Gerechtigkeit gegen soziale Gerechtigkeit

Der australisch-amerikanische Ethik-Experte Burke wird am 1. Juni um 18 Uhr im Hayek Institut (1010, Grünangergasse 1) seine neue Studie präsentieren und mit Zuhörern darüber diskutieren. Eine Anmeldung wird erbeten. Hier der Text der Studie:

Jedermann weiß, dass sich die westliche Welt gegenwärtig vor einer ungeheuren Herausforderung durch die Kräfte des militanten Islams sieht, und das nicht nur im Mittleren Osten, sondern auch in den Kernländern Europas und in anderen Gebieten rund um die Welt. Und jedermann weiß, dass wir zur gleichen Zeit vor einer Kampfansage durch Herrn Putin und seine Gefolgsleute in Russland und der Ukraine stehen.

Aber ich muss Ihnen sagen, dass es noch eine andere Krise gibt, die nur wenige wahrnehmen, die aber tiefer und ernster ist als die Krise mit dem Islam oder Putin, und die uns daran hindert, uns mit diesen Krisen erfolgreich zu befassen. Ich meine die Krise in unserer Auffassung von Gerechtigkeit.

Gerechtigkeit ist das Grundgestein, auf welchem jede Gesellschaft ruht. Der Gerechtigkeit soll Genüge geleistet werden und wenn der Himmel einstürzt. Aber das Grundgestein unserer Gesellschaft ist in einer Krise, weil wir, statt nur einer Vorstellung von Gerechtigkeit (wie sie seit frühesten Zeiten in der westlichen Kultur existiert hat) jetzt zwei Vorstellungen davon haben, die sich widersprechen. Die eine althergebrachte Auffassung werde ich die traditionelle Gerechtigkeit nennen, die andere soziale Gerechtigkeit. Da beide Bezeichnungen das Wort Gerechtigkeit enthalten, nehmen viele Leute an, diese zwei Dinge müssen sich harmonisch zueinander verhalten. Man meint, dass die soziale Gerechtigkeit nur ein Zusatz oder eine Verlängerung oder Ausweitung der traditionellen sei.   

Die Wahrheit ist aber, dass die beiden Ideen nicht nur verschieden sind, sondern in ihren Folgen diametral entgegengesetzt und miteinander unvereinbar. Obwohl beide Gerechtigkeit heißen, ist einer dieser Begriffe recht und heilsam und zuträglich und wohltuend und von höchstem Wert für das menschliche Geschlecht, der andere hingegen ist irrig und falsch und unmenschlich und böse und unselig und verheerend. Einer ist Wahrheit, und der andere ist ein Euphemismus, erdacht, um einen krassen Betrug zu verhehlen.    

Es handelt sich nicht nur um einen oberflächlichen Meinungsunterschied, sondern um eine tiefe Kluft in unserem Bewusstsein, in unserer Fähigkeit, die Umwelt um uns und uns selbst zu verstehen. Zudem ist eine Verwirrung in diesen beiden Vorstellungen keineswegs das Privileg einer einzigen Gruppe, sondern in unserer Gesellschaft ziemlich umfassend.

Ich möchte zuerst erklären, was diese zwei Begriffe bedeuten und warum sie in so krassem Widerspruch stehen, und dann erläutern, wie der Widerspruch zwischen ihnen solche heillose Folgen haben kann.

1. Römisches Gesetz

Viele Jahrhunderte lang wurde das Musterkonzept der Gerechtigkeit überall in der westlichen Welt vom Römischen Gesetz vorgegeben: Keinen Schaden anrichten, und einem jeden das geben, was ihm gehört. (Justinian, Institutiones). Nach dieser alten Ansicht ist Gerechtigkeit eine Eigenschaft von Taten oder Handlungen, von Sachlagen, die von den Taten verursacht sind, und von den Personen, die die Taten tun. Eine Sachlage in der Gesellschaft wird je nachdem recht oder unrecht sein, abhängig von der Handlung, die sie zustande gebracht hat. 

Die Hungersnot, die in der Ukraine in den 1930er Jahren herrschte, war extrem ungerecht, weil sie die Folge einer extrem ungerechten Handlung war, nämlich Stalins Politik der Vernichtung der Kulaken: Er plante, die Kulaken auszurotten, um die Gesellschaft dadurch zu „modernisieren".

