Man schreibt den 19. Jänner 1946. In dem von sechs Hundertschaften Polizei umstellten Budaörs, einem Budapester Vorort mit deutschem Ortsnamen Wudersch, werden die „Schwaben“ aus den Betten geholt. Nur das Allernötigste dürfen sie zusammenklauben, bevor sie zum Gemeindeamt getrieben werden, wo man ihre Namen mit Listen vergleicht. Weiter geht's zum Bahnhof. In bereitstehenden Viehwaggons verlassen 1.058 Bewohner die Ortschaft; am 30. Jänner kommen sie in Aalen, 80 Kilometer östlich von Stuttgart, an. Ein zweiter Transport mit 1.054 Menschen erreicht am 1. Februar Göppingen. So geht es Schlag auf Schlag: Binnen fünf Wochen sehen sich 6.753 Wuderscher wie Vieh nach Württemberg und Baden verfrachtet.
General Lucius D. Clay will sich persönlich von der Einhaltung der von der alliierten Kontrollkommission erlassenen Bestimmungen überzeugen. „Die Ausgewiesenen“, notiert der amerikanische Oberbefehlshaber nach Ankunft der ersten Züge in seiner Besatzungszone, „wurden ohne Proviant und nur mit dem notdürftigsten Gepäck versehen, zusammengestellt; hungrig und armselig kamen sie an.“ Nicht zuletzt auf Clays Protest hin wird das Transport- und Aufteilungsregime etwas gemildert. Die Amerikaner schicken bisweilen Züge zurück, weigern sich schließlich sogar, weitere Vertriebene in ihrem Besatzungsgebiet aufzunehmen, so daß die Austreibung der Deutschen aus Ungarn ins Stocken gerät.
Erst am 22. Juni und am 23. August 1947 gehen daher aus Wudersch die beiden letzten Transporte nach Hoyerswerda ab, in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ). Hernach ist Budaörs, von dessen 9.814 Einwohnern sich 8.448 in der Volkszählung vom 21. Dezember 1941 zu ihren deutschen Wurzeln bekannt hatten, „frei von Schwaben“.
So auch im benachbarten Budakeszi: In vier Transporten müssen 3.800 „Schwaben“ im März 1946 ihr Wudigeß in Richtung Süddeutschland verlassen. Dorf für Dorf, Komitat (Bezirk) für Komitat, in denen die Schwaben („svábok“) seit Generationen leben, leeren sich. In besagter Volkszählung hatten 477.057 Personen „deutsch“ als ihre Volks- oder Sprachzugehörigkeit angegeben; 136.847 Staatsbürger deutscher Nationalität verließen ungarischen Quellen zufolge bis zum 1. September, weitere 24.789 bis Dezember 1946 Ungarn. General Clay hielt 168.000 als Zahl der Ankömmlinge in seinem Besatzungsgebiet fest.
Auf seine Anordnung hin endete am 1. Dezember 1946 die „Aussiedlung“ (kitelepítés) – so der beschönigende amtliche Sprachgebrauch – in den amerikanisch besetzten Teil Deutschlands. Zwischen Frühjahr 1947 und Sommer 1948 verbrachte man daher gut fünfzigtausend Deutsche aus Ungarn in die SBZ, von denen viele bald den Weg in die Westzonen wählten. Vertriebene, Kriegsflüchtlinge und Heimkehrer aus der Sowjetunion, wohin 64.000 zur Zwangsarbeit deportiert worden und von denen 16.000 zu Tode gekommen waren, machten insgesamt 225.000 Ungarndeutsche aus, soweit sie in der Bundesrepublik als Ausgesiedelte amtlich registriert worden waren.
