Löcken wider den Stachel

Die Nachrufe auf Hans Richard Klecatsky (1920 – 2015), den unlängst verstorbenen Rechtswissenschaftler und einstigen österreichischen Justizminister, kamen in den seltensten Fällen über ein paar dürre Sätze hinaus. Man ist daher versucht, dieser Kargheit amtlicher wie medial reproduzierter Verlautbarungen nachzuspüren. Die Beschäftigung mit der Vita dieses glänzenden, in maßgeblichen Sphären des öffentlichen Lebens in Erscheinung getretenen Juristen führt alsbald zu Gründen motivierten Quasi-Beschweigens.

Klecatsky, gebürtiger Wiener, hatte die erste Etappe des Rechtsstudium in seiner Vaterstadt schon teilabgeschlossen, als er mit Kriegsbeginn zur Luftwaffe eingezogen wurde; nach Kriegsende beendete er es mit der Promotion zum Dr. iur. (1947) und trat in den Justiz- und Verwaltungsdienst ein. 1948 kam er für drei Jahre an den Verwaltungsgerichtshof, 1951 wurde er in den Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts berufen, 1959 trat Hofrat Klecatsky als damals jüngstes Mitglied in den Verwaltungsgerichtshof ein, und 1965 wurde er (als Ersatzmitglied) in den Verfassungsgerichtshof berufen. 1964 hatte sich Klecatsky an der Universität Innsbruck habilitiert und war im Jahr darauf zum Ordinarius für Allgemeine Staatslehre, Verfassungs- und Verwaltungs- sowie Öffentliches Recht berufen worden. Diesen Lehrstuhl füllte er bis zur Emeritierung 1991 aus, unterbrochen lediglich vom Amt des österreichischen Justizministers, das er – als Parteifreier – während der ÖVP-Alleinregierung unter Josef Klaus von 1966 bis 1970 innehatte.

Spätestens während der vier Ministerjahre sollte besonders deutlich jener Charakterzug Klecatskys hervortreten, den sein gesamtes Dasein als Rechtsgelehrter und -lehrer auszeichnete: Nonkonformismus. Der parteilose Minister beugte sich dem Verlangen einiger ÖVP-Abgeordneter und -Funktionäre nicht, die Strafverfolgung gegen ihresgleichen unterbinden zu lassen. Klecatsky weigerte sich prinzipiell, Weisungen an Oberstaatsanwaltschaften zu erteilen, denn dies gehörte ebenso zu seinem juristischen Credo wie die Eliminierung von „Restposten“ der (eigentlich schon seit 1950 nicht mehr angewandten) Todesstrafe aus der Rechtsordnung der Republik: des „standrechtlichen Verfahrens“ nach der Strafprozessordnung, der nach der Verfassung möglichen „Schaffung von Ausnahmegerichten“ und der denkbaren „Anwendung der Todesstrafe außerhalb des ordentlichen Verfahrens“.

Klecatsky hatte sich für den von seinem Vorgänger (und Nachfolger) Christian Broda (SPÖ) eingebrachten Initiativantrag zur Beseitigung dieser Relikte einer Sondergerichtsbarkeit ausgesprochen, sodass es 1968 zur einstimmigen Annahme einer entsprechenden Novellierung von Artikel 85 der österreichischen Bundesverfassung kam, der seitdem lautet: „Die Todesstrafe ist abgeschafft." In gleicher Konsequenz betrieb er während seiner Amtszeit den Ausbau und die Sicherung des Rechtsstaates: durch das Organhaftpflichtgesetz (1967), das Bundesgesetz über den Obersten Gerichtshof (1968), das Strafvollzugsgesetz, das Bewährungshilfegesetz sowie das strafrechtliche Entschädigungsgesetz (1969 in Kraft getreten).

Ebenso wie er sich sodann – als Rechtswissenschaftler und Hochschullehrer von internationalem Rang – als tatkräftiger Verteidiger des Rechtsstaates erwies, trat Klecatsky als unerschrockener und unerbittlicher Kämpfer für die Menschenrechte, für die Selbstbestimmung und also für das Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie dessen Ausübung ein. Das sollte sich besonders an seinem Engagement für nationale Minderheiten und – wie etwa Felix Ermacora und Christoph Pan – an der Mitwirkung am „Bozner Entwurf“ im Rahmen der „Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen“ (FUEV) zeigen, welcher die Aufnahme kollektiver (Volks-)Gruppenrechte in die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) zum Ziel hatte.

