Unlängst beglückte die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ ihre Leserschaft mit einer Titelgeschichte zu den seit Monaten im Internet massenweise kursierenden Vorwürfen, wonach Printmedien sowie öffentlich-rechtliche und private Rundfunk- und Fernsehanstalten nur mehr unter das Schlagwort „Lügenpresse“ gefasst werden könnten. Naturgemäß stellte das Blatt, für das seit Jahren zwei nicht ganz unbedeutende Redakteure tätig sind, die neuerdings das ZDF klagen, weil sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu gewissen „Thinktanks“ in einer Sendung in die Nähe interessegeleiteter Berichterstattung und Kommentierung gerückt worden waren, all dies in Abrede. Und stimmte unter Beiziehung von Medien-Professoren, die den Anspruch wissenschaftlich fundiert getroffener Aussagen erhoben, ein Loblied auf Ethos, Güte und Seriosität ihresgleichen an.
Wie es damit bestellt ist, konnten interessierte „Medien-Konsumenten“ diesseits und jenseits der Alpen soeben wieder einmal an einem im Vergleich mit sonstigen Weltläuften zwar eher randständigen, hinsichtlich des Umgangs mit dem Wahrheitsgehalt von Informationen und deren Verbreitung gleichwohl aber symptomatischen Fall beobachten. Berichte vom Ableben Peter Kienesbergers, eines ehedem weithin bekannten, wirkmächtigen Südtirol-Aktivisten, strotzten nur so von Fehlinformationen, Unwahrheiten und Stigmatisierungen.
Der besonders mutig, tapfer, konspirativ und effektvoll vorgehende Kienesberger gehörte zu den von den italienischen Diensten und Sicherheitskräften in den 1960er Jahren am meisten gefürchteten „Partisanen“. Der 1942 in Wels (Oberösterreich) gebürtige Kienesberger entstammte einer patriotisch gesinnten Familie. Hervorgerufen durch die – im Gegensatz zum „diplomatischen“ (und also eher hasenfüßigen) Wirken von Politikern – tätige Auflehnung der Männer des Befreiungsausschusses Südtirol (BAS) gegen die Nichtgewährung der Selbstbestimmung für den südlichen Landesteil Tirols und die vom „demokratischen“ Italien bruchlos fortgesetzte faschistische Entnationalisierungspolitik gegenüber dessen Bevölkerung schloss sich Kienesberger dem BAS an.
Die entscheidende Wende im Leben des damals Neunzehnjährigen leitete die Herz-Jesu-Nacht 1961 ein. Am 11. und 12. Juni sprengten die Freiheitskämpfer des BAS rund um Bozen 40 Masten, um die Welt auf die nicht anders als kolonialistisch zu nennende Politik Italiens gegenüber den Südtirolern aufmerksam zu machen. Als die „Besatzungsmacht“ – so die Terminologie nicht allein der BAS-Leute – daraufhin 22.000 Carabinieri und Soldaten nach Südtirol verlegte, als es zu Massenverhaftungen und zu Folterungen der inhaftierten BAS-Aktivisten kam, kündigte Kienesberger seinen Arbeitsplatz und schloss sich deren Widerstand an.
Der gelernte Elektriker war – im Gegensatz zu den in Medienberichten verbreiteten Falschinformationen – nie Student. Er gehörte folglich nicht der Innsbrucker Verbindung „Brixia“ an. Da er nie studiert hatte, konnte er auch nicht „Diplom-Kaufmann“ gewesen sein, als der er in diesen Medienberichten unter Bezug auf den viel später in Nürnberg von ihm betriebenen Verlag und Buchdienst genannt worden ist. Kienesberger war auch nie NDP-Mitglied, wenngleich er deren Vorsitzenden Norbert Burger gut kannte.
Schon am 22. August 1961 stand der junge Bursche mit dem legendären Südtiroler Schützenmajor Georg („Jörg“) Klotz und einigen anderen Mitverschwörern im Passeier im Einsatz. Die Gruppe sprengte einen Hochspannungsmast. Dann warteten die Männer im Hinterhalt gespannt auf das Eintreffen der Polizeikräfte. Als „Rendezvous-Partner“ erwarteten sie den Meraner Carabinieri-Kommandanten Capitano De Rosa, einen der gefürchtetsten Folterer in Südtirol. Als dieser mit seinen Männern am Tatort eintraf, eröffneten die Freiheitskämpfer sofort das Feuer – über deren Köpfe hinweg; De Rosa, in gebügelter Uniform, warf sich in seiner Not unter seinem Geländewagen in den Dreck.
