Des unlängst im 90. Lebensjahr verstorbenen, weit über die Grenzen seines Landes hinaus bekannten Publizisten Gerd Bacher ist in zahlreichen Nachrufen ob seiner großen Verdienste um das österreichische Presse- sowie Rundfunk- und Fernsehwesen rühmend und weithin zutreffend gedacht worden. Eine Seite Bachers blieb dabei jedoch weitgehend ausgeblendet – sei es, weil jüngere „Nachrufer“ damit nichts mehr zu verbinden wussten, sei es, weil das Thema aufgrund bewussten oder unbewussten Verdrängens in der politischen und publizistischen Szenerie Österreichs sowie überhaupt in der Öffentlichkeit keinen Platz mehr einzunehmen scheint. Es geht um die Rolle Bachers im Südtiroler Freiheitskampf. Sie soll daher im folgenden etwas näher beleuchtet werden.
Im Frühjahr 1958 suchten der Wiener Verleger Fritz Molden und der Innsbrucker Journalist Wolfgang Pfaundler, beide vormals NS-Widerstandskämpfer, in Frangart an der Südtiroler Weinstraße den Kleinlandwirt und Greisler Sepp Kerschbaumer auf. Mit von der Partie war auch der Journalist Gerd Bacher, der damals in der von Molden und ihm gegründeten Zeitung „Express“ tonangebend war. Kerschbaumer war die charismatische Führungsfigur des 1956 von ihm gegründeten „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS). Der BAS, lose organisiert und aus „Zellen“ – will sagen: im Geheimen sich bewegenden Kleingruppen – bestehend, trat für die Gewährung und Ausübung der 1945 von den Siegermächten verweigerten Selbstbestimmung und also für die Loslösung des 1918/19 von Italien annektierten südlichen Teils Tirols und dessen Rückgliederung an Österreich ein.
Seit seiner Gründung hatte sich der BAS, sieht man von kleineren Sabotageakten gegen italienische „Volkswohnbauten“ ab, zunächst auf das Verfassen aufrüttelnder Briefe an Politiker sowie auf Flugblatt-Aktionen beschränkt. Damit wandte man sich vehement gegen die in kolonialistischer Manier fortgesetzte Entnationalisierungspolitik unseligen faschistischen Angedenkens durch das „demokratische“ Nachkriegsitalien.
Zufolge des Treffens Moldens, Pfaundlers und Bachers mit Kerschbaumer in Frangart sollten sich Aktionsradius, Schlagkraft und Wirkungsweise des BAS ändern: Zum einen formierte sich der BAS mittels der von Pfaundler angeführten (Nord- und Ost-)Tiroler Teilorganisation zu einer Gesamttiroler Vereinigung von Freiheitskämpfern. Zum andern beschaffte man Sprengstoff, um sich durch punktuelle, gezielte Anschläge auf italienische Einrichtungen Gehör zu verschaffen sowie die (europäische und Welt-)Öffentlichkeit auf das den Südtirolern angetane Unrecht aufmerksam zu machen. Waffen wurden beschafft, damit man sich nötigenfalls verteidigen konnte, sollte man während der Anschlagsvorbereitungen von italienischen Sicherheitskräften überrascht werden.
Fritz Molden und Gerd Bacher stellten nicht nur wichtige politische Kontakte her und engagierten sich publizistisch im Sinne der BAS-Ziele. Darüber hinaus beschaffte Molden auch Geld, womit der BAS-Freiheitskampf eine zwar nicht gänzlich wünschenswerte, aber doch hinlängliche finanzielle Basis erhielt.
Parallel zu den von ihm und seinem Bruder Otto ins Leben gerufenen Alpacher Hochschulwochen initiierte Fritz Molden ein erstes Gesamttiroler Treffen von BAS-Mitgliedern mit politischen Exponenten. Einer war Aloys Oberhammer (ÖVP), und zwar in seiner dualen Eigenschaft als Nordtiroler Landesrat und Führungsmitglied der Nordtiroler BAS-Organisation. Mithin war Oberhammer nicht nur informiert über die Planungen des BAS, sondern als Mitplaner aktiv daran beteiligt.