Fragwürdige Rolle der Alliierten
Die Vertreibung selbst war in der Verordnung Nr. 12 330 amtlich bekanntgemacht und im Ungarischen Staatsanzeiger (Magyar Közlöny) Nr. 211 vom 29. Dezember 1945 veröffentlicht worden: „Aufgrund des Beschlusses der Regierung und der alliierten Kontrollkommission vom 20. November 1945 über die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung Ungarns nach Deutschland wird verfügt: Zur Umsiedlung sind jene ungarischen Staatsbürger verpflichtet, die sich anläßlich der letzten Volkszählung zur deutschen Nationalität oder Muttersprache bekannt haben oder die ihren magyarisierten Namen wieder in einen deutsch klingenden umändern ließen, ferner diejenigen, die Mitglied des Volksbundes oder einer bewaffneten deutschen Formation (SS) waren.“ Die Anordnung berief sich auf die Legitimierung durch die Konferenz von Potsdam (17. Juli bis 2. August 1945).
In Punkt XIII des dort geschlossenen Abkommens heißt es: „Die drei Regierungen haben die Frage von allen Seiten beleuchtet und sind zu der Ansicht gelangt, dass eine Überführung der deutschen Bevölkerung oder von deutschen Bevölkerungselementen, die in Polen, der Tschechoslowakei oder in Ungarn geblieben sind, nach Deutschland vorgenommen werden muss. Sie sind sich darüber einig, daß dies auf eine geordnete und humane Weise geschehen soll.“
Aus Sitzungsprotokollen der Alliierten geht gleichwohl hervor, daß die Vertreibung der Ungarndeutschen ursprünglich gar nicht vorgesehen war. Völlig unerwartet für Generalmajor William S. Key, den Vertreter der Vereinigten Staaten (nach dem 5. Juli 1946 Brigadegeneral George Hatton Weems), sowie für Generalmajor Oliver P. Edgcumbe, der Großbritannien vertritt, wird das Thema am 16. Juni 1945 auf die Tagesordnung gesetzt. Sowjet-Marschall Kliment Jefremowitsch Woroschilow, Leiter der alliierten Kommission, unterbreitet das Ersuchen der ungarischen Regierung um „Repatriierung der Schwaben in ein von der Grenze des Landes weit entferntes Gebiet“. Edgcumbe will das gesamte Vorhaben genauer definiert wissen, es ähnele eher einer Deportation (Zwangsverschickung) als einer Repatriierung (Rücksiedlung). Woroschilow ist einverstanden, in späteren Sitzungen ist stets von Deportation, bisweilen auch von Vertreibung (expulsion) die Rede.
Anordnung oder Genehmigung?
Daß die „Aussiedlung der Schwaben“ somit nicht, wie in Ungarn jahrzehntelang offiziell dargestellt, eine Folge der (sie hernach gutheißenden) Beschlüsse von Potsdam gewesen, sondern von seiner damaligen Regierung in die Wege geleitet worden ist, beweist auch das alliierte Sitzungsprotokoll vom 25. Jänner 1946. Demnach führte die Formulierung „auf Weisung der Siegermächte“ zum Einschreiten.
Key trug vor, er habe Klagen gehört über die Auswahl der zu Deportierenden und über das Verfahren als solches. Der amerikanische General schlug vor: Da die vom späteren Staatspräsidenten Zoltán Tildy, einem reformierten Pfarrer, unterzeichnete Verordnung vom 29. Dezember 1945 behaupte, die Aussiedlung geschehe „auf Anordnung der alliierten Kontrollkommission“, müsse der Text in „mit Genehmigung“ derselben umgeändert werden, denn die ungarische Regierung habe sie von sich aus beantragt. Woroschilow fand sich sofort zur entsprechenden Anweisung bereit und fügte an, er werde „auch in der für die ungarischen Zeitungen bestimmten Veröffentlichung klarmachen, daß die Deportation das Ergebnis eines von der ungarischen Regierung gestellten Antrags“ sei.
