Begleitet man den 74-Jährigen im Irak geborenen Journalisten mit den freundlichen Augen durch ein Einkaufszentrum in Wien, bekommt man rasch den Eindruck, dass der Gute mit der halben Welt per Du ist. Händeschütteln, Lachen, Umarmungen. Ganz der Gegensatz zu der schlimmsten Zeit seines Lebens, als Dr. Amer Albayati, der in diesem Tagebuch mit vielen Beiträgen als Gastkommentator vertreten ist, rund um die Uhr von einer Sondereinheit mit Cobra- und Wega-Beamten beschützt werden musste.
Der Motor der Initiative der Liberalen Muslime Österreichs (ILMÖ) hat als Islam-Reformer und Terror-Experte nun ein aufrüttelndes Buch über sein Leben geschrieben: „Auf der Todesliste des IS“.
Die Todesdrohungen, die gegen den Motor der Liberalen Muslime in Österreich ausgestoßen worden waren, wurden absolut ernst genommen. Albayatis schlimmes Verbrechen bestand in der Tatsache, dass der seit Jahrzehnten in Wien lebende Moslem den Bedarf eines moderneren und in unsere Gesellschaft eingebetteten Islams sah und dies auch vielfach zum Ausdruck brachte.
So wurde er zum Feindbild der Muslimbruderschaft und des IS. Doch das kann seinen Elan nicht bremsen. Mutig informiert er mit Presseaussendungen über Missstände, stellt sich der Diskussion mit Haltung und gastiert als Fachkommentator fast täglich in TV-Sendungen in Österreich und rund um den Globus.
Statt sich zu verstecken, hat Amer Albayati nun im Seifert-Verlag seine Lebensgeschichte publiziert. Eine recht interessante Mischung aus Einblicken in sein Werden, sein Aufwachsen in Bagdad. Danach ein Auslandsstudium in Deutschland und die Heimkehr wegen der Krankheit des Vaters. Die neuerliche Ausreise wurde dem jungen TV-Regisseur versagt, da jemand den Behörden verraten hatte, dass sein Militärdienst noch ausstand. Dass er in Deutschland Tochter und Familie hatte, zählte nicht.
Mit Schleppern wollte Amer fliehen, wurde inhaftiert und erst in den Kriegswirren des Irak-Iran-Krieges im Herbst 1980 gelang ihm durch Sirenengeheul und Bombenangriffe die Flucht nach Damaskus. Von dort ging es mit der ersten Maschine nach Wien.
Wie sich doch die Geschichte wiederholt. Heute sind wesentlich stärkere Fluchtbewegungen im Gange und der Buchautor vermutet in Österreich bereits 600.000 Muslime. Tendenz stark steigend. Albayati prangert die Radikalisierung durch Fundamentalisten an. Sie ist leider noch allgegenwärtig. Junge Menschen verirren sich in einem Glaubensbild, das Platz lässt für ein Feindbilddenken und zum Krieg aufruft. Gegen den Westen. Vor allem in den Reihen des Islamischen Staates.
Eine Saat, die schon in Kindergärten genährt wird. Mit zig Millionen Euro subventioniert – in einer Parallelgesellschaft der islamischen Kindergärten, deren 2016 so empörende und durch Aslan-Studien belegte Fehlentwicklungen Amer Albayati bereits 2009 in Schreiben an Spitzenpolitiker thematisiert hat.
Über weiter Strecken analysiert Albayati in seinem Buch die Verstrickungen islamistischer Extremisten in die Destabilisierung der Weltpolitik. Nüchtern beleuchtet er die Szene und streut warnend ein, welch traurige Figur die Politik bei all dem macht. Über Jahrzehnte sind Entwicklungen verschlafen worden, wurde verharmlost, bis dann die ersten Bomben flogen oder Schülerinnen in den Dschihad nach Syrien aufbrachen.
Aus Wien in den Krieg. Viele Terrorprozesse lassen uns mit Fragezeichen aufwachen. Wo waren jene, die uns beschützen sollten? Gab es keine Frühwarnsysteme? Wieso hat man Amer Albayati nicht früher gehört, früher ernst genommen? Eigentlich hätte der Buchautor allen Grund sich verzweifelt abzuwenden. Eine Mission für den Liberalen Islam, für höchst notwendige Reformen und Präzisierungen in der Islam-Auslegung hinter sich zu lassen, die ihm sprichwörtlich viel Feind aber nur wenig Ehr gebracht hat. Statt Dank gab es Zank. Insgesamt 15 Morddrohungen von verschiedenen IS-Kämpfern als Gipfel der Feinseligkeiten gegen ihn.
