Den Islam aus den Menschen heraus verstehen

Ednan Aslan referierte und diskutierte einen langen Abend im „Club Unabhängiger Liberaler“. In der Folge ein zusammenfassender Bericht über die wichtigsten Aussagen des türkischstämmigen Theologen, der am Institut für Islamische Studien der Universität Wien für die Ausbildung muslimischer Religionspädagogen zuständig ist. Er ist ein Vorkämpfer eines aufgeklärten, demokratiekompatiblen „Euro-Islam“ und steht in vielen Fragen im Gegensatz zu den Positionen der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ), der offiziellen Vertretung der Muslime im Lande. Aufgefallen ist er zuletzt durch seine im Auftrag von Integrationsminister Sebastian Kurz erstellte, kritische Untersuchung islamischer Kindergärten in Wien.

Aslan verweist auf den syrisch-deutschen Politikwissenschaftler Bassam Tibi, der als einer der ersten den Begriff „Euro-Islam“ prägte. Dessen Bemühungen um die Ausbildung eines mit der europäischen „Leitkultur“ vereinbaren Islam blieben leider erfolglos. Die Vertreter eines traditionellen Islambildes hatten seine Thesen abgelehnt und von der Politik wurde der Mann im Stich gelassen.

Aslan sieht seine Aufgabe im Kampf gegen Vorurteile der nach Europa eingewanderten Muslime gegen die „westliche Kultur“. Diese Vorurteile basierten zum Teil auf Unwissenheit, die überwunden werden müsse. Dazu sei es erforderlich, auch eigene (muslimische) Positionen kritisch zu hinterfragen. Das allerdings sei nur im „freien Westen“ möglich und wäre in muslimischen Gesellschaften gegenwärtig undenkbar.

Aslans Position erweist sich als zutiefst humanistisch, wenn er die Forderung erhebt, die Religion nicht von Gott her, sondern aus dem Menschen heraus zu verstehen. Dann nämlich würde auch das Lebensumfeld in die Deutung einfließen und eine Prägung des Islam im europäischen Kontext zulassen.

Die Trennung von Islam und Scharia wird damit zur unabdingbaren Notwendigkeit. Denn Gesetze stehen nicht im Koran, sind also keineswegs göttliche Gebote, sondern sind eindeutig Menschenwerk und stehen daher nicht unverrückbar fest.

Die Ausbildung der „Pluralitätsfähigkeit“ der Muslime sei ebenso erforderlich. In Europa müssten Muslime mit der Tatsache umgehen lernen, eine religiöse Gemeinschaft neben anderen zu bilden und keinen Absolutheitsanspruch erheben zu können (wie in Afghanistan, der Türkei oder Syrien). Diese Forderung könne übrigens aus dem Koran herausgelesen werden – wie allerdings auch die Apologie für sämtliche Untaten und blutigen Verbrechen, die von Vertretern des IS begangen werden.

Derart offene Worte sind aus dem Mund von Muslimen – falls überhaupt – sehr selten zu hören. Meist wird ja kolportiert, der IS (oder andere muslimische Mordbrenner) missbrauche oder fehlinterpretiere den Koran, um eine zerstörerische Politik zu rechtfertigen. Mit dem Islam hätten derlei Dinge nicht das Geringste zu tun…

Die Frauenfeindlichkeit des Islam sei eine Tatsache, der nur die im Westen lebenden Muslime (besonders die gebildeten Frauen unter ihnen) mit Aussicht auf Erfolg entgegentreten könnten. In der islamischen Welt wäre das unmöglich. Dort erlebte pluralistisches Denken vielmehr eben einen Rückschlag. Beispiel: die Zahl der islamisch-theologischen Fakultäten in der Türkei ist seit 2004 von 27 auf 157 gewachsen. Hier wird eine absolut „konservative“ Version des Islam gepflegt, die in der westlichen Welt ein klares Feindbild sehe. „Die Türkei entwickelt sich derzeit in Richtung Saddam Hussein.“

Auch im Westen würden leider Stereotype gepflegt. Wird etwa eine Muslima zur Teilnahme an einer TV-Debatte eingeladen, so muss es unbedingt eine Kopftuchträgerin sein. Muslimische Frauen, die auf dieses Accessoire verzichten, würden zu weit vom hier gepflegten Bild abweichen und wären daher für mediale Zwecke unbrauchbar.