Infolgedessen erwies sich der Innsbrucker Ordinarius sozusagen „naturgemäß“ nicht allein als „Freund Südtirols“ im eher abgedroschen anmutenden Sinne. Sondern als einer derjenigen, die sich vehement gegen die von links(liberal) über grün(-alternativ) bis verschämt „konservativ“ reichende Politik(er)kaste wandten/wenden, deren etablierte Scheinheiligkeit darin bestand/besteht, das Recht der Südtiroler auf Selbstbestimmung verschämt in verstaubten Parteiprogrammen oder in wohlfeilen Sonntagsreden zu führen, aber aus vorgeblicher „Realpolitik“ auf jede nur erdenkliche Weise einer Ausübung desselben zuwiderhandeln. Nicht einmal ein Referendum darüber zuzulassen waren/sind ihresgleichen bereit, in dem die Tiroler zwischen Brenner und Salurn bekunden konnten/könnten, ob sie überhaupt dafür wären, das Selbstbestimmungsrecht in Anspruch zu nehmen.

Im Zusammenhang mit seinem entschiedenen, aber in einigen Fällen eher von wenig Erfolg gekröntem Einschreiten gegen die rechtswidrige Verfolgung der politisch weithin als lästig empfundenen Südtiroler Freiheitskämpfer in den 1960er Jahren hatte sich bereits Klecatskys Auftreten gegen Ausnahmegesetze und Ausnahmegerichtsbarkeit gezeigt, für die einige seiner Kabinettskollegen und auch Kanzler Klaus aus opportunistischen Gründen Italien gegenüber anfällig waren. Rom hatte nämlich sein Veto gegen Wiens Assoziierungsvertrag mit der EWG eingelegt. Dies hing mit dem angeblichen Anschlag auf der Porzescharte im Juni 1967 zusammen. Für dessen Urheberschaft zufolge grundstürzender jüngerer Erkenntnisse aus der 2013 publizierten Studie des Militärhistorikers Hubert Speckner nicht drei dafür 1971 in Florenz verurteilte Österreicher, sondern vielmehr italienische Geheimdienstler und „Gladio“-Kämpfer mit neofaschistischem Hintergrund infrage kamen.

Italien hatte die Aufhebung des Vetos mit  

  • Sonder-Strafgesetzen gegen Südtiroler Freiheitskämpfer,
  • der Einführung von Vorbeugehaft ohne gerichtlichen Schuldspruch,
  • der Einrichtung von Anhaltelagern,
  • der Einführung von Verbannung und Zwangsaufenthalten in denselben und
  • Auslieferung von nach Österreich geflüchteten Südtirolern an Italien

verknüpft. Das waren Forderungen, deren Erfüllung die unabänderliche Unterminierung des österreichischen Rechtsstaats herbeigeführt hätten. In einer lebhaften Ministerratssitzung hatte Klecatsky derlei Ansinnen scharf und entschieden zurückgewiesen. Zwar hatte der italienische Botschafter mehrmals bei der österreichischen Bundesregierung hinsichtlich solcher Sondergesetze interveniert, doch Kanzler Josef Klaus wusste, dass sein Justizminister Willfährigkeit gegenüber derlei römischem Ansinnen mit seinem Rücktritt beantwortet hätte.

Es muss an dieser Stelle allerdings angemerkt werden, dass man sich in der Regierung Klaus unter förmlicher Umgehung des Justizministers zu helfen wusste, um den Wünschen Roms entgegen zu kommen. Innenminister Franz Hetzenauer (ÖVP), ein Tiroler, ließ nach Österreich geflüchtete Südtiroler Freiheitskämpfer kurzerhand in „Schubhaft“ nehmen. Dazu brauchte er nämlich weder Justizressort noch richterliche Anordnungen, weil ein derartiges Vorgehen in die Kompetenz des Innenministeriums fiel. Dadurch gelang es, die Betroffenen für mehrere Monate und in Einzelfällen sogar für jeweils zwei Jahre hinter Gittern zu halten, um Rom damit gefällig zu sein.

Als profunder Kenner der Südtirol-Frage hatte Klecatsky nach formellem Inkrafttreten des Zweiten Autonomiestatuts für Südtirol (1972) von Anfang an mit stets wachsender Sorge die von führenden italienischen Politikern angedeuteten Beschneidungen der Selbstverwaltung der Provinz Bozen-Südtirol registriert und die Sorglosigkeit zur Sprache gebracht, mit welcher die österreichische Politik dies hinnahm. Aus seiner Sicht galt es daher, der schleichenden Aufgabe der Schutzfunktion Österreichs für den 1918 von Italien annektierten und dann – wie 1946 abermals – friedensvertraglich zugesprochenen Südteil Tirols einen verfassungsrechtlich verankerten Sperrriegel vorzuschieben.

