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Mut zu Sozialreformen heißt Mut, konkret zu werden

Kürzt die Politikergehälter! Schafft die Landtage ab! Schafft den Bundesrat ab! Schafft die Bezirke ab! Verwirklicht die Hunderten Vorschläge von Rechnungshof und Österreich-Konvent zur Verwaltungsreform!

Solche und ähnliche Forderungen schwirren durch Österreich. Viele davon sind sehr sinnvoll. Manches hingegen ist nur populistisch und in Wahrheit kontraproduktiv, wie etwa die Forderung nach einer Kürzung der Politikergehälter. Denn Österreich braucht im Gegenteil gut bezahlte Politiker, um bessere Politiker zu bekommen. Viele internationale Vergleichsstudien zeigen auch, dass eine schlechte Bezahlung von Politikern und Staatsbeamten überdurchschnittlich oft zu illegaler persönlicher Bereicherung führt.

Aber selbst wenn alle eingangs erwähnten Forderungen realisiert werden, bleibt das beklemmende, wenn auch unpopuläre Fazit: Sie können die zunehmend verzweifelt werdende finanzielle Lage Österreichs nur marginal bessern. In Wahrheit können nämlich nur noch deutliche Einschnitte in den Wohlfahrtsstaat Österreich sanieren. Sonst donnerte das Land wie Griechenland gegen die Wand. Davon redet aber keine politische Partei. Denn alle glauben: Mit Reformen des Sozialsystems geht die nächste Wahl verloren.

Es gibt in der Tat etliche Beispiele, wo mutige Sanierungen vom Wähler bestraft worden sind. Das bekannteste ist die Abwahl von Gerhard Schröder als deutscher Bundeskanzler wegen der Agenda 2010. Freilich wurden genau diese anfangs wild bekämpften Agenda-Reformen später die entscheidende Grundlage der heutigen Blüte Deutschlands. Vor einem Jahrzehnt war das Land in steilem Niedergang gewesen. Bei einem Teil der Wähler waren dennoch damals die Reformen sehr unbeliebt. Wie etwa eine Erhöhung des Rentenantrittsalters auf 67 Jahre, die Kürzungen des Arbeitslosengeldes, die Lockerung des Kündigungsschutzes oder die Reduktion der Gesundheits-Leistungen.

Viele linke Träumer und viele jener, die es sich in der sozialen Hängematte bequem gemacht hatten, reagierten empört. Mit dem Stimmzettel und mit der Gründung der Partei der „Linken“. Diese ist – auch durch die Fusion mit den Altkommunisten – seither ein fixer Bestandteil des deutschen Parteiensystems. Der SPD hilft es heute nicht einmal mehr, dass sie ein wenig zurückgerudert ist und eine teilweise Rücknahme der 67-Jahr-Grenze durchgesetzt hat.

Ein ähnliches Bild zeigt der Rückblick auf das Österreich der 70er Jahre. Bruno Kreisky hat damals oft gesagt: Den „Leuten“ – wie er die Bürger bezeichnet hat – etwas wegzunehmen ist zehnmal schwieriger als irgendeine Forderung nach einer neuen Wohltat des Sozialstaats abzulehnen. Freilich hatten es Kreisky und sein Finanzminister Androsch anfangs noch leicht. Sie konnten  zahllose Wünsche erfüllen. Denn nach den Jahren des Wirtschaftswunders und der Sparsamkeit fanden sie bei Amtsantritt eine volle und fast schuldenfreie Staatskasse vor. Die gute Lage Österreichs im Jahr 1970 war mehreren Faktoren der ersten 25 Nachkriegsjahre zu verdanken:

  • dem heute weitgehend vergessenen 50er-Jahre-Finanzminister Kamitz,
  • einer glasklar liberalen Austeritätspolitik,
  • dem weltweiten Aufschwung,
  • der Hilfe durch den amerikanischen Marshall-Plan,
  • den heroischen Wiederaufbauleistungen aller Staatsbürger, von denen keiner an das soziale Faulbett auch nur dachte,
  • und der großen gesellschaftlichen Disziplin nach dem Schock zweier verheerender Kriege und der nationalsozialistischen Diktatur.