Es folgten folgten weitere Mastensprengungen im Bozner Unterland, Sprengstofftransporte über Gletscher und Jöcher hinweg, Kommandounternehmen im Passeier- und im Sarntal. Kienesberger begleitete Klotz und dessen engen, 1964 im Auftrag des „Ufficio riservato“ (Abteilung für vertrauliche Angelegenheiten) des italienischen Innenministeriums von einen Agenten ermordeten Kameraden Luis Amplatz, einen gewählten Offizier der Schützenkompanie Bozen-Gries, bei diversen weiteren Einsätzen.
In Italien war Kienesberger – stets in Abwesenheit und in Verfahren, welche von österreichischen und deutschen Höchstgerichten später als menschenrechtswidrige Fehlurteile eingestuft wurden – zu 47 Jahren (Mailänder Gericht) sowie zu lebenslänglicher Haft (Florentiner Gericht) verurteilt worden. In Österreich hingegen, wo er mehrmals wegen Südtirol-Verfahren vor Gericht stand, wurde er stets freigesprochen.
Zeitlebens hatte es Peter Kienesberger bedrückt und empört, dass ihm – und seinen damaligen Mitangeklagten, (dem aus Innsbruck stammenden späteren Düsseldorfer Anästhesie-Professor) Erhard Hartung und (dem Unteroffizier des österreichsichen Bundesheeres) Egon Kufner – der Tod von vier italienischen Soldaten angelastet wurde. Diese sollten angeblich im Juni 1967 auf der Porzescharte durch ein von ihm geplantes Attentat zu Tode gekommen sein sollten. Was Kienesberger, Hartung und Kufner stets vehement von sich wiesen. Sie waren durch „Geständnisse“ belastet worden, welche die italienischen Sicherheitsbehörden von zwei verhafteten österreichischen BAS-Mitgliedern unter Folter erpresst hatten.
Im Gegensatz zu dem im menschenrechtswidrigen Abwesenheitsverfahren zu Florenz 1971 ergangenen Urteil wurden Kienesberger, Hartung und Kufner in Österreich in zweiter Instanz freigesprochen. Und Bundespräsident Rudolf Kirchschläger unterband den von der Staatsanwaltschaft initiierten nächstinstanzlichen Fortgang.
Peter Kienesberger aber hatte allein wegen der „Causa Porzescharte“ drei Jahre und sieben Monate unschuldig in Untersuchungshaft verbracht und bis zur Einstellung des Verfahrens dreieinhalb Jahre in Deutschland im Exil gelebt. Insgesamt brachte er sechs Jahre und acht Monate seines Lebens in österreichischer Untersuchungs- und deutscher Auslieferungshaft zu.
Italien versuchte zwischen 1978 und 1992 in mehreren juristischen und politischen Vorstößen von Deutschland seine Auslieferung zu erwirken. Diese Versuche, gegen die österreichische Politiker, so Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) und Justizminister Harald Ofner (FPÖ), bei der deutschen Regierung intervenierten, wobei sie auf die Fragwürdigkeit des italienischen Vorgehens hinwiesen, scheiterten schließlich am Bundesgerichtshof sowie am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Mehrere Entführungs- und Mordpläne italienischer Geheimdienste gegen Kienesberger mit bereits konkreten Vorbereitungen schlugen indes fehl, da sie vorzeitig enthüllt wurden.
Im erzwungenen Exil in Nürnberg hatte Kienesberger seine Frau Elke kennengelernt und mit ihr den formell von ihr verlegerisch geführten „Buchdienst Südtirol“ gegründet. In diesem führte er seinen kämpferischen Einsatz für die Freiheit Südtirols im Namen der von ihm mitbegründeten „Kameradschaft ehemaliger Südtiroler Freiheitskämpfer“ mit publizistischen Mitteln fort: mit historischen Dokumentationen, Kalendarien und der Zeitschrift „Der Tiroler“.
Einschlägigen Medienberichten, wonach Kienesberger laut bayerischen Verfassungsschutzberichten über seinen „Buchdienst Südtirol“ „rechtsextremistisches Gedankengut verbreitet“ habe, steht an tatsächlichem Wahrheitsgehalt entgegen, dass er lediglich ein einziges Mal im Jahresbericht 2001 des Bayerischen Verfassungsschutzes erwähnt worden war, weil er vor der „Burschenschaft Danubia“, welche eigentlich Gegenstand von dessen Beobachtung war, einen Vortrag über die Ereignisse in Südtirol in den 1960er Jahren gehalten hatte.
Das mag genügen, um aufzuzeigen, wie aus einer faktischen Singularität medial das Generalverdikt „rechtsextrem“ wird. Bleibt hinzufügen, dass heutzutage jeder, der Zweifel an der offiziellen Wiener, Innsbrucker und Bozner Südtirol-Politik äußert und stattdessen die den Südtirolern stets verweigerte Selbstbestimmungslösung verlangt, in Politik und Medien „politisch-korrekt“ und „mainstreamig“ als „Rechtsextremist“ gebranntmarkt wird.
