Die Mitte und der Verlust des Politischen

Die ursprüngliche Unterscheidung zwischen den beiden grundsätzlich verschiedenen politischen Weltanschauungen Rechts und Links geht auf die postrevolutionäre Sitzordnung in der französischen Nationalversammlung von 1789 zurück. Rechts vom Präsidium saßen die konservativ Eingestellten, links die Revolutionäre und die radikalen Republikaner. Die nach der Revolution rasch wechselnde Zusammensetzung der Nationalversammlung veränderte zwar das politische Spektrum permanent, die Grundeinteilung in rechte und linke Parteigänger und daher auch die Sitzordnung blieben aber aufrecht.

Die Umwälzungen der Französischen Revolution hatten massive Auswirkungen auf ganz Europa. Es ist daher einleuchtend, dass damals nicht nur viele politische Inhalte, sondern auch die beschriebene Sitzordnung sukzessive in anderen europäischen Parlamenten von den Franzosen übernommen wurden.

Wien ist aber anders, wie wir wissen. Im österreichischen Parlament sitzen heute sowohl die Rechten wie auch die ganz Linken nicht an den entsprechenden Rändern, sondern in der Mitte. Grüne und FPÖ teilen sich dort die Sitzplätze. Flankiert werden sie vom TS und den Neos. Die sogenannten Altparteien SPÖ und ÖVP hingegen bevölkern den linken und den rechten Flügel des Hohen Hauses. Ob das vielleicht der Grund ist, warum wir in Österreich eine klare und weltanschaulich strukturierte Politik seitens der Altparteien dauerhaft vermissen (müssen)?

Zumindest könnte die austriakische parlamentarische Sesselverteilung jenen ausgeprägten Drang zur Mitte erklären, unter welchem sowohl die Sozialdemokraten wie auch die Volkspartei so dramatisch leiden: Alle wollen sie ins Zentrum. Aber leider, in der Mitte, da ist im wahrsten Sinn des Wortes kein Platz mehr frei.

Der Drang zur Mitte ist freilich kein typisch österreichisches Polit-Phänomen. Vom Mainstream der politischen Korrektheit wurde die Mitte in vielen Ländern Europas längst zum Ziel jeder Politik erklärt, welche rundum akzeptabel sein will. Alles sich für legitim haltende Politische drängt daher zur gesichts- und geschichtslosen Mitte.

Die Ausrede aller Mitte-Politiker für ihre konturlose Haltung lautet, dass zum Interessensausgleich in einer Demokratie eine starke Mitte grundsätzlich notwendig sei. Diese Ausrede klingt beim ersten Hinhören recht überzeugend. Wenn man ihre Bedeutung aber zu Ende denkt, dann ist sie letztlich der Offenbarungseid jeder Politik: Wer nur den Interessensausgleich zum Ziel hat, betreibt nämlich keine Politik, sondern ist reiner Mediator und Moderator des Zeitgeschehens. Politik machen dann immer nur die anderen. Mit allen Folgen.

Kein Wunder also, dass in Österreich nicht die politisch Verantwortlichen, sondern die Medien, die EU und die Opposition die Linien vorgeben und die Regierungsparteien nach deren Pfeife tanzen. Wenn die regierenden politischen Parteien zu schwach sind, klare Positionen zu beziehen oder ihnen dieselben aus Gründen ihrer massiv erodierten Weltanschauung abhanden gekommen sind, dann findet sich sehr rasch jemand anderer, der die Richtung bestimmt.

Daher ein simpler Vorschlag an alle Parlamentarier: Vielleicht sollten die Fraktionen einfach einmal ihre Sitzplätze tauschen, damit in Österreich endlich klar definierte linke wie rechte Positionierungen möglich werden. Die Grünen nach links außen, Blaue nach rechts und ÖVP und SPÖ jeweils ins Zentrum. Dann sind alle sprichwörtlich an ihrem Platz, der Kampf um die Mitte ist geschlagen und in Zukunft können alle von ihren Positionen aus eine konturierte politische Kultur pflegen – oder eben in der Mitte den Ausgleich suchen.

Dr. Marcus Franz ist Arzt und unabhänger Nationalrats-Abgeordneter (früher ÖVP, davor Team Stronach).

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