Der Schweigekanzler spricht

In seiner Zeit als Regierungschef wurde er von den Gegnern „Schweigekanzler“ genannt, obwohl er mehr kommunizierte als die meisten seiner Vorgänger. Erst nach seinem Ausscheiden aus der Politik im Jahr 2011 wurde Wolfgang Schüssel dem Etikett gerecht: Er schwieg zu innenpolitischen Fragen und äußerte sich nie zur Politik seiner Nachfolger.

Anlässlich seines 70. Geburtstags ist nun aber ein Buch mit Gastkommentaren heraus gekommen, die Schüssel seit 2011 in der angesehenen „Neuen Zürcher Zeitung“ geschrieben hat. Ein Großteil der Beiträge ist Schüssels heutigem Hauptinteressensgebiet, der Außenpolitik, gewidmet: Russland, Ukraine, Europa. Doch auch wer wissen will, was der Bundeskanzler der Jahre 2000 bis 2007 über die Entwicklungen in der Innenpolitik und deren heutige Protagonisten denkt, kommt auf seine Kosten, wenn er zwischen den Zeilen zu lesen versteht.

Einige Zitate aus dem Buch

Über Mut in der Politik:
„Wer glaubt, das Wichtigste sei, keine Fehler zu machen, zementiert nur die bestehenden Verhältnisse. Natürlich ist es einfacher, auf Nummer sicher zu gehen, sich nicht angreifbar zu machen, alles beim Alten zu lassen, die Verantwortung oder Schuld auf andere zu schieben. Oder die Mikado-Methode zu verfolgen – wer sich bewegt, verliert. Doch der Preis dafür ist hoch: Ohne Risiko kann nichts Neues entstehen. Dass das Alte nicht mehr so recht taugt, erleben wir Tag für Tag. Darum brauchen wir Ermutiger, die unseren Möglichkeitssinn schärfen und gegen Denkblockaden ankämpfen.“

Über die Aufgabe des Wählers:
„Testen Sie Ihre Kandidaten in drei Kernfragen. Zunächst deren Einstellung zur Zukunft. Nur wer über die Wahlperiode hinaus denkt, ist fähig, das Land in die richtige Richtung zu lenken. Der Status quo ist die sicherste Rutsche zum Abstieg. Prüfen Sie weiters den Willen ihres Favoriten, kommende Generationen zu entlasten, jedenfalls nicht zu belasten. Auf Pump „geschenkte“ Wahlversprechen werden den Jungen noch bitter schmecken. Und nicht zuletzt: Prüfen Sie den Blick über die Landesgrenzen hinaus. Ein starkes Europa ist von größter Bedeutung. Wer sich dort auskennt, Chancen ergreift und Risken erkennt, profitiert. Miesmacher, Kleingeister und Feindbildhauer bringen uns nicht weiter.“

Über die Fehler der Politik:
„Es braucht Medikamente gegen die politische Kurzatmigkeit. Was, wenn unsere Abgeordneten sich verpflichten, wenigstens ein Mal pro Jahr die nachhaltigen Zukunftsperspektiven von Gesellschaft und Wirtschaftsstandort zu diskutieren und die Medien darüber auch ernsthaft und ausführlich berichteten? Sind eingebaute Zukunfts-Stabilisatoren wie ein Automatismus im Pensionsrecht (steigende Lebenserwartung führt zu moderat hinausgeschobenem Pensionsantritt) oder Schuldenbremsen in der Verfassung zur Verbesserung der Budgetdisziplin die Lösung?“

Über die Neiddebatte:
„Vermögenssteuern, Reichensteuern, Millionärssteuern, Erbschafts- und Schenkungssteuern – Überall weht ein Hauch von Neid. Dabei kommt es doch auf die Balance an. Zu viel Wohlfahrtsstaat kann Kreativität im Sinne innovativer Ungleichheit zerstören. Neues Vermögen entsteht meist aus Innovationen. Heute wird niemand ärmer, weil Steve Jobs, Bill Gates oder Marc Zuckerberg immer reicher werden. Sie haben den Armen nichts weggenommen – ihr Reichtum beruht auf Ideen und neuen Produkten, welche die Kunden preiswert kaufen. So wurde die Gesellschaft insgesamt bereichert – durch Technologie, Bequemlichkeit, Wissenszuwachs, Arbeitsplätze.“

Wer solche Sätze liest und mit der aktuellen Debatte in Österreich vergleicht, merkt mit Schrecken, wie leise die Stimme der Vernunft in unserer heutigen Politik geworden ist.

Wolfgang Schüssel: Das Jahrhundert wird heller. Begegnungen und Betrachtungen. 224 Seiten. Amalthea Verlag, Wien 2015.

Alexander Purger ist Redakteur der „Salzburger Nachrichten”.

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