Klecatsky hatte daher am 24. August 1992 in einem Gastkommentar in der Wiener Tageszeitung „Die Presse“ gefordert, dass die Republik Österreich ihre „Schutzmachtrolle“ – ebenso wie das Selbstbestimmungsrecht der Südtiroler – durch eine Verfassungspräambel rechtlich fixiere.

„Ich schlage vor, hiefür zunächst den Artikel 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes, wonach Österreich ein Bundesstaat ist und dieser aus Ländern, darunter dem Land Tirol besteht, durch einen Absatz 3 zu ergänzen, der zu lauten hätte: „Die Republik Österreich bekennt sich zur Wahrung und Entfaltung der Selbstbestimmung des vom Land Tirol abgetrennten Südtiroler Volkes.“ Auf diesem Verfassungsboden wäre dann die bisher zwischen Österreich und Italien völkerrechtlich vollbrachte Arbeit an der Südtiroler Autonomie als Selbstbestimmungssurrogat in verfassungsmäßiger Weise auch in die österreichische Rechtsordnung umzusetzen.

Allein außenpolitische Logik gebietet solches: Wie soll denn ein Österreich nach außen einen internationalen Rechtstitel verteidigen, den es nach seiner eigenen Rechtsordnung nicht ernst nimmt! Gegenüber dem verfassungsrechtlichen Krimskrams aber, wie er laufend produziert wird, wäre die hier vorgeschlagene Novellierung des Artikels 2 des Bundes-Verfassungsgesetzes einmal eine ernste und würdige Verfassungsänderung. Sie würde dem politischen Selbstbewusstsein des österreichischen „Schutzstaates“ wie seiner Südtiroler Schutzbefohlenen gleichermaßen guttun, indem sie jenseits außen- und innenpolitischer Phraseologie auch in Österreich für Südtirol eine Verfassungsgarantie schafft, ohne gegenüber Italien das auch im Völkerrecht geltende Prinzip von Treu und Glauben zu verletzen.

Das Land Tirol ist auf diesem Weg mit der Präambel zu seiner „Landesordnung 1989“ vorangegangen, in dem es darin die „geistige und kulturelle Einheit“ des „ganzen“ (Nord- und Süd-)Tirol als „geistige, politische und soziale Grundlage des Landes Tirol“ erklärt hat, „die zu wahren und zu schützen oberste Verpflichtung der Gesetzgebung und Verwaltung des Landes sein muss. Dies ist historische Wahrheit, denn in „Einheit“ ist Nord- und Südtirol („Deutschtirol“) in die „Republik Deutsch-Österreich“ mit Beschluss des „Tiroler Nationalrats" vom 25.November 1918 eingetreten. Nun ist die bundesstaatlich organisierte „Republik Österreich“ am Zug, ihrerseits das völkerrechtlich und außenpolitisch derzeit Mögliche durch Bundesverfassungsgesetz zum Ausdruck zu bringen. Diese Klarstellung ist die „Republik“ nicht nur dem „ganzen Tirol“, sondern auch Italien schuldig, bevor sie mit diesem einen „Freundschaftsvertrag“ aus- und dabei, notgedrungen, mancherlei einhandelt.“

Weder ÖVP noch SPÖ zeigten sich jedoch diesem Verlangen gegenüber zugänglich. Demgegenüber wurde es im Innsbrucker Landhaus mit tatkräftiger Unterstützung des damaligen FPÖ-Südtirolsprechers Siegfried Dillersberger für das Bundesland Tirol erhört und umgesetzt. Der Nordtiroler Landtag beschloss nämlich am 24. November 1994 mit großer Mehrheit eine rechtswahrende Resolution: „In der Präambel zur Tiroler Landesordnung 1989 bekennt sich der Tiroler Landtag zur geistigen und kulturellen Einheit des ganzen Landes. Der Tiroler Landtag stellt dazu fest, dass sich demnach die geistige und kulturelle Einheit auf Nord-, Ost- und Südtirol bezieht. Der Tiroler Landtag bekennt sich unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entschließung des Nationalrates vom 5.6.1992 zur Wahrung und Entfaltung des fundamentalen und unveräußerlichen Menschenrechts der Selbstbestimmung, wie dies im jeweiligen Art. 1 Abs. 1 der Menschenrechtspakte sowie der KSZE-Schlussakte von Helsinki zum Ausdruck kommt.“

Als sein Appell auf Republikebene über die folgenden Jahre hin ohne Echo blieb, richtete Klecatsky Anfang 2004 eine verfassungsrechtlich geschützte Petition an den Tiroler Landtagspräsidenten und Vorsitzenden des „Tirol-Konvents“ Helmut Mader (ÖVP), der zugleich Mitglied im „Österreich-Kovent“ war, in dem – wieder einmal – über eine Reform der österreichischen Bundesverfassung beraten wurde.

