TTIP "Insiderpapiere" - eine inszenierte Erregung

Die Veröffentlichung einiger vertraulicher Unterlagen zum Handelsabkommen TTIP durch Greenpeace kommt sowohl der Obama-Administration als auch der EU-Kommission ungelegen. Hatten doch beide gehofft, die Chose hinter gut schallisolierten Polstertüren in trockene Tücher bringen und die staunenden Bürger hernach vor vollendete Tatsachen stellen zu können. An eine Befragung der Bürger war in Sachen TTIP schließlich nie gedacht – ja selbst die nationalen Parlamente Europas sollen dazu gar nicht erst gehört werden. Wir haben es hier mit der ganzen Pracht von Arroganz der Macht zweier zentralistisch organisierter Imperien zu tun.

Man kann indes auch aus den falschen Gründen das Richtige tun. Kein Mensch wird – spätestens seit der Veröffentlichung von Adam Smiths „Wealth of Nations“ anno 1776 – bestreiten, dass Arbeitsteilung wohlstandsfördernde Konsequenzen hat. Arbeitsteilung bedingt aber freien Warenverkehr – Freihandel –, um ihre nutzenbringende Wirkung entfalten zu können.

Heute wird niemand Handelshemmnissen und/oder Zollschranken das Wort reden, die zwischen Wien und Linz bestehen. Denn der Handel nutzt offensichtlich allen daran Beteiligten, Produzenten wie Abnehmern gleichermaßen. Wenn aber zwischen Wien und Linz keine Handelsbarrieren bestehen, womit sollten dann etwa solche zwischen Wien und Boston verteidigt werden? Bestehende Ungleichheiten, welcher Art auch immer sie sein mögen, eignen sich nicht als Argument für Handelshemmnisse, denn diese Ungleichheiten bilden ja die Grundlage jeglicher Form von Arbeitsteilung und Tausch.

Skepsis gegenüber dem Vertragswerk ist also primär deshalb am Platz, weil von beiden Seiten ein Riesengeheimnis darum gemacht wird. Das ist verdächtig. Bemerkenswert ist allerdings, dass sich die nun immer stärker werdende Ablehnung gegen das transatlantische „Freihandelsabkommen“ eindeutig aus den falschen Gründen nährt. Eine Bestätigung der von den sowohl linken als auch rechten TTIP-Gegnern beschworenen Gefahren konnte von Greenpeace nämlich nicht erbracht werden. Es geht in den jetzt öffentlich gemachen Dokumenten ja nicht um bereits ausverhandelte Ergebnisse, sondern lediglich um die Standpunkte beider Seiten, die zum Teil weitauseinander liegen. – So what?

Worauf es ankommt, ist aber folgendes: Wer ernsthaft meint, Europa etwas Gutes zu tun, indem er auf dem jeden Fortschritt erstickenden europäischen „Vorsorgeprinzip“ beharrt, ist auf dem Holzweg. Es ist schließlich kein Zufall, dass Innovationen – gleich auf welchem Gebiet – zum Großteil aus der Neuen und nicht aus der Alten Welt stammen. Europa verliert daher in einigen für die künftige Wohlstandsentwicklung in einer globalisierten Welt besonders wichtigen Schlüsselindustrien seit vielen Jahren an Boden.

Wer darauf besteht, dass für jedwede Neuerung erst einmal deren absolute Unbedenklichkeit wasserdicht nachgewiesen werden muss, darf sich über die daraus resultierende fortschrittsfeindliche Strukturkonservierung nicht wundern. Hätten Regulierungen der zeitgenössischen Art schon vor 200 Jahren bestanden, hätte die „industrielle Revolution“ nie stattgefunden, es gäbe weder Verbrennungsmotoren noch Flugzeuge oder Antibiotika und ganz Europa wäre bettelarm.

Dass die USA nicht geneigt sind, sich dem Diktat einer totalitären europäischen Verhinderungsbürokratie zu beugen, ist daher keine Überraschung. Dass die vielgelobten „europäischen Standards“ von den Amerikanern als eine listenreiche europäische Tarnkonstruktion für protektionistische Maßnahmen zwecks der Verhinderung transatlantischen Wettbewerbs angesehen und bekämpft werden, darf nicht verwundern.

Die Debatten um „Chlorhühner“, angeblich brandgefährlichen „Genmais“ und die in Gefahr geratenden Segnungen des sozialistischen europiden Wohlfahrtsstaats, lenken allesamt vom einzig wirklich relevanten Einwand gegen TTIP ab. Das Argument ist nicht neu und wurde vom libertären US-Ökonomen Murray Rothbard bereits zu einer Zeit formuliert, als noch kein Mensch das jetzt in Verhandlung stehende Abkommen hat kommen sehen. Es lautet schlicht: „Man braucht keinen Vertrag, um Freihandel zu treiben.“ Genauso ist es!

Würde es tatsächlich um die Förderung des Freihandels – und nicht um die Beförderung und den Schutz der Interessen mächtiger Industrien mit besten Beziehungen zu den Machthabern – gehen, würde eine DIN-A5- Seite mit zwei Sätzen ausreichen:

  1. Alle Handelstarife und Zölle sind abgeschafft.
  2. Wer immer Handel treiben will, ist ohne jede Einschränkung dazu berechtigt, das über jedwede Grenzen hinweg in jedem beliebigen Umfang zu tun.

Wozu also ein Tausende Seiten umfassendes Vertragswerk, das nicht den Interessen der Bürger, sondern ausschließlich denen der Herrschenden und deren Symbionten in der Großindustrie nutzt?

Wo bleiben (abseits dieses Blogs) die Freihandelsbefürworter, die diese Frage aufs Tapet bringen?

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

 

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