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Fünfzehn Prozent Gesamtschul-Modellregion sind fünfzehn Prozent zuviel

Die ÖVP hat schon wieder nachgegeben: Bis zu 15 Prozent der Gymnasien eines Bundeslandes können künftig auch gegen den Willen von Eltern, Lehrern und Schülern zwangsweise in „Neue Mittelschulen“ (NMS) umgewandelt werden. So wie dies bereits sämtlichen Hauptschulen des Landes widerfahren ist. Einmal mehr wird dies der ÖVP nicht gedankt werden – für die linksdominierten Leitmedien bleibt sie in der Rolle des konservativen Bremsers jeder „echten“ Schulreform (sprich: 100 Prozent Gesamtschule). Sie hätte sich ihren Kompromiss getrost sparen können.

Die NMS, so heißt es, könne ihre Stärke erst beweisen, wenn sämtliche Schulen der Zehn- bis Vierzehnjährigen „Neue Mittelschulen“ sind. Denn erst dann können Kinder – nimmt man etwa Wien als Beispiel – nicht mehr aus den zur Modellregion erklärten Bezirken (vielleicht jenen, die „falsch“ gewählt haben?) in die Gymnasien benachbarter Bezirke ausweichen. Wo kämen wir denn hin, wenn Eltern selbst entscheiden, in welche Schule sie ihr Kind schicken? Wie kann man überhaupt so unsolidarisch sein, dem eigenen Kind höhere Bildung ermöglichen zu wollen als dem Flüchtlingskind aus Afghanistan?

Der Beweis der Stärke der NMS muss allerdings erst gar nicht erbracht werden: Klarerweise wird das zumeist bescheidene Niveau der NMS steigen, wenn auch leistungsstarke Kinder in diesen Schultyp gezwungen werden. Dazu braucht es weder Wissenschaftler noch Studien. Klar ist aber ebenso, dass Kinder, die jetzt das Gymnasium besuchen, hinkünftig nicht jenes Niveau erreichen werden, das sie derzeit erreichen. Wie denn auch, wenn die NMS publik gewordenen Studien zufolge noch unter dem Niveau der alten Hauptschule liegt, also selbst Hauptschüler in Anbetracht der aufgegebenen, weil verpönten Leistungsgruppen in den Hauptfächern hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben?

Ganz besonders wird der Niveauverlust (neben „Kopffächern“ wie Mathematik) den Sprachunterricht betreffen: Das Gymnasium zeichnet sich durch die zweite Fremdsprache ab der dritten Klasse aus. In vielen Fällen ist dies nicht mehr das als „bildungsbürgerlich“ verhasste Latein, sondern eine weitere lebende Fremdsprache. Einerseits also will man sich „weltoffen“ und „international“ geben, andererseits läuft eine Umwandlung von Gymnasien in „Neue Mittelschulen“ vielfach darauf hinaus, das Erlernen einer lebenden Fremdsprache um zwei Jahre zu verkürzen! Wie geht das zusammen? Oder bedeutet „Internationalität“ nur noch eine diffuse „Haltung“, die sich nicht in konkreteren Fertigkeiten zu manifestieren braucht? (Die Sprachlehrer, die ihre Stunden verlieren, werden sich ohnedies bedanken!)

Es scheint zwecklos, auf derlei Ungereimtheiten hinzuweisen. Sachliche Auseinandersetzung wird heutzutage (was sich auch bei anderen Themen beobachten lässt) durch einlullendes Hochvokabular wie „Wertschätzung“, „Toleranz“, „Inklusion“, „zeitgemäß“ usw. ersetzt – gleich, wie eine Idee oder Vorstellung konkret aufgehen können soll und gleich, ob sie dies überhaupt kann. „Wir schaffen das.“ Wir schaffen auch die neue Schule und erschaffen sie ex nihilo. Eine Rhetorik des Typs „Wenn nur der eiserne Wille da ist und der bedingungslose Glaube...“ hat bloß das Vokabular gewechselt. Wer Zweifel anmeldet, ist konservativ, wenn nicht rechtsextrem.