Die Ablehnung der „Tiroler Tageszeitung“ (TT), eine von der „Kameradschaft ehemaliger Südtiroler Freiheitskämpfer“ begehrte Todesanzeige für Kienesberger zu bringen, spricht Bände. (Dabei hatte sich die TT einst durch redaktionelles Stehvermögen just in der „Causa Porzescharte“ ausgezeichnet, indem sie aufgrund eigener Recherchen darlegte, dass die dortigen Geschehnisse partout nicht so gewesen sein konnten, wie sie Italien darstellte.)
Hier der Text, den Eigner „Schlüsselverlag J.S. Moser GmbH“ als „zu politisch“ ablehnte:
PETER KIENESBERGER
* 01.12.1942 Wels
+ 14.07.2015 Nürnberg
Die Folterungen der politischen Gefangenen durch die Carabinieri in Südtirol haben ihn zum unermüdlichen Streiter für die Einhaltung der Menschenrechte, die Wiedervereinigung Tirols und Südtirols Freiheit durch Selbstbestimmung werden lassen. Deshalb schloss er sich aktiv bereits im Sommer 1961 dem Befreiungs-Ausschuss-Südtirol (BAS) an und war bis zuletzt für eine gerechte Lösung der Südtirol-Frage sowie der historisch korrekten Darstellung derselben publizistisch tätig.
Ob seines Idealismus wurde Peter Kienesberger diffamiert und bis zu seinem Tod juristisch verfolgt. Insgesamt verbrachte er aus politischen Gründen 6 Jahre 8 Monate in Untersuchungs- und Auslieferungshaft, musste 3 ½ Jahre im politischen Exil leben und wurde in Italien in verschiedenen Südtirol-Prozessen in Abwesenheit menschenrechtswidrig zu lebenslanger und 47 Jahren Haft verurteilt obwohl er ob gleicher Vorwürfe in Österreich stets freigesprochen wurde. So konnte er sein geliebtes Südtirol nie mehr besuchen.
Mit Peter Kienesberger verlieren wir einen guten Kameraden und Tirol einen aufrechten Patrioten.
Für die ehemaligen Südtiroler Freiheitskämpfer
Univ.-Prof. Dr. Erhard Hartung, Innsbruck
Sepp Mitterhofer, Meran
Eine Genugtuung war es für den Verstorbenen, noch erleben zu dürfen, dass der österreichische (Militär-)Historiker Hubert Speckner anhand bis dato geheimer österreichischer Akten und zufolge eigener Untersuchungen unter Beiziehung von Sprengstoff-Experten in dreijähriger Arbeit schlüssig bewiesen hat, dass der sogenannte „Tatort“ auf der Porzescharte seinerzeit offenbar manipuliert worden war und demzufolge Kienesberger mitsamt damaligen Mitangeklagten am einstigen Geschehen auf der Porzescharte nicht beteiligt gewesen sein konnte.
Stattdessen müssen, wie der Historiker und Publizist Reinhard Olt in seiner Einleitung zu Speckners Untersuchungen darlegte, die zugrundeliegenden Geschehnisse im Zusammenwirken konspirativer Machenschaften italienischer Geheimdienstler mit (im italienischen „Gladio“-Arm der geheimen „Stay-behind“-Nato-Sabotagetruppe aktiven) Angehörigen neo-faschistischer Gruppierungen, unterfüttert von einer aus römischen und regionalen Stellen gespeisten Desinformationskampagne, mit dem Ziel gesehen werden, das österreichisch-italienische Spannungsverhältnis zu verschärfen und damit Wiens EWG-Assoziationsbegehr zu unterlaufen. Man beachte auch die eindrucksvolle filmische Dokumentation.
Fehl geht, wer glaubt(e), Speckners 2013 veröffentlichte Studie, welche nachträglich die Berechtigung des einstigen zweitinstanzlichen österreichischen Freispruchs der Drei unterstreicht und sie rehabilitiert, führe alsbald auch zu deren juristischer Rehabilitation. Nichts dergleichen ist auf absehbare Zeit erwartbar.
Weder sind Bemühungen erkennbar, das florentinische Fehlurteil von 1971 zu annullieren, noch eine Wiederaufnahme des Verfahrens überhaupt anzustrengen. Geschweige denn, dass der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer – dem an der Universität Innsbruck habilitierten Juristen ging Speckners Buch zu – die Courage gehabt hätte, bei seinem italienischen Gegenüber auf Annullierung zu dringen.
