Heuer kann ich keine Weihnachtsgeschichte schreiben. Lieber möchte ich meine Gedanken zur Zukunft unseres Landes innerhalb Europas in unserer Zeit teilen. Denn es liegt zwar nicht nur an uns, wie unser weiteres Leben – und das unserer Kinder und Kindeskinder – aussehen wird, aber dennoch sollten wir versuchen, mit allen Möglichkeiten, die uns in einem demokratischen Staat und in Europa offen stehen, für ein friedliches Zusammenleben hier bei uns und möglichst auch sonst wo zu sorgen.
Nur zur generellen Lage, die wir vorfinden: für mich ähnelt sie der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg; keiner glaubte damals wirklich an einen längeren Krieg. Aber es gab eine Reihe von Beistandspakten, die dann durch die Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien zum Eintritt fast ganz Europas in den Krieg führte: heute sind eine Reihe von Mitgliedern in der NATO zusammengeschlossen, wenn ein Land angegriffen wird, sind die anderen verpflichtet …
Auch im Rahmen der EU führte ein Terrorangriff auf Frankreich dazu, dass sich Deutschland und kurz darauf Großbritannien dem Kampf gegen ISIS anschlossen. Auf diesem Kriegsschauplatz tummeln sich Viele, mit durchaus verschiedenen Zielen: Gegen ISIS kämpfen angeblich auch Russland (allerdings nur soweit es Assad nützt), die Türkei – ambivalent in ihrer Haltungs trifft sie aber vordringlich den Erzfeind, die Kurden– sowie das „westliche Bündnis“. Auch Saudi-Arabien (Sunniten) und der Iran (Schiiten) ringen dort um Vorherrschaft in der Region. Und Waffen liefern sowieso alle, egal an welche Seite!
Ist ein Krieg gegen den sogenannten Islamischen Staat notwendig? Mit diesen Terroristen kann man nicht verhandeln, nur durch Kampf können sie vernichtet werden. Aber kann man das islamistische Gedankengut wirklich auf diese Art ausrotten? In einem Kampf würden sicher wieder viele Menschen, auch Zivilisten, getötet und verletzt werden. Und es würde neuerlich eine Massenflucht einsetzen: In Verträgen, die genau vor hundert Jahren von England mit Frankreich, mit den Juden und mit den Arabern „abgeschlossen“ wurden, wurde allen dasselbe Territorium versprochen. Mit Hilfe der Pariser Vororteverträge nach dem Ersten Weltkrieg teilten sich England und Frankreich das gesamte Gebiet, als Mandate, die Grenze dazwischen verlief vom letzten "a" von Accra bis zum ersten "K" von Kirkuk, wie schon anfänglich vereinbart. Diese Grenzen haben eigentlich bis zum Auftreten des IS gehalten, trotz vieler Kriege in der Region. In Europa sind die Grenzen, die nach dem Ersten Weltkrieg festgelegt worden sind, auch erst durch einen erneuten großen Weltkrieg wieder gefallen. Kann man noch auf die UNO hoffen, dort läge doch die Verantwortung? Also doch Verhandlungen – auch mit dem mörderischen Kalifat?
Der nahe Osten ist nicht das einzige islamistische Kriegsgebiet, dazu gehören auch einige Staaten in Afrika: Mali, Nigeria (Boko Haram), Sudan, Somalia (Shabab), Jemen, Libyen und auch Ägypten mit der Halbinsel Sinai (von der aus der IS eine russische Passagiermachine abgeschossen hat).
