Schmerzlich fühlt man sich dieser Tage wieder an einen tiefsinnigen Satz Mahatma Gandhis erinnert: „Die Geschichte lehrt uns, dass uns die Geschichte nichts lehrt.“ Die deutsche Kleinstadt Nieheim hat Mietern gekündigt, um Wohnraum für Flüchtlinge frei zu bekommen. Die Stadt Hamburg prüft die Beschlagnahmung leerstehender Gewerbeimmobilien. In Berlin wird geplant, dieses Vorgehen auf private Mietwohnungen auszuweiten.
Was sich in diesen Meldungen spiegelt, die bleischwer auf jeden niederprasseln, der noch einen Rest Vertrauen in die rechtstaatliche und freiheitliche Verfasstheit seines Landes hatte, ist die Fratze eines demokratischen, lebenswerten Deutschlands, ist die deprimierende Vision einer allmächtigen Willkürherrschaft, ist die Bankrotterklärung einer intellektuell vollständig überforderten Politik.
Mit den genannten Maßnahmen überschreiten deutsche Politiker eine rote Linie, womit sie den Staat in die Nähe übelster Diktaturen rücken. Da nützen auch kalmierende Floskeln nichts mehr. Die Aussage des Bürgermeisters von Nieheim, man habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, erinnert an die zynische Kaltschnäuzigkeit von DDR-Beamten. Als ob man mit der entsprechenden Betroffenheitsrhetorik jede Gaunerei rechtfertigen könnte.
All das geschieht im Namen der Humanität. Es ist zwar nicht neu, doch immer wieder beklemmend: Die größten Verbrechen wurden aus edlen Motiven zu hehren Zwecken begangen. Das Irritierende ist: die Menschen schweigen stumm; keine Lichterketten erhellen die herbstlichen Städte, keine Demonstrationen verstopfen die Straßen, keine Sondersendungen füllen die Fernsehprogramme. Noch fühlen sich die meisten nicht bedroht in ihrem behaglichen Mittelschichtsdasein. Ungenützte Gewerbehallen? Habe ich nicht. Leerstehende Wohnungen? Haben nur Reiche. Eine Eigenbedarfskündigung? Bekommen viele. Noch können Politiker mit solchem Gleichmut rechnen.
Dennoch: Ein Staat, der keine Rechtssicherheit mehr garantiert und ein elementares Grundrecht – das Eigentumsrecht – mit Füßen tritt, hat seine Legitimation verloren. Er zerstört die Loyalität seiner Staatsbürger und entzieht sich so sein eigenes Fundament. Er schürt Wut und Trauer, auch wenn man (noch) von solchen Maßnahmen nicht persönlich betroffen ist. Doch das – so lehrt die Geschichte – ist oft nur eine Frage der Zeit. Über kurz oder lang tritt dann das ein, was wohl die meisten Staaten der Welt auszeichnet: Die Rechtsstaatlichkeit leidet, die Korruption blüht, schamlos betrügen die Menschen einander, wer Geld und Beziehungen hat, versucht es sich zu richten, der gesellschaftliche Zusammenhalt bröckelt. Die Konsequenz sind wirtschaftliche Stagnation und Wohlstandsverlust. Ähnlich schwer wiegen die psychischen Folgen.
Am liebsten treten Katastrophen über Nacht ein, unvermutet und mit einer Wucht, gegen die man meist machtlos ist. Wie „Schlafwandler“ taumelten die Menschen 1914 in einen bis dahin beispiellosen Krieg. Wohin führt unser Weg? Es spricht vieles dafür, dass es auch diesmal nicht ohne Gewalt gehen wird.
Tomas Kubelik, 1976 in der Slowakei geboren, wuchs in Stuttgart auf und studierte Germanistik und Mathematik. Kürzlich erschien im Projekte-Verlag Halle sein Buch „Genug gegendert! Eine Kritik der feministischen Sprache“, in dem er die Argumente der feministischen Sprachkritik überzeugend und allgemeinverständlich entkräftet.