Es sind auch nicht, wie häufig behauptet, die Kommunisten allein gewesen, die die Ungarndeutschen kollektiv büßen ließen. Alle den „Schwaben“ geltenden Maßnahmen – Enteignung, Entrechtung, Vertreibung, Umsiedlung Verbleibender innerhalb Ungarns – wurden zwischen 1945 und 1947 ergriffen, als in der Regierung überwiegend ungarisch-nationale Parteien das Sagen hatten. Am 4. November 1945 fand die Wahl zur Nationalversammlung statt. Von den 4.730.409 abgegebenen gültigen Stimmen entfielen 2.697.508 auf die Partei der Unabhängigen Kleinlandwirte (57,03 Prozent), auf Sozialdemokraten 823.314 (17,41), Kommunisten 802.122 (16,95), Nationale Bauernpartei 325.284 (6,87), Demokratische Partei 76.424 (1,62) sowie auf die Radikale Partei 5.757 Stimmen (0,12 Prozent). Von den sechzehn Ministern der ersten Nachkriegsregierung stellten die Kommunisten vier.
Verschwiegen werden darf auch nicht, dass just mit Beginn der kommunistischen Alleinherrschaft im Lande (1948) nichtungarischen ethnischen Gemeinschaften erste Erleichterungen zuteil wurden. Und ausgerechnet der Stalinist Mátyás Rákosi sollte 1950 alle von Vorgängerregierungen gegen die verbliebenen Deutschen erlassenen Gesetze aufheben.
„Deutsches Gift“
Selbstredend war den aus Moskau zurückgekehrten führenden ungarischen Kommunisten der Gedanke kollektiver Bestrafung nicht fremd. Enthalten war er im Konzept für eine radikale Bodenreform, das Imre Nagy, seinerzeit Agrarreferent der „Moskowiter“, vor Bildung der provisorischen Regierung in Debrecen 1944 ausgearbeitet hatte. Es sah vor, „Vaterlandsverräter, Kriegsverbrecher, Mitglieder des deutschen Volksbunds und Personen, die in der Wehrmacht gedient haben, vollständig und entschädigungslos zu enteignen“. Andererseits propagierten nationalistische Kreise Ungarns die „Kollektivbestrafung der Schwaben“.
Besonders die Nationale Bauernpartei rührte die Trommel. Generalsekretär Imre Kovács wetterte auf einer Versammlung am 7. April 1945: „Endlich kann Ungarn sein Verhältnis zu Deutschland und zu den Schwaben bereinigen. Die Schwaben haben sich selber aus dem Körper der Nation herausgerissen und in allen ihren Taten bewiesen, daß sie mit Hitler-Deutschland fühlen. Nun sollen sie auch Deutschlands Schicksal tragen. Wir werden sie aussiedeln.“ Und „Kis Újság“, Parteiorgan der Kleinlandwirte, stimmte ein: Das „deutsche Gift“ müsse „ausgeleitet, das deutsche Geschwür aus dem nun heilenden Körper der Nation herausgeschnitten“ werden, hieß es in der Ausgabe vom 18. April 1945.
Nationalisten, Turanisten
Für solcherart Nationalismus, der sich zu Kriegsende gegen die „Schwaben“ Bahn brach, hatte schon im neunzehnten Jahrhundert kein Geringerer als István Graf Séchenyi, „der größte Ungar“, die Richtung gewiesen. Sie mündete in Rassismus. Séchenyi betrachtete „die Verbreitung des Ungarntums als heiligste Aufgabe eines jeden Magyaren“. Leute wie er vermochten die nationalen Leidenschaften der Ungarn zu wecken, und bisweilen verwandelten sie sich in Hass gegen alles Deutsche. Sándor Petöfi war dagegen ebensowenig gefeit wie andere ungarische Dichter, so Jószef Eötvös, János Arany, Endre Ady und Deszö Szabó: letzterem galt „der Deutsche als Feind des Ungarn schlechthin“.