Unter Kreisky gab aber nun die nächste Generation, die der „68“, den Ton an. Sie wollte von all dem plötzlich nichts mehr wissen und forderte die hemmungslosen Freuden des Verteilungsstaats. Diese Freuden waren aber nur während der ersten Kreisky-Jahre ungetrübt. Noch vor Kreiskys Abschied war die Verschuldung Österreichs vervielfacht – nicht nur absolut, sondern auch als BIP-Quote gemessen, welche der seriöseste Maßstab der politischen Verantwortungslosigkeit ist. Die Verstaatliche Industrie war bankrottreif. Das sogenannte „Mallorca-Paket“, bei dem die Bürger erstmals unter Kreisky belastet und nicht ständig mit neuen Wohltaten beschert wurden, kostete die SPÖ die absolute Mehrheit.

Aus all diesen Gründen sind heute nicht nur die Sozialisten, sondern auch alle anderen Parteien überzeugt: Am Wohlfahrtsstaat darf man nicht rütteln. Denn jeder Partei ist der kurzfristige Erfolg bei den nächsten Wahlen viel wichtiger als der langfristige des Landes.

Auf der anderen Seite zeigt freilich das Schweizer Beispiel, dass die Mehrheit der Bürger selber wirtschaftspolitisch oft viel vernünftiger denkt als die Politiker. Dort lehnen sie bei Referenden fast jede neue Belastung, fast jede Ausdehnung des Wohlfahrtssystems ab. Und dennoch muss in der Schweiz niemand hungern, in Obdachlosigkeit oder bittere Altersarmut geraten.

In der Schweiz wird vor jeder Abstimmung oft jahrelang sehr sachlich diskutiert. Nach einer solchen Diskussion werden von einer klaren Mehrheit regelmäßig alle Versuche abgeschmettert, für irgendeine Gruppe eine neue soziale Hängematte aufzuhängen. Im repräsentativ-demokratischen System hingegen müssen sich einzelne Lobbys, Sozialtechnokraten, NGOs und Gutmensch-Vereine (die primär an ihre eigene Subventionierung denken) nie der Öffentlichkeit stellen. Hier müssen sie nur ein paar Politiker überzeugen, dass ihre Anliegen einen Wähler-Zugewinn brächten. Dabei können sie meist auf die Hilfe der Medien zählen, um den Widerstand eventuell noch zögernder Politiker zu überwinden. Denn die Medien unterstützen – ungeachtet der allgemeinen hohlen Spar-Rhetorik – fast jede einzelne Forderung nach mehr Geld. Man denke nur an die abwechselnden Rufe nach mehr Geld für Schulen. Nach mehr Geld für Kindergärten. Nach mehr Geld für Pflege. Nach mehr Geld für Infrastrukturprojekte. Nach mehr Geld für ökologische Bergbauern. Nach mehr Geld für Behinderte.

Aber auch Wirtschaftswissenschaftler sprechen nur sehr ungern konkrete Einsparungen beim Wohlfahrtssystem an. Denn auch sie sind ja meist feige Populisten. Sie reden nur immer sehr allgemein von der Notwendigkeit des Sparens und von Verwaltungsreformen.

Besonders lautstark sind Medien und Wissenschaftler bei Forderungen im eigenen Interesse. So antichambrieren die einen ständig für noch mehr Regierungsinserate. So sagen die anderen praktisch immer: Überall solle gespart werden, nur nicht bei Wissenschaft und Universitäten. Dort müsse sogar viel mehr ausgegeben werden. Ein recht durchsichtiges Eigeninteresse, das beiden Gruppen jede Glaubwürdigkeit nimmt. Denn selbstverständlich könnte auch an den Universitäten gespart werden (man denke nur an die wissenschaftlich wertlosen Massenstudien mit katastrophalen Berufsaussichten von Politikwissenschaft bis Publizistik. Oder gar an die in den letzten Jahren entstandenen vielen Gender-Lehrstühle, wo abstruse und allen Fakten widersprechende Theorien über das „soziale Geschlecht“ verzapft werden).

