Über einen fast skurrilen Elternbrief, der aufgrund einer Weisung von Bildungslandesrätin Palfrader im Bezirk Landeck durch Schuldirektoren[1] ausgeteilt werden musste.
Am 22. Februar erhielt der Administrator des BRG/BORG Landeck die Weisung von der Amtsführenden Präsidentin des Landesschulrats für Tirol, Bildungslandesrätin Dr. Beate Palfrader, sämtliche Adressen aller Unterstufenschüler an sie auszuhändigen. Aus Sorge um den Datenschutz untersagte der Direktor des BRG/BORG Landeck, HR Mag. Josef Röck, in Absprache mit der Elternvertretung die Weitergabe der Daten.
Noch am Abend desselben Tages wurde dem Direktor eine Weisung von Landesrätin Palfrader übermittelt, nämlich folgenden Elternbrief (im Folgenden jeweils der kursive Text) an alle Unterstufenschüler seiner Schule auszuteilen. Er tat dies kommentarlos am nächsten Tag.
Sogar Volksschuldirektoren des Bezirks Landeck wurden ebenfalls per Weisung dazu angehalten, einen Elternbrief mit fast gleichem Wortlaut an Schüler der 3. und 4. Klassen auszuteilen.
Aus Platzgründen ist es nicht möglich, auf alle Details, die in diesem Brief stecken, hinzuweisen. Aber einige Dinge kann man so einfach nicht stehen lassen, weil Landesrätin Palfrader sich selbst, anderen und den Fakten in zahlreichen Punkten widerspricht.
Sehr geehrte Eltern und Erziehungsberechtigte!
Nach wie vor kämpfen gewisse Kreise – im Speziellen das BRG/BORG Landeck und die Personalvertretung der AHS – mit allen Mitteln und in sehr unfairer Weise gegen eine sinnvolle Erneuerung des Bildungswesens und verbreiten dabei völlig falsche Informationen, die sowohl bei den Schülerinnen und Schülern, als auch bei Eltern Verunsicherung hervorrufen und Ängste schüren.
In der Presseaussendung der Schulpartner des Landecker Gymnasiums vom 15. Jänner 2016 liest man folgendes:
„Wir fordern den Erhalt der freien Schulwahl für Eltern und ihre Kinder statt einer Zwangszuteilung in eine Gesamtschule.
Wir fordern den Erhalt der optimalen Bildungschancen für Begabte durch eine gymnasiale Ausbildung ab dem 10. Lebensjahr statt einer Nivellierung der Bildung nach unten in Gesamtschulklassen.
[…] Die Förderung begabter Kinder muss Vorrang haben vor ideologischer Gleichmacherei.“[2]
Welche Eltern stimmen diesen Wünschen nicht zu? Was davon deutet darauf hin, „gegen eine sinnvolle Erneuerung des Bildungswesens“ zu kämpfen? Liegt es nicht in der Natur der Sache, dass Eltern immer das Beste für ihre Kinder wollen? Warum soll den Eltern die Wahlmöglichkeit bei einer so wichtigen Angelegenheit wie der Schullaufbahn ihrer Kinder genommen werden? Wollen wir Eltern uns das wirklich gefallen lassen?
Anlass dafür, dass ich mir erlaube, mich mit diesem Schreiben an Sie zu wenden, ist die Einladung des Schulgemeinschaftsausschusses des Gymnasiums Landeck zu einem diese Woche stattfindenden Elternabend, in der unsachlich und niveaulos absolut falsche Informationen an die Eltern/Erziehungsberechtigten kommuniziert wurden.
Ich habe mir die von Landesrätin Palfrader so negativ beschriebene Einladung des Direktors von Landeck[3] durchgelesen und konnte die „absolut falschen Informationen, die unsachlich und niveaulos an die Eltern/Erziehungsberechtigten kommuniziert wurden“ nicht entdecken.
Bisher wurde noch keine politische Entscheidung über die geographische Ansiedlung der Modellregion für eine Gemeinsame Schule getroffen und dies wird kurzfristig auch nicht der Fall sein, da noch nicht einmal die bundesgesetzlichen Rahmenbedingungen vorliegen. Es werden detaillierte Analysen und viele Gespräche mit allen Betroffenen notwendig sein, um die endgültige Verortung zu entscheiden.