Die Gründe hierfür sind vornehmlich im völkischen Nationalismus zu suchen. Der fand im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert auch unter den Magyaren fruchtbaren Nährboden und seinen Niederschlag in der Propagierung des „Turanismus“, des Bekenntnisses zur Zugehörigkeit zu den turanischen Völkerschaften: der Turkvölker, Mongolen, Finno-Ugrier, Kaukasier, Mandschu, Samojeden, Tungusen, Japaner und Koreaner, die mythisch überhöht und literarisch verherrlicht wurden. Magyarentum vollendete sich in den Augen der Turanisten nicht allein in der Beherrschung der ungarischen Sprache, sondern zumal in der Zugehörigkeit zu ebendieser Rasse.
Assimilierte konnten nach dieser Anschauung keine vollwertigen Ungarn werden, deshalb galt: „Wer nicht assimiliert ist, hat in Ungarn nichts zu suchen.“ Vorsitzender der „Turaner“ war Pál Graf Teleki. Der zweimalige Ministerpräsident nach dem Ersten Weltkrieg sagte von sich: „Ich bin Asiate und stolz darauf.“
Nach Teleki, der durch Selbstmord endete, führte Jenö Cholnoky die „Ungarische Gesellschaft der Turaner“ (Magyarországi Turán Szövetség), die sich vornehmlich gegen Deutsche, Juden und Zigeuner wandte. In den „Turanischen Liedern“ des Árpád Zempléni, einer Art Nachdichtung von historischen Sagen und Heldengesängen, die unter der Intelligenz Ungarns hoch im Kurs stand, galten Deutsche als „arische Teufel“.
Weshalb sich Deszö Szabó in Analogie zur verklärten Staatsbildung im Mittelalter für eine „neue, endgültige innere Landnahme der Magyaren“ aussprach und zu diesem Zweck als erstes Mittel „die rassische Säuberung der Umgebung der Hauptstadt“ propagierte. Und sein jüngerer Schriftstellerkollege Gyula Illyés befand, die „Schwaben“ seien „von den Habsburgern in der Absicht angesiedelt worden, die Ungarn zu unterwerfen und zu germanisieren“; daher könne man sie „getrost vertreiben“. Dies war kein Hinderungsgrund für die Alfred Toepfer Stiftung F.V.S., ihn 1970 mit dem (zwischen 1964 und 2006 stets an der Universität Wien verliehenen) Herder-Preis auszuzeichnen.
Blindwütige Magyaromanie
Es gab also lange vor der tatsächlichen Vertreibung in literarisch-politischen Zirkeln diskutierte Pläne zur Um- oder Aussiedlung. Blindwütige Magyaromanie herrschte in den Reihen der Nationalen Bauernpartei. Der erwähnte Imre Kovács brüstete sich: „Wir waren es, die in der Schwaben-Frage die radikalsten Töne angeschlagen haben. In den tieferen Schichten aller ungarischen Probleme steckte schon immer die Schwaben-Frage.“
Zu deren Erörterung berief Ferenc Erdei, Führer der Bauernpartei, zum 14. Mai 1945 eine interfraktionelle Sitzung der Spitzen der die provisorische Regierung bildenden Parteien ein. Innenminister István Bibó widerriet kollektivem Vorgehen und wandte sich gegen eigenwillige, überdies ungesetzliche Aktionen wie jene des György Bodor. Dieser rühmte sich seiner Taten als (selbsternannter) Regierungskommissar: „Schloß Apponyi in Lengyel haben wir zum KZ ausgerufen“; mit Wissen Erdeis hatte er zwischen 25. und 29. April in der Branau (Komitat Baranya) mehr als 12.000 Bewohner rein deutscher Ortschaften aus Häusern und Höfen verjagen und im Internierungslager Lengyel (Lendl) auf freiem Feld hinter Stacheldraht kampieren lassen, bis sie später außer Landes gebracht wurden.