Der Flüchtlingsstrom und seine Folgen
Aufgrund all dessen geht der Flüchtlingsstrom weiter, derzeit über das Mittelmeer und über die so genannte Balkanroute. Ziel der Migranten ist meist Deutschland, Österreich und Schweden. Griechenland und Italien sind die Einfallstore – und rettungslos durch den Flüchtlingsstrom überfordert. Europa und seine Gesetze und Regelungen waren auf einen derartigen Ansturm schlicht und einfach nicht vorbereitet. Die Schengen- und Dublinregeln konnten aufgrund der großen Zahl der Flüchtlinge nicht eingehalten werden, die Grenzen (Schleusen) wurden geöffnet und Deutschland, Österreich und Schweden sahen sich mit einer unerwartet hohen Zahl von Asylwerbern konfrontiert. Die Verteilung auf andere Länder funktionierte nicht, einerseits, weil sich viele – besonders osteuropäische – Länder weigern, überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen, andererseits weil auch die Flüchtlinge gar nicht in diese Länder wollen (Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot kennen sie auch von zu Hause und Mitglieder ihres Clans sind schon dort, wohin sie wollen). Der Nationalismus, der längst der Vergangenheit anzugehören schien, ist wieder auferstanden und die Errungenschaften des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts scheinen plötzlich nicht mehr verfügbar zu bleiben. Schengen wird auch für alle Europäer eingeschränkt, die Fluggastdatenspeicherung wird eingeführt und in Frankreich besteht ein langer Ausnahmezustand.
Es gibt auch Positives: Die EU hat mit der Türkei verhandelt, damit diese bereits den Flüchtlingsstrom eindämmt; wie wirksam diese Maßnahmen sein werden, wird sich zeigen. Selbst wenn es Schulen, Spitäler, und Arbeitsplätze für Flüchtlinge in den Lagern geben wird, bleibt wahrscheinlich der Sog Europas bestehen. Nur ein Waffenstillstand in der Region könnte das Problem beheben, wobei „Friede“ nur gepaart mit massiver Wirtschaftshilfe (ähnlich dem Marshallplan) funktionieren könnte.
Dass gar keine Flüchtlinge aufgrund dieser Maßnahmen kommen werden und Europa sich seine Zuwanderer bereits in den Lagern aussuchen kann, ist wohl eine Illusion. Das der Türkei versprochene Geld für die Flüchtlinge – vorläufig drei Milliarden Euro – ist in Europa noch nicht aufgebracht. Ist die Hilfe für die Türkei aber überhaupt allein ausreichend, denn auch in Jordanien gibt es riesige Flüchtlingslager, die extrem unter Geldnot leiden und der kleine Libanon hat ein Viertel seiner Bevölkerungszahl als Flüchtlinge aufgenommen. Auch hier wäre Unterstützung dringend notwendig.
Ja, und dann ist noch das Problem der sogenannten „Wirtschaftsflüchtlinge“. Wie hoch ihr Prozentsatz am Gesamtflüchtlingsstrom ist, bleibt stark umstritten. Gibt es eine Begriffsdefinition für „Wirtschaftsflüchtling“? Derzeit wird es von den Balkanländern anhand der Nationalität festgelegt, das greift natürlich viel zu kurz. Teilweise werden sie an den Grenzen bereits festgehalten, es werden nur Syrer, (wie viele von ihnen verfügen über einen gefälschten Pass?) Iraker, Afghanen durchgelassen. Es entstehen umgehend „wilde Lager“, in denen es brodelt; irgendwann kann sich dort der Unmut heftig entzünden.
Und jene „Wirtschaftsflüchtlinge“, die es nach Europa geschafft haben, können diese Menschen „rückgeführt“ werden? Wohin? Wenn sie zurück nach Slowenien, Kroatien, Mazedonien oder Griechenland „geschoben“ werden, werden sie doch nur versuchen, die Festung Europa erneut zu erstürmen – diesmal auf illegalem Weg, wiederum mit Schleppern, die sie schamlos ausnützen. Und in ihre ursprüngliche Heimat kann man sie wahrscheinlich auch nur schwer zurückbringen, was droht ihnen dann dort? Kann das in Europa verantwortet werden?
Und die geplanten Hotspots an den Außengrenzen Europas – funktionieren sie schon? Zu wenig Personal und finanzielle Mittel sowie eine stockende Verteilung der in Griechenland und Italien gestrandeten Menschen auf andere EU-Mitgliedstaaten erschweren die Arbeit vor Ort. Die Behörden in den Erstaufnahmeländern haben schon lange keine Kapazitäten mehr und auch der EU-Grenzschutzagentur Frontex und dem Asylbüro Easo, die die Beamten vor Ort unterstützen, fehlt es an Personal. Kann man dafür Griechenland bestrafen und aus dem Schengenraum – wenn auch nur temporär – ausschließen?