In der „Presse“ wurde Landesrätin Palfrader folgendermaßen zitiert: „Überall gab es helle Aufregung, dabei ist eine Entscheidung bezüglich des Orts noch nicht gefallen“.[4]
In der Tiroler Tageszeitung wird der Standpunkt von Landesrätin Palfrader folgendermaßen dargelegt: „…für die Landesrätin besteht kein Zweifel daran, dass das Land eine Modellregion verordnen will und wird. Die Zustimmung der Schulpartnerschaft zum Schulversuch ist im Entwurf für die Bildungsreform nämlich nicht mehr vorgesehen.“[5]
Somit sagt Landesrätin Palfrader ganz klar, dass es bereits zu einer politischen Entscheidung gekommen ist – und das ist ja in Wahrheit der springende Punkt! Deshalb haben sich unnmittelbar nach Präsentation der Bildungsreform die höchsten demokratisch gewählten Vertreter der Schüler, Eltern und Lehrer mit folgenden Worten an die Öffentlichkeit gewandt:
„Mit Entsetzen hat der Bundes-Schulgemeinschaftsausschuss (B-SGA) die Ankündigung der Regierungsparteien zur Kenntnis genommen, Mitbestimmungsrechte der Eltern, Schüler und Lehrer in den geplanten Gesamtschul-Modellregionen abzuschaffen.
„Jetzt wissen wir, warum die gewählten Vertreter der Schulpartner von der Bildungsreform 2015 ausgegrenzt wurden. Die Regierung möchte nach dem Motto „Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt.“ handeln“, so Theodor Saverschel, Präsident des Bundesverbandes der Elternvereine an mittleren und höheren Schulen wörtlich. „Die Absicht, das Entscheidungsrecht der Schulpartner vor Ort bei der Umwandlung von Gymnasien zu Gesamtschulen abzuschaffen, übertrifft unsere schlimmsten Befürchtungen.“
Eckehard Quin, Vorsitzender der AHS-Gewerkschaft, stößt ins gleiche Horn: „Bei der Einführung von Modellregionen für Gesamtschulen wird davon ausgegangen, dass die bisher dafür notwendige Zustimmung der betroffenen Schüler, Eltern und Lehrer nicht erreicht wird. Was man auf demokratischem Weg nicht durchsetzen kann, möchte man jetzt offensichtlich durch die Abschaffung der Mitbestimmungsrechte erzwingen.“[6]
Darüber hinaus ist vollkommen klar, dass – anders als im genannten Einladungsschreiben angeführt – vor allem die Eltern als ganz besonders wichtige Gruppe in die Entscheidungs- und Entwicklungsprozesse einbezogen werden.
Dieselbe Frau Palfrader wird in unterschiedlichen Medien folgendermaßen zitiert:
„Ich [Anm: Mag. Dr. Beate Palfrader] gehe nicht davon aus, dass eine Schule von sich aus bereit ist, mitzumachen.“[7]
„Sie [Anm: Mag. Dr. Beate Palfrader] werde Eltern, Schüler und Lehrer zwar in die Überlegungen einbinden, im Ernstfall aber auch gegen diese entscheiden.“[8]
Was davon meint Bildungslandesrätin Palfrader denn jetzt wirklich? Sie kann doch nicht ernsthaft die Wichtigkeit der Eltern betonen und quasi im gleichen Atemzug darauf hinweisen, dass sie bereit ist, sich über die Eltern hinwegzusetzen. Welches Demokratieverständnis demonstriert sie dadurch? Oder ist die Bildungspolitik etwa von demokratischen Strukturen ausgenommen? Wenn die Stimmen der Wähler zählen – und davon sollte man in einer Demokratie schon ausgehen können – , warum wird dann in einem so wichtigen Bereich wie der Bildungspolitik von den höchsten politischen Instanzen versucht, von oben herab etwas durchzusetzen, was die Betroffenen nicht wollen? Sind wir wahlberechtigten Schüler, Eltern und Lehrer etwa unmündige Bürger?
