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In der ÖVP geht es zum Asylthema rund. Es gibt tiefe strategische Differenzen, aber auch persönliche Animositäten. Die Meinungen ändern sich überaus rasch. Parteichef Mitterlehner formuliert in einem Radio-Interview eine total andere Linie als noch fünf Tage zuvor im Fernsehen. Diese neue Linie zu einer zugegeben alle Dimensionen übersteigenden Herausforderung wäre eigentlich auch eine sehr lobenswerte Entwicklung.
Angesichts des Chaos während der letzten Monate sollte man mit Lob aber sparsam sein: Bis die neue Linie Mitterlehners diesmal wirklich dauerhaft wird. Bis sie von allen Exponenten verstanden und ohne neuerlich auflodernden Zwist mitgetragen wird. Bis sie aus mehr besteht als einem Satz. Und bis die ÖVP für diese neue Linie europaweit – aber insbesondere bei ihren deutschen Parteifreunden – zu werben beginnt.
Mitterlehner hat jedenfalls nach seinem verheerenden TV-Interview nun eine deutliche Kurskorrektur gemacht. Im Fernsehen hatte er am Beginn der Woche ja noch eine „Schubumkehr“ hin zu einer noch viel Zuwanderer-freundlichen Linie verlangt. Damit hat er einen gewaltigen Proteststurm der Parteibasis ausgelöst. Per Mail, SMS und Telefon, in mündlichen Kontakten mit Abgeordneten haben offenbar so viele ÖVP-Mitglieder ihr Entsetzen über den Linkskurs des ÖVP-Obmannes signalisiert. Darauf hat dieser – natürlich ohne extra darauf hinzuweisen – einen scharfen Kurswechsel vorgenommen.
Mitterlehner hat im ORF-Radio jetzt nicht nur auf das ganze Schubumkehr-Gerede verzichtet. Er hat nicht nur davon gesprochen, dass es an der EU-Außengrenze Zentren für Asylwerber geben soll. Noch viel wichtiger ist, dass überhaupt zum ersten Mal ein österreichisches Regierungsmitglied angeregt hat, dass in solche Zentren auch die schon in die EU hineingelangten Asylwerber zurückgebracht werden sollen. Damit hat sich Mitterlehner nun überraschend dem australischen Modell angenähert, das dieses Tagebuch seit Monaten als einzige Rettung Europas sieht (übrigens auch schon lange, bevor die FPÖ auf diesen Vorschlag eingeschwenkt ist – was aber natürlich ebenfalls erfreulich ist).
Einmal angenommen, dass Mitterlehner jetzt auf diesem Kurs bleibt, ist das eine erfreuliche Bestätigung, dass Politiker doch lernfähig sind – auch wenn das oft zu spät der Fall ist. Noch erfreulicher ist, dass dabei ganz offensichtlich klare Äußerungen der Parteibasis gehört worden sind und gewirkt haben. Daraus kann man lernen, dass es für Staatsbürger meist sinnvoller ist, direkt die Parteien unter Druck zu setzen (so wie das ja auch die US-Bürger ständig bei ihren Senatoren tun), als den langen und erfolgsarmen Weg eines Volksbegehrens zu gehen.
Umso überflüssiger ist freilich, dass Mitterlehner zugleich auf erkennbare Distanz zu seinen „Parteifreunden“ Kurz und Mikl-Leitner geht. Gewiss ist verständlich, dass die hektische und sich täglich ändernde Politik der überforderten Innenministerin nervt. Aber die Unsicherheit, die sie ausstrahlt, ist ja eindeutig direkte Folge der Tatsache, dass Mikl monatelang im Sturm des größten Problems der letzten Jahrzehnte ganz allein gelassen worden ist. Auch vom eigenen Parteichef (ebenso war der Außenminister bis Mitte August seltsam still).
Gerade in einer solchen Krise müsste ein Parteiobmann seit Monaten in Wirklichkeit täglich mit dem im Zentrum stehenden Minister seiner Partei telefonieren und engstens dessen Linie und die der Partei abstimmen. Er dürfte sich keinesfalls verstecken. Heikle Themen zu meiden oder zu diesen nur Luftblasen auszustoßen, ist genau das Gegenteil jener Leadership, die Mitterlehner ein Jahr nach seinem Amtsantritt so gerne ausstrahlen würde.
