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Unwesentliche Passagen einer Anklageschrift

Die Anklageschrift gegen Karl Heinz Grasser hat kurz nach ihrer Fertigstellung ihren Weg in die Medien-Öffentlichkeit gefunden: krönender Abschluss einer Enthüllungsentwicklung, die schon in den letzten Jahren zu beobachten war. Wer die Zwischenbefunde jeweils weitergegeben hat, blieb im Dunklen; kaum jemand fragte danach. Nicht die stets besorgten Datenschützer, nicht die Rechtsstaatsbesorgten und schon gar nicht die Staatsanwälte jedweden Geschlechts.

Wichtig war den „Gebern“ der Zwischenberichte, das Thema aktuell zu halten. Sieben Jahre lang. Fette Jahre für die einschlägige Publizistik. Nun liegt sie also vor, die Anklageschrift von 25 Seiten; und es ist ihr auch Psychologisches zu entnehmen.

Wird doch versucht, nicht nur Geldflüsse und Firmenkonstruktionen nachzuzeichnen, sondern auch dem Charakter des Hauptangeklagten auf den Grund zu gehen (und aus ihm seine Handlungen abzuleiten): „Die komplexen Firmenkonstruktionen rund um die Causa Buwog und Ex-Minister Karl-Heinz Grasser belegen laut Anklageschrift, dass diesem „das Verschleiern von Vermögenswerten geradezu wesensnah sei“ (Der Standard 25. Juli 2016).

„Geradezu“ genial! Die Behörde kennt das „Wesen“ von KHG; und was diesem „nah“ und „fremd“ ist. Sie schaut bis auf den Grund seines wahren Seins oder seiner Essenz oder seiner Substanz? Psychologen, Psychiater und Seelenkundige jeglicher Provenienz erblassen vor Neid ob dieser juristischen Qualitätsaussage, die die (un-)moralischen Eigenschaften des Angeklagten im richtigen Zwielicht erscheinen lassen sollen.

Leicht irritierend für den juristischen Laien ist weiters der folgende Passus: „Sämtliche geschilderte Abläufe mit Blick auf den gemeinsamen Tatplan und die dadurch bewirkte engmaschige Schicksalsgemeinschaft lassen schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung keinen anderen Schluss zu, als dass Grasser, Meischberger, Plech und Hochegger spätestens ab … Juli 2003 bis zum tatsächlichen Erhalt der Bestechungszahlungen stets und wiederholt das weitere Vorgehen … miteinander absprachen und abstimmten.“

Die Indizien werden aufgrund „der allgemeinen Lebenserfahrung“ als zwingend gewertet („lassen keinen andern Schluss zu“). Da handelt es sich weder um einen Induktions- noch um einen Deduktions- ja nicht einmal um einen Analogieschluss. Sondern um einen Schluss aufgrund „allgemeiner Lebenserfahrung“ (von wem, welche?). Hat man dabei bedacht, dass wir den Namen „Erfahrung“ häufig auch unseren Irrtümern geben? „Allgemeine Lebenserfahrung“ als Grundlage für einen zwingenden Schluss zu nehmen, ist ziemlich schwach (stilistisch und als Mittel der Beweisführung).

Vielleicht hätte ein Korrektor die Anklageschrift vor ihrer Weiterleitung nochmals lesen sollen. Aber offensichtlich muss mit Schlüssen am Schluss alles schnell gehen; und manche Formulierung geht dabei zu weit oder eben daneben. Fakten und der Nachweis, was warum als Faktum gewertet wird, stehen hoffentlich an anderer Stelle – weniger beladen mit Vor-Urteilen moralischer Art, besser begründet als mit behördlicher Lebenserfahrung. Nach sieben Jahren der Suche sollte man doch wohl in der Lage sein, einen schlagenden Beweis zu präsentieren („Smoking gun“). Aber vielleicht verlässt man sich auch darauf, dass die Vorverurteilung durch die mediale Arbeit ohnehin schon stattgefunden hat. Das ist – „erfahrungsgemäß“ – nicht unwahrscheinlich, wirft aber kein gutes Licht auf den Rechtsstaat.

PS: Damit sich die Suche nach dem „Wesen“ des Schreibers dieser Zeilen in Grenzen hält: ich bin mit KHG weder verwandt noch persönlich bekannt, sondern habe lediglich eine tiefe Abneigung gegen dumme Begründungen („Wesen“, „Lebenserfahrung“), die für Schlüsse herangezogen werden.

Rudold Bretschneider ist seit Jahrzehnten in diversen Cheffunktionen bei GfK (früher Fessel-GfK) tätig und einer der prominentesten Marktforscher und politischen Analysten des Landes. 

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