Der Zauber ist schnell verflogen. Sehr schnell. Nachdem Christian Kern den glücklosen Werner Faymann als SPÖ-Chef und Bundeskanzler abgelöst hat, war der um ihn entfachte Hype riesengroß. Die Angehörigen der linken Reichshälfte, die angesichts schlechter Umfragewerte und der Performance ihrer politischen Führungskräfte zunehmend unter Zukunfts- und Existenzängsten leiden, sehen in Kern ihren strahlenden Retter.
Für die Menschen, die Teil des herrschenden Systems bzw. von ihm abhängig sind, steht viel auf dem Spiel. Ihnen droht, sollten sich die Machtverhältnisse verschieben, der soziale Abstieg. Sie laufen Gefahr, selbst zu den von ihnen so verhassten Modernisierungsverlierern zu werden. Ohne den mächtigen linken Nanny-Staat, seine Transferleistungen, Inserate, Aufträge, Jobs, Gefälligkeiten, Ehrungen und Subventionen schaut die Zukunft für viele dieser Menschen düster aus.
Mit Faymann hat die SPÖ eine Wahl nach der anderen verloren, die Aussichten waren mies. In dieser tristen Situation erschien Christian Kern einen Moment lang als rote Lichtgestalt. In der ersten Euphorie haben die Linken in Politik, Medien und Kultur Kern in den Himmel gehoben. Profil-Chefredakteur Christan Rainer bezeichnete ihn gar als „Halbgott der freien Rede“.
Solche überdrehten Lobeshymnen sagen recht wenig über die angehimmelte Person und sehr viel über deren Verfasser aus. Wer so etwas schreibt, ist entweder vom Genie dieses Mannes tatsächlich überzeugt – was nur schwer vorstellbar ist – oder er ist so verunsichert, dass er sich an diesen letzten Strohhalm klammert.
Die Verzweiflung ist nach den frustrierenden Faymann-Jahren, den sinkenden Umfrageergebnissen, den roten Flügelkämpfen, dem roten Trauerspiel insgesamt und angesichts des immer bedrohlicher werdenden blauen Schreckgespenstes wirklich groß. Nur so ist es zu erklären, dass die Journaille einen Mann mit klassischer SPÖ-Laufbahn zum Halbgott, zum Retter der siechen Sozialdemokratie, ja von ganz Österreich hochschreibt.
Dabei ist Kern noch nicht einmal der Einäugige unter den Blinden. Seine ersten Reden glänzten allesamt durch völlige Inhaltslosigkeit. Sie waren gespickt mit Phrasen und Stehsätzen, wie man sie bei den Roten Falken, in Managementseminaren, in Fernstudien für Motivation und Teamführung oder in PR-Lehrgängen lernen kann. Nichts als Sprechblasen. Man mische Management- und PR-Binsenweisheiten mit Schlagworten und Parolen aus der sozialistischen Mottenkiste, füge ein paar poltisch-korrekte Gemeinplätze hinzu, verpacke sie in zeitgemäße Sprache und verzichte auf alle konkrete Vorschläge, Maßnahmen, Analysen oder Konzepte: Fertig ist die Kern-Rede.
Aber mehr braucht es offenbar nicht, um Chef der SPÖ zu werden und von den Medien als Halbgott abgefeiert zu werden. Kern ist ein sozialistischer Offenbarungseid, die Bankrotterklärung der österreichischen Sozialdemokratie.
Er verkörpert wie kein anderer den Niedergang des Sozialismus. Seine bemüht coolen – wobei die Betonung auf bemüht liegt – Inszenierungen auf Instagram und anderen sozialen Medien unterstreichen das. Eine Partei, die eine Person wie Kern zu ihrem Chef macht und die das auch noch als großen Aufbruch feiert, kann nur in einer schweren Identitätskrise stecken. Kern wird die Probleme der SPÖ nicht lösen, er ist geradezu die Verkörperung ebendieser. Natürlich preisen die linken Blätter und Blättchen den neuen Bundeskanzler, damit auch weiterhin reichlich Inseratengelder fließen.
Programmatisch und inhaltlich hat der neue Chef außer ein paar ranzigen Klassenkampf-Parolen und Schlagwörtern erstaunlich wenig zu bieten. Da schwadroniert Kern von Arbeitszeitverkürzung – selbstverständlich bei vollem Lohnausgleich – und einer Maschinensteuer, während Österreich als Wirtschaftsstandort international immer weiter zurückfällt und Frankreich mit genau diesen Rezepten gerade baden geht.
Die Forderung nach einer Maschinensteuer begründet er mit dem mittlerweile hundertfach von der Realität widerlegten Argument, dass durch die Automatisierung und Computerisierung Arbeitsplätze vernichtet würden und die Arbeit deshalb planwirtschaftlich neu verteilt werden müsse. Aber die Weltwirtschaft funktioniert nach anderen Gesetzen als eine österreichische Staatsbahn.
Dass technischer Fortschritt Arbeitsplätze schafft und nicht zerstört, sollte sich mittlerweile auch bis zum Maschinenstürmer Kern durchgesprochen haben. Dieser Prozess kann seit der industriellen Revolution durchgängig beobachtet werden. Auch die furchtbar bösen Computer haben uns keine Massenarbeitslosigkeit, sondern neue, bessere und anspruchsvollere Jobs beschert. Die Zahl der Beschäftigten ist in Österreich in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen.