Natürlich gilt das auch für die Lehrerinnen und Lehrer an den AHS und an den Neuen Mittelschulen. Die AHS-Direktoren und AHS-Direktorinnen, die bereits von mir zur Mitarbeit eingeladen wurden, haben ihre Mitwirkung unverständlicherweise abgelehnt. Die Tatsache, dass sie sich auch nicht an den Arbeitsgruppen beteiligen wollen, zeichnet für mich ein etwas merkwürdiges Demokratieverständnis für eine Gruppe, die sich in jedem zweiten Satz auf die demokratischen Grundsätze beruft.
Was sagen die Tiroler AHS-Direktoren dazu?
In einem Brief an Landesrätin Palfrader schreiben sie unter anderem folgendes:
„Die politische Entscheidung, in Tirol eine Modellregion bzw. langfristig die Gesamtschule einzuführen, ist schon vor der Installierung der Steuerungsgruppe erfolgt. An dieser Entscheidung wurden AHS-LehrerInnen und AHS-DirektorInnen nicht beteiligt. Offenbar soll nun nachträglich der Öffentlichkeit signalisiert werden, dass auch die AHS in den Entscheidungs- und Umsetzungsprozess eingebunden ist. Für ein derartiges Manöver stehen wir nicht zur Verfügung. […] Da Sie „im Ernstfall“ sicher auch gegen den Vertreter der AHS-DirektorInnen in der Steuerungsgruppe entscheiden würden, erscheint unsere Anwesenheit in der Steuerungsgruppe verzichtbar.“[9]
Wer möchte sich schon an einer Arbeitsgruppe beteiligen, wenn von vornherein klar ist, dass nur die Dinge umgesetzt werden, die im Sinne der Landesschulrätin und für die Gesamtschule dienlich sind? Dadurch kann es ja gar nicht zu einer faktenorientierten Diskussion der ganzen Angelegenheit kommen.
Eine ganz besonders dreiste Falschaussage, die Dir. Röck vom BRG/BORG Landeck im Einladungsschreiben getroffen hat, ist, dass es in einer neuen gemeinsamen Schulform keine Schwerpunkte mehr geben wird. Das genaue Gegenteil ist der Fall!
Im Einladungsschreiben von Dir. Röck werden Schwerpunkte nicht einmal erwähnt. Folglich existiert diese „ganz besonders dreiste Falschaussage“ nicht. Und doch steht genau das im Elternbrief von Landesrätin Palfrader. Was sagt das über die Vorgehensweise der Bildungslandesrätin aus?
Die Schwerpunktsetzung in einer Gesamtschule ist allerdings durchaus ein ernstzunehmendes Thema.
Bildungsministerin Heinisch-Hosek spricht von einer „guten Durchmischung aller Kinder einer gemeinsamen Alterskohorte“ und von „innerer Differenzierung“.[10] In der Praxis bedeutet das, dass Kinder mit sonderpädagogischem Betreuungsbedarf in derselben Klasse sitzen müssen wie Kinder, die intellektuell oder anderweitig sehr begabt sind. Das steht in direktem Widerspruch zu einer echten Schwerpunktsetzung. Natürlich kann man immer noch ein Schild mit der Überschrift „Schwerpunkt“ anbringen, aber man muss nicht Einstein sein, um zu erkennen, dass das mit einer Schwerpunktsetzung im herkömmlichen Sinn nichts mehr zu tun haben kann.
„Wer immer noch der Meinung ist, dass es in einer Modellregion ‚Gemeinsame Schule‘ unterschiedliche Schwerpunkte oder sogar Aufnahmeprüfungen wie etwa derzeit an den Sport- oder Musik-NMS geben kann, dem ist entweder nicht klar, was ‚Gemeinsame Schule‘ per definitionem bedeutet, oder er streut anderen ganz bewusst Sand in die Augen.“[11]
Es werden nicht nur alle Schwerpunkte wie zum Beispiel Musik und Sport oder Sprachen beibehalten, sondern viele Schulen werden sich ein eigenes markantes Schulprofil durch weitere Schwerpunkte geben können. Für die Eltern werden die Wahlmöglichkeiten also eher größer werden.