Aber entsprechend der neuen Ansicht, die sich jetzt in den Vordergrund geschoben hat, ist Armut oder wirtschaftliche Ungleichheit in der Gesellschaft automatisch ungerecht, ungeachtet der Handlungen, die diese Situation vielleicht zustande gebracht haben, oder sogar auch dann, wenn diese Situation nicht der Handlung eines Einzelnen anzulasten ist. Und ein Zustand wirtschaftlicher Gleichheit – wenn denn ein solcher wirklich besteht (eine Frage, die selten gestellt wird) – ist also eo ipso gerecht. In der Vergangenheit wurden Versuche, die Armut zu bekämpfen oder einen Zustand wirtschaftlicher Gleichheit herzustellen, mit Worten wie Wohltätigkeit oder Humanität beschrieben. Das bedeutete jedoch, dass Zwang in irgendeiner Form aus rechtlichen oder ethischen Gründen nicht angewendet werden konnte. Solche Programme sollten freiwillig von privaten Organisationen wie dem Roten Kreuz oder in Englisch- sprechenden Ländern von der „St. Vincent de Paul Gesellschaft“ getragen werden.

Aber etwa um die Mitte des 19.Jahrhunderts – genauer im Jahr 1848, dem "Revolutionsjahr" – verloren Aktivisten die Geduld mit freiwilligen Maßnahmen, und beschlossen, es müsse legal sein, Staats - und Gesetzesgewalt, das heißt Zwang, anzuwenden. Also Schaden zu verursachen, damit Gutes entstünde, um es mit den Worten des hl. Paulus zu sagen.

2. Handlungen und Sachlagen

Es gibt da eine einfache Unterscheidung, die der Kern unseres Problems ist; eine einfache Unterscheidung, die weitreichende Folgen hat. Man braucht keine abstruse Philosophie, sondern nur gesunden Menschenverstand, damit die Auswirkungen offensichtlich werden, und Sie sind vielleicht überrascht, dass ich Ihre Zeit dafür in Anspruch nehme: Es ist der Unterschied zwischen Handlung und Zustand.

Eine Handlung ist etwas, was jemand tut. Ein Zustand ist nicht etwas, was jemand tut. Eine Handlung kann einen Zustand hervorbringen. Aber man unterscheidet immer zwischen der Handlung, die die Ursache ist, und dem Zustand, welcher sein Ergebnis ist. Ein Zustand ist, wie die Dinge zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort sind. Er ist in sich selbst eine statische Lage, etwas, das wir als Tatsache oder Situation beschreiben würden. Eine Handlung dagegen ist ein Ereignis, ein vorübergehendes Geschehen, ausgeführt von einer Person, meist zu einem Zweck.

Erlauben Sie mir, Ihnen ein Beispiel zu geben, an dem Sie gleichzeitig allmählich die Folgen sehen. Ein Raub ist nicht ein Zustand, sondern eine Handlung. Armut ist keine Handlung, sondern ein Zustand. Der Unterschied zwischen Handlung und Zustand ist von großer Bedeutung, weil eine ethische Eigenschaft immer eine Eigenschaft von Personen und ihrer Handlungen ist. Sie ist an allererster Stelle eine Eigenschaft von Handlungen, und folglich eine Eigenschaft der Personen, die diese Handlungen ausführen.

Eine Handlung oder Tat ist der Ausdruck eines Willens und beinhaltet immer ein Urteil des Willens. Im Willen liegt immer das ethisch Gute oder Schlechte. Ein zufälliges Ereignis kann, im wörtlichen Sinn, nicht ethisch oder unethisch sein. Zufällige Gerechtigkeit ist nie mehr als poetisch. Zufällige Freundlichkeit ist nur Glück. Ereignisse im Reich der Natur, wie etwa Erdbeben oder Vulkanausbrüche, liegen – da sie nicht das Resultat eines Willens sind, ihrer Natur nach außerhalb des Bereichs moralischer Wertung.

Eine moralische Wertung ist immer ein Urteil über die Eigenschaft einer Person. Die Eigenschaft ist Teil ihres Willens. Eine Person ist gut oder böse, selbstsüchtig oder selbstlos, freundlich oder unfreundlich, großzügig oder geizig, gerecht oder ungerecht, ganz abhängig von ihrem Willen. Genau das sagt Aristoteles, wenn er ethische Urteile auf den Bereich des Willentlichen beschränkt, und nicht auf den des Unfreiwilligen (εκουσιον, ekousion, nicht ακουσιον, akousion). Das ist eine fundamentale Wahrheit. Was auch immer unfreiwillig ist, sei es ein Gedanke oder eine Handlung oder ein Zustand in der Gesellschaft, gehört nicht in die Kategorie des Ethischen.

Es ist das Markenzeichen der traditionellen Gerechtigkeit, dass Zustände gerecht oder ungerecht sein können nur in dem Maß, wie weit vernunftbegabte Personen dafür verantwortlich gemacht werden können. Vernunftbegabte Wesen können nur für jene Zustände verantwortlich gemacht werden, die direkt oder indirekt aus ihrem Willen hervorgehen. Im Besonderen ist die Ungerechtigkeit eines Zustandes entweder das direkte Ergebnis einer ungerechten Handlung, oder sie beinhaltet die absichtliche oder nachlässige Missachtung einer Person.

