Die Gesundheit stellt einen der höchsten persönlichen und gesellschaftlichen Werte dar. Der Philosoph Arthur Schopenhauer hat die Bedeutung der Gesundheit einst treffend beschrieben: „Gesundheit ist zwar nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.“ Trotzdem werden gerade im Gesundheitssektor der Sparstift, die umfassende Ökonomisierung und die Ausgabendämpfung immer mehr zu Götzen gemacht. Die Frage ist aber: warum sollte ein Gesundheitssystem nur dann gut sein, wenn es möglichst wenig kostet?
Die reine Ausrichtung an den Kosten und das Streben nach einem möglichst geringen Anteil der Gesundheitskosten am BIP ist doch letztlich ein paradoxer, ja sogar absurder Ansatz: Die logische Konsequenz der Sparwut in der Krankenversorgung wäre die Abschaffung derselben, weil naturgemäß nur ein Gesundheitssystem, das man gar nicht erst anbietet, das billigste ist.
Doch Ironie beiseite: Ein wirksames Gesundheitswesen muss angesichts der hohen Wertigkeit des Begriffs „Gesundheit“ vorrangig an anderen Kriterien gemessen werden als an der reinen Kostenfrage. Ökonomisches Denken ist freilich eine Grundvoraussetzung für jedes gelingende Wirtschaften und Effizienz ist in jedem Bereich des Lebens sinnvoll. Ergo sind auch im Gesundheitswesen Effizienz und Kostenbewusstsein notwendig. Eine kontrollierbare Qualität und deren Sicherung sind desgleichen beachtliche Kriterien, denen Tribut zu zollen ist.
Aber im Gesundheitssektor gelten auch und vor allem noch andere Prämissen und die kann man nicht in Zahlen und Parameter gießen. Es geht bei der Krankenversorgung immer um die Bekämpfung von persönlichem Leid und das ist nicht in Zahlen messbar. Zunehmend wird auch die Prävention ein Hauptthema im Gesundheitswesen, auch deren Nutzen ist nicht sofort zahlenmäßig erkennbar. Die Verhütung von Krankheiten bringt den einzelnen Menschen und der Volksgesundheit viel, sie kostet aber natürlich Geld. Diese Ausgaben könnte man daher als Investment betrachten – doch für die öffentlichen Einrichtungen ist die Prävention nur ein Kostenfaktor, weil ja immer der aktuelle Jahresabschluss möglichst schön aussehen muss. Langfristige Investitionen in die Prävention sind daher für die Krankenkassen ein ungeliebtes Randthema.
Slogans wie „Der Mensch im Mittelpunkt“ begleiten zwar alle gesundheitspolitischen Debatten. Sie beweisen aber nur, wie wenig dieser Anspruch Realität ist. Je mehr von den System-Verantwortlichen betont wird, wie wichtig der Mensch sei, desto hohler klingt deren Bekenntnis. Fakt ist: Der Mensch, seine überall so gern zitierte Würde und seine persönlichen, durch Krankheiten bedingten Nöte werden durch die sparwütigen Ökonomiebestrebungen und die daraus entstehenden bürokratischen Überregulierungen sukzessive ausgeblendet.
Und dennoch bleibt es die zentrale Forderung: Das Individuum muss im Gesundheitssystem eine Aufwertung erfahren. Und das geht nur, wenn es deutlich mehr mitbestimmen kann. Diese Mitbestimmung betrifft nicht nur das Wissen über Diagnose- und Therapie-Verfahren, sondern auch die Kenntnis der finanziellen Modalitäten im Gesundheitswesen.
Versorgungssysteme wie die unseren, die über Pflichtmitgliedschaften ihre Gelder eintreiben, danach frei über diese verfügen und dem Patienten fast keine Mitbestimmungsrechte einräumen, sind wenig dafür geeignet, Mündigkeit und Verantwortung zu fördern. Ein Beleg für diese These: Nur eine Minderheit der Österreicher kennt die Höhe ihrer monatlichen Krankenkassenbeiträge und die wenigsten wissen über ihre persönlichen Gesundheitskosten Bescheid.
