Die Rückkehr in den Nationalstaat als Heilsbringer?

Als „eine einmalige Chance, der Bevormundung durch „Brüssel“ in fast allen Lebensbereichen eine klare Absage zu erteilen, um wieder zu einem freien und neutralen Österreich zu kommen“, sehen die Initiatoren das EU-Austrittsvolksbegehren. Auch wirtschaftlich würde es dann wieder aufwärts gehen, versprechen sie. Es gehört ja mittlerweile zum Stammtischritual über eine „abgehobene“, „verrückte“, „undemokratische“ etc. EU zu schimpfen und das Heil im Nationalstaat zu suchen.

„Amüsant“ ist die wirtschaftliche Argumentation für einen Austritt. Wirtschaftlich wurde schon damals beim Beitritt argumentiert. Der berühmte „Ederer-Tausender“ (jeder Haushalt sollte tausend Schilling mehr in der Kassa haben) ist noch gut in Erinnerung. Es gab ihn tatsächlich. Zum zehnjährigen Jubiläum des EU-Beitritts Österreichs veröffentlichte die Regierung Zahlen über die positiven Effekte des Beitritts.

Hätte man diese Effekte auf die Bevölkerung umgelegt, so wären das sogar wesentlich mehr als nur tausend Schilling gewesen, die Regierung des Nationalstaates Österreich hat es allerdings verabsäumt, die zusätzlichen Steuereinnahmen durch diese positiven Effekte auf die Österreicher aufzuteilen.

Natürlich kann man sich in die theoretische Diskussion begeben, wonach ein freier Handel auch ohne das Binnenmarktregime der EU möglich wäre. Jeder Marktwirtschaftler wird sofort zustimmen. Allerdings müssen wir die politische Realität zur Kenntnis nehmen, wonach es den freien Handel ohne entsprechende Freihandelsabkommen – vereinfacht ausgedrückt eben die Binnenmarktregulierung – nicht gibt.

Wie ein Austritt aus diesem Binnenmarkt positive wirtschaftliche Effekte haben soll, darauf geben die Volksbegehrer keine Antwort. Die Frage, ob eine Regierung eines Nationalstaates Österreich ohne EU diese positiven Segnungen dann an die Bevölkerung verteilen würde, muss hier also nicht weiter diskutiert werden.

Vernünftig nicht nachvollziehbar ist die Behauptung, wonach Österreich ohne EU wieder frei werden würde. Die Behauptung wird schon gar nicht dann vernünftig, wenn man versucht, die Freiheit mit der Neutralität gleichzusetzen. Wobei hier gar nicht versucht werden soll, Einschränkungen der Freiheitsrechte schön zu reden.

Selbstverständlich ist es eine Einschränkung der Freiheit, wenn man beispielsweise keine Glühbirnen kaufen darf. Selbstverständlich ist es eine Bevormundung, wenn demnächst in jedes neue Auto ein automatisches Notrufsystem (genannt e-Call) eingebaut werden muss, weil es schlicht und einfach eine neue Dimension in der Überwachungsmöglichkeit eröffnet. Viele andere Beispiele über negative politische Entwicklungen könnten da noch gebracht werden.

Der paternalistische Absolutismus, der Nanny-Staat, der alles besser weiß und seine Untertanen deshalb mit immer mehr Vorschriften beglückt, ist allerdings nicht eine Erfindung der EU. Das kann der Nationalstaat schon selber.

Bleiben wir realistisch: Natürlich ist die heutige EU nicht mehr das gleiche politische Gebilde wie jenes, das Österreich beim Beitritt vorgefunden hat. Auch Österreich ist nicht mehr das Gleiche wie 1994 oder 1995. Politik ist ein dynamischer Prozess.

Wenn wir auf dem Boden der Realität bleiben wollen, dann müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass sich in „Brüssel“ nicht irgendeine außerirdische Macht entfaltet. Es sind die Vertreter der Mitgliedsländer, die diese Politik machen.

Das Europäische Parlament wird vom Volk direkt gewählt (zumindest genauso direkt wie der Nationalrat). Der Rat, also die Zusammenkunft der Regierungsmitglieder (in verschiedenen Formationen) ist ebenfalls in den Mitgliedsstaaten demokratisch legitimiert. In keinem Land der EU ist die Regierung durch einen Putsch an die Macht gekommen.

Alles, was die EU macht, ist durch das Europäische Parlament und durch den Rat in Kraft getreten. Die Regierungen der Mitgliedsländer, die nach den Intentionen des Volksbegehrens gestärkt werden sollen, haben es sogar geschafft, unter Umgehung der Verträge neue Institutionen wie den (auch aus Sicht des Autors völlig zu Recht) vielfach kritisierten ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus) zu schaffen. Das Verhandlungsmandat zum Freihandelsabkommen TTIP (wieder so ein Feindbild der Befürworter einer Rückkehr in die Schranken des Nationalstaates) wurde der Kommission von den Regierungen der demokratischen Mitgliedsstaaten erteilt.

Um also weiter auf dem Boden der Realität zu bleiben: Es sind die gleichen politischen Akteure (politische Parteien) in den Mitgliedsländern und auf der europäischen Ebene, die Politik machen. Was an der Politik der österreichischen Regierung besser werden soll, wenn wir nicht in der EU sind, konnte noch keiner der Austritts-Volksbegehrer logisch erklären. Aber vielleicht meinen sie ja, die Politik würde bei einem Austritt deshalb besser, weil dann die österreichische Regierung nichts mehr mitzureden hätte.

Der Autor ist Generalsekretär der Paneuropabewegung Österreich

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