Missachtung gibt es in vielen Formen. In einigen Fällen ist Ungerechtigkeit beabsichtigt, in anderen entsteht sie durch Nachlässigkeit oder Willensschwäche; wieder in anderen Fällen entsteht sie aus sträflicher Unwissenheit, wenn z.B. ein Drogensüchtiger die Konsequenzen seiner Abhängigkeit für seine Familie nicht sehen will. Aber in all diesen Fällen unterliegt die Situation dem Willen des Handelnden. In allen diesen Fällen macht sich eine Person verantwortlich für die Folgen ihres eigenen Handelns. Und am Ende ist es diese Auffassung von Verantwortung, die ausschlaggebend ist, wenn man die Idee von Gerechtigkeit verstehen will. Wo es echte Ungerechtigkeit gibt, ist immer eine Person dafür verantwortlich. Wo niemand verantwortlich ist, kann es keine Ungerechtigkeit geben.

Im Jahr 1949 hat der englische Philosoph Gilbert Ryle in seinem Buch The Concept of Mind einen besonders verwirrenden Trugschluss erkannt, den er einen Kategorienfehler nannte (category-mistake). Man fällt diesem Trugschluss zum Opfer, wenn man einem Gegenstand eine Eigenschaft zuordnet, die er gar nicht haben kann. Manchmal werden solche Irrtümer leicht entdeckt. Wenn ich einem Ziegelstein Freundlichkeit zuspreche, und meine das ganz wörtlich, dann werden Sie einen Psychologen für mich suchen. Aber die besondere Gefahr eines Kategorienfehlers besteht darin, dass er völlig unentdeckt bleiben kann, es sei denn, man macht sich die Mühe, die Natur des Gegenstandes sorgfältig zu analysieren.

Genau das ist mit dem Begriff „Soziale Gerechtigkeit“ geschehen. Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sind moralische Begriffe. Und moralische Eigenschaften sind immer Eigenschaften eines Willens, oder an erster Stelle von bewussten Handlungen, und danach von den Personen, die diese Handlungen ausführen, und dann von den Zuständen, die aus diesen Handlungen resultieren. Aber Gleichheit und Ungleichheit in der Gesellschaft sind nicht das Ergebnis einer bewussten oder absichtlichen Handlung. Deshalb ist der Begriff „Soziale Gerechtigkeit“ ein schrecklicher und irreführender Euphemismus, welcher den hässlichen Gebrauch von Gewalt mit den leuchtenden und attraktiven Farben von moralischer Tugend übertüncht.

3. Gerechtigkeit gegen Fairness

Ein weiterer wichtiger Aspekt der traditionellen Gerechtigkeit ist, dass sie einen großen Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Fairness macht. Fairness bedeutet, dass Leute gleich behandelt werden, aber Gerechtigkeit heißt, dass sie behandelt werden, wie sie es verdienen. Manchmal deckt sich das. Wenn ich jemanden ungerecht behandle, sagen wir, ich bedrohe ihn mit einer Pistole und will ihn berauben, behandle ich ihn notwendigerweise auch unfair.

Aber die Umkehrung ist hier nicht möglich. Allein die Tatsache, jemanden unfair oder ungleich zu behandeln, heißt nicht zwangsläufig, dass ich ihn ungerecht behandle, denn ich kann jemanden ungleich behandeln, ohne ihm Schaden oder Verletzung oder Beschädigung zuzufügen. Ich kann jemanden ungleich behandeln einfach dadurch, dass ich eine andere Person besser oder schlechter behandle. Wenn ich einem anderen ein Geschenk oder einen Job gebe, aber in Bezug auf Sie gar nichts tue, habe ich Sie nichtsdestoweniger schlechter behandelt. Es ist unmöglich, einer Person Schaden zu verursachen, dadurch, dass ich gar nichts tue, wenn ich nicht freiwillig eine Pflicht übernommen habe, für sie zu sorgen.

 Es gibt viele gute Gründe, Menschen nicht gleich zu behandeln. Ich kann eine Person ungleich behandeln, weil sie meine Mutter ist. Fairness ist eine echte Tugend. Es ist gut und human, Menschen fair zu behandeln. Aber Fairness ist nicht dasselbe wie Gerechtigkeit. Vergehen gegen die Gerechtigkeit können zu Recht bestraft werden, indem man Zwangsmittel wie Polizei oder Militär anwendet, weil Unrecht immer Zwang einschließt. Aber Vergehen gegen die Fairness gehören nicht zur selben Kategorie. Sie können nicht durch Zwangsmaßnahmen bestraft werden, weil sie nicht notwendigerweise Zwang einschließen. Und würde man sie bestrafen, so als wären sie ungerecht, hieße das, ungerecht zu handeln.

Ein klassisches Beispiel der bedeutenden Verschiedenheit zwischen Gerechtigkeit und Fairness wird im Evangelium nach Matthaus gegeben, Kapitel 20.

