Der einflussreiche US-Ökonom Kenneth Rogoff, Chefvolkswirt des IWF und umtriebiger Bargeldgegner, argumentiert seinen demnächst in Buchform erscheinenden neuerlichen Vorstoß zur Abschaffung des Bargeldes ganz unverblümt mit dem Anspruch von Staat und Zentralbanken, negative Zinsen durchsetzen zu wollen. Auf sein zweites Argument, also den auch von ihm verbreiteten Unsinn von der „dunklen Seite des Geldes“ (gemeint ist der Gebrauch von Bargeld durch Kriminelle) einzugehen, lohnt gar nicht erst.
Niemand wäre so verrückt, Textilien abschaffen zu wollen, nur weil Verbrecher ihre Untaten im Allgemeinen bekleidet zu verüben pflegen. Wenn man aber ehrliche Menschen ein paar Krimineller wegen nicht dazu zwingt, nackt herumzulaufen, weshalb sollten sie dann auf die Vorteile der Bargeldverwendung verzichten müssen?
Bei „Negativen Zinsen“ handelt es sich um ein den Folterkammern von Geldsozialisten und Planwirtschaftlern entstammendes Phänomen. Der Begriff klingt harmloser als es angezeigt wäre. Negative Zinsen verwirklichen einen nicht unmittelbar erkennbaren Zugriff des Währungsmonopolisten auf die Geldvermögen der Bürger. Für den Lebensabend angesparte Vorsorgen, wie z. B. Lebensversicherungen und Kontoguthaben, werden damit unauffällig enteignet. Es ist, als ob aus einem gesicherten Warendepot heimlich Teile der Bestände entwendet würden – ohne dass die Alarmsirene schrillt. Ob diese Rechtsverletzung nun entdeckt wird oder nicht: Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass es eine ist – und zwar eine schwerwiegende.
Da es Rogoff um die Durchsetzung negativer Zinsen zu tun ist (er argumentiert dafür, wie alle Staatsanbeter, mit der vermeintlich notwendigen Korrektur systemischen Marktversagens und der angeblich segensreichen Wirkung planwirtschaftlicher Eingriffe in das Finanzsystem), steht ihm das Bargeld naturgemäß im Wege. Die Konteninhaber könnten ja schließlich ihre Bankguthaben abziehen, Bargeld zu Hause oder in Bankschließfächern horten und sich so zumindest dieser Spielart der fiskalischen Enteignung entziehen. Deshalb muss das Bargeld weg – und koste es den letzten Rest an Freiheit, der den Insassen des real existierenden Wohlfahrtsstaates noch geblieben ist.
Möglich wird dieser unbefugte Fiskalübergriff, weil das staatliche Papiergeldmonopol dazu geführt hat, dass kaum noch jemand um Entstehung und Wesen des Geldes Bescheid weiß. Geld kommt eben aus der Notenbank, basta. Schlimmer noch: Dass es Geld in Form von Münzen und Scheinen gibt, ist für jene Zeitgenossen, die sich daran gewöhnt haben, selbst Bagatellbeträge im Supermarkt (größere Summen sowieso) elektronisch zu bezahlen, weitgehend bedeutungslos geworden.
Das ist deshalb problematisch, weil die Politik dadurch die Möglichkeit erhält, noch hemmungsloser auf rechtmäßig erworbene Vermögensbestände der Bürger zuzugreifen, als das in einem System möglich wäre, das auf einer intrinsisch werthaltigen Währung basiert. Dann nämlich wäre ein körperlicher Zugriff erforderlich, dessen sich jeder Betroffene unmittelbar bewusst würde. Die Bürger würden dann Widerstand leisten und wirkungsvolle Gegenstrategien entwickeln.