Darin forderte Klecatsky, in Artikel 2 einer zu erneuernden Bundesverfassung möge als Ergänzung aufgenommen werden: „Die Republik Österreich bekennt sich zur Wahrung und Entfaltung der Selbstbestimmung des vom Land Tirol abgetrennten Tiroler Volkes (deutscher und ladinischer Sprache)“. Und unterm Brenner ergriffen Südtiroler Heimatbund (SHB) und Südtiroler Schützenbund (SHB) angesichts dräuender römischer Stimmen, wonach man „die Autonomie endlich modernisieren“ müsse, die Initiative und verfassten unter Mithilfe Klecatskys ein „Südtiroler Memorandum“, welches von „den Konventsarbeiten des österreichischen Vaterlandes“ forderte, eine „Schutzstaatsverpflichtung als einen rechtselementaren Teil“ in den zu novellierenden Text der Bundesverfassung einzubauen.

Das Memorandum wurde nach und nach auch von Vertretern anderer Verbände Südtirols und den Landtagsabgeordneten der Union für Südtirol (UfS) sowie der Freiheitlichen Partei Südtirols (FPS) schließlich sogar von Landeshauptmann Luis Durnwalder (SVP) und allen SVP-Mandatsträgern  auf Landes-, Staats- und Europaebene unterzeichnet. Sein Ziel sollte es indes verfehlen: Am 9. November 2004 schrieb Nationalratspräsident  Andreas Khol (ÖVP) in seiner Eigenschaft als Mitglied des „Österreich-Konvents“ an (den „lieben, verehrten Herrn Bundesminister“) Klecatsky, dass Grüne und Sozialdemokraten der „Aufnahme eines Staatszieles im Sinne der Südtiroler Anliegen nicht zugestimmt haben.“ Noch sei aber das letzte Wort nicht gesprochen und „am Ende des Tages werden wir hier obsiegen.“

Als der „Österreich-Konvent“ Anfang 2005 seinen Endbericht vorlegte, stellte sich heraus, was eigentlich von vornherein abzusehen war, nämlich dass man sich weder auf einen gemeinsamen Verfassungsentwurf noch auf eine Präambel mit Festschreibung einer Schutzmachtfunktion Österreichs für Südtirol hatte einigen können. Und noch etwas war damals ruchbar geworden: Nationalratspräsident Andreas Khol, ein (Süd-)Tiroler, hatte in seinem Textvorschlag, mit dem er im Österreich-Konvent zu „obsiegen“ vorgab, die Selbstbestimmungsklausel kurzerhand unter den Tisch fallen lassen. Der von ihm eingebrachte und von ÖVP wie FPÖ unterstützte, abgeschwächte Text „Österreich tritt für den Schutz der mit ihm geschichtlich verbundenen deutschsprachigen Volksgruppen, insbesondere der Südtiroler ein“ blieb ohne Konsens, weil ihn Grüne und SPÖ ablehnten, die damals in Opposition zu der von Kanzler Schüssel geführten ÖVP-FPÖ-Regierung standen.

Auch ein neuerlicher Anlauf, nämlich die viel politischen Wirbel zwischen Wien und Rom entfachende „Schützen- und Bürgermeister-Petition“, unterzeichnet auch von 113 der 116 Südtiroler Bürgermeister, welche Klecatskys Handschrift trug und Anfang 2006 vom SSB-Landeskommandanten Paul Bacher und dem Landeskommandanten des Bundes Tiroler Schützenkompanien (BTSK), Otto Sarnthein, Khol übergeben worden war, blieb folgenlos.