Daher ist es so gut wie sicher, dass es nur in zwei Fällen zu den dringend notwendigen Sozialreformen kommen wird:

  1. Wenn Österreich dort angelangt ist, wo Griechenland heute steht; wenn also die internationalen Kreditgeber beinharte Maßnahmen bis hin zu drastischen Pensionskürzungen diktieren werden. Dann wird es freilich zu weit mehr schmerzenden Maßnahmen kommen, als heute noch nötig wären.
  2. Wenn in Österreich eine echte direkte Demokratie eingeführt wird, wenn also die Bürger bei einem Referendum das letzte Wort bekommen. Natürlich gibt es keine Gewissheit, dass da die Bürger immer „richtig“ abstimmen. Aber sicher ist jedenfalls, dass die repräsentativen Volksvertreter dazu nicht imstande gewesen sind. Die Bürger wissen meist viel besser, als die Politiker glauben, dass sie am Ende jede Wohltat selbst bezahlen müssen. Sie haben ein viel besseres Gespür als die Politik, welche sozialen oder humanitären Maßnahmen gerechtfertigt sind und welche nur bequeme Nischen für Leistungsverweigerer auftun.

Bis aber einer dieser beiden Fälle eintritt, wird die Politik nicht den nötigen Mut zu Sozialreformen haben. Auch wenn die Staatsverschuldung mittlerweile 87 Prozent des BIP erreicht hat. Auch wenn die Staatsquote (also der Anteil der Staatsausgaben am BIP) bei 52 Prozent liegt, was längst zum größten Hemmschuh von Investitionen und privater Initiative geworden ist.

Die Notwendigkeit zu Sozialreformen fußt aber nicht nur in der sich ständig verschlechternden wirtschaftlichen Lage der Republik. Es gibt auch drei davon unabhängige Entwicklungen, die solche Reformen zusätzlich dringend machen sollten, weil sie jedenfalls den Budgetdruck noch weiter erhöhen werden.

  1. Die – an sich überaus positive – medizinische Revolution und die Folgen der modernen Hygiene: Die Medizin kann immer mehr früher unbehandelbare Leiden heilen. Sie mildert einst tödliche Krankheiten oft zu chronischen ab (siehe das Schlagwort: Leben mit Krebs statt Sterben durch Krebs). Aber diese Behandlungen werden immer teurer – etwa durch extrem teure Geräte oder pharmazeutische Produkte. Logische Folge: Die Menschen brauchen oft eine teure Dauermedikation; die Menschen können dann noch viele weitere Krankheiten bekommen, die sie früher gar nicht mehr erlebt hätten. Heute leidet schon ein Drittel der betagten Menschen an Demenz, also an einem besonders pflegeintensiven Leiden. Das Gesundheitssystem ist durch die vor zwei Jahren als Langzeitlösung groß gefeierte Reform (anfang stolz verknüpft mit den Namen Schelling und Stöger) in keiner Weise saniert worden. Nicht einmal die drastische Verkürzung der ärztlichen Arbeitszeit war dabei berücksichtigt worden – obwohl diese schon damals in einer EU-Richtlinie beschlossen gewesen ist.
  2. Die Veränderung der Arbeitswelt. Berufe, für die es keine spezifische Ausbildung braucht, werden immer seltener. Als Folge gibt es selbst bei rasch wachsender Arbeitslosigkeit in manchen qualifizierten Berufen einen Mangel, von etlichen Facharbeiter-Disziplinen bis hin zu den Ingenieuren. Dafür bleiben immer mehr Menschen ohne Qualifikation arbeitslos über. Bloße Muskelkraft – bei Männern früher die oft einzig entscheidende Qualifikation – ist in der postindustriellen Gesellschaft immer seltener relevant. Aber genau das wird nicht nur von einem Teil der hier geborenen Menschen als einziges angeboten, sondern auch vom Großteil der Migranten und Asylanten.
  3. Die Folgen der – an sich überaus positiven – demographischen Entwicklung: Die Menschen werden immer älter. Auch dazu nur einige anschauliche Fakten:
  • 1970 war die Lebenserwartung eines 65-jährigen 76. Heute liegt sie über 83.
  • Allein im letzten Jahrzehnt hat sich der staatliche Zuschuss zu den Pensionen fast verdoppelt.
  • In den nächsten Jahren geht die gesamte Babyboomer-Generation in Pension.
  • Der Pensionsexperte Bernd Marin errechnete für das – gar nicht mehr ferne – Jahr 2030 eine Pensionistenzahl von drei Millionen!
  • Im von der Regierung vorgelegten Finanzrahmen bis 2019 ist die Steigerung der ASVG-Pensionskosten mit über 24 Prozent weit steiler als bei irgendeinem anderen Budgetposten. In absoluten Beträgen projektiert der Bund für 2019 bei Gesamtausgaben von 80 Milliarden Euro volle 24 Budget-Milliarden für Pensionen (das ist der Betrag, der wohlgemerkt noch zusätzlich zu den Beiträgen der Aktiven zuzuschießen ist).
  • Die wahrscheinlich viel zukunftswichtigeren Ausgaben für Forschung oder Umwelt werden sogar reduziert. Absolut wie relativ.
  • Die Österreicher gehen derzeit um viereinhalb Jahre früher in Pension als der OECD- oder EU-Schnitt.