Die Behausungen der Internierten erhielten vorwiegend Angehörige zweier ungarischer Volksgruppen, der Székler Csángós, die in die Vojvodina sowie in die Batschka umgesiedelt worden waren und gegen Kriegsende vor Titos Partisanen fliehen mußten. Die Geschehnisse um das Lager Lengyel waren sozusagen Probelauf für die folgende Kollektivbestrafung der „Schwaben“. Bibó gelang es indes trotz seines mutigen Urteils über den Volksbund – „viele traten ihm einfach darum bei, weil sie selbstbewußte Deutsche waren und sich nicht assimilieren lassen wollten“ – und trotz seiner Denkschrift wider deren Vertreibung nicht, deren Schicksal zu mildern. Aus Protest gegen die Zwangsaussiedlung trat er von seinem Posten als Innenminister zurück, auf dem ihm Ende 1945 Erdei folgte.
Willkommene Enteignungsmaßnahme Bodenreform
So war am 17. März die Verordnung 600/1945 über die von Imre Nagy (Landwirtschafts-, später Innenminister; 1956 als Regierungschef Idol der Aufständischen, sodann interniert und hingerichtet, heute einer der Nationalhelden) entworfene Bodenreform erlassen worden. Sie sah die Enteignung aller „faschistischen Kräfte“ vor, neben den Pfeilkreuzlern die Mitglieder des als nationalsozialistische Organisation gebrandmarkten Volksbunds. Deren Kollektivbestrafung fußte auf der „Verordnung über die Volksgerichtsbarkeit“ vom 27. April 1945, der zufolge in die Liste derer, die ein „volksfeindliches Verbrechen“ begangen haben sollten, aufzunehmen war, wer, „ohne dass ihm gegenüber Zwang ausgeübt wurde, als Mitglied in den durch die Deutschen in Ungarn gegründeten Volksbund eingetreten ist“. Darauf wiederum gründete die am 30. Juni 1945 erlassene Regierungsverordnung 3820 betreffend „Überprüfung der Treue zur Nation“. Sie lieferte die Handhabe zur Entrechtung, Enteignung sowie Aburteilung und kategorisierte:
- nach „Volksbund“- respektive „Pfeilkreuzler-Führern“ und „Angehörigen der Waffen-SS“;
- nach „einfacher Mitgliedschaft bei Volksbund und Pfeilkreuzlern“;
- nach „Nicht-Mitgliedern sowie Abseitsstehenden, die keine vaterländische Gesinnung zeigten“.
Und dem am 10. Mai 1945 eigens eingerichteten „Volkswohlfahrtsamt“ war aufgegeben, „Aufgaben im Zusammenhang mit der Aussiedlung der faschistischen Deutschen“ zu übernehmen.
Kollektivverantwortung?
Innenminister Erdei plädierte für eine getarnte Lösung: Grad der Schuld und Personenkreis seien „so auszuweiten, dass praktisch doch der größte Teil der Deutschen ausgesiedelt werden könnte“. Außenminister János Gyöngyösi von der Kleinlandwirte-Partei warf ein, die Vertretung der Sowjetunion habe „auf das entschiedenste erklärt, dass sie die Frage der Deutschen als internationale behandeln“ wolle. Zur Vorsicht riet der Sozialdemokrat Árpád Szakasits: Die Frage der Kollektivverantwortung „könnte auch gegenüber dem Ungarntum aufgeworfen werden“. Dagegen stellte der Kommunist Rákosi eine mögliche Verknüpfung mit den in der Tschechoslowakei von Vertreibung bedrohten Ungarn in Abrede, „besonders, wenn wir festlegen, dass wir sie nicht als Deutsche, sondern als Faschisten verfolgen“.
