Er fristet als Weltanschauung ein Mauerblümchendasein und wird oft missverstanden, fehlinterpretiert und nur selten geliebt – so in etwa präsentiert sich der Liberalismus in Österreich.
Am ehesten findet man das originäre liberale Gedankengut noch in den sogenannten bürgerlichen Parteien. Das ist nachvollziehbar: Wer liberal ist, der muss auf festem Grunde stehen und eine klare Haltung haben. Diese kann letztlich nur eine bürgerliche Position im Sinne des Citoyens sein. Ansonsten ist man höchstens pseudo-liberal und das vermeintlich Liberale wird schnell zur konturlosen Beliebigkeit und Liebdienerei.
Im aktuellen Polit-Panorama sieht es folgendemaßen aus: Derzeit wird das Etikett „liberal“ vor allem von den NEOS ins Anspruch genommen, auch wenn es dort nur fleckerlweise passt. Die Freiheitlichen haben es immerhin seit jeher in ihrem Namen und beim TeamStronach war man einst der Meinung, hier könnte ein echtes wirtschaftsliberales Projekt gelingen.
Die ÖVP, welche aufgrund ihrer überwiegend (klein-)bürgerlich-bäuerlichen und bündischen Zusammensetzung dem Liberalismus grundsätzlich recht ambivalent gegenübersteht, agiert in vieler Hinsicht ohnehin abseits aller liberaler Ideen. Und wenn einmal das Liberale in der VP wiederentdeckt wird, dann wird es immer nur mediengercht in diversen Beliebigkeitsfloskeln serviert.
Übertriebenes Denken in Körperschafts-Ideologien und verkrusteten Organisationsstrukturen wirken bei den Schwarzen aus liberaler Sicht eindeutig kontraproduktiv. Obwohl während der Regierung Schüssel einiges zur allgemeinen Liberalisierung und zur Zurückdrängung des Staates aus der Wirtschaft unternommen wurde, hat sich der Geist des klassischen Liberalismus trotzdem nur wenig verbreiten können. Originäres liberales Gedankengut findet man im politischen Alltag nur im sogenannten wirtschaftsliberalen Flügel der VP. Dort allerdings wird es eher nur hinter vorgehaltener Hand wie ein Geheim-Evangelium weitergegeben.
Die SPÖ, ideologisch zwar den alten und prinzipiell antiliberalen, weil kollektivistischen sozialistischen Denkmustern entwachsen, hat sich bis heute mit liberalen Ideen nur wenig anfreunden können, auch wenn einzelne ihrer leitenden Funktionäre dem liberalen Denken gar nicht so ferne sind.
Weltanschaulich sind die beiden derzeitigen Koalitionspartner letztlich voneinander oft nicht mehr zu unterscheiden, denn sie drängen sich um die sogenannte politische Mitte, welche aufgrund ihrer schwammigen Definierbarkeit ohne klare weltanschauliche Position ist.
Und bei den Grünen? Bei den Grünen herrscht zweifellos eine gewisse ideologische Buntheit, neben Krypto-Kommunisten, Öko-Sozialen, Fundis, Realos und Anderen gibt es durchaus auch einzelne Personen, die man im weitesten Sinne dem Liberalismus zuordnen könnte.
Insgesamt bestehen in Österreich aber spürbare Defizite an liberal orientiertem Gedankengut, weil es an liberal denkenden Persönlichkeiten mangelt. Dies sollte im Land, das einmal die Heimat von solch bekannten und einflussreichen liberalen Denkern wie Sir Karl Popper, Nobelpreisträger Friedrich A. Hayek und Ludwig von Mises war, doch Einiges zu denken geben.
Zur Erinnerung: Historisch gesehen existiert der Liberalismus als politische Philosophie seit der Aufklärung und er bildet immerhin eine der wesentlichen Grundlagen in der Entwicklung der westlichen Demokratien. Die wichtigsten Proponenten des liberalen Gedankenguts waren John Locke, Voltaire, Adam Smith, John Stuart Mills, Benjamin Franklin, Immanuel Kant, Humboldt und Tocqueville, danach die Revolutionäre von 1848 sowie in neuerer Zeit Intellektuelle wie Milton Friedman oder die bereits genannten Hayek, Mises und Popper.