Dort wird beschrieben, wie der Herr eines Weinbergs früh am Morgen zum Marktplatz geht, um Arbeiter für den Tag einzustellen. Er findet einige und will ihnen einen Denar für den Tag zahlen. Aber er braucht mehr, also geht er einige Stunden später noch mal, findet mehrere Männer müßig stehen, die er auch anheuert, und dasselbe geschieht noch mehrere Male im Lauf des Tages.

"Das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. Als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg. Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere müßig auf dem Markt stehen und sagte ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist. Und sie gingen hin. Abermals ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe. Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere und sagte ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag müßig da? Sie sagten zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sagte ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg. Als es nun Abend wurde, sagte der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den letzten bis zu den ersten. Da kamen, die um die elfte Stunde eingestellt waren, und jeder empfing seinen Silbergroschen. Als aber die Ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; und auch sie empfingen ein jeder seinen Silbergroschen. Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn und sagten: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben. Er antwortete aber einem von ihnen: Mein Freund, ich tu dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir. Oder habe ich nicht Macht zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Siehst du scheel drein, weil ich so gütig bin? So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein."

Sicherlich hatte der Sinn für seine jüdische Zuhörerschaft unmittelbar zu tun mit den Heiden, die – obwohl sie später dazukamen – gleich behandelt werden würden. Aber für uns heute ist die Parabel eine klare Aussage, dass Gerechtigkeit nicht mit Gleichheit oder Fairness gleichgesetzt werden darf. 

4. Soziale Gerechtigkeit

Wenden wir uns jetzt der Idee der sozialen Gerechtigkeit zu. Was bedeutet dieser Begriff? Zurzeit bedeutet er ganz allgemein Gleichheit in einer Gesellschaft. Das war nicht seine ursprüngliche Bedeutung, als der Begriff 1840 von dem Jesuiten Luigi Taparelli, der eindeutig konservativ war, geprägt wurde. Oder wie er von Antonio Rosmini 1848 gebraucht wurde (La Costituzione secondo la giustizia sociale), der ein Liberaler im europäischen Sinn des Wortes war. Lassen Sie uns für den Augenblick bei der jetzt gängigen Bedeutung bleiben.

Die Bedeutung, die der Begriff soziale Gerechtigkeit heute hat, stammt von den christlichen Sozialisten in England gegen Ende des 19. Jahrhunderts und ist sehr verschieden von dem, was Taparelli und Rosmini darunter verstanden. Im 20. Jahrhundert wurde er weiter entwickelt und hauptsächlich von Papst Pius XI. in seiner Enzyklika Quadragesimo Anno 1931 verbreitet, welche die soziale Gerechtigkeit zu einem Teil der katholischen Lehre erklärte.

Ich sage das mit Bedauern, weil ich in allen anderen Beziehungen eine sehr hohe Meinung vom Christentum und vom Katholizismus habe. Ich bin Christ und Katholik. So wie Pius und nachfolgende Päpste es beschreiben, war soziale Gerechtigkeit eine Forderung nach wirtschaftlicher Gleichheit, und deshalb auch eine Forderung nach Ausmerzung der Armut, und dieses Verständnis ist im Großen und Ganzen bis jetzt dasselbe geblieben. Aber nach dem 2. Weltkrieg und besonders nach der Erklärung der Menschenrechte durch die Vereinten Nationen im Jahr 1948, dann nach dem Erlass des Civil Rights Act durch den amerikanischen Kongress wurde der Begriff stark erweitert und schloss tatsächlich alles ein, was man unter Menschenrechten (in Amerika Civil Rights) verstand. Diese breitere Auffassung wird manchmal bezeichnet als Gleichgewicht der Macht. Gegenwärtig ist vielleicht die auffälligste Form der sozialen Gerechtigkeit die Forderung nach einem Verbot von Diskriminierung, und besonders der Diskriminierung auf Grund des Geschlechts. Reden wir also ein wenig darüber.

In diesen Tagen wird Diskriminierung in einer aufgeklärten Gesellschaft allgemein als unmoralisch verurteilt. In Neuseeland zum Beispiel verbietet das Gesetz Diskriminierung auf Grund von Geschlecht – das schließt ein Schwangerschaft und Geburt –, Familienstand, Religion, ethische Überzeugung, Hautfarbe, Rasse, ethnische oder nationale Herkunft oder Staatsangehörigkeit, Behinderung, Alter, politische Meinung, Beschäftigungsstatus oder sexuelle Orientierung.

Protokoll 12 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten besagt:

Der Genuss eines jeden gesetzlich niedergelegten Rechtes ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.

In anderen Worten: Alle Formen der Diskriminierung sind schlecht. Der Grund für diese Verurteilung ist, dass Diskriminierung zu Ungleichheit in der Gesellschaft führt, und Ungleichheit in der Gesellschaft wird für ungerecht gehalten. Aber hier liegt ein großer Trugschluss, wie wir es oben schon sagten: Ungleichheit in einer Gesellschaft kann geschehen, ohne dass irgendjemand dafür verantwortlich ist. Sie ist nicht unbedingt das Resultat aus den Handlungen eines Einzelnen, oder das Resultat seines Willens.