Der Katalog der unvermeidlichen Maßnahmen

Um die Probleme des Wohlfahrtsstaats nicht nur zu analysieren und nach Politikerart allgemeine Lösungsvorschläge zu machen, sei in der Folge ein Katalog der wichtigsten Maßnahmen aufgelistet, die dringend umgesetzt werden müssten, soll trotz dieser dreifachen Herausforderung und der schweren Überschuldung das Land noch gerettet werden. Selbstverständlich müsste jeder dieser Punkte für eine gesetzliche Operationalisierung noch detailliert werden. Entscheidend wäre dabei aber, dass die generelle Richtung stimmt und nicht durch viele Detailregelungen zugunsten erfolgreich lobbyierender Gruppen letztlich wieder verwässert wird. Wie schon so oft.

  1. ASVG- wie Beamten-Pensionen werden – inflationsgesichert – nur noch in jener Höhe bezahlt, die versicherungsmathematisch den eingezahlten Beiträgen entspricht (bei den Beamten wäre gerechtigkeitshalber auch die Einberechnung eines vom Staat bisher nicht verrechneten fiktiven Arbeitgeber-Beitrags notwendig). Damit ist auch die Lebenserwartung zu berücksichtigen. Das bedeutet: Längeres Arbeiten rentiert sich spürbar. Man kann jedoch auch früher in Pension gehen, was ein Zugewinn an Freiheit ist. Das kann man freilich erst dann, wenn die erarbeitete Pension mindestens die Höhe der Ausgleichszulage erreicht.
  2. Eine solche Neuregelung würde eine dramatische Vereinfachung des Pensionsrechts bedeuten. Und vor allem würde dadurch der endlose Streit um das Pensionsantrittsalter beziehungsweise die unterschiedlichen Schwellen für Männer und Frauen irrelevant werden.
  3. Es gibt keine beitragslosen Pensionen für Witwen oder Witwer mehr. Für Mütter werden jedoch deutlich mehr Beitragsjahre als heute angerechnet. Das erfolgt gestaffelt nach Zahl und Lebensjahren der Kinder. So sollten für eine Mutter von drei Kindern bis zum 14. Geburtstag des jüngsten Kindes Beitragsjahre gutgeschrieben werden, wenn sie der Kinder wegen auf ein eigenes Volleinkommen verzichtet hat.
  4. Der Steuerzahler hat nur noch für ganz konkrete gesellschaftlich verursachte Kosten des Pensionssystems zuzuschießen (was deutlich weniger, aber insgesamt noch immer viel Geld bedeutet):
    den fiktiven Arbeitgeberbeitrag für seine Beamten;
    aus sozialer Solidarität Ausgleichszulagen an jene, die zu wenig einbezahlt haben, aber ab dem 70. Lebensjahr nicht mehr arbeiten können;
    Pensionsbeiträge für Jahre des Präsenz- bzw. Zivildienstes und der Kindererziehung;
    soziale Mindestsicherung für körperlich oder geistig Behinderte (Aber auch für diese muss es finanziell attraktiver bleiben, eine in vielen Fällen ja teilweise mögliche Arbeit auszuüben, als nur vom Staat zu leben).
  5. Kollektivverträge und Gesetze dürfen keine Gehaltserhöhungen (zB: „Biennien“) allein auf Grund des Dienstalters mehr vorsehen. Höhere Löhne darf es nur für mehr Verantwortung, Übernahme von Leitungsfunktionen, mehr Leistung, mehr Überstunden geben, nicht fürs bloße Lebens- oder Dienstalter. Dieses führt nur noch während der ersten vier Dienstjahre (also einer Einlernzeit) zu Gehaltserhöhungen. In Österreich steigt derzeit jedoch die Lebenseinkommenskurve am Ende auf 180 bis 250 Prozent das Anfangsverdiensts. In Schweden und Finnland hingegen beträgt diese Steigerung höchstens 23 Prozent. In Großbritannien sinkt die Einkommenskurve sogar (ab dem 40. Lebensjahr). Das von den Sozialpartnern geschaffene österreichische System ist ganz schlecht für Frauen, denen ja meist etliche Jahre fehlen. Und es zwingt viele Arbeitgeber geradezu, auf ältere Arbeitnehmer zu verzichten, weil diese zu teuer sind.
  6. Auch für Frauen wird der Präsenz/Zivildienst obligatorisch. Das wird schon deshalb unumgänglich, da insbesondere der Betreuungsbedarf älterer Menschen rapide steigt. Diese Maßnahme wird übrigens mehrheitlich auch von Frauen befürwortet, nur von Frauen-Politikerinnen nicht.
  7. Ausgleichszulagen und Mindesteinkommen (die in Österreich derzeit weit über dem europäischen Schnitt liegen) dürfen höchstens 65 Prozent des niedrigsten Kollektivvertrags-Vollzeitlohns betragen. Nur so kann verhindert werden, dass die soziale Hängematte an Stelle einer Arbeitssuche zu attraktiv ist.