„Intrinsisch werthaltiges Geld“ bedeutet, dass der Wert des Geldes nicht nur auf der Hoffnung beruht, dafür Waren und Dienstleistungen beziehen zu können. In einen solchen „Vollgeldsystem“ besitzt jede Geldeinheit vielmehr einen inneren, eigenen Wert. Was das heißt, erhellt sich sofort, wenn man sich vorstellt, dass etwa Tierfelle, Scheffel voll Weizen oder Goldmünzen als Geld fungierten. All diese und viele andere früher als Geld genutzte Güter haben – anders als heutige Banknoten oder Giralgelder – Gebrauchs- und damit Tauschwert. Echtes Geld basiert eben nicht, wie im rezenten Schuldgeldsystem unumgänglich, auf einer (schuldrechtlichen) Forderung, sondern auf einem (sachrechtlichen) Realwert. Das bedeutet einen fundamentalen Unterschied.
In einem Warengeldsystem bleibt der dreiste Übergriff des Steuervogts keinem verborgen, wenn er einen Teil des Eigentums der Bürger an sich reißt – und zwar nachdem der Steuerpflicht bereits ordnungsgemäß nachgekommen wurde. Jeder erkennt diese unerhörte Anmaßung. Besitzt man stattdessen aber nur ungedecktes Papier- oder Giralgeld, dessen beliebige Vermehrung allein in der Hand des Staates liegt, fällt der fiskalische Raubzug mittels negativer Zinsen nicht weiter auf – zumindest nicht unmittelbar.
Negativzinsen sind der Ausdruck eines seinem Wesen nach perversen (Plan-)Wirtschaftssystems, weil sie der Natur des Menschen (der die augenblickliche Verfügungsgewalt über ein Gut höher schätzt als die künftige, was einen positiven Zinssatz zur notwendigen Folge hat) diametral zuwiderläuft.
Geld ist in einer Subsistenzwirtschaft überflüssig. In einem arbeitsteiligen System stellt es „geronnene Arbeit“ dar. Und: Man gelangt nur dann auf nicht kriminelle Weise in seinen Besitz, wenn man ein nachgefragtes Gut dafür hingibt. Das aber pflegt nicht einfach vom Himmel zu fallen. Es bedarf des Einsatzes von Arbeit und Kapital, um auf dem Markt verkäufliche Güter herzustellen. Da es sich bei der Zeit um das einzige auf Erden nicht vermehrbare Gut handelt, ist die heimlich erfolgende Konfiskation von durch Einsatz von Lebenszeit erstellten Werten eine besonders ruchlose Tat.
Dass ein prominenter Ökonom wie Rogoff eine Politik propagiert, die offensichtlich private Eigentumsrechte der fiskalischen Willkür opfert, wirft ein grelles Licht auf die Seriosität seiner Zunft. Die Ökonomie wird, wie es scheint, nicht mehr länger durch die beharrliche Suche nach wissenschaftlicher Erkenntnis bestimmt, sondern immer stärker dadurch, sich aus freien Stücken zum Werkzeug der Durchsetzung einer politischen Ideologie, nämlich des Geldsozialismus (© Roland Baader), zu machen.
Es verhält sich wie in Ayn Rands Gleichnis von der Symbiose Attilas mit dem Geisterbeschwörer: Die Rolle des ebenso unproduktiven wie gewalttätigen Kriegsherren fällt dabei der Regierung zu. Der Part des zur Umsetzung deren Untaten nützlichen Ideenlieferanten wird von Ökonomen gegeben, die auf den Lohnlisten von Regierungen und Zentralbanken stehen.
Wurde die Ökonomie von Thomas Carlyle einst zur „trostlosen Wissenschaft“ („dismal science“) erklärt, drängt sich, angesichts der kritiklosen Unterwerfung ihrer maßgeblichen Vertreter unter die Interessen der hohen Politik, heute ein noch viel übleres Bild auf: Die ökonomische Wissenschaft ist zur schamlosen Hure der Regierungen und deren Komplicen in der Finanzindustrie verkommen. Wer aber für diese schauerliche Negativauslese der Gesellschaft die Beine breit macht, hat jeden Anspruch darauf verwirkt, seine Erkenntnisse, Lehren und Empfehlungen weiterhin ernst genommen zu sehen.
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.