Die bei uns gern geübte Phraseologie der Gratis-Versorgung bei gleichzeitiger Dauer-Warnung vor den hohen Kosten ist eine paternalistische und heuchlerische Attitüde, da dem mündigen Bürger die Kostenwahrheiten solcherart verheimlicht werden. Das mündige Individuum wird durch diese Irreführung letztlich auch nicht wirklich ernstgenommen. Dabei wissen wir: die Wahrheit ist zumutbar – auch die Kostenwahrheit.
Von Seiten der Finanz-Verwalter wird vor allem der Ärzteschaft immer wieder vorgeworfen, dass die Mediziner die größten Kostentreiber im System seien. In den Argumentationslinien der Ärztekritiker bleibt dabei aber gerne unerwähnt, dass die Ärzte nicht nur Geld kosten, sondern dass sie ja auch die Hauptlast der medizinischen Verantwortung tragen – weil sie eben Ärzte sind. Und gute ärztliche Arbeit ist ihr Geld wert, so wie jede gute und verantwortungsvolle Arbeit in anderen Bereichen auch ihr Geld wert ist.
Außerdem gehen die allermeisten Leute nicht aus Jux und Tollerei zum Arzt, sondern weil sie krank sind oder Vorsorge betreiben wollen und sich vom Arzt Beratung und professionelle Hilfe erwarten. Die bekommen sie auch und das kostet natürlich Geld. Trotzdem wird oft so getan, als ob im Gesundheitssystem die Ware „Gesundheit“ gratis zu haben wäre und alle nur deswegen so sparsam sein müssten, weil die medizinischen Akteure und die Medikamente so viel kosten.
Um die Ziele Selbstbestimmung und Kostenbewusstsein zu erreichen, brauchen wir nicht nur mehr sogenannte „Health Literacy“ (also Gesundheitsbildung und Gesundheitsverantwortung des einzelnen Bürgers), sondern auch generelle Selbstbehalte. Als Grundlage könnte dazu ein österreichweiter Leistungskatalog dienen, in dem festgeschrieben wird, wie viel welche Leistung wo kostet und wie viel der Bürger jeweils dazu beitragen muss, falls er diese oder jene Leistung in Anspruch nimmt. Einkommensbedingte Härtefälle sind wie bisher (Stichwort Rezeptgebührenbefreiung) von Selbstbehalten auszunehmen.
Über Selbstbehalte lassen sich nachweislich gute Steuerungseffekte und ein besseres Kostenbewusstsein beim Einzelnen erzeugen. Außerdem stellen sie für den Bürger ja auch ein Kontrollinstrument dar. Selbstbehalte müssen nur klar definiert, für jeden gleichermaßen gültig und nachvollziehbar sein. Die sogenannten Kleinen Kassen (wie z.B. die Sozialversicherung der Selbstständigen oder die Beamtenversicherung) betreiben dieses System seit jeher – und das mit gutem Erfolg.
Zu guter Letzt müssen statt des vorherrschenden Paradigmas „Möglichst Billig!“ sinnvollere Kriterien für die Beurteilbarkeit und Wirksamkeit eines hochentwickelten öffentlichen Gesundheitssystems etabliert werden. Zu aller erst muss gelten: was ambulant behandelbar ist, soll auch ambulant behandelt werden, denn wenn es Kosten gibt, die wirklich zu hoch sind, dann sind es die Spitalskosten. Um im ambulanten Bereich besser zu werden, brauchen wir eine Stärkung der hausärztlichen Primärversorgung. Im Weiteren müssen vor allem das Ausmaß der Patientenzufriedenheit und die Anzahl der gesunden Lebensjahre mehr Beachtung finden. Last not least sind durchschaubare Finanzierungsbedingungen und einheitliche Qualitätskriterien notwendig. Das alles funktioniert aber nur, wenn wir endlich die Überwindung der noch immer bestehenden strikten Trennung von ambulanter und stationärer Medizin schaffen.
Dr. Marcus Franz ist Arzt und Nationalrats-Abgeordneter in der Fraktion der ÖVP.