Im Mai letzten Jahres befand ich mich zu später Nachtstunde in Ausübung meines Berufes als Taxilenker an einer Kreuzung im 15. Wiener Gemeindebezirk, als ich einen Unfall mit erheblichem Sachschaden beobachtete. Da eines der Autos aus meiner Sicht bei Rot die Kreuzung überquert hatte, war es für mich selbstverständlich, mich der Polizei als Zeuge zu Verfügung zu stellen. Mir war dabei klar, dass mich das Zeit kosten würde.
Den – übrigens erheblich übermüdet wirkenden – Beamten des Unfallkommandos gab ich eine genaue Aussage zu Protokoll. Der Vorgang kostete mich etwa eine Stunde des besten Feiertagsgeschäftes.
Knapp ein Jahr später schreckte mich das Klingeln meines Telefones aus dem Schlaf (ich bin Nachtarbeiter). Ein freundlicher Polizist eines Kommissariats im 15. Bezirk war in der Leitung und bat mich, meine Aussage noch einmal bei ihm zu tätigen, da die ursprünglich gemachte leider und unerklärlicherweise verschwunden sei.
Glücklicherweise konnten wir uns darauf einigen, dass ich das Gesehene per email noch einmal rekapitulieren durfte, da die Bürozeiten der Dienststelle am anderen Ende der Stadt für mich nur sehr mühsam zu erreichen gewesen wären. Wie viele Sekunden die Ampel allerdings damals genau schon auf Rot gestanden hatte, daran konnte ich mich natürlich nicht mehr im Detail erinnern…
Ich war nicht überrascht, als ich dann Wochen später als Zeuge zum Prozess geladen wurde. Auf der Ladung war genau angeführt, mit welchen Strafen etwaiges Nichterscheinen geahndet würde. Ich machte mich also wohlgemut zu dem imposanten Gerichtsgebäude auf.
Irgendwie wunderte es mich, dass das ganze Gebäude an einem Montagnachmittag wie ausgestorben wirkte und sich auch niemand vor der Tür des Raumes aufhielt, in dem der Prozess stattfinden sollte. Trotzdem wartete ich einmal eine halbe Stunde über den Zeitpunkt hinaus. Endlich entschloss ich mich, einer freundlichen Dame, die aus einem Nebenzimmer trat, mein Problem zu schildern. Da sich auch bei Klopfen an der massiven Tür nichts regte, riet sie mir, noch einige Minuten zu warten, bevor ich mich noch einmal an sie wenden solle. Natürlich passierte in dieser Zeit nichts und die Dame machte sich auf, um Näheres in Erfahrung zu bringen. Eine Dreiviertelstunde konnte sie mir immerhin berichten, dass der Termin „eigentlich jetzt stattfinden sollte“, der zuständige Richter im Dienst sei aber nirgends und auch nicht per Telefon zu erreichen sei. Ich wurde schließlich an eine Kanzlei in einem anderen Trakt des schönen Gebäudes verwiesen. Dort angekommen, stand ich vor der nächsten versperrten Tür, allerdings hörte ich aus einem Zimmer in der Nähe Geräusche und klopfte gleich dort. Ein noch sehr junger Herr nahm sich meiner an und forschte mittels eines Computers nach dem Aufenthaltsort des Richters, konnte ihn aber ebenso wenig wie seine Kollegin zuvor lokalisieren.
Inzwischen hatte ich mir vorgenommen, das nicht einfach so auf sich beruhen zu lassen und mir wenigstens 4,40 Euro für die Fahrtkosten auszahlen zu lassen, da ich als Nachtarbeiter leider keinen Verdienstentgang einfordern konnte. Hierzu wurde ich dann in eine andere Kanzlei weiterbeordert, die auch tatsächlich geöffnet war.
Eine nette Sekretärin hörte sich meine Geschichte ungläubig an, auch ein Kollege von ihr gesellte sich schließlich dazu. Überaus freundlich wurde mir auch eine Sitzgelegenheit angeboten, deren Verwendung mich aber einiges an Überwindung kostete, war sie doch über und über mit Haaren des hier frei herumlaufenden Hundes übersät.
Eine Zeitbescheinigung wurde mir ausgestellt, die Fahrtkosten könnten mir allerdings nur über eine schriftliche Eingabe ersetzt werden, wurde mir mitgeteilt. Noch am selben Tag schrieb ich die Eingabe, bevor ich mich endlich zu Ruhe begeben konnte.
Doch damit nicht genug. Das Einschalten der Justizombudsstelle war noch nötig, um an meine 4,40 € zu gelangen, was aber zumindest teilweise auch meine Schuld war, da ich eine unvollständige IBAN-Nummer angeführt hatte. Immerhin erfuhr ich so von der hilfsbereiten Stelle, dass sich die Parteien „im letzten Moment geeinigt hätten und dass der Richter nicht mehr in der Lage war, mich darüber zu informieren“. Der Herr Rat wäre außerdem „wegen familiären Gründen außer Hauses und nicht benachrichtbar gewesen“.
Die Geschichte findet noch eine Fortsetzung. In den letzten Tagen wurde mir ein Einschreiben zugestellt, eine der Unfall-Parteien wäre in Berufung gegangen und ich solle meine Aussage noch einmal tätigen. Mich würde es also nicht wundern, dieser Anekdote noch einen zweiten Teil hinzufügen zu können!
Als ein Mensch, der nun schon zwei Jahrzehnte in der Privatwirtschaft beschäftigt ist, zuerst mehrere Jahre im Einzelhandel und nun schon bald 17 Jahre als Taxilenker, muss ich immer öfter den Kopf über die Zustände schütteln, die der Untertan in weiten Teilen des Beamtentums vorfindet!
Martin Drucker ist 1970 geboren, studierte einige Jahre an einer geisteswissenschaftlichen Fakultät und ist seitdem in mehreren Berufen tätig, zuletzt seit 1999 als Taxilenker.