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Ein seltsam mildes Urteil

In einem Geschworenenprozess in Innsbruck waren vor wenigen Tagen zwei junge Männer angeklagt, die in der Nacht zum Silvestertag 2013 vor der Polizeiinspektion einer Tiroler Gemeinde eine Rohrbombe zur Explosion gebracht hatten. Spätestens seit dem Anschlag auf Angehörige der Volksgruppe der Roma in Oberwart weiß man, welch verheerende Wirkung derartige Sprengkörper entfalten können. Auch in diesem Fall war es dem Gutachter zufolge reiner Zufall, dass durch die Metallsplitter niemand verletzt wurde. Zuvor waren schon drei Rohrbomben in einem Steinbruch und an einer Straße gezündet worden. Das Urteil – bloß bedingte Haftstrafen – überrascht indes.

Und es überrascht umso mehr, als die Anklage auf NS-Wiederbetätigung lautete, nachdem (auf einen Hinweis hin) bei einer Hausdurchsuchung einschlägiges Material gefunden wurde und NS-Inhalte auch verbreitet worden waren.

Als der Verfasser dieses Kommentars von dem bevorstehenden Prozess erfuhr, rechnete er mit einer Verhandlung nach § 3f des Verbotsgesetzes und mehrjährigen Freiheitsstrafen. § 3f des Verbotsgesetzes lautet: „Wer einen Mord, einen Raub, eine Brandlegung (…) oder ein Verbrechen nach § 4 des Sprengstoffgesetzes als Mittel der Betätigung im nationalsozialistischen Sinn versucht oder vollbringt, wird mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren, bei besonderer Gefährlichkeit des Täters oder der Betätigung auch mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.“ Gerade Sprengstoffanschläge bilden, historisch betrachtet, den Kern dieses Paragraphen, hatten doch die österreichischen Nationalsozialisten vor 1938 vor allem durch Anschläge auf die Industrie- und Eisenbahninfrastruktur den österreichischen Staat zu destabilisieren versucht.

Die Anwendung dieses Paragraphen ist heute selten, doch erst jüngst kam es zu einer Verurteilung für das Beschmieren von „Stolpersteinen“, das erst in Summe die Schwelle zur (durch § 3f ebenfalls qualifizierten) schweren Sachbeschädigung überschritt. Die Täter fassten in der Tat mehrjährige Haftstrafen aus, obwohl sie niemanden an Leib und Leben gefährdet hatten und selbst eine sittliche, politische Gefährdung durch bloßes Unkenntlichmachen gering scheint.

Möglicherweise war der Sprengstoffanschlag in dem vorliegenden Fall tatsächlich kein „Mittel der Betätigung im nationalsozialistischen Sinn“. Obwohl er einer Polizeistation und mithin dem österreichischen Staat gegolten haben dürfte und obwohl Medien von der Beteiligung einer dritten Person berichten, die getrennt angeklagt wird – vermutlich deswegen, weil keine Wiederbetätigung vorlag.

Die angeklagten Akte der NS-Wiederbetätigung stehen freilich in einer Korrelation zum Strafmaß: Der bloße Besitz von NS-Devotionalien etwa ist gar nicht strafbar, und es verwundert nicht, wenn es in einzelnen Anklagepunkten zu Freisprüchen durch die Geschworenen kam.

Der Sprengstoffanschlag selbst ging indes in der Berichterstattung über den Prozess unter, was in Kombination mit dem milden Urteil selbst unter „Standard“-Lesern für Kopfschütteln sorgte. Liegt das milde Urteil vielleicht auch daran, dass die Angeklagten, die in der Schule kaum von der NS-Zeit gehört haben wollen, eigentlich „eher links“ gesinnt seien? So sei einer der Angeklagten Mitglied bei „Amnesty International“. (Wir ersparen uns an dieser Stelle die Frage, wie man sich für politisch Inhaftierte einsetzen kann, ohne über den Nationalsozialismus einigermaßen Bescheid zu wissen, und bemerken nur, dass auch der nationale Sozialismus ebenso sehr links wie „rechts“ war. Erst recht ersparen wir uns die Frage, ob ein mutmaßlicher Angriff auf die Polizei am Ende selbst noch als Beleg für eine „gute“ linke Gesinnung dient.)

So der Sprengstoffanschlag kein Mittel der Wiederbetätigung war, geht dieser auch juristisch unter, und dies formal völlig korrekt: Anders als im Verwaltungsstrafrecht gibt im gerichtlichen Strafrecht immer das schwerwiegendere Delikt den Strafrahmen vor. Hier aber hat die vorsätzliche Gefährdung durch Sprengmittel gegen das „Staatsverbrechen Nummer Eins“ der NS-Wiederbetätigung keine Chance. Ein Sprengstoffanschlag auf oder jedenfalls vor einer Polizeistation, der auch zufällig Vorbeikommende schwerst verletzen hätte können, wird von schwerwiegenderen Handlungen wie dem privaten Verschicken von SS-Runen über das Handy oder dem Einritzen der Zahl „88“ in eine Baumhütte sozusagen konsumiert.

Die subtile Botschaft lautet am Ende: Wer einen Anschlag auf eine Polizeistation plant, der sammle Hitler-Devotionalien und rufe bei irgendeiner peripheren Gelegenheit „Sieg Heil“. Dann überlagert die „Wiederbetätigung“ den Sprengstoffanschlag. Ist die Wiederbetätigung gelinde (wozu Dummstellen einen erheblichen Beitrag leisten kann), so ist auch der Sprengstoffanschlag nicht der Rede wert.

Es ist etwas faul im Staate Österreich. So manchen Konstruktionsfehler wird man hierbei nicht erst in jüngeren Entwicklungen, sondern schon in den Anfangsgründen der „Zweiten Republik“ zu suchen haben.

Wilfried Grießer, geboren 1973 in Wien, ist Philosoph und Buchautor. Zum Thema erschien 2012 die folgende umfassende Studie: „Verurteilte Sprache. Zur Dialektik des politischen Strafrechts in Europa“.

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