Eine kurze Definition des Liberalen: Als liberal im ursprünglichen Sinne gilt, wer die freie Marktwirtschaft und den freien Wettbewerb für das Gedeihen einer Gesellschaft unabdingbar hält, wer die freie Meinungsäußerung schätzt und die Freiheit des Individuums als Grundnorm des Staates betrachtet. Als liberal gilt weiters derjenige, welcher staatliche Regulierungen so gering wie möglich halten will, wer die größtmögliche Eigenverantwortung des Bürgers befürwortet und die persönliche Leistungsbereitschaft des Einzelnen für eine Grundbedingung der Bürger-Gesellschaft erachtet.
Der Liberale sieht die Haupt- und Grundaufgaben des Staates darin, Privateigentum, Recht und Freiheit zu schützen und zu erhalten und die Rahmenbedingungen für eine freie Wirtschaft zu gewährleisten, um dadurch Fortschritt und Entwicklung zu fördern.
Keinesfalls soll der Staat selber am Wirtschaftsleben teilnehmen, ihm obliegt ausschließlich die auf der Demokratie basierende Legislative, Exekutive und Judikatur. Steuerprogression, Umverteilung und ausufernde wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen im Namen einer nur als Worthülse existierenden, weil de facto nicht verordenbaren sozialen Gerechtigkeit sind dem liberalen Verständnis nach untaugliche Instrumente der Politik.
Liberales Gedankengut beinhaltet aber aufgrund seiner humanistischen Ausrichtung selbstverständlich auch, dass jedes Recht immer auch mit Pflichten verbunden ist und dass die Freiheit des Einzelnen durch die Freiheit des Anderen ihre Grenzen erfährt. Liberalismus hat also grundsätzlich nichts mit jener Rücksichtslosigkeit und jenem Egoismus zu tun, die den Liberalen mit dem seit längerem übelmeinend gebrauchten Begriff Neo-Liberalismus heute gerne unterstellt werden. Zum klassischen Liberalismus und zum ursprünglich bereits 1938 von Hayek als Alternative zum Marxismus und Kapitalismus definierten und so bezeichneten Neo-Liberalismus gehören nämlich sehr wohl auch die Verpflichtung und das Bekenntnis zu sozialen und karitativen politischen Maßnahmen. Die Idee der weithin akzeptierten sozialen Marktwirtschaft ist übrigens eine von liberalen Denkern nach dem II. Weltkrieg entwickelte (Freiburger Schule).
Liberal sein ist auch in keiner Weise mit Nationalismus oder Blut-und-Boden-Ideologien vergesellschaftet, wie das fälschlich oft geglaubt und in Österreich immer wieder zumindest implizit verbreitet wird. Der Liberale hat mit totalitären Ideologien jeglicher Färbung nichts zu schaffen, egal ob diese links oder rechts orientiert sind. Im Gegenteil, diese Systeme sind definitionsgemäß die einzigen Feindbilder des ansonsten grundsätzlich friedfertigen und genuin toleranten Liberalismus.
In Österreich hat der originäre Liberalismus eine vergleichsweise gering ausgeprägte Tradition. Dies ist einerseits durch die bis 1918 tief verwurzelt gewesenen Feudalsysteme und infolge der auf das Ende der Monarchie folgenden jahrzehntelangen politischen Konfusionen bedingt und andererseits durch den noch immer herrschenden korporativen Aufbau des Staates, der die liberale Gesinnung an ihrer Verbreitung nach wie vor hindert.
Das körperschaftlich zusammengesetzte Staatsgebilde Österreich mit seinen paternalistischen und vereinnahmenden Grundtendenzen wie etwa den diversen Zwangsmitgliedschaften und die daraus resultierende typisch österreichische Obrigkeitshörigkeit und Allgegenwart des Vaters Staat sind zweifellos keine liberalen Phänomene. Dazu kommt die in Österreich stark ausgeprägte Sehnsucht nach sozialer Sicherheit und staatlicher Fürsorge, welche letztlich ebenfalls zur Reduktion der politischen Freiheit und zur Hemmung der individuellen Entfaltung führt.