Aber auch die Seitenhiebe auf Kurz waren überflüssig. Natürlich kann man diskutieren, ob dessen Vorschlag, Grenzkontrollen innerhalb der EU einzuführen, wirklich zielführend ist. Aber gerade Mitterlehner redet ja sonst auch oft recht ausweichend. Da ist es umso auffallender, wenn er vor dem Mikrophon eine Kurz-Idee ungeniert als problematisch und ineffektiv abkanzelt, wenn er die mutige wie richtige Kurz-Erkenntnis vom Tisch wischt, dass es im Nahen Osten auch militärische Notwendigkeiten gibt.
Wer die Politiker-Sprache kennt, hört da ganz klar die Eifersucht auf den beliebten Jungminister heraus. Das ist doppelt überflüssig, weil sich Mitterlehner und Kurz derzeit ohnedies in die gleiche Richtung bewegen. Und weil sie – der eine früher, der andere halt später – den absurden Chorgesang mit der Linken beendet haben, der da zum Entsetzen der großen Mehrheit der Österreicher lautet: „Ihr Flüchtlinge kommet doch all“.
Aber offensichtlich bangt Mitterlehner schon nach einem Jahr wieder um seinen Job und will deshalb seinen einzigen potenziellen Rivalen totbeißen. Obwohl seine Image-Tief auf eigene Fehler zurückgeht und (noch) nicht auf parteiinterne Intrigen: auf seine bisherige Kopf-in-den-Sand-Asylpolitik; auf das verfehlte Steuerpaket vom Frühjahr; und auf die für viele ÖVP-Wähler unerträgliche großkoalitionäre Harmonie.
Dabei stehen die beiden Heimat-Bundesländer von Mitterlehner und Kurz gerade knapp vor Landtagswahlen. In der ÖVP wird jetzt ganz genau beobachtet werden, ob die Partei im Kurz- oder im Mitterlehner-Bundesland schlechter als im anderen abschneidet.
Vor dem Hintergrund dieser bevorstehenden Wahlen hat ÖVP-Generalsekretär Blümel offenbar die Panik über das Radio-Interview Mitterlehners und dessen Folgen gepackt. Er ist jedenfalls sofort nach dem Interview ausgerückt, um dieses ins Gegenteil umzuinterpretieren: „Die ÖVP demonstriert Geschlossenheit beim Asylthema. Sowohl Vizekanzler Reinhold Mitterlehner als auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Außenminister Sebastian Kurz würden für verstärkten Schutz der Außengrenzen, Anlaufstellen in Krisenregionen und an der EU-Außengrenze sowie eine faire Verteilung auf alle EU-Staaten eintreten.“ So Blümel in einer erstaunlichen Aussendung.
Selbstverständlich. In der ÖVP herrscht Geschlossenheit beim Asylthema. Russland ist auch nicht in der Ukraine einmarschiert. Griechenlands Wirtschaft ist saniert. Amerika, Frankreich und England haben nichts zu tun mit dem Schlamassel in Libyen und Syrien. Die Türkei ist ein Rechtsstaat. Mohammed ist sein Prophet (von wem immer).
Aber natürlich sind parteiinterne Reibereien Sache einer Partei. Die Österreicher würden halt nur gerne darum bitten, endlich einen klaren und zielführenden Kurs der Regierung in der Asylantenfrage zu entdecken. Davon freilich ist das Land noch weit entfernt.
Das zeigt auch der Blick auf die beiden Nachbarländer die der österreichischen Hauptstadt weitaus am nächsten liegen.
In Pressburg hat jetzt der (sozialistische!) Premier Fico neuerlich etwas formuliert, das die Österreicher eigentlich täglich von ihrer eigenen Regierung hören wollen: „Lasst uns nicht so tun, als ob wir das Problem lösen könnten, indem wir alle mit offenen Armen empfangen." Und in Ungarn wird nicht nur in Kürze der Grenzzaun fertig, werden nicht nur Tausende Bewaffnete zur Sicherung des Landes an die serbische Grenze geworfen. Sondern dort wird auch ein Gesetz beschlossen, dem zufolge Asylwerber künftig bestraft werden können, wenn sie dennoch die Grenze überwinden.
Ungarns Premier Orban erweist sich zunehmend als der überragende Chef eines Landes in dessen schwierigsten Stunden. Er wartet nicht unendlich, bis Europa sich vielleicht irgendwann doch aufschwingt, die australische Lösung umzusetzen. Sondern er setzt bis dahin alle denkbaren Schritte, um sein eigenes Land zu sichern.
Davon ist Österreich unendlich weit entfernt. Da tauschen Parteifreunde lieber gegenseitig Spitzen aus.