Zwar billigte das österreichische Parlament bei Gegenstimmen der Grünen am 21. September 2006 eine nicht anders denn als „Magerfassung“ zu nennende Entschließung folgenden Wortlauts: „Der Nationalrat unterstützt bei einer Verfassungsreform die Aufnahme einer Bestimmung in die österreichische Bundesverfassung, welche die Schutzfunktion für die österreichische Volksgruppe in Südtirol verankert.“ Sie konnte aber nie Wirkung entfalten, da in der auf die wenig später stattfindende Neuwahl des Nationalrats folgende neue Sitzungsperiode der FPÖ-Antrag auf Fortgeltung der Entschließung von SPÖ, ÖVP und Grünen niedergestimmt und die Verfassungsreform ohnedies auf den St.-Nimmerleins-Tag verschoben wurde.

Mit welcher Vehemenz der Verfassungsrechtler Klecatsky für die Geltung des universellen Selbstbestimmungsrechts der Völker auch für Südtirol(er) plädierte, ging aus seiner Petition zur Notwendigkeit und Dringlichkeit der Verankerung einer Südtirol-Erklärung als Staatszielbestimmung in Form einer Verfassungspräambel hervor. Darin berief er sich auf die im Zusammenhang mit der Abgabe der Streitbeilegungserklärung gegenüber den UN gefasste Entschließung des österreichischen Parlaments vom 5. Juni 1992, in der es heißt: „Der Nationalrat stellt fest, dass es seine zuvor schon wiederholt zum Ausdruck gebrachte Auffassung ist, dass die Paketmaßnahmen Akte in Ausführung des Pariser Vertrages sind. In Hinblick auf diesen Charakter der Paketmaßnahmen bekräftigt der Nationalrat die Aussage des Ausschusses des Nationalrates vom 1. Oktober 1946, dass der Pariser Vertrag keinen Verzicht auf die Selbstbestimmung Südtirols bedeute.“

Diese Entschließung, so Klecatsky folgerichtig, sei integrierender Bestandteil des österreichisch-italienischen Streitbeilegungsvorgangs. Sodann verwies er auf die Erklärung des damaligen Außenministers Alois Mock (ÖVP) während der Nationalratsdebatte: „Für Österreichs Südtirol-Politik stellt das Autonomiestatut sicher keinen Schlusspunkt dar. Auch was das Verhältnis zu unseren Südtiroler Landsleuten betrifft, schlagen wir ein neues Kapitel auf. Auch nach der Abgabe der Streitbeilegungserklärung bleibt Österreich natürlich die Schutzmacht Südtirols, dessen Selbstbestimmungsrecht unverzichtbar ist.“

Daraus ergab sich für den vormaligen Justizminister zwingend, „die österreichische Schutzstaatsverpflichtung in den Rang einer bundesverfassungsrechtlichen Staatszielbestimmung zu erheben und damit unter verfassungsrechtlichen Schutz der gesamten Republik Österreich nach innen und außen zu stellen.“ Und damit, so Klecatsky, möge „die Grundmaxime jahrzehntelanger österreichischer Außenpolitik festgeschrieben und allfälligen Beschränkungen und Bedrohungen der „geistig-kulturellen Einheit Tirols eine die österreichischen Identitäts- und Rechtsvorstellungen deutlich bekundende Bundesverfassungsnorm entgegengesetzt“ werden.

Geschehen ist dergleichen ebenso wenig wie die seit 1945 bestimmenden, weil regierenden politischen Kräfte Österreichs je auch nur ernsthaft ihres einstigen Justizministers verfassungsrechtlich, rechtsphilosophisch und demokratiepolitisch untermauertes Beharren auf Volksabstimmungen in grundlegenden Fragen von Staat und Recht etwa nach Schweizer Vorbild in Erwägung gezogen hätten. Stets warnte er – auch und vor allem aus Gründen der Selbstbestimmung – vor dem nationalen Souveränitäts- und Demokratieverlust.

Wer wider den Stachel löckt und stets mahnend seine Stimme gegen die stille Preisgabe einstmals für ehern erachteter politischer und (verfassungs)rechtlicher Maxime erhebt wie es Hans Richard Klecatsky zeitlebens tat, der – so ist man beinahe zu sagen geneigt – „fällt aus der Zeit“. In Zeiten zunehmender politischer Konturlosigkeit und Indifferenz sowie mainstreamigen Naserümpfens über Fragen nationaler Zugehörigkeit, wie sie  der bis kurz vor dem Ableben an „seiner“ Universität Innsbruck Lehrende – immer wieder, aber nicht allein – am Beispiel Südtirols aufwarf, offenbart sich dies an mangelnder Reflexion sowie politisch-medialer Resonanz. Und zeigt sich unter anderem an nur wenigen dürren Nachruf-Zeilen für den am 23. April 2015 Verstorbenen.

Der Verfasser ist deutsch-österreichischer Historiker und Publizist.

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