Das bedeutet, dass Ungleichheit nicht eigentlich einem moralischen Diktat unterworfen sein kann. Die Ungleichheit kann als solche weder gerecht oder ungerecht sein. Sicherlich kann man sie von einem utilitaristischen Standpunkt aus als gut oder schlecht sehen, aber nicht als unmoralisch. Ungleichheit ungerecht zu nennen ist, wie wenn man einen Ziegelstein ungerecht nennt. Nur Personen und ihre Handlungen können moralisch oder unmoralisch sein, und die Zustände, die durch deren absichtliche Handlungen herbeigeführt werden. Das bedeutet, dass soziale Gerechtigkeit, wie sie zurzeit verstanden wird, überhaupt nicht Gerechtigkeit ist, und soziale Ungerechtigkeit ist im Allgemeinen keineswegs Ungerechtigkeit.

5. Zwangsdiskriminierung gegen friedliche Diskriminierung

Es gibt da einen Unterschied von zentraler Bedeutung zwischen erzwungener und friedlicher Diskriminierung (coercive and peaceful discrimination). Sklaverei und erzwungene Segregation in Amerika waren Fälle von erzwungener Diskriminierung. Diskriminierung im Handel, beim Kaufen und Verkaufen, ist normalerweise friedlich. Erzwungene Diskriminierung ist falsch, nicht weil es sich um Diskriminierung handelt, sondern weil diese Diskriminierung erzwungen ist. Friedliche Diskriminierung, aus welchem Grund auch immer, ist oft unfair, aber nie ungerecht und sollte nicht vom Gesetz verboten sein. Denn friedliche Diskriminierung fügt keine Verletzung zu.

Um Diskriminierung anzuwenden, muss man nicht eine Handlung ausführen gegenüber den diskriminierten Menschen. Alles, was notwendig ist, ist den Nutzen einem anderen zukommen zu lassen.

Vor nicht langer Zeit hat ein New Yorker Gericht dem Schweizer Pharmakonzern Novartis eine große Geldbuße auferlegt wegen Diskriminierung von Frauen aufgrund der Tatsache, dass der Konzern Männern, die dieselbe Arbeit wie die Frauen machten, 75 Dollar im Monat mehr bezahlte. Der Vorteil für die Männer wurde behandelt als Schaden der Frauen. Aber es war nachweislich nicht ein Schaden für die Frauen, und die Buße war übermäßig und ungerecht.

Nach einer Entscheidung (1971) des US Supreme Court ist es nicht einmal nötig, eine Diskriminierung zu beabsichtigen. Allein die Tatsache, dass eine Handlung oder ein Verfahren unabsichtlich eine ungleiche Auswirkung hat, reicht aus. Es ist jedoch unmöglich, eine wirkliche Straftat ohne eine verbrecherische Absicht zu begehen, wenigstens durch Nachlässigkeit. Das wurde im Mittelalter durch Abelard erwiesen, in seinem Buch Scito Teipsum. Wie Augustinus geschrieben hat, um sich moralische Schuld zuzuziehen, muss man mens rea haben.  

Der Ruf nach einem Verbot friedlicher Diskriminierung basiert nicht auf der Auffassung von traditioneller Gerechtigkeit, und soziale Gerechtigkeit, wie ich vorgeschlagen habe, ist überhaupt keine Gerechtigkeit, sondern ein Schwindel- oder Pseudogerechtigkeit.

Friedliche Diskriminierung sollte als Menschenrecht gesehen werden. Das Verbot friedlicher Diskriminierung war keine Absicht von Martin Luther King oder der Civil Rights Bewegung, aber es wurde im Civil Rights Gesetz 1964 eingeschlossen durch die Arbeit des Sozialisten, Asa Philip Randolph, der den Marsch auf Washington 1963 organisierte.

6. Institutionen

Institutionen sind eine der großen und nützlichen Erfindungen der Menschheit. Eine Institution ist eine organisierte Form der Zusammenarbeit. Eine Bank ist eine Institution und ebenso Läden und Regierungen und Kirchen und Familien und Schulen und sogar Sprachen. Traditionelle Gerechtigkeit schützt und unterstützt wohltätige Institutionen, damit die ihre Aufgaben erfüllen können. „Soziale Gerechtigkeit“, wie gemeinhin verstanden, mit ihrer Verwechslung von Fairness mit Gerechtigkeit, aber neigt dazu, alle Institutionen zu untergraben, denn alle Institutionen beinhalten eine Art Autorität, und Autorität verträgt sich nicht mit Gleichheit. Jede Autorität stellt einige Personen über andere, und das ist, vom Standpunkt sozialer Gerechtigkeit keineswegs ideal, und manchmal unerträglich.

