ohne aber dabei die Öffentlichkeit über den Hergang aufzuklären. Wohl kaum dürfte ihnen verborgen geblieben sein, was sich am Strand tatsächlich zugetragen hat. Doch eine Klärung hätte wohl nicht zum Tenor ihres Videos gepasst. Haben die Filmemacher also bewusst gelogen, als sie wider besseres Wissen behauptet haben, die Frau sei zum Ausziehen gezwungen worden? 

Die Medien kommen ihrer Aufgabe nicht nach

Jeder möge sich seine eigene Meinung bilden: Ein anonym bleibender Fotograf befindet sich unweit einer ebenfalls anonym bleibenden Frau, die trotz Burkini-Verbots für alle sichtbar eine Ganzkörper-Bekleidung trägt. Der Fotograf hat offensichtlich ein entsprechend leistungsstarkes Zoomobjektiv, andernfalls könnte er nicht aus sicherer Distanz das Geschehen festhalten. Die Frau zieht sich ungefragt aus. Dass sie sich danach wieder anzieht, hält der Fotograf nicht fest. Und abgesehen von Anti-Burkini-Aktivisten, die ein Video dazu drehen, hat niemand Zugang zur gezeigten Frau....

Der letzte Teil des Videos zeigt die entsetzten Reaktionen auf Twitter. Und die betroffene Muslimin hat zuletzt noch eine „passende“ Botschaft für die Zuseher parat: „Ich bin nur eine Muslimin. Und das ist es, wofür ich in Frankreich, in meinem Land, kritisiert werde.“

Es läge an den Journalisten, Nachforschungen anzustellen über die Entstehung und Herkunft der Fotos. Auch die Macher dieses Videos könnte man befragen, wie ihr Film eigentlich zustande gekommen ist. Die Medien sollten das Treiben einiger Anti-Islamophobie-Aktivisten genauer unter die Lupe nehmen, anstatt jede Kampagne unhinterfragt zu übernehmen. Denn einige Propaganda-Aktionen, die Kritiker offensichtlich einschüchtern und Macht-Interessen durchsetzen sollen, treiben unsere Gesellschaft in eine mehr als gefährliche Polarisierung – wie nun auch die Anti-Burkini-Verbot-Partys, die zurzeit von Wien bis London gefeiert werden.

Johannes Knob ist das Pseudonym eines bekannten Journalisten, der bei einem anderen österreichischen Medium beschäftigt ist, wo er diesen Text leider nicht veröffentlichen kann. 

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