Den Alltag in einem autoritären Führerstaat habe ich mir ganz anders vorgestellt: Verängstigte, eingeschüchterte Bürger, an jeder Ecke Sicherheitskräfte, prügelnde Polizisten, Propagandaplakate, auf den Plätzen Statuten und Büsten des großen Führers, regimetreue Schlägertrupps etc. Nichts davon in vier Tagen Budapest.
Vier Tage lang im Herzen des „autoritären Führerstaats“, wie Österreichs ehemaliger Staatsbahn-Obergenosse und nunmehriger Bundeskanzler Christian Kern Ungarn beschimpft hat. Kern und die anderen EU-Apparatschiks hassen Ungarn und dessen Ministerpräsidenten, weil Orban dem europäischen Stimmvieh vorführt, dass die abstruse EU-Migrationspolitik eben nicht alternativlos ist.
Die Verteufelung Ungarns kümmert die Touristen recht wenig. Sie lieben den bösen Führerstaat. Budapest ist in, überall Touristen, darunter auch sehr viele Amerikaner. Das hat, nach entsprechenden Reisewarnungen des US-Außenministeriums, vielleicht damit zu tun, dass die Wahrscheinlichkeit in Budapest von einem Islamisten niedergemetzelt zu werden, doch wesentlich geringer ist als etwa in Paris oder Brüssel. Bei irgendeinem Straßenfest angetanzt, beklaut, begrapscht oder vergewaltigt zu werden, ist ebenfalls unwahrscheinlich. Da fehlt es dem ungarischen Führerstaat schlicht an Buntheit und Vielfalt. Budapest hat den Anschluss an Paris oder Köln noch nicht geschafft. Trotz dieses schlimmen Defizits wirken die Ungarn entspannt, freundlich, es herrscht eine angenehme Stimmung.
Sie scheint ihnen nicht abzugehen, diese in Westeuropa so gepriesene multikulturelle Bereicherung. Das müssen sie eben noch lernen, diese rückständigen Ungarn. Da haben es die Wiener besser, sie leben, wie die rotgrüne Stadtregierung und die von ihnen finanzierten Boulevardmedien jedes Jahr betonen, in der lebenswertesten Stadt der Welt, wo sich ethnische Jugendbanden bekriegen, auf öffentlichen Plätzen und in U-Bahnen der Drogenhandel blüht, die Spitäler völlig überlastet sind und immer mehr Frauen Angst haben, alleine in der Nacht unterwegs zu sein.
Wie langweilig ist dagegen Budapest. Ja, liebe Ungarn, wenn ihr so ein bereichertes und buntes Leben wie die Deutschen oder Österreicher haben wollt, hört nicht auf euren bösen Führer, sondern auf Christian Kern und Angela Merkel. Die schaffen das. Im Handumdrehen.
Eine völlig unspektakuläre, aber aufschlussreiche Beobachtung: Weil es hochsommerlich heiß ist, begebe ich mich in das Széchenyi Bad, eines der schönsten Bäder der Welt. Im großen Hauptbecken herrscht Badehaubenpflicht. Fast alle halten sich daran, nur ab und zu ignoriert ein Badegast diese Vorschrift. Auch kein Problem, die stets aufmerksamen Bademeister bemerken das innerhalb von Sekunden und ermahnen den Badehaubensünder mit einem kräftigen Pfiff. Alles ganz entspannt.
Ich beobachte das von meinem Liegestuhl aus und stelle mir vor, was passieren würde, würden die Wiener Freibäder Badehaubenpflicht einführen. Das gäbe ein Chaos. Bis auf ein paar Pensionisten würde sie jeder ignorieren, die Bademeister stünden auf völlig verlorenem Posten. Mangels Autorität würden ihre Versuche, die Badehaubenpflicht durchzusetzen, kläglich scheitern und mit Beschimpfungen, Drohungen oder ausgeschlagenen Zähnen enden. Ohne mindestens 30 Polizisten pro Bad hätte man wohl keine Chance, eine so harmlose Vorschrift durchzusetzen. Ja, da haben wir den Ungarn einiges voraus.
Zum Abschluss meines Aufenthaltes besuche ich das Terror Háza, das Haus des Terrors. Dieses Palais nutzten sowohl die Pfeilkreuzler, als auch die Kommunisten als (Folter)Gefängnis. Unter Viktor Orban wurde daraus eine Gedenkstätte und ein Museum, in dem die widerlichen Verbrechen der beiden Diktaturen äußerst anschaulich dargestellt werden. Christian Kern wäre gut beraten, sich das Terror Háza anzusehen, damit er lernt, was es heißt, tatsächlich in einem Führerstaat, in einer Diktatur zu leben. Dann würde er uns und vor allem unseren netten ungarischen Nachbarn künftig solche unglaublich dummen und entbehrlichen Sprüche ersparen.
Werner Reichel ist Journalist und Autor aus Wien. Kürzlich sind seine neuen Bücher „Die Feinde der Freiheit“ und „Das Phänomen Conchita Wurst: Ein Hype und seine politischen Dimensionen“ erschienen.