Zoltán Tildy von der Kleinlandwirte-Partei befürwortete die Aussiedlung der Volksbündler in Gebiete, von wo aus sie nicht nach Ungarn hineinwirken können sollten. Und fügte hinzu: „An das schwäbische Vermögen müssen wir über die Bodenreform herankommen.“ Unterrichtsminister Géza Teleki, Sohn des früheren Regierungschefs, und Vilmos Zentai (ursprünglicher deutscher Familienname: Zuschlag), Sozialdemokrat aus Pécs (Fünfkirchen), beurteilten den von Kovács unterbreiteten Vorschlag, „die Unbelasteten zum freiwilligen Weggang zu bewegen“ skeptisch.
Teleki befand: „Ich halte die magyarische Rasse für gesund genug, um mit diesem Rest von Deutschen fertig zu werden, das heisst, sie ins Ungarntum einzuschmelzen. Die Volksbündler sollten wir in Arbeitslagern für uns nutzbar machen, die Tüchtigeren würde ich auf karge Böden setzen, wo sie infolge ihrer hohen Arbeitskultur noch etwas für uns herauswirtschafteten. Die Zersiedlung der Schwaben ist notwendig, und ich glaube, sie gehen in zehn bis zwanzig Jahren im Ungarntum auf.” Kovács widersprach: Die endgültig blieben, müssten in geschlossene Siedlungen, damit habe man sie besser unter Kontrolle.
„Nationale Homogenisierung“
Aus den von Erdei in der folgenden Regierungssitzung vorgetragenen Ergebnissen, in deren Sinn sodann Gyöngyösi mit Woroschilow die „Schwaben-Frage“ erörterte, resultierte schließlich die am 26. Mai formell an die Sowjetunion gerichtete Note: „Die ungarische Regierung ist zu dem Entschluss gelangt, dass es notwendig ist, jene Deutschen, die die Sache Ungarns verrieten und in den Dienst Hitlers traten, aus dem Lande zu entfernen, weil nur auf diese Weise sicherzustellen ist, dass der deutsche Geist und die deutsche Unterdrückung nicht mehr darin Herr werden.“ Sie ersuche die Sowjetunion um ihr Einverständnis, die zu entfernenden Deutschen – 200.000 bis 250…000 an der Zahl – nach Deutschland auszusiedeln.
Neben die von den tonangebenden Parteien der Regierungskoalition verfolgte nationale Homogenisierung, die bruchlos an die Tradition forcierter Magyarisierungspolitik seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts anknüpfte, traten die Sorge und Obhutspflicht für die aus der Nachbarschaft einströmenden ethnischen Ungarn als zweites, schließlich die Bodenreform als drittes Vertreibungsmotiv.
Dabei deckten sich Interessen der Nationalen mit Intentionen von Sozialdemokraten und vor allem Kommunisten. Imre Nagy tat kund, die Bodenreform entspreche „der Auffassung sämtlicher demokratischer Parteien“, wenngleich er hinzufügte, sie stütze sich „in erster Linie auf den Entwurf der Bauernpartei“, wonach „der Grundbesitz von Volksverrätern, Kollaborateuren, Pfeilkreuzlern und Angehörigen der deutschen ,fünften Kolonne' konfisziert“ werde. Großgrundbesitz von mehr als 100 Joch (56 Hektar) – sei er privat, kirchlich oder staatlich – werde „aufgelöst und an Millionen von Kleinbauern und landlose Agrarproletarier verteilt“.
Platz für Magyaren
In Ungarn, das sich infolge des Kriegsergebnisses wieder auf Trianon-Größe von 1920 gestutzt sah – in den Wiener Schiedssprüchen 1938 und 1940 hatte es Teile der damals verlorenen Gebiete zurückerhalten – , war auch Platz zu schaffen für Magyaren aus Siebenbürgen, aus der Karpatoukraine, der Moldau, aus der Batschka sowie der Vojvodina und nicht zuletzt auch aus der Slowakei.