  8. Die Familienbeihilfen als Kopfgeld pro Kind werden zehn Jahre lang eingefroren. Dafür werden für jedes Kind die Steuerlasten der Eltern spürbar reduziert. Das ist nicht nur gerecht, das macht es auch zunehmend unmöglich, nur von Familienbeihilfe und Mindestsicherung zu leben. Das können derzeit aber viele Familien. Solcherart kann in Österreich auch ohne Arbeit noch immer ein deutlich höherer Lebensstandard erzielt werden als in vielen anderen Ländern mit Arbeit (vor allem angesichts der vielen Gratisleistungen des Sozialstaats wie Gratisgesundheit, Gratisschulen oder Gebührenbefreiungen für Geringverdiener).
  9. Die Pflichtmitgliedschaften in Kammern werden abgeschafft. Das erhöht die Realeinkommen beispielsweise bei den Arbeitnehmern um volle 0,5 Prozent.
  10. In keinem Bereich darf es künftig eine Finanzierung oder Förderung durch mehr als eine Körperschaft geben. Das ist aber derzeit in vielen Bereichen des Sozialsystems der Fall. In Zukunft gilt: Alleine finanzieren, alleine entscheiden, alleine die Verantwortung tragen – egal ob es mehr Gratiskindergarten geben soll, oder ein neues Spital. Mischfinanzierungen sind die größte Quelle der Ineffizienz und Verantwortungslosigkeit.
  11. Im Gesundheitssystem wird das System Pflichtversicherung durch das System Versicherungspflicht abgelöst. Nur dadurch kann Konkurrenz und damit Druck hin zu mehr Qualität und Kostenbewusstsein entstehen.
  12. Die konkurrierenden Gesundheits-Versicherungen können Tarife mit Selbstbehalten anbieten (müssen aber nicht). Nur die Pflicht, einen Selbstbehalt zu zahlen, ruft das Interesse der Patienten an der Vermeidung überflüssiger Behandlungen, Medikationen oder Mehrfach-Diagnosen wach. Nur Selbstbehalte schaffen auch einen ökonomischen Anreiz, gesünder zu leben, während die Rundum-Gratisgesundheit zu mehr Sorglosigkeit führt. Selbstbehalte sollten daher auch dann eingeführt werden, wenn man am alten System der vorgeschriebenen Pflichtversicherung festhält. Die über Selbstbehalte aufzubringenden Summen werden gedeckelt (mit einem Prozentsatz des Einkommens oder in absoluten Beträgen).
  13. Das einzige Argument, der diesem System bisweilen entgegengehalten wird: Schlechte Risken, also chronisch kranke, betagte, rauchende oder undiszipliniert lebende Menschen würden von keiner Versicherung angenommen. Das ließe sich ganz einfach lösen (nach dem Modell der Kfz-Versicherung): Solche Risken werden reihum und verpflichtend abwechselnd den einzelnen Versicherungen zugewiesen.
  14. Das einzige, was der Staat da noch zu tun hätte: einen Mindestkatalog an medizinischen Leistungen aufstellen, die jedenfalls von jeder Versicherung gedeckt werden müssen. In diesen Katalog müssen alle großen und teuren Risiken enthalten sein. Hingegen sollten die vielen kostenintensiven Kleinigkeiten unberücksichtigt bleiben (Stichwort Kopfwehpulver). Wenn der Staat diesen Leistungskatalog erhöht, dann muss jeder Politiker wissen, dass das auch die Versicherungsbeiträge erhöht.
  15. Die Konkurrenz und die Leistungserbringung der Versicherungen müssten ähnlich wie bei der Energie von einem neutralen Regulator überwacht werden.
  16. Jede Versicherung muss mindestens eine Variante einschließlich einer Abdeckung der Pflegekosten anbieten (wahlweise auf einfachem oder auf anspruchsvollem Niveau). Diese Variante wird nach einer Erprobungsphase in eine allgemeine Pflicht zum Abschluss einer Pflegeversicherung umgewandelt.
  17. Eine Versicherung darf einen Patienten nicht kündigen.
  18. Das Gesundheitssystem wird nur durch die Zahlungen der Versicherungen oder Privatpatienten finanziert. Der Staat finanziert nur noch Forschung, Lehre und Ausbildung. Der Staat – also meist Länder oder Gemeinden – darf zwar weiterhin Spitäler betreiben, aber dorthin keine Steuergelder fließen lassen.
  19. Die Versicherungen zahlen jedem Spital den gleichen Betrag für die gleiche Leistung. Es gibt  also keine Bevorzugung mehr für geldverschwendende staatliche Spitäler.
  20. Versicherungen haben das Recht, Vertragstypen anzubieten, bei denen der Hausarzt (ein Allgemeinmediziner) zur Pflicht-Drehscheibe wird, über die dann erst alle anderen Gesundheitsleistungen gesteuert werden.
  21. Versicherungen können das, was sie als Fortsetzung der e-Card entwickeln, auch mit biometrischen Identifikationen verbinden. Etwa durch einen elektronischen Fingerabdruck wird dabei kontrolliert, dass nur Berechtigte die jeweiligen Gesundheits-Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Was derzeit ja oft geschieht und das System verteuert.
  22. Der erste Tag jedes Krankenstandes wird als Urlaubstag gewertet. Damit wird das in manchen Betrieben verbreitete Krankfeiern an Montagen oder nach üppigen Festen eingebremst.