Bildungsministerin Heinisch-Hosek lässt keine Zweifel offen, wenn sie schreibt: „Für die gesamte Modellregion werden keine zusätzlichen finanziellen Mittel vom Bund zur Verfügung gestellt.“[12]
Und doch verspricht Landesrätin Palfrader zusätzliche Schwerpunkte. Wie sollen diese Schwerpunkte finanziert werden? Oder kosten sie etwa gar nichts?
Wenn Herr Dir. Röck im Schreiben die Frage stellt, „warum Kinder mit unterschiedlichen Begabungen den gleichen Unterricht erhalten sollen“, dann beweist er, dass er ganz offensichtlich nicht nur die aktuellen Forschungserkenntnisse nicht kennt bzw. nicht einmal die Entwicklungen in den Neuen Mittelschulen wahrgenommen hat, sondern auch dass er diese nicht wahrnehmen will.
Vielleicht hat Herr Dir. Röck den Forschungsbericht des Bundesinstituts für Bildungsforschung zur Evaluation der Neuen Mittelschule gelesen. Da steht unter anderem:
„Eine relative Verbesserung der Situation der leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler lässt sich mit diesen Ergebnissen nicht argumentieren; die Ergebnisse weisen vielmehr überwiegend in die umgekehrte Richtung. […]
Überproportional viele Schülerinnen und Schüler geben in der NMS explizit an, dass sie keine positiven Schulerfahrungen zu berichten hätten; in diesem Punkt unterscheiden sie sich stark von der AHS, wo dieser Schüleranteil deutlich unter der statistischen Erwartung liegt.“[13]
Im Resümee liest man:
„Als unerwünschte Effekte erweisen sich partielle Überforderung von Leistungsschwächeren sowie partielle Unterforderung von Leistungsstärkeren – mit einer Tendenz zur Nivellierung des Anforderungsniveaus und der Leistungsbeurteilungskriterien nach unten.“[14]
Das ist genau das Gegenteil von dem, was die Gesamtschulverfechter behaupten.
Somit stellt sich die Frage, wer nun „die aktuellen Forschungserkenntnisse nicht kennt bzw. nicht einmal die Entwicklungen in den Neuen Mittelschulen wahrgenommen hat, sondern auch […]diese nicht wahrnehmen will“. Auf Herrn Dir. Röck scheint das jedenfalls nicht zuzutreffen.
Zudem ist ganz klar festzuhalten, dass ja auch die Kinder in einer Gymnasialklasse (in der Unterstufe meist 30[15] Kinder in einer Klasse) unterschiedliche Begabungen haben, und trotzdem den gleichen Unterricht erhalten. Im Zentrum einer neuen Schule wird der Blick auf das einzelne Kind stehen. Dies führt zu einer bestmöglichen Förderung aller Kinder.
Jeder, der einmal beispielsweise eine Sprache in einer relativ homogenen Großgruppe unterrichtet hat, weiß um die Schwierigkeit des gemeinsamen Lernens im gleichen Tempo. Durch kleinere Gruppengrößen bzw. spezielle Angebote wie z.B. Wahlpflichtgegenstände und dergleichen könnte man das Potential unserer Kinder und Jugendlichen bestimmt noch besser fördern. Wenn man die Unterrichts-Experten, also die Lehrer, in eine Verbesserung des Bildungswesens miteinbeziehen würde, gäbe es sogar Grund zur Hoffnung, dass tatsächlich etwas Sinnvolles für die Zukunft entstehen könnte. Schade, dass unsere Bildungspolitiker offensichtlich keine Notwendigkeit dafür sehen…
Eine weitere unglaubliche Falschinformation stellt die Aussage dar, dass die Langform der AHS abgeschafft wird. Verwunderlicher Weise ist dem Schulleiter einer höheren Schule nicht bekannt, dass Veränderungen in der Schulorganisation nur der Bund vornehmen kann und nicht die Tiroler Landesregierung.
Was sagt Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek dazu?