Alle Flüchtlinge müssen ordnungsgemäß registriert werden. Es darf nicht sein, dass die Behörden nicht wissen, wie viele „Fremde“ sich in ihrem Zuständigkeitsbereich aufhalten. Und auszuschließen, dass Islamisten unter den Ankommenden sind, geht auch nicht. Außerdem werden nicht alle Islamisten zu Terroristen, aber sie bringen das terroristische Gedankengut mit. Aber wie will man das feststellen? Die Terroristen von Paris waren z.B. europäische Staatsbürger! Die große Mehrzahl der Flüchtlinge flieht vor Islamisten.
Österreich hat viele Asylsuchende aufgenommen (genaussowie Deutschland und Schweden) und unabhängig von den gespanten Maßnahmen (und von den Jahreszeiten) werden weitere kommen. Die Zivilgesellschaft hat bei jenen, die durchgeflutet sind, soweit es möglich war geholfen und auch bei jenen, die bleiben wollen. Und für die Zukunft wurde z.B. für die ordnungsgemäße Abwicklung in Spielfeld durch „technische Einrichtungen“ vorgesorgt – angeblich. Was wirklih geschieht, wenn man manche abweist, das muss sich erst zeigen.
Das Leben der Flüchtlinge in Europa
Jetzt geht es um jene, die hier bleiben wollen – bis sie zurückgehen können oder müssen? Es ist schwer vorstellbar, dass jemand, der zum Beispiel drei Jahre hier gewesen ist, in den nahen Osten, der eventuell gerade „befriedet“ wurde, zurückkehren will. Er wird hoffentlich hier eine angemessene Unterkunft haben und ein Einkommen, von dem er, sie oder die Familie leben kann. Alle werden Deutsch gelernt haben, die Kinder werden hier in die Schule gehen, Freunde haben… Wenn der Asylgrund weggefallen ist, sieht das Gesetz einen Entzug des Asylrechtes vor? Und dann?
Auch das Nachkommen der Angehörigen wurde in Österreich erschwert. Anerkannte Flüchtlinge konnten bisher ihre Familienangehörigen ohne besondere Voraussetzungen nach Österreich holen. Das wird zwar auch künftig möglich sein – aber nur innerhalb von drei Monaten nach Zuerkennung des Asylstatus. Flüchtlinge, die erst danach einen Antrag stellen, können nur dann ihre Familienangehörigen nachholen, wenn sie in der Lage sind, auch für sie zu sorgen. Gefordert sind ein ausreichendes Nettoeinkommen, eine ortsübliche Unterkunft und eine Krankenversicherung. Wer von der Mindestsicherung lebt, kann somit Ehefrau oder Kinder nicht mehr nach Österreich holen.
Soviel zu einer möglichen Eindämmung der so genannten Flüchtlingsflut.
Aber bringen die Flüchtlinge nicht auch positive Entwicklungen? Sie sind jung, Familien haben meist mehrere Kinder. Das adjustiert die Bevölkerungspyramide ein wenig. Ihr Kommen schafft Arbeitsplätze, und das Geld für sie wird im Inland ausgegeben.
Integration, was ist das?
Zuerst müssen Flüchtlinge untergebracht werden; in den temporären Quartieren, in denen es keine Privatsphäre gibt, sind schon die ersten Raufereien mit Verletzten und Verhafteten ausgebrochen. Diesmal waren es die allein reisenden Jugendlichen aus Afghanistan. Muss man hier ethnisch trennen? Und was soll mit diesen Jugendlichen überhaupt geschehen, wollten Sie ihre Angehörigen nachbringen? Na, das wird mit diesen neuen Regelungen schwer gehen. Derzeit bleiben sie leider noch einige Zeit in Massenquartieren.
