Österreich befindet sich in einer veritablen Krise. Eine fatale Trias aus wachsendem Regulierungsdruck, steigender Staatsverschuldung und zunehmender Arbeitslosigkeit hält das Land im Griff. Die immer noch mit einer komfortablen Mehrheit regierende rotschwarze Koalition hätte es – entsprechende Ambitionen und ausreichend qualifiziertes Personal vorausgesetzt – in der Hand, einen Befreiungsschlag zu führen und die Dinge zum Besseren zu wenden. Leider fehlt es ihr an beidem. Die Chance auf einen „großen Wurf“, der mit der eben mit viel Eigenlob beschlossenen Steuerreform verbunden war, ist vertan.
Von all den törichten Behauptungen, die man rund um die eben mit den Stimmen der rotschwarzgrünen Sozialisten im Lande besiegelten, am 1. 1. 2016 in Kraft tretenden, „größten Steuerreform aller Zeiten“, hören kann, ragt eine besonders hervor: „Wenn wir alle brav unsere Steuern zahlen, zahlen wir alle weniger Steuern.“ Es ist bezeichnend für die Arroganz und Abgehobenheit der herrschenden Klasse, dass dieser sagenhafte Mumpitz vom schwarzen Säckelwart der Nation, Hans Jörg Schelling, anlässlich einer Wahlveranstaltung der einstigen „Wirtschaftspartei“ ÖVP zum Besten gegeben wurde. Dass der Mann sich größter Beliebtheit beim Wahlvolk erfreut, stellt dessen Urteilskraft übrigens kein besonders günstiges Zeugnis aus.
Trotz der höchsten Steuereinnahmen derer sich ein österreichischer Finanzminister je erfreuen konnte, steht nicht nur die Arbeitslosigkeit, sondern auch die Verschuldung des Landes auf einem Allzeithoch. Das bedeutet die glatte und absolut unmissverständliche Falsifikation des Schellingschen Sagers. Denn wie „brav“ auch immer die Insassen der Alpenrepublik ihre Tribute an den Großen Bruder abführen – es ist niemals genug. Die Summe der Staatsausgaben wird nämlich nicht – wie in jedem Privatbetrieb, dessen Chef der Bekanntschaft mit dem Konkursrichter ausweichen will – von der Höhe seiner Einnahmen bestimmt, sondern es läuft genau umgekehrt: Die Regierung verbrät so viel Geld wie möglich und nimmt in der Folge die Tributpflichtigen brutal in die Mangel.
Die rund fünf Milliarden Euro schwere Steuerentlastung kommt – über die Tarifkorrektur bei der Lohnsteuer – faktisch ausschließlich unselbständigen Arbeitnehmern zugute. Daran wäre dann nichts auszusetzen, wenn die Staatsausgaben in gleicher Höhe sinken würden. Das aber wird selbstverständlich nicht geschehen. Die fünf Milliarden, die zum Großteil in den Konsum gehen werden, werden nämlich – Achtung Neusprech: – „gegenfinanziert“. Im Klartext: Sie müssen von den Betrieben aufgebracht werden. Umverteilung pur. Von zukunftssichernden Investitionen im Inland zu Konsumaufwand, der zu 80 Prozent ins Ausland abfließen wird. Genial.
Eine Anhebung der Kapitalertragsteuer um 10 Prozent ist zweifellos ein starkes Signal – allerdings in die falsche Richtung. Dass dieser Coup durch die Einführung einer 55-prozentigen, ab einer Million Jahresgage fälligen, neuen Progressionsstufe im Einkommensteuertarif ermöglicht wird (worauf man deshalb verfallen ist, weil eine verfassungsrechtlich zementierte Verbindung zwischen dem Höchsttarif der Einkommensteuer und der Kapitalertragssteuer besteht), offenbart den unternehmerfeindlichen Furor dieser Regierung.