In der Veröffentlichung zur Bildungsreform steht wörtlich:
„Neue Mittelschule, AHS-Unterstufe, Sonderschule sind Teil der Region […] In einer Modell-Region sind alle Schulen der Region eingebunden“[16]. Bei „allen Schulen“ sind logischerweise auch die AHS dabei.
Rein mathematisch ist es nicht möglich, die Langform der AHS (also die 8-jährige AHS) beizubehalten, wenn die ersten 4 Jahre der AHS durch eine 4-jährige Verlängerung der Gesamtschule Volksschule mit dem Decknamen „Gemeinsame Schule der 6-14-Jährigen“ ersetzt werden.
Geplant ist die Schaffung einer gemeinsamen Sekundarstufe 1 in EINER Modellregion in Tirol unter der Beteiligung von einem Gymnasium. Dabei werden nicht einfach die Neuen Mittelschulen über die AHS-Unterstufe „gestülpt“, sondern es muss ein gemeinsames innovatives pädagogisches Konzept, in dem auch entsprechende Leistung gefordert wird, umgesetzt werden. Im Mittelpunkt stehen unsere Kinder, die bestmöglich gefördert und gefordert werden sollen.
Wenn es sich bei der „Gemeinsamen Schule der 6-14-Jährigen“ tatsächlich um etwas Tolles handeln sollte, werden sich bestimmt alle Schulen darum bemühen, Teil einer Modellregion werden zu dürfen. Warum fragt Landesrätin Palfrader nicht einfach alle 25 Gymnasien in Tirol und wählt dann aus all denen, die sich freiwillig dazu melden, eines aus? Wenn die Vertreter der Schüler, Eltern und Lehrer gemeinsam Teil einer Modellregion werden wollen, wird sich doch niemand aufregen. Problematisch wird es allerdings dann - und genau an diesem Punkt stehen wir gerade -, wenn die schulpartnerschaftliche Mitbestimmung aufgehoben werden soll, um ein politisches bzw. ideologisches Ansinnen mit aller Gewalt durchzusetzen, obwohl das niemand von den Betroffenen möchte.[17]
Das zu erarbeitende Konzept ist absolut nicht gegen jede wirtschaftliche bzw. pädagogische Vernunft, wie es Herr Dir. Röck und seine Mistreiter [sic] gerne sehen möchten. ALLE relevanten Forschungsergebnisse sprechen sich gegen eine frühe Bildungswegentscheidung auf der vierten Schulstufe aus,…
Was in den Medien überraschenderweise meines Wissens nach bisher nicht zu finden war, sind folgende Fakten:
11 der 28 EU-Staaten haben an Vergleichsstudien teilgenommen, bei denen Kinder im Alter von 10 und 15 Jahren in den Kompetenzen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften getestet wurden. „Der Leistungsrückstand auf andere EU-Staaten nach der Gesamtschule Volksschule wird in der differenzierten Unterstufe deutlich reduziert – eine enorme Leistung aller Schularten der Sekundarstufe I und nicht gerade ein Argument für die Gesamtschule. An EU-Staaten, die auf die Gesamtschule setzen, zieht Österreich mit seinem differenzierten Schulwesen vorbei.“[18]
PISA & Co ins Treffen zu führen, um für eine Gesamtschule zu plädieren, erweist sich folglich als völlig unangebracht.
Letztendlich geht es uns Eltern aber ganz bestimmt nicht nur um die Schulzeit unserer Kinder, sondern auch um das, was nachher kommt. Daher ist für uns Eltern sicherlich auch die Jugendarbeitslosigkeitsquote durchaus interessant. Im Gesamtschulland Italien beträgt sie 39,3%, in Frankreich und Finnland über 20%, in Ländern mit differenziertem Schulwesen wie Österreich 11,8% und Deutschland 7,1%[19], und in Bayern, das sich durch ein sehr stark differenziertes Schulwesen auszeichnet, gar nur 3,4%[20]. Trotzdem zieht es die politische Führung von Tirol, Vorarlberg und ganz Österreich anscheinend vor, sich an Südtirol anstatt Bayern zu orientieren. Warum?
