Warum es die Sonderschulen weiter dringend braucht

Seit Jahren zielen Reformen im Bildungssystem darauf ab, die Angebote zu vereinheitlichen und Wahlmöglichkeiten zu streichen. Weniger durch sachliche Aspekte begründet als durch moralische, wird suggeriert, dass wer auswählen lässt, der Selektion das Wort redet. Besonders davon betroffen ist die Mittelstufe. Zugleich wird aber auch – in der Öffentlichkeit weniger beachtet – die Abschaffung jener Schulart eingeleitet, die speziell für Kinder mit Behinderungen errichtet wurde.

Jetzt setzen die Betroffenen ein Zeichen.

Eine Bürgerinitiative „Wahlfreiheit braucht Wahlmöglichkeit“, die sich für den Erhalt von Bildungseinrichtungen mit besonderer Ausstattung, besonderen Lehrpersonen und besonderen unterrichtlichen/therapeutischen Möglichkeiten stark macht, wurde innerhalb von wenigen Wochen von mehr als 24.000 Bürgerinnen und Bürgern unterstützt.

Eltern von Kindern mit Behinderungen wehren sich dagegen, dass eine Benachteiligung durch Ausblenden von Unterschieden Platz greift. Dürfen Unterschiede nicht mehr als solche benannt werden, werden diese dem Unsichtbar-Sein preisgegeben. Kinder, auch solche mit mehrfachen und schweren Behinderungen werden der Anerkennung ihrer speziellen Situation und a la longue auch ihres Rechts auf speziellen – kostenintensiven – Unterricht beraubt. 

Die verbindlichen Richtlinien zur Entwicklung inklusiver Modellregionen des bmbf beschreiben dies so:

„Das Konzept der Inklusion steht für eine optimierte und qualitativ erweiterte Integration: alle Schüler/innen, ob mit oder ohne SPF, deutschsprachig oder anderssprachig, männlich oder weiblich usw. sollen in ihrer Individualität als förderbedürftig gesehen werden. Nicht mehr das einzelne Kind, sondern das gesamte Lernsystem soll im Blickpunkt von Diagnose und Förderung stehen.“

Unter Berufung auf die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird die Verpflichtung des Staates konstruiert, alle Sonderschulen abzuschaffen. Die Abschaffung von besonderen Schulen – in den Erläuterungen zum Artikel 24 als Förderschulen bezeichnet – ist jedoch nicht aus der UN-Behindertenrechtskonvention ableitbar! Im Übereinkommen (Artikel 24) wird lediglich festgehalten:

„In keiner Bildungsstufe dürfen Menschen mit Behinderungen von Bildungseinrichtungen auf Grund einer Behinderung ausgeschlossen werden.“

Mit den seit Jahren geltenden Regelungen des § 8a Schulpflichtgesetz wird diese Forderung der Konvention bereits umgesetzt:

Wünschen die Eltern eines Kindes mit Behinderungen die Aufnahme in eine Volksschule, Hauptschule, Neue Mittelschule, Polytechnische Schule, Unterstufe einer allgemein bildenden höheren Schule oder Haushaltungsschule, so ist die Behörde verpflichtet, den Besuch einer derartigen Schule zu ermöglichen. Bemerkenswert ist, dass wesentliche Forderungen aus den Erläuterungen zu Artikel 24 der Konvention verschwiegen bzw. ignoriert werden. Diese sind:

„Zu den unbedingten Voraussetzungen eines integrativen Bildungssystems für Menschen mit Behinderungen gehört die Bereitstellung fachlich abgesicherter, bedarfsgerechter qualifizierter Unterstützung – insbesondere das Angebot sonderpädagogischer Förderung.“

„Zu den notwendigen Voraussetzungen gehören neben den äußeren Rahmenbedingungen sonderpädagogisch qualifizierte Lehrkräfte, individualisierende Formen der Planung, Durchführung und Bewertung der Unterrichtsprozesse und eine abgestimmte Zusammenarbeit der beteiligten Lehrkräfte und Fachkräfte.“

Hinsichtlich dieser gemäß UN-Konvention unbedingten Voraussetzungen eines integrativen Bildungssystems, nämlich der Bereitstellung fachlich abgesicherter qualifizierter Unterstützung sowie dem Einsatz von sonderpädagogisch qualifizierten Lehrkräften, scheint die Erfüllung nicht als bindend angesehen zu werden. Das Schulorganisationsgesetz formuliert den Einsatz von entsprechend ausgebildeten Lehrern lediglich als Kann-Bestimmung.

Eltern abzusprechen, dass sie nach einer sechs Jahre dauernden Betreuung, Pflege und Förderung ihres Kindes mit Behinderung bei Schuleintritt nicht abschätzen können, welche Schulart für ihr Kind die besseren Voraussetzungen bietet, ist vermessen. Aufgabe des Staates ist es, bedarfsgerechte Angebote mit hoher Qualität zu schaffen, und nicht eine Bevormundung der Eltern vorzunehmen.

Artikel 7 der Erklärung der Rechte des Kindes sagt dazu:

Die Interessen des Kindes sind die Richtschnur für alle, die für seine Erziehung und Anleitung verantwortlich sind; diese Verantwortung liegt in erster Linie bei den Eltern.“

Und Artikel 5 hält fest:

Das Kind, das körperlich, geistig oder sozial behindert ist, erhält die besondere Behandlung, Erziehung und Fürsorge, die seine besondere Lage erfordert.“

Viele Indizien sprechen dafür, dass durch die Abschaffung von Sonderschulen vor allem ein Einsparungseffekt erzielt werden soll. Der bemerkenswerte Umstand, dass Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, wenn sie eine Sonderschule besuchen, durch ein freiwilliges 12. Schuljahr einen Schulbesuch bis 18 erhalten können, aber Kinder im „integrativen Unterricht“ nicht, stützt ebenfalls diesen Verdacht.

Die vielfach ins Treffen geführten Missstände bei der Zuschreibung des sonderpädagogischen Förderbedarfs betreffen nicht nur Sonderschulen sondern insbesondere Kinder in Regelschulen, da dort diese Zuschreibung „sonderpädagogischer Förderbedarf“ von Eltern in der Bedeutung und Auswirkung oft verkannt wird und deren Zustimmung leichter zu bekommen ist.

Auch hier scheint es für die Verantwortlichen bequemer, eine sogenannte Reform einzuleiten, statt dafür zu sorgen, dass unsere Gesetze und Lehrplanvorgaben den Intentionen entsprechend flächendeckend erfüllt werden.

Ilse Schmid ist Elternvertreterin, Präsidentin des steirischen Landesverbandes der Elternvereine an Schulen für Schulpflichtige. Sie betreut seit vielen Jahren die Hotline für Schule und Eltern (0676/4040240) und ist dadurch direkt in akute Problemlagen involviert.
ilse.schmid@elternbrief.at
www.ElternMitWirkung.at

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