Unermüdlich macht Albayati weiter. Es ist seine Art, der Gesellschaft Dank zu sagen. Er will den Untergang unserer Werteordnung verhindern, will seine Muslime geschwisterlich in einem von so vielen Prüfungen gebeutelten Europa einbinden. Als es so gefährlich für ihn in seiner zweiten Heimat Österreich wurde, hätte er Asyl in Kanada, Australien und den USA bekommen. Doch er blieb hier. Er wollte hier seiner Aufgabe nachkommen, die ihm längst Berufung geworden ist.
Wie sehr, das kommt zum Ausdruck, wenn Michael Ley in seinem Vorwort betont, dass Albayati auf sämtliche Einkünfte aus dem Buch verzichtet hat. Damit entzog er seinen Gegnern schon die leiseste Chance, ihm Selbstprofilierung und Profitgier auf Kosten des Islam vorzuwerfen.
So schreibt Michael Ley in seinem Vorwort zu „Auf der Todesliste des IS“: „Die gegenwärtige ungebremste Invasion von Muslimen aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Afrika wird diese Entwicklung negativ verstärken, und große Teile Europas laufen Gefahr, der Islamisierung preisgegeben zu werden. Vor diesen Entwicklungen warnt Amer Albayati seit vielen Jahren unermüdlich und erntete jedoch mehr Anfeindungen als Anerkennung. Seine Kritik am politischen Islam stößt bis heute auf die Ignoranz der meisten Vertreter der Politik, der Medien und der Wissenschaft, aber auch vieler kirchlicher Würdenträger. Mit einem geradezu pathologischen Eifer widersetzt man sich der banalen Einsicht, dass der orthodoxe – und selbstverständlich der radikale – Islam nicht mit Demokratie und modernen Rechtsstaaten vereinbar sind. Nur die Ideologie eines „friedfertigen“ Islam kann die Utopie des Multikulturalismus aufrechterhalten – die Tag für Tag empirisch widerlegt wird. Der letztgenannte Umstand macht deshalb den rationalen Religionskritiker zum Erzfeind: Er gibt mit seiner Kritik die Multikulti-Utopie der Lächerlichkeit preis. Er entzieht den politischen Träumern den Boden und denunziert die kommenden Zivilisationszerstörer. Zivilisatorischer Selbstmord und Islamisierung sind deshalb Zwillinge des kommenden dritten Totalitarismus.“
Die Warnungen sollten nicht länger in den Wind geschlagen werden. Amer Albayati hat akribisch eine Bilanz seines Lebens und seines Bemühens gezogen. Er hat gut dotierte Funktionen in der arabischen Welt ausgeschlagen und Verlockungen der Politik in Österreich widerstanden. Der Mann wirkt ehrlich, authentisch und wirklich alarmiert. In seinem Buch belegen frühe Artikel und Arbeiten, wie jede der angekündigten Entwicklungen eingetreten ist. So betrachtet prophetisch. Nur: Die Propheten gelten halt im eigenen Land nichts. Das ist eine alte Weisheit und Österreich ist seit mehr als drei Jahrzehnten sein Land, seine zweite Heimat.
Amer Albayati ist das beste Beispiel für gelungene Integration, für interreligiöse Dialogbereitschaft und ehrliches Bemühen für ein Miteinander. So spaltet einen die Lektüre: Viel Hoffnung, viel Leid. Aber so ist es eben das Leben. Mehr Albayatis wären eine Wohltat für Österreich. Sein Buch ist Warnung und Hoffnung in einem. Ich habe 19 Euro für die Hoffnung ausgegeben und einen Euro für die Warnung.
Mutig jedenfalls der von Dr. Maria Seifert geführte Seifert-Verlag, der dieses Werk zum bestmöglichen Zeitpunkt herausgegeben hat. Wobei sogar die Silvesterunruhen in vielen Großstädten Einzug hielten und Albayatis Eintreten für die Gleichstellung von Mann und Frau.
Dr. Amer Albayati
Auf der Todesliste des IS: Ein Islam-Insider & Reformer als bedrohter Warner vor Radikalismus und Terror
Seifert Verlag € 19,95
Reinhard Bimashofer, 56 Jahre, kreativer Selbständiger in Kärnten, Mitgründer des Instituts für Angewandte Politische Ökonomie.