Die Zeit drängt!

Wie das Beispiel Köln zeigt, sind die deutschen Sicherheitskräfte quantitativ nicht in der Lage, gleichzeitig eine örtlich begrenzte Krise und die minimale „Kontrolle“ an den Staatsgrenzen bei relativ geringem Flüchtlingsaufkommen zu bewältigen. Am Bahnhofsplatz zeigten sie sich auch als qualitativ ungeeignet. Es fehlen ihnen einfach die notwendigen legistischen Mittel und teilweise auch die Ausrüstung.

Die Streitkräfte sind in Auslandseinsätzen gebunden und definitiv an der Leistungsgrenze. In Österreich stellt sich die Situation ähnlich dar, zur Kontrolle der Grenzübergänge wird bereits Assistenz des Bundesheeres benötigt. Die Mehrzahl der verfügbaren Kräfte ist in Auslandseinsätzen gebunden. Reserven sind in beiden Ländern nicht mehr vorhanden. Eine tatsächliche Absperrung der Grenzen würde allerdings stärkere Kräfte erfordern. Merkels Dogma, man könne die eigenen Grenzen nicht sichern, fehlt nur der Zusatz „mit den vorhandenen Kräften und im Rahmen einer multiplen Krise“.

Und nun zeichnen sich zu allem Überfluss noch weitere krisenhafte Entwicklung ab. Der erwartbare Meinungsumschwung in der Bevölkerung führt zu einer Radikalisierung der extremen Kräfte an beiden Enden des politischen Spektrums. Als erschwerend kommt hinzu, dass die regierenden Parteien grundsätzlich nur eine der extremen Konfliktparteien als echte Bedrohung sehen, während die viel besser organisierte und stärkere andere Partei Sympathie und höchstwahrscheinlich finanzielle Unterstützung von Teilen des Regierungslagers genießt.

Die Auseinandersetzungen auf der Straße eskalieren in Deutschland und werden es in absehbarer Zukunft auch in Österreich. Die EU liegt selbst im Koma und bedürfte einer lebenserhaltenden Reform an Haupt und Gliedern.

Es stellen sich also vier Aufgaben:

  • Erstens sind die Grenzen zu sperren, um weiteren Zuzug zu unterbinden,
  • zweitens sind die Migranten unter Kontrolle zu halten,
  • drittens sind die gewaltbereiten extremen Flügel des politischen Spektrums auseinander zu halten;
  • ob die vierte Aufgabe, in den Ursprungsländern der Flüchtlingsströme Frieden zu schaffen, aufrecht zu erhalten sein wird, wäre noch zu beurteilen. Bisher haben diese Versuche ja keinen durchschlagenden Erfolg gezeitigt. Wenn ja, wären dazu massive Erdstreitkräfte erforderlich, die in ganz Europa nicht verfügbar sind. Und ob die Bevölkerung der europäischen Staaten dazu bereit wäre, ist offen.

Die Sperre der Außengrenze müsste als Voraussetzung für Handlungsfreiheit nach Innen Priorität haben und sollte von den Ländern an der Außengrenze der EU zu schaffen sein. Alle Anrainer des Mittelmeeres der EU haben dazu ausreichend Seestreitkräfte. Die Gelder für die Sperrung der türkischen Innengrenze können besser und mit mehr moralischer Berechtigung für die Sperrung der griechischen Außengrenze angelegt werden. Die Regeln müssen dazu allerdings von Transportunterstützung für Migranten auf Trennung nach Kategorien und Rückweisung unberechtigter Personen geändert werden. Zumindest diese Aufgabe sollte der EU zuzutrauen sein, ansonsten wäre sie möglichst kostensparend zu entsorgen.

Schon diese oberflächliche Beurteilung der Lage lässt auf einen wesentlich höheren Kräftebedarf zur Beherrschung der angeführten krisenhaften Entwicklung schließen. Die vorhandenen Kräfte wären also auf die angeführten Aufgaben zu konzentrieren, Streit- und Sicherheitskräfte so rasch wie möglich quantitativ und qualitativ zu verstärken.

Die Aufstellung neuer Polizei- und Militäreinheiten dauert Jahre. Die notwendige Zeit resultiert nämlich nicht aus der Zeit des Grundwehrdienstes, sondern aus der für die Ausbildung des Kaders notwendigen. Einfache Polizisten bedürfen etwa gleicher Ausbildungszeit wie Kadersoldaten niederer Ränge. Die legistischen Regeln sind auf die derzeit herrschende Bedrohung auszurichten.

Und statt verdeckter Unterstützung der einen innenpolitischen Konfliktpartei seitens des politischen Lagers ist eine mindestens gleichwertige Bekämpfung dieser Gruppen in die Wege zu leiten. Es steht allerdings zu befürchten, dass die Regierungen beider Länder zu spät und im Fall Österreich mit halben Maßnahmen halbe Ziele ansteuernd absehbar scheitern werden. Eine multiple Krise kann allerdings nur entschlossen, zeitgerecht und mit allen verfügbaren Kräften gelöst werden.

Rupert Wenger war Offizier des Bundesheeres als Kompanie- und Bataillonskommandant in der Panzertruppe und später Analyst in einer Dienststelle des Verteidigungsministeriums.

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