Wenn die Empörung groß ist, fehlen oft die Sachargumente. Wenn dem Außenminister „Zynismus“ und „Menschenverachtung“ vorgeworfen werden, kann man mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass er ins Schwarze getroffen hat. So verhielt es sich auch jüngst mit seinem Vorschlag, Zuwanderer auf Inseln zu sammeln und nach Nordafrika zurückzuschicken.
Die Idee ist ja nicht wirklich neu und wird im Südosten Europas bereits praktiziert. Zuwanderer werden auf griechischen Inseln gesammelt und in die Türkei zurückgebracht. Dafür gewinnt man zwar keinen Schönheitspreis – wenn es sich aber um eine Idee von Angela Merkel handelt und Sicherheitspolitik kurzfristig durch ein paar Milliarden Euro substituiert werden kann, treten die Bedenken in den Hintergrund.
Die Kritik, die Brüssel diesbezüglich an Außenminister Kurz geäußert hat, erscheint daher inkonsistent.
Die Kritik, die Flüchtlingshelfende äußern, ist meist einseitig. Sie übersehen die Kapazitätsbeschränkung und reden trotz der Erfahrungen der letzten Monate einer Migration mit überhöhter Geschwindigkeit das Wort. Statt eine faktische Parallelität mit dem Tun der Schlepperbanden herzustellen, sollten sie den Weg der Legalität mitgehen und unterstützen („legale Fluchtwege“).
Die Kritik des Papstes, der Kurz Menschenverachtung vorgeworfen haben soll, spricht weniger gegen den Außenminister als gegen den Vatikan, von dem sich viele einen verstärkten Einsatz für verfolgte Christen erwarten würden. Entsprechende medienwirksame Heimholflüge sind bisher nicht wirklich aufgefallen.
Bei aller nach außen getragenen Barmherzigkeit würde auch in der ewigen Stadt ein gelegentlicher Blick in die Bibel und die Versuchungsgeschichte nicht schaden. Die erste Versuchung lautet: „Wenn Du Gottes Sohn bist, so befiehl, dass aus diesen Steinen Brot wird“ (Mt 4,3). Jesus Antwort ist bekannt: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus Gottes Munde kommt“ (Mt 4,4).
Brot ist wichtig, Freiheit ist wichtiger und am wichtigsten ist der Glaube. Wo diese Ordnung auf den Kopf gestellt wird, „entsteht nicht mehr Gerechtigkeit, da wird nicht mehr für den leidenden Menschen gesorgt, sondern da wird gerade auch der Bereich der materiellen Güter zerrüttet und zerstört“ (Josef Ratzinger). Auch mahnt der frühere Papst eindringlich: „Zum Wesen der Versuchung gehört ihre moralische Gebärde: Sie lädt uns gar nicht direkt zum Bösen ein, das wäre zu plump - sie gibt vor, das Bessere zu zeigen: die Illusionen endlich beiseitezulassen und uns tatkräftig der Verbesserung der Welt zuzuwenden.“
Besonders pikant erscheint es, wenn dem Außenminister die Kritik des Papstes Franziskus von sozialromantischer Seite vorgehalten wird – insbesondere von Menschen, die mit der (katholischen) Kirche am liebsten nichts zu tun haben. Das erinnert an die zweite Versuchung, wenn der Teufel die Heilige Schrift zitiert, um Jesus in eine Falle zu locken. Die Berufung auf eine Papstkritik hätte nicht einmal ich in Zeiten gewagt, in denen es um meine Romtreue noch rosiger gestanden ist.
Gerne wird von der versuchenden Seite die Kritik geäußert, dass Außenminister Kurz mit „solchen“ Aussagen die FPÖ legitimiere. Das ist unsinnige Ablenkung durch jene, die dem Chaos rhetorisch den Weg bereiten. Die Legitimation des Rechtspopulismus erfolgt durch den Linkspopulismus mit seiner ungeordneten No-border-Politik – und nicht durch jene, die den Weg der vernünftigen Mitte gehen.
Wie können wir dem Schlamassel entkommen? Zunächst muss die Politik der Versuchung widerstehen, so zu tun, als könnte sie Steine in Brot verwandeln (Stichwort Mindestsicherung). Viel wichtiger wäre die ebenfalls in der Bibel zu findende Maxime, dass man im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdienen möge, als Signal in die Welt zu senden. Schließlich darf sich die Politik nicht vom Gedanken der notwendigen Allmacht faszinieren lassen. Womit wir bei der dritten Versuchung wären: Dem Weltkönigtum.
Dr. Georg Vetter ist selbständiger Rechtsanwalt in Wien. Er ist Nationalratsabgeordneter der ÖVP.