Molden hat das in einem am 8. Januar 1999 unter dem Titel „Terroristen gegen Italien – mit Bruno Kreiskys Einverständnis“ erschienenen Interview preisgegeben: „Im Herbst 1959 gab es eine Besprechung in Alpach beim ‚Achenwirt’, das war der Luis Amplatz, der Georg Klotz, der Kerschbaumer, der Klier, der Pfaundler, der Bacher – also die ganze Gruppe beinander. Auch der Landesrat Oberhammer, der Onkel vom späteren ORF-Chef.“
Mit dabei war aber auch der stellvertretende Obmann (Vorsitzende) der Südtiroler Volkspartei (SVP), der Publizist Dr. Friedl Volgger, wie Elisabeth Baumgartner in dem von ihr, Hans Mayr und Gerhard Mumelter 1992 in Bozen herausgegebenen Buch „Feuernacht - Südtirols Bombenjahre“, unter Berufung auf ein von ihr mit Fritz Molden am 7. Dezember 1990 geführtes Interview berichtete: „Erstmals ging es um die Frage, wie man der Südtirolfrage energischer weiterhelfen könnte. Ein Treffen im Zeichen der politischen Aufbruchsstimmung, erinnert sich Friedl Volgger, damals stellvertretender SVP-Obmann. Südtiroler Politiker habe man, weil zu exponiert, aus weiteren eventuell kompromittierenden Kontakten herausgehalten, bestätigt Fritz Molden.“ (S. 21 f.)
Neben den Genannten – Molden, Pfaundler, Bacher, Oberhammer – gehörten der Nordtiroler Landesgeschichtler Eduard Widmoser (Obmann des Bergisel-Bundes), der Schriftsteller Heinrich Klier, der Kaufmann Kurt Welser, die Innsbrucker Universitätsassistenten Helmut Heuberger und Norbert Burger (nachmals NDP-Gründer) sowie das Künstler-Ehepaar Llaudius und Herlinde Molling zu den Nordtiroler BAS-Aktivisten.
„In ihrem Umfeld bewegten sich Persönlichkeiten wie der Völkerrechtler Felix Ermacora, der Legationsrat im Außenministerium Josef Dengler oder Winfried Platzgummer, der damalige Assistent von Staatssekretär Franz Gschnitzer“, heißt es in einem „Die Welle der Sprengstoffanschläge in Südtirol“ betitelten Beitrag des Südtiroler Publizisten Christoph Franceschini in dem von Anton Pelinka und Andreas Maislinger 1993 herausgegebenen zweibändigen „Handbuch zur neueren Geschichte Tirols“ in Band 1 auf S. 472, welcher auf Interviews mit ehemaligen BAS-Leuten und auf der Auswertung von StaPo-Akten fußt.
Molden und Bacher unterhielten enge persönliche Beziehungen zu Spitzenleuten des Südtiroler BAS. Hier ist vornehmlich der legendäre Passeirer Schmied Georg („Jörg“) Klotz zu nennen, der, ebenso wie der Nordtiroler Pfaundler, von Anfang an für eine vom BAS zu verfolgende Kleinkriegstaktik plädierte: Waffen sollten allerdings nur zur Selbstverteidigung eingesetzt werden, um der Gefangennahme zu entgehen und nicht Opfer von Folterungen zu werden, wie sie insbesondere nach der berühmten „Feuernacht“ (vom 11. auf den 12. Juni 1961) in Carabinieri-Kasernen an der Tagesordnung waren. So eng war die Verbindung zu (dem einstigen Unteroffizier einer Pionier-Einheit der Wehrmacht) Klotz, dass dieser (den Panzergrenadier) Bacher und (den Angehörigen eines Wehrmachts-Strafbataillons und späteren Verbindungsmann der österreichischen Widerstandsbewegung O5 zu den Amerikanern) Molden von seiner Waltener Schützenkompanie zum Ehrenleutnant (Bacher) bzw. Ehrenhauptmann (Molden) wählen ließ.
Für den BAS hatte Verleger Molden die Aufgabe übernommen, politische Fäden zu spinnen. Neben dem Nordtiroler Landesrat Rupert Zechtl (SPÖ) waren er und Pfaundler, aber auch der publizistische „Multiplikator“ Bacher für Außenminister Bruno Kreisky kompetente Gesprächspartner und Verbindungsleute zum BAS. Molden und Bacher kamen 1960 als Publizisten in dessen Gefolge mit nach New York, wo der Sozialist Kreisky die Südtirol-Problematik vor die Vereinten Nationen trug und in einer spektakulären Rede dafür sorgte, dass sie nicht nur auf die Tagesordnung gesetzt, sondern durch zwei UN-Resolutionen – die erste 1960, die zweite 1961 – ins Weltbewusstsein gerückt wurde, womit das römische Gebaren letztlich einen entscheidenden Dämpfer erhielt.