Sogar die Autorität Gottes ist nicht unangreifbar, besonders weil sie mit leichter Hand entsorgt wird, indem man einfach seine Existenz verneint. Die Gruppe unserer derzeitigen Atheisten in der Englischsprechenden Welt wie Harris, Hawking und Dawkins weisen meistens auf die Naturwissenschaften hin als Quelle, die ihren Standpunkt rechtfertigt; aber die Naturwissenschaften sind weit davon entfernt, die Existenz Gottes zu widerlegen, während aber der Respekt für soziale Gerechtigkeit in vielen Fällen ausreicht, ihre Haltung zu erklären. Ein großer Teil des modernen Säkularismus wird vom Evangelium der Gleichheit abgeleitet.

Institutionen werden gegründet, um bestimmte Zwecke zu erreichen. Schulen werden geschaffen, um Kindern Kenntnisse zu vermitteln, Banken, um Geld sicher zu bewahren und zu verleihen, Regierungen, um Gesetze zu erlassen, Geschäfte, um Profit zu machen, Kirchen, um für das Spirituelle zu sorgen, das Militär, um die Nation zu schützen, und so weiter.

Aber soziale Gerechtigkeit will, dass jede Institution einem zweiten Zweck dient, nämlich der Herstellung von Gleichheit in der Gesellschaft. Jede Institution hat jetzt zwei Herren. Folglich wird jede Institution geschwächt unter der Herrschaft der sozialen Gerechtigkeit. Unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit ist die Familie zum Beispiel nicht die Grundlage der Gesellschaft, sondern eine Quelle von Vorrechten und Ungleichheit, und müsste deshalb abgeschafft werden.

Soziale Gerechtigkeit ist nicht in erster Linie ein Anspruch an Individuen, sondern an den Staat. Denn nur der Staat kann solche Forderungen erfüllen. Die Auswirkung sozialer Gerechtigkeit auf eine Gesellschaft besteht darin, dass Macht massiv vom Einzelnen auf den Staat übertragen wird. Gleichzeitig aber repräsentiert der Staat in der westlichen Gesellschaft bis jetzt immer noch die höchste Autorität, was paradox bedeutet, dass die soziale Gerechtigkeit auch die Autorität des Staates untergräbt. 

Man sieht das in demokratischen Staaten, wo die Forderungen der breiten Masse nach Programmen sozialer Gerechtigkeit den Staat dazu verleiten, über seine Verhältnisse Geld auszugeben, was letztlich zum Bankrott führt, wie wir es in einigen gut bekannten Ländern gesehen haben. Soziale Gerechtigkeit kümmert sich nicht um traditionelle Gerechtigkeit, um alltägliche Realitäten wie Verträge oder die Rückzahlung von Schulden, sie kümmert sich nicht um wirtschaftliche Gegebenheiten, oder um die Ursachen für Reichtum und Armut. Sie sorgt sich nur um Gleichheit oder Ungleichheit selbst und das in moralischen, nicht in wirtschaftlichen Begriffen.

Friedrich Hayek schrieb: . . .  der vorherrschende Glaube an soziale Gerechtigkeit ist im Augenblick die ernsteste Bedrohung für die meisten anderen Werte einer freien Gesellschaft.

7. Vier Merkmale der echten Gerechtigkeit

Echte Gerechtigkeit hat vier Unterscheidungsmerkmale.

  • Erstens sind Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit vor allem Eigenschaften nicht von Zuständen in der Gesellschaft, sondern von Handlungen Einzelner. Sie sind nur insoweit Eigenschaften von Zuständen, als diese Zustände das Ergebnis von Handlungen sind. Armut an sich zum Beispiel ist weder gerecht noch ungerecht. Ebenso ist die Ungleichheit der Geschlechter weder gerecht noch ungerecht.
  • Zweitens geht es bei Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit entscheidend um den Willen. Menschliches Tun ist nie nur ein äußeres oder physisches Ereignis, sondern hat immer eine innere und subjektive Dimension, was im englischen und amerikanischen Common Law mit Mens Rea erfasst ist. Soziale Gerechtigkeit bezieht sich nicht auf den Willen und hat keine Entsprechung für Unrechtsbewusstsein.
  • Drittens, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit bedingen individuelle Verantwortung und Rechenschaft. Wenn eine Ungerechtigkeit geschehen ist, war das, weil ein Einzelner wissentlich mit Absicht eine ungerechte Tat beging, die Schaden verursacht hat: Er oder sie ist dafür verantwortlich und muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden.
  • Viertens, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit setzen voraus, dass Individuen Willensfreiheit haben. Ein Wille, der von äußeren Kräften vorbestimmt wird, kann keinen moralischen Wert oder Unwert haben. Unsere gängige Vorstellung von Gerechtigkeit und alle Moral bauen auf der Achtung vor dem freien Willen auf.