Aufgrund der in manchen Ländern unglaublich hohen Jugendarbeitslosigkeitempfiehltdie OECD sogar ganz aktuell, vielfältige Wege innerhalb des Bildungswesens zur Verfügung zu stellen, um einen guten Übergang zu weiterführender Ausbildung bzw. einen gelungenen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu gewährleisten.[21]
Diese angesprochenen „multiple pathways within the education system“ sind allerdings genau das Gegenteil einer Gesamtschule. Sollen das tatsächlich irrelevante Forschungsergebnisse sein?
…weil dadurch die Kinder bereits in der Volksschule in einen unsäglichen Leidensdruck geraten. Durch eine gemeinsame Schule bis zum vierzehnten Lebensjahr wird diese fatale Situation schlagartig aufgehoben. Allein diese Tatsache würde die Einführung einer gemeinsamen Schule bereits jetzt flächendeckend rechtfertigen.
Ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob das in Tirol anders ist als bei uns im Osten, aber ich bin mir ziemlich sicher, unzählige Eltern in unserem ganzen Land können bestätigen, dass viele – wenn nicht sogar alle – Kinder nach 4 Jahren Volksschule bereit sind für etwas Neues. Ich habe weder den von Landesrätin Palfrader angesprochenen „unsäglichen Leidensdruck“ noch die „fatale Situation“, die eine Gesamtschule rechtfertigen würden, beobachten können. Es wäre durchaus interessant, wie einerseits die Kinder selber und andererseits die Eltern diesen Lebensabschnitt ihrer Kinder wahrnehmen. Das wäre sogar wesentlich relevanter für eine sinnvolle weitere bildungspolitische Vorgehensweise. Bestimmt könnte man über die Elternvertretung auf Landes- bzw. Bundesebene eine Erhebung diesbezüglich machen. In Zeiten wie diesen, in denen sich unsere Bundesregierung ernsthaft darum bemüht, Gesetzesänderungen vorzunehmen, die uns Eltern entmündigen sollen[22], stellt sich allerdings die Frage, ob es die politisch Verantwortlichen überhaupt im Geringsten interessiert, was Kinder und Eltern zum Thema Schule zu sagen haben.
Im Gegensatz zu der Falschinformation, dass Standortnachteile für die Wirtschaft zu befürchten seien, wird es zu Standortvorteilen kommen, weil wesentlich mehr Kinder eine gymnasiale Förderung erhalten als bisher.
In der von Landesrätin Palfrader so scharf kritisierten Einladung des Gymnasiums Landeck wird die Wirtschaft, geschweige denn Standortnach- bzw. -vorteile, nicht einmal erwähnt. Es geht lediglich um die Wirtschaftlichkeit, also um den sinnvollen und sparsamen Einsatz der vorhandenen Mittel. Offensichtlich kam es zu einer Verwechslung der Begriffe Wirtschaft und Wirtschaftlichkeit.
Abgesehen davon deutet die Formulierung „gymnasiale Förderung“ (die übrigens in der Bildungsreform nicht verwendet wird) darauf hin, dass es sich dabei um etwas Gutes handeln muss, wenn laut Landesrätin Palfrader sogar Standortvorteile für die Wirtschaft dadurch zu erwarten sind. Und trotzdem will sie das Gymnasium inklusive „gymnasialer Förderung“ abschaffen. Warum?
Das gilt ganz besonders für die entfernteren Regionen. Es ist auch nicht nachvollziehbar, warum - wie ebenfalls im Einladungsschreiben angegeben - eine Gesamtschule teurer sein soll als das Gymnasium. Eher berechtigt scheint die Frage nach der pädagogischen Sinnhaftigkeit von AHS-Unterstufen-Klassen mit 30 Schüler/innen, die sich dann in der Oberstufe auf die Hälfte reduzieren. Oder befürchten die AHS, dass in einer künftigen gemeinsamen Schule (noch) mehr Schülerinnen und Schüler die berufsbildenden Schulen bevorzugen?