Zwar sah das am 27. Februar 1946 unterzeichnete „Abkommen über Bevölkerungsaustausch“ vor, dass Prag und Pressburg, wo die Beneš-Dekrete nicht nur für die Sudetendeutschen, sondern auch für die Magyaren galten, nur so viele austreiben sollten, wie Angehörige der slowakischen Minderheit Ungarn verließen. Infolgedessen gingen 60.000 ethnische Slowaken vertragsgemäß aus Ungarn fort, während 90.000 Magyaren aus der Slowakei dorthin transferiert wurden. Hatte noch am 17. Juni das Parlament in Pressburg die Ungarn zur „Rückkehr ins slowakische Volk“ aufgefordert, so wurde am 19. November 1946 mit der Deportation der ungarischen Bevölkerung aus der südwestslowakischen Großen-Schütt-Insel in die von Deutschen gesäuberten Sudetengebiete begonnen, die bis zum 25. Februar 1947 anhielt. Die Um- und Aussiedlungsmaßnahmen zwischen der Tschechoslowakei und Ungarn, die ungefähr 200.000 Menschen entwurzelten, endeten erst 1948, dem Jahr der totalen Machtübernahme der Kommunisten in beiden Staaten.
„Unchristliche Akte“
Anders als in der Tschechoslowakei und in Polen wurde die Vertreibung in Ungarn nicht durchweg von Zustimmung begleitet. So erhob Kardinal-Primas Jószef Mindszenty – eigentlich Josef Pehm, Familienname 1941 magyarisiert – seine Stimme: „Vertreibung und Enteignung können keineswegs menschlich und christlich genannt werden.“
Bekannt geworden ist auch der „Aufruf der 26 Aufrechten“. An die Regierung gerichtet, mahnten sie in der Ausgabe der Zeitung „Magyar Nemzet“ vom 18. Jänner 1946, im Umgang mit den Deutschen die Menschenrechte zu wahren: „Heimat, Umgebung, Dorf, Haus, Ackerland, Brot, Wasser können von niemandem auf humane Weise weggenommen werden.“ Zu den Unterzeichnern gehörte auch Béla Zsolt; der Gefängnis, Ghetto und Arbeitslager entronnene jüdische Schriftsteller wollte damit ein Zeichen setzen. Bewirkt hat der Aufruf nichts.
Gedenktag – nur in Ungarn
Was während der kommunistischen Ära in Ungarn tabu war, dafür hat sich sein erstes frei gewähltes Parlament 1990 in aller Form entschuldigt, und das Verfassungsgericht annullierte alle Bestimmungen, auf denen die Vertreibung fußte. Andernorts steht derlei weiter aus, ja trotz Mitgliedschaft in der Europäischen Union sind in der Tschechischen Republik sowie in der Slowakei die Beneš-Dekrete, in Slowenien die Avnoj-Bestimmungen nach wie vor Bestandteile der geltenden Rechtsordnungen.
Seit 1993 ist in Ungarn ein Minderheitengesetz in Kraft; alle Minoritäten, so auch die deutsche, verfügen seit 1995 über Selbstverwaltungen. Laut Volkszählung von 2011 bekennen sich knapp 186.000 Personen zur deutschen Nationalität (1,9 Prozent der Gesamtbevölkerung); 92.000 geben Deutsch als ihre Muttersprache an.
2006 wurde das „Landesdenkmal der Vertreibung" auf dem Alten Friedhof zu Budaörs eingeweiht. Dort legte Viktor Orbán, der weithin im Westen (auch in Deutschland von der PC-korrekten politischen Klasse von Linken, Sozialdemokraten, Grünen, Liberalen bis hin zu manchen Christdemokraten) verhasste ungarische Ministerpräsident, aus Anlass des von seiner Regierung vor zwei Jahren eingeführten „Gedenktags für die Vertreibung der Ungarndeutschen“ (den es in keinem anderen ehemaligen Vertreiberstaat gibt!) am 19. Jänner 2016 höchstselbst einen Kranz nieder.
Der Autor ist deutsch-österreichischer Historiker und Publizist