Aslan kämpft dafür, den Widerspruch zwischen Islam und Demokratie aufzulösen. Voraussetzung dafür sei, dass der einzelne Gläubige frei wählen und entscheiden dürfe – und sich gegebenenfalls auch gegen Gott und dessen Gebote stellen dürfe(!).

Der Umgang mit Homosexuellen sei deshalb problematisch, weil deren Tötung durch den Koran gedeckt sei. Kapitale Verbrechen an ihnen könnten folglich (wie auch andere, etwa solche an „Ungläubigen“) mit völlig reinem Gewissen verübt werden, weil sie theologisiert und „im Namen Gottes begangen werden“.

Um die Sache eines „aufgeklärten Islam“ in Europa stehe es unter anderem deshalb nicht gut, weil große Geldsummen aus konservativen Golfstaaten wie Saudi-Arabien oder aus der Türkei direkt an moslemische Religionsverbände oder Moscheevereine in Europa fließen würden, womit die Pflege traditioneller auf Feindbilder fixierter Ideen gefördert werde. In diesem Umfeld sei man (vorerst) sehr daran interessiert, den Islam am Rande der Gesellschaften zu halten, sich allen Integrationstendenzen zu widersetzen und stattdessen Parallelgesellschaften zu etablieren und zu zementieren.

Die Rolle der Muslime, die in Europa als Minderheit in „feindlichen“ Mehrheitsgesellschaften leben, sei neu und ungewohnt für sie. So definierten viele von ihnen sich durch eine Abwertung der Mitglieder dieser westlichen Mehrheitsgesellschaften - als Ungläubige, Huren, Schweinefleischfresser, Alkoholsäufer, etc.

In der anschließenden Diskussion wurde – mehr noch als im Vortrag - deutlich, dass die Ausbildung des von Aslan vertretenen Ideals einer „westkompatiblen“, aufgeklärten Version des Islam, wohl nicht zu Lebzeiten der Anwesenden erfolgen wird. Insbesondere der gegenwärtig erfolgende, millionenfache Zuzug von Menschen aus einem dem Westen (durchaus nicht ganz unbegründet) zutiefst feindselig gegenüberstehenden Kulturkreis, lässt nichts Gutes erwarten.

Aslan, so steht zu fürchten, wird – wie vor ihm schon Bassam Tibi – ein einsamer Rufer in der Wüste bleiben und gegen die übermächtige Phalanx der religiösen Traditionalisten seiner Glaubensrichtung kaum etwas ausrichten können. Dies umso weniger, als die heimische Politnomenklatura sich durch exemplarische Konfliktscheu und Feigheit auszeichnet, die sich etwa darin manifestiert, dass sie ausschließlich mit den (teilweise konservativen, teils explizit rechtsradikalen) Mehrheitsverbänden der hier ansässigen Muslime kooperiert und den wenigen Liberalen wie Aslan damit kaum noch Entfaltungsmöglichkeiten lässt.

Religiöse Auseinandersetzungen werden in der islamischen Welt bekanntlich mit deutlich härteren Bandagen geführt als innerhalb der christlichen Kirchen. Nicht wenige kritische Geister, die traditionelle muslimische Glaubensinhalte hinterfragten, wurden von geistlichen Autoritäten bereits der Apostasie beschuldigt und brutal verfolgt.

Professor Aslan gebührt daher die größte Hochachtung dafür, dass er es auf sich nimmt, mit seinem mutigen Eintreten für einen modernen Islam sein Leben keineswegs einfacher (und gefahrloser) zu machen. Gäbe es mehr couragierte Korankundige seines Zuschnitts, müsste man sich als in der Alten Welt lebender „Ungläubiger“, wesentlich weniger Sorgen im Hinblick auf den Zusammenstoß der Kulturen machen.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.

 

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