Ende des Jahres war es dann im BAS zu einer „Richtungsentscheidung“ über das weitere Vorgehen gekommen, denn die UN-Befassung mit dem österreichisch-italienischen Konflikt hatte vorerst noch keine Auswirkungen gezeitigt: „Am 8. Dezember 1960 kam es zu einer Konferenz aller führenden BAS-Leute, in der abgestimmt wurde, ob endlich losgeschlagen werden sollte oder nicht. Eine klare und eindeutige Mehrheit stimmte für das Losschlagen. Lediglich eine Minderheit wie etwa Gerd Bacher und ich schlugen vor, noch ein Jahr zuzuwarten und den Bemühungen der österreichischen Regierung, Zugeständnisse zu erreichen, noch eine Frist zu geben. Wir konnten uns nicht durchsetzen, und wie sich in den folgenden Jahren und Jahrzehnten herausgestellt hat, war die Entscheidung loszuschlagen richtig“, bemerkte Molden in seinem 2007 erschienenen Buch „Vielgeprüftes Österreich. Meine politischen Erinnerungen“ (S. 150).
Formell zogen sich Molden und Bacher zwar aus dem (Nordtiroler) BAS-Zweig zurück, unterhielten gleichwohl aber auch weiterhin Kontakte zur – mit den Massenverhaftungen nach der „Feuernacht“ in Südtirol nahezu aufgeriebenen – Organisation verbliebener Freiheitskämpfer.
Dies bezeugte Peter Kienesberger, einer der rührigsten und wagemutigsten: „Im August und September 1961 haben Klotz und ich zwei militärisch geplante Feuerüberfälle im Passeier und Rabenstein durchgeführt. […] Klotz und ich wurden einige Zeit nachher nach Alpbach gebracht. Mit dabei waren Pfaundler, Schimpp, Schwarzenbacher (ein Zollbeamter) und Franz Sigmund. […] In Alpbach wurden wir Molden und Bacher vorgestellt, bzw. ich, Klotz kannte beide schon.
Schon bei der Fahrt wurden wir über die Bedeutung des Treffens informiert. Es ging vor allem darum, ausführlich zu schildern, wie diese beiden Partisanenaktionen durchgeführt worden waren. Innerhalb des BAS ging ja ein jahrelanger Streit voraus, ob man nur Anschläge durchführen sollte oder Partisanenaktionen, wie am Ende des Krieges. Pfaundler, Klotz, Molden waren eindeutig für Partisanenaktionen. Auch im Gespräch später wurde ausführlich erörtert, dass es keine Verhaftungen und Folterungen gegeben hätte, wenn man nach den Anschlägen in militärische Partisanengruppen abgetaucht wäre. Beide Aktionen von Klotz lieferten den Anhängern dieser These den Beweis, dass diese Art des bewaffneten Kampfes problemlos möglich war.
Molden begrüßte Klotz überschwänglich herzlich und auch mich. Er bedankte sich für meinen Mut, dass ich als Österreicher bereit war, solche gefährlichen Einsätze mitzumachen. Er ließ sich von Klotz ausführlich den gesamten Einsatz schildern: Ausrüstung, Grenzübergang, Verhalten der Bevölkerung, Verpflegung aus der Bevölkerung, Gegenmaßnahmen der Italiener. … Besonders imponierte Molden die Schilderung, dass wir oft tagelang unsere schweren Rucksäcke nicht tragen mussten, weil sich immer wieder Bauern fanden, die uns stückweise begleiteten und weiterreichten. Molden sagte auch immer wieder, dies sei der Beweis, dass seine (und Pfaundlers) Ansichten richtig waren …
Molden bedankte sich am Ende nochmals, bat, dies auch an die anderen Teilnehmer weiterzusagen, und ließ sich von Klotz dessen geheime Anschrift geben. (Scheibenhof Mutters). Er sandte auch unmittelbar eine Kiste besonders guten Wein zu Klotz als Zeichen des persönlichen Dankes für diese Einsätze.“ (Gedächtnisprotokoll Peter Kienesberger vom 6. August 1996, enthalten in der von Otto Scrinzi herausgegebenen „Chronik Südtirol 1959 - 1969“ (Graz-Stuttgart 1996, S. 170)
Das mag genügen, um das Bild des verstorbenen Gerd Bacher ebenso wie jenes des ihm im Januar 2014 in die Ewigkeit vorausgegangenen Freundes Fritz Molden um jene Farben zu ergänzen, welche von berufenen oder unberufenen Nachrufern weggelassen worden sind, um das heute in Politik und Medien vorherrschende Schwarz-Weiß nicht zu gefährden. Erst diese nachträgliche Einfärbung wird dem Andenken zweier aufrichtiger und mutiger Männer wie Bacher und Molden sowie ihrer Verbundenheit mit den Freiheitskämpfern des BAS und ihrem idellen und materiellen Einsatz für (Süd-)Tirol gerecht.
Der Autor ist deutsch-österreichischer Historiker und Publizist.