Noch unerträglicher stellt sich indes das Verhalten von sonst eigenlöblerich auf Korrektheit und informationelle Zuverlässigkeit bedachten Presseorganen in Deutschland, Österreich und Südtirol dar. Zwar berichteten seinerzeit einige wenige über Speckners Erkenntnisse in der „Causa Porzescharte“. Doch in den soeben aus Anlass von Kiensbergers Ableben veröffentlichten Meldungen und Berichten war davon nichts mehr zu finden.
Im Gegenteil: Wenn man bedenkt, was darin über ihn an Unwahrheiten oder Fehlinformationen verbreitet worden ist, glaubt man sich in die damalige italienische Desinformationskampagne zurückversetzt. Nicht allein, weil die italienische Agentur Ansa und die in Bozen erscheinende, italienisch-nationale Tageszeitung „Alto Adige“ das Sammelsurium althergebrachter Verdikte aufwärmten, was von dieser Seite eigentlich nicht anders erwartet werden konnte. Doch dass auch Publikationsorgane aus dem Südtiroler Verlagshaus Athesia ihr offenkundig ewiggleiches, auf Kienesberger und andere Freiheitskämpfer, die nicht für die (von der Südtiroler Volkspartei verabsolutierte) Autonomie, sondern für Selbstbestimmung, Loslösung von Italien und Wiedervereinigung mit Österreich fochten, bezogenes „Geschichtsbild“ nicht revidier(t)en, ist ihrer nicht würdig.
Den Gipfel journalistisch-ethischer Unwürdigkeit – im Sinne der Verbreitung von Fehlinformationen – überschritt indes die Austria Presse Agentur (APA). Sie kupferte kurzerhand und ohne deren Angaben einer nachrecherchierenden Überprüfung/Kontrolle zu unterziehen, nahezu wortwörtlich den unwahren Wikipedia-Eintrag zu Peter Kienesberger ab und verbreitete diesen. Obschon auf Wikipedia mittlerweile leicht korrigiert – wenngleich sie noch immer die fälschliche Berufsbezeichnung „Diplom-Kaufmann“, der der unstudierte Elektriker nie war, und andere Unkorrektheiten aufweist – hielt es der Multiplikator APA (zumindest bis zur Abfassung dieses Beitrags) nicht für nötig, deren Inhalt zu korrigieren. Ebensowenig jene Organe, welche besagte, um 11:42 Uhr ins APA-Tagesprogramm eingestellte Agenturmeldung Nr. 0211 vom 15. Juli 2015 ungeprüft übernahmen und – mitunter durch eigene Ungenauigkeiten ergänzt – publizierten.
Angesichts dessen erübrigt es sich fast, desillusioniert festzustellen, dass Kienesberger und seine Kameraden von den etablierten Medien in Italien, Österreich und Deutschland (wider besseres Wissen seit Speckners Studie) sowie von politisch korrekten Zeitgenossen nach wie vor als „Terroristen“ und „Mörder“ sowie als Rechtsextremisten diffamiert werden.
Was die eingangs erwähnte „Zeit“ einst schrieb: „Mittlerweile haben die Bumser und ihre Nachfolger Sprengfallen und Bomben gegen neue Waffen eingetauscht: Computer, E-Mail und Internetforen. Vorangetrieben wird der neue „Befreiungskampf” vom Südtiroler Heimatbund, einem Sammelbecken der deutschsprachigen Rechten, die sich als „völkischer Schutzwall” versteht. Nachwuchsarbeit wird in jenen Südtiroler Schützenvereinen betrieben, die – im Gegensatz zu den zahmeren Nordtiroler Waffenbrüdern – nie eine klare Trennlinie zum Nationalsozialismus fanden. Das ideologische Unterfutter liefert der Nürnberger „Buchdienst Südtirol” von Elke Kienesberger, Ehefrau des in Italien verurteilten Südtirol-Kämpfers Peter Kienesberger, der Werke wie , „Große Deutsche Männer” oder „Helden in Tirol” verlegt. Alle eint der Hass auf die italienischen „Besatzer””. Dieser Text wird nach wie vor von anderen Medien einfach übernommen und gleichsam perpetuiert.
Fazit: Erfahrungen im Umgang von Medien mit dem Schicksal Einzelner, wie sie hier aufgezeigt wurden, mach(t)en nicht wenige wütend. Dass es Agenturen, Zeitschriften, Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen mit der Wahrheit nicht immer so genau nehmen, lässt sie zu „Wutbürgern“ werden. Als solche entäußern sie sich über die sogenannten „Sozialen Netzwerke“ und behängen Medien mit wiederbelebten pejorativen Begriffen wie „Lügen-“ und/oder „Systempresse“.
Der Autor ist Historiker und Publizist