Gibt es so etwas wie einen freien Willen? Einigen ist es lieber, das zu verneinen, als zu glauben, dass sie durch moralische Pflicht gebunden sind. Aber dagegen:

  • Es ist die feste Überzeugung aller erwachsenen Menschen dass, was sie immer gegenwärtig tun, sie stattdessen etwas ganz anders tun könnten.
  • Wenn es keinen freien Willen gibt, kann es auch überhaupt keine Ethik geben.

 Denn niemand hat erklären können, wie eine Maschine Ethik haben könnte.

  • Nach heutigen Psychologen sind unsere gefühlsbedingten Rückwirkungen auf Ereignisse nicht vorherbestimmt.

Diese vier Eigenschaften sind notwendige Merkmale von traditioneller oder echter Gerechtigkeit, aber nicht von sozialer Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit ist gar keine Gerechtigkeit.

Allem sinnvollen Nachdenken über moralische Werte liegt die Erkenntnis zugrunde, dass Menschen durch ihre Natur einen freien Willen besitzen, und diese Tatsache verleiht ihnen Würde oder Anspruch auf Achtung. Verhalten ist ethisch, wenn es diese Würde respektiert, und zwar in anderen wie auch in uns selbst.

Nur Lebewesen, die Willensfreiheit haben, können Würde haben. Und nur Lebewesen, die Willensfreiheit haben, können Respekt erweisen.

Es gibt daher zwei Ebenen menschlicher Würde. Die eine geht mit unserer Natur einher, dem Ergebnis unserer Willensfreiheit, die letztlich in gewissem Sinn die Gabe unserer Gene ist. Die andere ist die Würde, die aus unseren Handlungen kommt. Diese Würde wird vermehrt oder vermindert in dem Maße, wie unsere Handlungen ethisch oder unethisch sind. Die Vorstellung von menschlicher Würde hat unglückseligerweise keinen Platz im Utilitarismus oder in der sozialen Gerechtigkeit, wie man diese gemeinhin versteht.

In Übereinstimmung mit traditioneller Gerechtigkeit verlangt ethisches Verhalten Zurechenbarkeit, Verantwortung und Haftung. Eine Handlung ist einer Person zuzurechnen, wenn sie durch diese Person entstanden ist. Das bedeutet, die Person besitzt sie, die Handlung gehört zu ihr und ist ihre Handlung. Wenn man sagt, eine Person ist verantwortlich für eine Handlung, bedeutet das, die Person hat sie und ihre Auswirkungen in der Welt verursacht, ob mit oder ohne Absicht. Wenn ich einen Stein werfe und er bricht zufällig ein Fenster, dann habe ich das Fenster zerbrochen. Und wenn man sagt, eine Person ist für eine Tat haftbar gegenüber anderen, heißt das, sie kann per Gesetz zur Rechenschaft gezogen werden.

Vom Standpunkt der sozialen Gerechtigkeit aus aber sind keine dieser Eigenschaften für ein ethisches Denken relevant. Weil die Ethik ganz zentral mit Gleichheit und Ungleichheit in der Gesellschaft zu tun hat. Was bedeutet, dass soziale Gerechtigkeit, wie geläufig gesehen, weder eine ethische Kategorie ist noch sein kann.

Wie sollte ein Wesen mit freiem Willen andere Wesen mit freiem Willen behandeln? Ganz grundsätzlich ist die Antwort: indem man anderen Freiheit lässt. Meiner Ansicht nach ist das die richtige Definition von Gerechtigkeit: Gerechtigkeit ist die Eigenschaft einer freien Handlung gemäß dem, was vereinbar ist mit der Willensfreiheit anderer. Nicht mit ihren speziellen Zielsetzungen, die vielleicht sehr ungerecht sein mögen und denen man sich  energisch entgegen stellen sollte, sondern gemäß ihrer inneren Willensfreiheit. Diese These hat in vielen Bereichen weitreichende Folgen. Eine Folge davon ist, dass Privatbesitz als heilig anerkannt wird. Denn Privatbesitz ist eine Verkörperung der Willensfreiheit.

Diese Ansicht vertritt die traditionelle Vorstellung vom natürlichen Verdienst im Widerspruch zum Argument von John Rawls, der behauptet, dass es so etwas wie diesen Verdienst nicht gibt, weil wir unsere natürlichen Begabungen nicht verdienen und folglich auch nicht verdienen, was wir mit ihnen erwerben oder erhalten. Dagegen halte ich: Sogar wenn wir ein Geschenk oder ein Talent nicht verdienen, ist es doch vielleicht zu Recht das unsere, und was wir damit erreichen, kann ebenso zu Recht das unsere sein.

Aus dieser unserer Ansicht folgt, dass ökonomischer Wert doch eher subjektiv ist, wie die österreichische Wirtschaftsschule argumentiert hat, als objektiv, wie einige bekannte Autoren irrigerweise annahmen, unter ihnen Aristoteles, Thomas von Aquin, John Locke, Adam Smith und Karl Marx.