Aber Kern kennt die freie Marktwirtschaft nur vom Hörensagen, er hat seine Karriere ausschließlich in geschützten politischen und staatlichen Bereichen gemacht, hat die heimische Staatsbahn geleitet, die vom Steuerzahler Jahr für Jahr mit mehreren Milliarden Euro bezuschusst werden muss. Unter Kern hat sich dieser Betrag sogar noch weiter erhöht. Nicht gerade ein Leistungsnachweis. Das scheint auch seinen Bewunderern und Jüngern langsam zu dämmern. Mangels brauchbarer Konzepte und Strategien hat sich Kern ganz auf das FPÖ-Bashing verlegt. Dazu braucht es keine Konzepte, keine Ideen, keine Lösungen, sondern nur die „richtige“ Haltung, die letzte Kernkompetenz der SPÖ neben der Umverteilung.
Die Kronen Zeitung unterstützt, so wie die meisten anderen Medien, Kern bei seiner Linie und titelt: „Kern: ‚Die Leistung der FPÖ ist nicht vorhanden‘“. Da schreit jemand ganz ganz laut: Haltet den Dieb! Vielleicht sollte man Kern dezent daran erinnern, dass es seine Partei ist, die seit 1970 mit Ausnahme eines Intermezzos dieses Land regiert.
Kern hat erkannt, dass man mit FPÖ-Kritik oder besser mit Hetze gegen Freiheitliche bei den politisch-korrekten Meinungsmachern und beim linken Fußvolk immer punkten kann, auch wenn man den aktuellen krisenhaften Entwicklungen völlig plan- und hilflos gegenübersteht. FPÖ-Kritik als politisches Programm einer dahinsiechenden Partei, das ist wirklich erbärmlich.
In der vergangenen Woche hat Kern im Parlament im Rahmen einer aktuellen Stunde der FPÖ zum Thema „Sicherheit statt Asyl“ ganz auf diese Strategie gesetzt. Minutenlang zog Kern über die FPÖ her und unterstellte den Freiheitlichen indirekt für brennende Asylheime verantwortlich zu sein. Nachdem er sich über die FPÖ ausgekotzt hat, beschwert er sich über den Ton, den FPÖ in dieser Debatte anschlägt und forderte scheinheilig einen konstruktiven Dialog, also genau das, was er am Wenigsten gebrauchen kann. Ohne blaues Feindbild stünde Kern, stünde die gesamte heimische Sozialdemokratie politisch völlig nackt da.
Um den weisen und um Konsens bemühten Staatslenker zu geben, stimmte er der FPÖ in einigen „No-na-ned“-Punkten zu und forderte sie oberlehrerhaft zur Mitarbeit auf. Das war selbstverständlich nicht ernst gemeint und nur eine ziemlich leicht zu durchschauende Taktik, die schon alleine deshalb nicht funktionieren kann, weil Kern zum Oberlehrer schlicht Kompetenz und Autorität fehlen. Auch in seiner knapp zehn Minuten langen Rede zum Thema Asyl und Flüchtlinge präsentierte er keine brauchbaren Lösungsansätze, Pläne oder Konzepte, er scheint die Tragweite und die Folgen dieser dramatischen Entwicklung für Österreich gar nicht richtig abschätzen zu können. Nur rhetorische Taschenspielertricks, psychologische Spielchen, Anwürfe und Phrasen. Kern reduziert seine politische Existenzberichtigung darauf, den Aufstieg der FPÖ zu verhindern, was völlig absurd ist, weil es gerade Politiker wie Kern sind, welche die FPÖ erst großmachen.
Einen weiteren Auftritt hatte Kern bei der Wiener Regenbogen-Parade. Auch hier das gewohnte Bild. Kern schafft es, über den Terroranschlag von Orlando zu sprechen, ohne ein einziges Mal die Wörter Islamismus, Islam oder politischer Islam in den Mund zu nehmen. Stattdessen schleudert er die in diesen Kreisen so beliebten Vokabeln von Buntheit, Vielfalt oder Lautheit in die begeistert jubelnde Menge. Die knallbunte Rede hätte großteils auch eine Kindergartenpädagogin vor ihren vierjährigen Schützlingen halten können. Kein Inhalt, keine Vision, kein Wort über die importiere islamische Homophobie, nur infantiles Geschwätz, Selbstverständlichkeiten und politisch-korrektes Posing.
Leichte Zweifel an Kern scheinen sich angesichts solcher Auftritte auch unter den linken Journalisten breit zu machen. Ab und zu liest man erste kritische Statements. Hat man vielleicht doch aufs falsche Pferd gesetzt, sich von einem Blender täuschen lassen? Doch man hat sich Kern eingetreten, jetzt muss der Medien-, Kultur- und Wissenschaftsbetrieb, sprich der politisch-korrekte Filz, aus Eigeninteresse den neuen „starken“ Mann der SPÖ zumindest bis zur nächsten Nationalratswahl durchtragen.
Das wird selbst für Propagandaprofis wie den ORF oder die Wiener Boulevardblätter keine leichte Aufgabe. Es fragt sich auch, wie lange der rechte Parteiflügel um Niessl und Doskozil dem Treiben Kerns noch zusehen wird. Dass Kern die SPÖ nicht aus der Krise führen wird, dürfte man in diesen Kreisen längst erkannt haben. Doch vielleicht ist er genau deshalb der richtige Mann zur richtigen Zeit, der politische Brandbeschleuniger für die verschiedenen krisenhaften Entwicklungen. Und je früher die wirtschaftlichen, finanziellen, sicherheitspolitischen, kulturellen, sozialen, religiösen und demographischen Probleme hochkochen, aufbrechen und sich auch nicht mehr mit Hilfe der Mainstreammedien und mit Steuergeldern zudecken lassen, desto besser ist es für Österreich und seine Zukunft.
Werner Reichel ist Journalist und Autor aus Wien. Kürzlich sind seine neuen Bücher „Die Feinde der Freiheit“ und „Das Phänomen Conchita Wurst: Ein Hype und seine politischen Dimensionen“ erschienen.