Es geht um Werte und um die Identitätsentwicklung von Jugendlichen. In den Botschaften der heimischen Politik hat man so einiges über Werte populistisch posaunt gehört und so manches in Schlagworten plakatiert gesehen. Synchron zur generellen Politikverdrossenheit schwinden allerdings gerade bei der Jugend der Respekt und das Interesse an der aktuell praktizierten Politik.
Das drückt sich vor allem aber nicht nur in der stetig schwindenden Wahlbeteiligung aus. Interessant ist auch die Statistik der steigenden Anzahl von Jugendlichen, die sich extrem linken und rechten Randgruppen anschließen. In diesem Zusammenhang ist der Islam sicher keine Randgruppe, sondern eine der Weltreligionen, die sich in vielerlei Hinsicht im Weltgeschehen mehrdeutige Aufmerksamkeit verschafft. Der politisch angereicherte Islam baut sich als Bollwerk gegen Moral- und Sittenverfall der westlich geprägten Konsum- und Kapitalgesellschaft auf.
Das unreflektierte Setzen auf den ungezügelten Wirtschaftsliberalismus hat nicht nur die bisher erlebten Phasen der Finanzkrise über die Mitgliedsstaaten der europäischen Union gebracht (wobei das Ursprungsland des finanzkapitalistischen Tsunami sich auffallend rasch von den finanzpolitischen Sturmschäden erholte). Dazu kommt noch, dass im Wetteifern um die machtpolitische Weltherrschaft zwischen Russland und den USA mit so manchen gezinkten diplomatischen aber vor allem kriegsstrategischen Karten gespielt wird.
In den Überlegungen der medienstrategischen Planer, die vorwiegend auf die Planierung ihrer Botschaften in den klassischen Medien setzen, hat man übersehen, dass inzwischen gerade die Jugendlichen auf die selbst zu gestaltenden sozialen Medien setzen und großteils von diesen vernetzen Plattformen nicht nur Ihre Meinung, sondern immer mehr ihre Wert- und Weltbilder beziehen.
Das Paradoxon in Form des von Paul Watzlawick beschriebenen "doublebind syndrom", das sich in der Kommunikation bei einer wachsenden Zahl von Jugendlichen, die nicht nur dem Prekariat zuzurechnen sind, manifestiert, führt dazu, dass die im Westen propagierten Werte von Toleranz, Offenheit und allumfassender Emanzipation und die Begeisterung für neoliberale Werte nicht gerade auf überragende Zustimmung stoßen. Im Gegenteil, es kommt gerade bei den in einer besonders schwierigen Identitätssuche befindlichen Jugendlichen zu einem moralethischen aber vor allem psychosozialen Umkehrschub, der dazu führt, dass die als westlich bezeichneten Werte von Toleranz und Offenheit von einem sich als messerscharf präsentierenden Islam zu den satanischen Werten gezählt werden.
Die gesellschaftspolitisch kritische Entwicklung als Folge des in dieser Zielgruppe zusätzlich verbreiteten Minderwertigkeitsgefühl führt dazu, dass diese extrem konservativen Werthaltungen die Jugendlichen so weit bringen, sich weg von der Heimat auf die Reise in ein gelobtes Land zu begeben, wo diese glauben Helden im Kampf gegen die Ungläubigen(Unmoralischen) zu sein, um sich am Aufbau eines islamischen Gottesstaat zu beteiligen.
Welcher Gott schützt unsere Jugend, die zwischen einer ungehemmten identitätsraubenden Konsumwelt und dem fanatischen Glauben an die Ideale eines fundamentalen Islam zu zerreißen droht?
Dr. Franz Witzeling: Psychologe und Soziologe