Aber auch für Familien wird es schwierig werden, es gibt einfach zu wenige leerstehende preisgünstige Objekte. Selbst wenn eine Unterkunft gefunden ist, müssen die dort neu angesiedelten betreut werden, auch um nicht „bürokratischen Fallen“ ausgeliefert zu sein. – Wer wird das übernehmen?
Alle sollen möglichst bald Deutsch lernen, und zwar so, dass sie eventuell ihren ursprünglich erlernten Beruf ausüben können. Das wird aber in Schulungen allein nicht erreichbar sein, dazu gehört intensivere Betreuung. – Wer steht dafür zur Verfügung?
Dann müssen Kinder und Jugendliche möglichst umgehend in die Schule gehen – Gibt es dort genug Platz und Lehrer? Gibt es Betreuer die dafür sorgen, dass es zu keinen Schwierigkeiten kommt – weder bei den österreichischen noch bei den Flüchtlingskindern? Und können so die Lernziele erreicht werden?
Erwachsene müssen Arbeit finden, aber solange sie die Sprache nicht ordentlich beherrschen, werden das nur "Hilfsarbeiterpositionen" bleiben, von denen gibt es aber nicht genug. Analphabeten – auch die sind unter den Flüchtlingen… werden sich nicht einmal dafür qualifizieren. Wer wird die mühevolle Arbeit auf sich nehmen, um ihnen Schreiben, Lesen und Rechnen beizubringen?
Und alle jene, die mit hohen Erwartungen gekommen sind, sei es durch Schlepper vorgegaukelt odert sei es durch westliche Filme und Serien "vorgelebt", wie werden sie mit ihrer Situation umgehen? Selbst mehrere Jahre noch kein Haus, kein Auto, keinen "herzeigbaren" Job, kaum genug Geld um auch etwas davon nach Hause zu schicken? Wird da der Unmut nicht dazu führen, dass man versucht, sich zu nehmen, was einem vorenthalten wird? Schon derzeit ist Österreich das Land, das gemessen an seiner Einwohnerzahl, europaweit die meisten kämpfenden IS-Sympathisanten aufweist!
Jetzt kommt die große Herausforderung: Alle, die gekommen sollen „integriert“ werden. Auch wieder ein nicht klar definierter Begriff. Denn Assimilation geht gar nicht. Denn so Erdogan: „Assimilation ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Leitkultur aufzwingen? Leitkultur gilt als gesellschaftlicher Wertekonsens (im Gegensatz zu Multikulturalismus). Darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Die ersten Bruchlinien zwischen den Parteien in Österreich haben sich schon aufgetan: Man streitet über gesonderte Kurse für Männer und Frauen.
Und welche Identität werden diese Flüchtlinge haben? Drei Jahre lang ist nicht gesichert, dass sie bleiben dürfen. Irgendwann kommt die Frage, ob man die österreichische Staatsbürgerschaft anstrebt. Die meisten von diesen Flüchtlingen sind Muslime, werden sie ihren Glauben voll leben wollen? In Österreich gilt selbstverständlich Religionsfreiheit, aber der Islam ist nicht nur eine Religion. Werden diese Muslime lieber entsprechend der Scharia leben wollen, werden sie lieber ihre „Friedensrichter“ bei Streitigkeiten befragen, als die österreichischen zuständigen Behörden einzuschalten. Werden sie ihren Patriarchalismus aufrechterhalten wollen? Werden muslimische Männer ihren Frauen die ihnen zustehenden Rechte gewähren wollen oder werden sie weiterhin die Frauen als Trägerinnen der Ehre der Familie sehen und ihnen freie Entwicklung untersagen?
Und wie werden wir, die so genannte Mehrheitsgesellschaft mit all diesen Fragen umgehen? Es ist höchste Zeit, darüber nachzudenken!
Dr. Christa Chorherr ist Ökonomin, EDV-Expertin und Publizistin in Wien, die sich in den letzten Jahren vor allem mit islamischen Themen befasst hat. Zuletzt erschien ihr Buch „Halbmond über Österreich?