Viele dieser Vorschläge werden manchen aufs erste als zu weitgehend erscheinen. Aber solche Maßnahmen werden unumgänglich:

  • Wegen der ständig steigenden Kosten des Wohlfahrtsstaats.
  • Um den – unbedingt verteidigenswerten – Kern des Wohlfahrtssystems zu bewahren.
  • Um Kostenwahrheit und Transparenz herzustellen.
  • Und um wieder die Eigenverantwortung zu stärken. Diese ist eine der wirksamsten Motivationskräfte der Menschheitsgeschichte. Nicht der Staat („die Partei“) garantiert die Höhe meiner Pension – was ja ohnedies immer nur eine leere Versprechung war –, sondern ich selbst bestimme dies durch meine Leistungen und die Entscheidung, kürzer oder länger zu arbeiten. So wie ich ja auch selbst die Entscheidungen über meine Ernährung und Bekleidung treffe. Der Staat fungiert nur noch als Großschadensversicherung.

Ungewohnt und neoliberal? Mag sein (was auch immer „neoliberal“ heißen mag). Aber unverzichtbar. Denn wir haben unsere Anforderungen an den Staat immer höher geschraubt, bis er unfinanzierbar geworden ist. Und knapp davor steht, gegen die Wand zu donnern.

(Dieser Text ist in weitgehend ähnlichem Wortlaut auch in dem soeben erschienenen Buch "Mut zur Wahrheit" (atterseekreis.at) veröffentlicht worden.)

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