Vom Grunde her ist politische Korrektheit ein sehr nobles Unterfangen. Gegen offensichtliche oder auch nur unbedachte Diskriminierung vorzugehen, ist notwendig, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu wahren. Diskriminierung hat der Autor dieses Artikels selbst erfahren, als er im Alter von neun Jahren von Polen nach Deutschland kam. Alleine die anfänglichen Sprachdefizite führten dazu, dass man von Mitschülern „Kanake“ bezeichnet und gemobbt wurde, und so zunächst zum einsamen Wolf mutierte oder nur bei Außenseitern Anschluss fand. Wenn mit der Erziehung zur politischen Korrektheit solche Ausgrenzungen unterbleiben, ist viel gewonnen.
Jedoch darf das Bemühen ums Gute nicht überstrapaziert werden. Wird nämlich jedwede soziale Interaktion nur noch nach der Maßgabe, man dürfe niemanden diskriminieren, ständig misstrauisch beäugt, verfallen alle in Paranoia. Dabei ist die Auffassung dessen, was diskriminierend sei, inzwischen ziemlich abstrus. So wird das Hinzufügen von kulturellen Eigenschaften aus anderen Kulturen in die eigene bisweilen als Beleidigung der anderen Kultur aufgefasst. Zumindest sah die University of East Anglia diese Gefahr und verbot unlängst das Tragen von mexikanischen Hüten an ihrem Campus, die dank eines angrenzenden mexikanischen Restaurants in Umlauf kamen.
Keine Frage, Dinge wie Black Facing oder lächerliches Bloßstellen anderer Kulturen gehören unterbunden. Wenn man aber jeglichen wohlwollenden kulturellen Austausch per se als Angriff auf die aufgegriffene Kultur auffasst, dann wird nicht nur die so friedenssichernde Verständigung unterbunden, sondern das eigentlich überkommene isolationistische, nationalistische und separatistische Denken befeuert. Das ist doch aber im Kern nichts anderes als das typische Gedankengut von Rechtsradikalen, die unter allen Umstände ihre Kultur wahren und unter sich bleiben wollen und dabei nicht gerade freundlich auf Vermischung von Kulturen reagieren. Führt man den Gedanken zu Ende, lässt sich gar eine „Rassenhygiene“ ebenso leicht politisch korrekt begründen.
Man kann natürlich nicht behaupten, die politisch Hyperkorrekten seien nun Rechtsradikale. Zumindest sind sie aber gewaltig naiv und voll vor blindem Eifer – wohlwollend gesprochen. Dennoch treten bei ihnen zweifelsfrei geradezu dieselbe Gehässigkeit und Intoleranz zutage wie bei Rechtsradikalen, wenn es darum geht, die von ihnen ausgemachten Schuldigen zu bekämpfen. Das Schlimme ist, dass sie das, was sie vorgeben zu bekämpfen, mit voller Macht fördern. Oder ist etwa der letztjährige Zutrittsverbot für weiße Besucher zu einer Kunstausstellung am Pomona College (USA), die Kunst von „people of color“ nur für ihresgleichen präsentierte, keine Rassenapartheid? Als Begründung wurde vorgeschoben, die Anwesenheit Weißer würde Unwohlsein bei den „non-white“-Besuchern hervorrufen.
Dabei wenden die Überkorrekten auch noch Methoden an, die ebenso nicht mit den vermeintlich vertretenen Werten übereinstimmen. Oder ist Gewaltandrohung gegen Männer, die auf einer Podiumsdebatte über das Frauenthema Schwangerschaftsabbruch mitdiskutieren sollen, Ausdruck von gegenseitigem Respekt? Vielmehr ist dieser Vorfall von 2014 am Christ Church College in Oxford nichts anderes als der Wunsch nach einer Geschlechterapartheid.
Wurzel des ganzen Übels ist ein Zeitgeist, der bei aller berechtigten Antidiskriminierung die Verständigung und den kulturellen Austausch vergessen hat. Es muss einen Ausgleich zwischen beiden Anliegen geben, der in einem freien Raum für das respektvolle Näherkommen mündet, der auch kleine ungewollte Ausrutscher erlaubt. Alle Unbill des Lebens fernhalten zu wollen, ist unrealistisch. Dann geht der Schuss nach hinten los. Zuallererst muss der Begriff „politische Korrektheit“ mitsamt seinen Sprachneuschöpfungen wie Mikroaggressions, die alles menschliche Dasein auf die beleidigte (neudeutsch traumatisierte) Leberwurst reduzieren, in die Mottenkiste verbannt werden.
Stattdessen bedarf es einer Hinwendung zu althergebrachten Gerechtigkeitsidealen, wie Toleranz, goldene Regel oder auch den Werten der Aufklärung, die Freiheit, Gleichheit und Solidarität mit einem positiven Blick auf den Menschen anstreben. Für diese Hinwendung tritt übrigens die Folgende Petition ein: Werte der Aufklärung als europäische Leitkultur.
Michael Zabawa ist ein nach Deutschland aus dem „Ostblock“ Zugewanderter, der im Gegensatz zu vielen Einheimischen viel von diesem Land hält und etwas an dieses Land zurückgeben möchte.