Wer Wind sät, wird Sturm ernten

Die Vorfälle in Orlando und in Großbritannien haben gezeigt, dass wir in Zeiten zunehmender Gewalt und aufgestauter Aggressionen leben. Feindbilder spielen aufgrund der zunehmend schwierigeren sozialen und ökonomischen Lebensbedingungen eine immer größer werdende Rolle. Menschen fällt es aber auch zusehends schwerer, Vorbilder oder praktische Lebensmodelle zu finden, wie man sich selbst ein stabiles Wertesystem aufbaut, ohne gleichzeitig seine eigene Identität und seine Bedürfnisse zu verleugnen. 

Wissen zu wollen, was man wirklich will und wohin man gehört, ist aktueller denn je. Oft werden Personen bewundert, die wie Zugpferde voranpreschen und mit stolzgeschwellter Brust vorgeben zu wissen, worauf es im Leben ankommt und eine genaue Vorstellung davon zu haben, was sie wirklich wollen. Im Prinzip ist das, was wir in eben jenen sehen, nur eine Projektion unserer eigenen Unsicherheit.

Wer schon einmal ernsthaft versucht hat, sich sein Leben so zu richten, wie er es möchte, wird wissen, auf wie viele Hindernisse man stößt. Unsere Umgebung ist daran gewöhnt, dass wir artig sozial erwünschte Verhaltensweisen an den Tag legen und in der täglichen Hektik vergessen, auf uns selbst zu hören. Was früher oder später auf verschiedene Weise zu Tage tritt. Ob es aus der Pore der Verdrossenheit, Aggression oder der Depression heraus dampft, ist eigentlich beinahe nebensächlich.

Muss man nun jeden vor den Kopf stoßen, nur weil man sich selbst verwirklichen will? Das Sprichwort „der Ton macht die Musik“ hat in diesem Kontext einen begrenzten Wahrheitsgehalt, denn auch wenn man seine Meinung in wunderschöne Worte kleidet, wird der andere eventuell etwas zu hören bekommen, was ihm so gar nicht schmeckt.

Nun nähern wir uns aber dem Knackpunkt. Andere zu akzeptieren, so wie sie sind, auch wenn man in mehreren Punkten nicht einer Meinung ist, ist nämlich schwieriger, als es sich anhört. Unterm Strich geht es darum, Feingefühl für sich selbst und für andere an den Tag zu legen und für sich selbst klar abzugrenzen, was einem wichtig ist. Vielleicht werden sich auch so Konflikte ergeben, aber wenn diese auf fruchtbaren Boden fallen, können daraus viele neue Dinge entstehen, die nicht nur einen selbst zufriedener sondern auch die eigene Umwelt ein Stückchen besser machen. 

Soziale Inklusion

Das Vorhandensein von Unterschieden sollte in der Gesellschaft weder in Frage gestellt noch eine Besonderheit darstellen. Doch die Realität zeigt, dass gerade politische, religiöse oder auch Unterschiede in der sexuellen Präferenz, wie die Vorfälle in Orlando und Großbritannien belegen, großes Konfliktpotenzial in sich tragen.

Ein Gesellschaftsmodell, bei dem jeder Mensch im Rahmen gesetzlicher Voraussetzungen in seiner Individualität von der Gesellschaft akzeptiert wird und die Möglichkeit hat, in vollem Umfang an ihr teilzunehmen, wäre zumindest eine Zukunftsvision. Eine derartige soziale Inklusion, wo das Vorhandensein von Vielfalt und Unterschieden die Normalität darstellt und sich jeder mit seinen Besonderheiten positiv einbringt und auf die ihm eigene Art wertvolle Leistungen erbringen kann, würde dazu führen, dass verschiedene Gruppen am gesellschaftlichen Diskurs teilnehmen. So könnte präventiv negativen und extremen Tendenzen entgegengewirkt werden.

Mentale Barrierefreiheit

Wie offen ist unsere Gesellschaft wirklich? Endet die Toleranz bei den eigenen Wert- und Weltbildern? Eines wird sicher nicht gehen, nämlich dass für einzelne Gruppen Toleranz und Offenheit gilt, während andere ausgeschlossen werden. Barrierefreiheit wäre in diesem Kontext im Sinne des Abbaus mentaler Barrieren unter gleichzeitiger Berücksichtigung von gegenseitigem Respekt und Wertschätzung zu verstehen. 

Wie die Beispiele in Orlando und Großbritannien zeigen, darf es nicht passieren, dass sich einzelne Mitglieder in der Gesellschaft mental abkapseln. Wer sich einmal mental isoliert hat, ist schwieriger wieder zu integrieren. Nur wer sich als Teil eines Ganzen sieht, neigt im Sinne der kognitiven Dissonanz eher dazu, sich gesellschaftskonform zu verhalten. Wer sich aber isoliert und ausgegrenzt fühlt, wird aus Gründen der Reaktanz genau jenes Verhalten zeigen, das die breite Gesellschaft ablehnt. 

Um dies zu verhindern, bedarf es der Förderung einer neuen Kultur des Miteinanders und der offenen Diskussion. Analog zur Aussage Julius Tandlers "Wer Kindern Paläste baut, reißt Kerkermauern nieder" sollten Ansätze des respektvollen und gewaltfreien miteinander Umgehens längst an den Schulen gelehrt werden.

Daniel Witzeling, (*1985) Studium der Psychologie in Wien. Leiter des Humaninstituts Vienna. Als Sozialforscher beschäftigt er sich mit angewandter Psychologie auf verschiedenen gesellschaftlichen Tätigkeitsfeldern unter anderem Wirtschaft, Politik und Soziales.

 

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