Im Schulorganisationsgestz (SchOG) ist die Klassenschülerhöchstzahl mit 25 in der AHS-Unterstufe festgesetzt. In Landeck befinden sich momentan zwischen 17 und 23 Schüler in den jeweiligen Klassen. Der Durchschnitt beträgt 19,8 - von 30 weit entfernt. Falls es jemals zu einer Überschreitung der Klassenschülerhöchstzahl kommen sollte (wie von Landesrätin Palfrader suggeriert wird), müsste dann nicht die Bildungslandesrätin höchstpersönlich dafür sorgen, dass dieser gesetzeswidrige Zustand behoben wird?
Liebe Eltern und Erziehungsberechtigte! Ich bitte Sie als mündige und aktive demokratische Bürgerinnen und Bürger um kritische Prüfung der derzeit vorgetragenen Argumente.
In diesem Punkt spricht mir Landesrätin Palfrader aus der Seele!
Für einen Informationsabend mit ehrlicher und sachlicher Argumentation stehe ich gerne zur Verfügung.
Aufgrund der im obigen Text aufgezeigten widersprüchlichen und unsachlichen Darstellung der Lage führt sich dieses Angebot quasi selbst ad absurdum.
Mit freundlichen Grüßen
Die Amtsführende Präsidentin
LR Dr. Beate Palfrader
Birgit Friedrich hat Anglistik und Musikerziehung studiert, anschließend unterrichtet und ist momentan in unbezahlter Karenz, weil ihr Mann und sie der Meinung sind, dass es für ihre drei Kinder gut ist, wenn sie nach ein paar Stunden Kindergarten oder Schule wieder nach Hause kommen können.
Fußnoten:
[1] Personenbezogene Bezeichnungen umfassen gleichermaßen Personen männlichen und weiblichen Geschlechts.
[2] Presseaussendung der Schulpartner des Landecker Gymnasiums vom 15. Jänner 2016. (http://www.brg-landeck.at/node/180).
[3] Den gesamten Wortlaut findet man auf der Schulhomepage des Gymnasiums von Landeck unter dem Titel „Der Stein des Anstoßes“ (http://www.brg-landeck.tsn.at/node/186).
[4] Julia Neuhauser, Länder basteln an der Gesamtschule. In: Presse online vom 19. Jänner 2016.
[5] In Printausgabe der Tiroler Tageszeitung vom Do, 14.01.2016: Modellregion für gemeinsame Schule wird zur Konfliktzone.
[7] Mag. Dr. Beate Palfrader über Modellregionen. Zit. n. Peter Nindler, Modellregion für gemeinsame Schule wird zur Konfliktzone. In: Tiroler Tageszeitung online vom 14. Jänner 2016.
[8] Julia Neuhauser, Länder basteln an der Gesamtschule. In: Presse online vom 19. Jänner 2016.
[9] Brief des Tiroler AHS-Direktorenvereins an Mag. Dr. Beate Palfrader vom 28. Jänner 2016.
[11] Mag. Matthias Hofer, Mediensprecher der AHS-Gewerkschaft, www.rundschau.at am 3. Februar 2016.
[13] Ferdinand Eder et al., Evaluation der Neuen Mittelschule (Salzburg und Linz 2015), S. 151 und 236.
[15] Das wäre gesetzeswidrig! Kommentar dazu siehe Ende dieses Elternbriefes von Landesrätin Palfrader.
[17] Siehe: „Die Tiroler wollen die Gesamtschule nicht!“ (http://www.progymnasium.at/?p=8120).
[18] Eckehard Quin: "Wenn der Zweck die Mittel heiligt" (23. Jänner 2016).
[19] Quelle: de.statistica.com, Abfrage vom 7. März 2016: Jugendarbeitslosigkeit in Europa.
[20] Quelle: de.statistica.com, Abfrage vom 7. März 2016: Jugendarbeitslosigkeit nach Bundesländern (Deutschland).
[21] „Provide multiple pathways within the education system to enable smooth transitions into further education or the labour market.“ OECD (Hrsg.), (OECD Skills Outlook 2015 (2015), S. 72.).
[22] Julia Neuhauser, Länder basteln an der Gesamtschule. In: Presse online vom 19. Jänner 2016.