Da Einkommensmillionäre im Land am Strome so überaus rar sind, dass bei denen nichts zu holen ist, bleiben als einzige Zahler des Kunstgriffs eben die Unternehmer übrig. Man kann sich unschwer ausmalen, wie sehr dadurch die Lust am Unternehmerberuf gesteigert wird. Ob dieser Teil der Steuerreform unter die vom Vorgänger Schellings geforderten Maßnahmen fällt, die der „Entfesselung der Wirtschaft“ dienen sollen?
In dieselbe „entfesselnde“ Richtung zielt übrigens auch die Anhebung der Höchstbeitragsgrundlage zur Sozialversicherung, wodurch die jetzt schon auf Rekordhöhe befindlichen Lohnnebenkosten noch weiter nach oben getrieben werden. Verschlechterungen bei unternehmerischen Abschreibungsmöglichkeiten und die Verteuerung der Privatnutzung von Firmenfahrzeugen gehen ebenfalls zu Lasten von Wirtschaftstreibenden und angestellten Leistungsträgern.
Fazit: Die Steuerreform ist ein lupenrein nachfrageseitig orientiertes Machwerk, an dem Lord Keynes seine helle Freude hätte. Dessen zahlreiche austriakische Epigonen sind auch voll des Lobes darüber. Weniger begeistert werden indes schon bald jene Zeitgenossen sein, die nicht in geschützten staatlichen Werkstätten obsolete Unterkonsumptionstheorien feiern dürfen, sondern in der Welt des Marktes überleben müssen. Denn es dürfte auch für Nicht-Hellseher leicht zu erkennen sein, dass nach deren Inkrafttreten, mit dem der Generalverdacht gegen alle Selbständigen zur Staatsräson erhoben wird (Stichworte: Registrierkassenpflicht, Abschaffung der verbliebenen Reste des Bankgeheimnisses, Neueinstellung mehrerer Hundertschaften zusätzlicher Steuerprüfer, etc.), eine große Zahl von derzeit unter prekären Bedingungen wirtschaftenden Betrieben aufgeben wird.
Deren Fortführung wird sich einfach nicht mehr rechnen. Unternehmen dieser Art (kleine und mittlere Handels-, Handwerks- und Gastronomiebetriebe) können angesichts des wachsenden Konkurrenzdrucks aus dem benachbarten Ausland und steigender Regulierungsosten nur deshalb überleben, weil sie derzeit das eine oder das andere Geschäft am Fiskus vorbei abwickeln können. Fällt diese Möglichkeit dank der angepeilten Reformmaßnamen nun weg, ist für sie Feierabend.
Die durch die Steuerreform erzwungene „Steuerehrlichkeit“ der Betriebe wird sich als Pyrrhussieg für den Finanzminister erweisen. Denn die Nachfrage nach Handwerksdienstleistungen wird auch in Zukunft nicht verschwinden. Nur werden diese künftig eben nicht mehr durch heimische Unternehmer und deren Mitarbeiter erbracht werden. Jene (ausländischen) Schwarzarbeiter, die künftig die Tätigkeit der zugrunde gegangenen heimischen Gewerbebetriebe leisten werden, werden Schelling & Genossen folglich zu größtem Dank verpflichtet sein.
Würden die regierenden Genossen sich aus erster Hand – nämlich bei jenen kleinen Gewerbetreibenden, die nach wie vor das Rückgrat der heimischen Wirtschaft bilden, informieren, bliebe ihnen das nicht verborgen. Allerdings ist davon auszugehen, dass sie es ohnehin wissen und es ihnen einfach gleichgültig ist…
Der liberale Journalist Christian Ortner übertitelte einen seiner Beiträge in der Wiener „Presse“ kürzlich mit „Die Sehnsucht des Wählers nach dem nassen Fetzen“ und meinte, dass die Bürger die Regierung in zunehmendem Maße als feindliche Besatzungsmacht wahrnehmen und lieber heute als morgen davonjagen würden. Wer wollte ihm angesichts der Qualität dieser „Reform“ ernsthaft widersprechen?
Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist Kaufmann in Wien.