Im Weiteren lief der Liberalismus – nicht nur in Österreich – immer Gefahr, von rechten oder linken Strömungen vereinnahmt und missbraucht zu werden: Die Chef-Ideologen der Kommunisten, der Ur-Sozialisten wie auch der Nationalisten und Faschisten wollten gerne liberale Elemente in ihre Gedankengebäude einbringen, sie alle übersahen dabei aber geflissentlich, dass in jeglichen totalitären und kollektivistischen Systemen die Freiheit des Einzelnen und jeder Individualismus zwangsläufig verloren gehen.
Als politisches Feigenblatt und als Propaganda-Slogan eignet sich jedoch der Begriff der Freiheit für all diese Systeme und deren Denker auch heute noch vorzüglich, man braucht nur entsprechende Feindbilder zu konstruieren, die angeblich die Freiheit des Bürgers einschränken würden. Das Ressentiment der Massen war und ist solcherart schnell und gut zu bedienen.
Durch diesen oftmaligen Missbrauch der liberalen Philosophie sind jenes Missverständnis und jener Hautgout entstanden, welche dem Liberalismus in Österreich leider anhaften. Und das ist schade, denn gerade die liberalen Grundsätze und Wertvorstellungen ermöglichen allen Bürgern eine bessere Ausgangsposition im öffentlichen und politischen Diskurs.
Man kann aus der Missbrauchsgeschichte aber auch einen Schluss ziehen: Echter Liberalismus setzt eine gewisse intellektuelle Reife und die Fähigkeit der eigenen Meinungsbildung voraus, ansonsten gerät man nur allzu leicht in Gefilde, wo außen liberal oder freiheitlich draufsteht, innen drin aber ganz andere Philosophien gepflegt werden.
Und genau hier liegt der springende Punkt: Um die so oft schon zitierte Gesellschaft von mündigen Bürgern zu schaffen, muss sich der Liberalismus zumindest bis zu einem gewissen Grad durchsetzen, denn nur unter seinen Bedingungen ist ein entsprechender Ausgang des Einzelnen aus der längst nicht mehr nur selbstverschuldeten Unmündigkeit möglich.
Gerade in unserem Zeitalter der gerne mit dem Liberalismus verwechselten Beliebigkeit und des allseits beklagten Verlustes der Werte sowie der zunehmenden Politik(er)verdrossenheit ist es umso dringender notwendig, klassisch liberales Gedankengut zu transportieren. Nur über die Stärkung des Individuums können jene extremen gesellschaftlichen Strömungen und illiberalen Geisteshaltungen eingedämmt werden, die in den Zeiten der Dekadenz und der schwelenden sozialen Urängste aufleben.
Wir erleben diese Entwicklungen gerade hautnah in der Migrationskrise. Und vor allem in Krisen gilt: Nur über die liberalen Werte können Rechtsstaat und Demokratie langfristig Bestand haben. Zweiflern an der zeitlosen Gültigkeit dieser Werte und an der gerade jetzt wieder zunehmenden Notwendigkeit der Verbreitung liberaler Ideen sei die Lektüre der oben im Text genannten Autoren dringend ans Herz gelegt. Die Herren haben sich übrigens auch mit den Fragen und den Folgen der Migration beschäftigt.
In der politischen Landschaft Österreichs hat sich die liberale Philosophie bisher noch immer nicht fest etablieren können. Die Geschichte derjenigen Gruppierungen, die den Liberalismus zumindest in ihren Statuten führten oder führen, ist gekennzeichnet vom Abdriften in die geschilderten Niederungen des Missbrauchs oder vom Scheitern an den starren Strukturen und an der österreichischen Mentalität. Insgesamt ist dies ein enttäuschender Befund für die politische Wirklichkeit des Landes.
Dr. Marcus Franz ist Arzt und unabhänger Nationalrats-Abgeordneter (früher ÖVP, davor team Stronach).