Machen wir uns nichts vor: Es geht nicht um eine bessere Ausbildung, nicht einmal für bildungsferne Kinder, sondern schlicht darum, daß der Terminus „Gymnasium“ aus dem öffentlichen Leben verschwindet. Was derzeit – auch auf zahlreichen anderen Feldern! – geschieht, ist ein Angriff auf das (rechts)liberale und konservative Bürgertum, das ehebaldigst marginalisiert werden soll.

Näher besehen (und auch dies muss einmal ausgesprochen werden!) handelt es sich um einen Angriff auf die deutsche Kultur und das deutsche Geistesleben. Schon der Begriff „Bildung“ im Unterschied zur „Ausbildung“ ist eine spezifisch deutsche Konzeption. Das Englische etwa kennt nur „education“. Wenn heute beständig von „Bildung“ gesprochen wird, Bildungsgipfel inszeniert und Bildungsreformen eingefordert werden, verliert diese unter dem Leitbegriff individueller „Kompetenzen“ so sehr ihre allgemein-inhaltliche Kontur, dass sie genausogut Ausbildung sein kann.

Auch das österreichische Gymnasium sowie das Realgymnasium verdanken ihre Blüte dem Humboldtschen Bildungsideal. Die allermeisten Standorte gehen nicht auf kirchliche Einrichtungen zurück, sondern wurden – oftmals inmitten von Goethe- und Schillerstraßen – in den Villenvierteln des ausgehenden 19. Jahrhunderts errichtet. Es gibt kein österreichisches Bildungsbürgertum, das vom deutschen getrennt wäre. Goethe und Schiller gehörten einst auch zum Kanon jedes österreichischen Gymnasiums.

Was mit der „Umerziehung“ begann, tritt mit der nun in Angriff genommenen Zerschlagung des Gymnasiums bloß in eine weitere Phase. Als ob der Nationalsozialismus auf klassische Bildung ausgegangen wäre! Gewiss: Das Gymnasium hatte begeisterte Hitlerjungen hervorgebracht – dies wird ihm immer wieder vorgeworfen. Dennoch war und ist das deutsche Gymnasium eine „Marke“ mit universaler Strahlkraft. So wurden deutsche Schulvereine in Osteuropa vielfach von jüdischen Bürgern getragen. In Südtirol werden die deutschsprachigen Schulen scharenweise von italienischen Mittelstandsfamilien frequentiert, während sich an den italienischen Schulen Albaner und andere Migranten tummeln.

Der Hass geht heute überhaupt auf den Unterschied – der Fähigkeit und Leistung, des Einkommens, des Vermögens, von Mann und Frau oder von Hetero- und Homosexualität. Es gibt nur noch Menschen, nur noch eine Welt, lautet das oberste Credo der One-World-Ideologie. Die Einebnung aller Unterschiede, oft auch im Zeichen des Christentums, macht den wachsenden totalitären Charakter unserer Zeit aus. Der Unterschied aber ist das Leben, die Einerleiheit Verödung und Tod.

Wenn die Klassen in vielen NMS so groß sind wie ehedem oder wenn das vorgesehene Teamteaching aus Geld- und Lehrermangel oft nicht stattfinden kann (auf dass „innere Differenzierung“ und „Individualisierung“ jene Worthülsen bleiben, die sie vielleicht immer schon waren), wenn also die „Neue Mittelschule“ gar nicht das ist, was sie sein hätte sollen, so sind all dies „Peanuts“ gegen den einen großen Schritt, den Unterschied von Gymnasium und Hauptschule einzuebnen, weil es auch diesen Unterschied nicht länger geben darf.

Noch die Verknappung der Gymnasialplätze könnte sich als Win-Win-Situation der Regierungsparteien sowie der Fraktionen innerhalb der ÖVP erweisen: Manch Konservativer mag zufriedengestellt sein, weil nach Jahren tatsächlich nur noch die Besten das Gymnasium besuchen können. Andere wollen ohnehin die Gesamtschule. Die vereinbarten 15 Prozent sind erst der Anfang – 50 oder 75 Prozent an Gesamtschulen sind mit dieser Logik allemal aus der ÖVP herauszuholen. Denn auch dann wird es das Gymnasium ja weiterhin geben.

Wilfried Grießer, geboren 1973, ist Philosoph und unterrichtet Mathematik an einer Höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe in Niederösterreich sowie in der Erwachsenenbildung.    

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