Wenn ich meine Theorie mit der von Aristoteles vergleiche und die Frage betrachte, wie man Erträge eines Investments unter den Investoren aufteilen soll, dann meint Aristoteles, dass das im Verhältnis sein soll zum objektiven Einsatz, den jeder erbracht hat. Aber ich vertrete die Ansicht, die Aufteilung sollte dem ursprünglichen Vertrag entsprechen, wie auch immer dieser es festgelegt hat. Ein Investor kann eine Verteilung in einem anderen Verhältnis festgelegt haben, und wenn die anderen dem zugestimmt haben, ist das für sie bindend. Der Unterschied besteht nicht in dem abstrakten Verhältnis, sondern in der Freiwilligkeit der Vereinbarung. In all diesen und anderen Aspekten befindet sich wahre Gerechtigkeit in Konflikt mit sozialer Gerechtigkeit.

8. Die wahre Auffassung von sozialer Gerechtigkeit

Laut der wahren und gültigen Auffassung von sozialer Gerechtigkeit ist sie nicht eine Art von Gerechtigkeit, die verschieden von der traditionellen Gerechtigkeit ist, sondern ist traditionelle Gerechtigkeit angewendet auf die Gesellschaft. Das bedeutet, dass sie vor allem den freien Willen aller Glieder einer Gesellschaft respektiert. Noch deutlicher: eine Gesellschaft wird soziale Gerechtigkeit verwirklichen,

  1. Wenn ihre Gesetze das tun;
  2. Wenn ihre Verfassung, oder ein Gesetz über das Machen von Gesetzen sicher stellt, dass die Gesetze das tun;
  3. Wenn ihre allgemeine Kultur den freien Willen respektiert (z.B. durch Fehlen von Korruption).

Diese Vorstellung kommt dem Verständnis von sozialer Gerechtigkeit sehr nahe, wie es der italienische Philosoph Antonio Rosmini im 19. Jahrhundert vorschlug. Rosmini kritisierte die neuen liberalen Institutionen, wie sie in Europa zu seiner Zeit gegründet wurden, dafür, dass sie Privatbesitz nicht schützten.

Etwas sehr Ähnliches geschieht in unserer Zeit. Die große Schwäche einer demokratischen Regierung besteht darin, dass sie leicht von jenen in den unteren Ebenen der Wirtschaft übernommen werden kann, die alle anderen überstimmen, und ernsthaft ungerechte Programme für sozialistische Umverteilung unterstützen.

Wahre Gerechtigkeit basiert auf Vernunft, und bietet eine vernünftige Regelung eines jeden Streits, die von beiden Parteien vernunftgemäß unterstützt werden kann. Das gilt aber keineswegs für Sozialgerechtigkeit. Sozialgerechtigkeit ist das Evangelium der Revolution, der Umwälzung, des Umsturzes, und regelt keinen Streit, sondern schafft Streit, weil sie einige Personen über andere begünstigt, nur um ein abstraktes Muster zu befriedigen. Wie John Locke argumentiert hat, es muss ein Gesetz fur alle geben, one rule for rich and poor, for the favourite at court and the country man at plough. Und Papst Leo XIII hat damit übereingestimmt: Im Staat, sind die Interessen aller gleich, ob hoch oder niedrig. (Rerum novarum #33).

    Der Hauptgrund, warum die sozialistische Bewegung von Anfang an antichristlich war, ist sehr wahrscheinlich, dass sie gewusst hat, dass ihre Programme der Gleichheit ungerecht sind und dem christlichen Verständnis von Gerechtigkeit und Recht widersprechen. Marx kann leichten Sinnes über das Opium des Volkes reden, aber Opium fordert keine Revolution. Auf der anderen Seite hilft es mächtig, wenn man eine Revolution anfachen will, die Idee der Gerechtigkeit preiszugeben, und die Moralität, wie er es tat, zu belachen. 

Und so bin ich geneigt zu glauben, dass der Hauptgrund, warum Europa jetzt so unchristlich ist, nicht die Naturwissenschaft ist, wie oft gesagt, sondern ihre gedankenlose Hingabe an die sozialisierte Gerechtigkeit, die gar keine Gerechtigkeit ist.

 

Thomas Patrick Burke ist Professor Emeritus of Religion, Temple University, Philadelphia. Er stammt aus Australien, und hat in Buckingham und München studiert. Er hat vor Philadelphia in Hamburg und Sydney gelehrt. Einige seiner wichtigsten Publikationen: “The Concept of Justice: Is Social Justice Just?” (London, Bloomsbury, 2011); “No Harm : Ethical Principles of the Free Market” (New York, Paragon, 1994); “Künftige Aufgaben der Theologie“ (München, Hueber, 1967).

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