Da der Kulturkampf gegen das ungeborene Menschenleben zwischen Politik, Medien und Abtreibungsindustrie derzeit wieder massiv forciert wird, soll hier eine Stimme der Vernunft in die Öffentlichkeit gebracht werden. Stephen Dietrich Schwarz (*1932), emeritierter Professor für Philosophie an der Universität von Rhode Island, Sohn des deutschen Philosophen und NS-Gegners Balduin Schwarz (1902-1993), Patensohn und Schüler des deutschen Philosophen Dietrich von Hildebrand (1889-1977), präsentierte unter dem Titel „Understanding Abortion“ eine profunde Analyse des argumentativen Kampfes um die Tötung ungeborener Kinder.
Das Buch enthält fünf Hauptteile: die moralische Position von „Pro Choice“, also zugunsten der Abtreibung, die moralische Position für das Leben, weitere moralphilosophische Überlegungen, einschließlich der Antworten von Abtreibungsbefürwortern auf Pro-Life-Argumente, die rechtliche Frage und abschließende Themen – wie Sicherheitsfragen – der „Weg der Einheit“ (nämlich von Mutter und Kind) und eine prägnante Zusammenfassung. Einige Skizzen und Zahlentabellen erläutern das Gesagte.
Der verdrallte Charakter der Pro-Abtreibungs-Argumente
Es ist bezeichnend, dass diejenigen Autoren, die auf akademisch-philosophischer Ebene für die Legitimität der Abtreibung argumentieren, sehr komplizierte Argumente beibringen müssen.
Besonders skurril ist das von Judith Thomson bemühte Gedankenexperiment: Man stelle sich vor, ein berühmter Geigenspieler würde über Nacht durch Schläuche mit einer Person verbunden werden, um dessen Nieren mitzubenutzen. Thomson sagt nun, dass Abtreibung nichts anderes wäre, als, wie im Fall dieses Geigenspielers, „den Stecker zu ziehen“. Denn niemand sei verpflichtet, jemanden anderen gegen dessen Willen seinen Körper mitgebrauchen zu lassen. Der Tod sei dabei eine bloß einkalkulierte, nicht beabsichtigte Folge.
Auch andere Gedankenexperimente sind an den Haaren herbeigezogen und in keiner Weise überzeugend.
Die juristische Frage – halbherzige und widersprüchliche Positionen
Da heutzutage wieder besonders gegen jegliches Verbot der Abtreibung Stimmung gemacht wird, sind die rechtsphilosophischen Überlegungen von Stephen Schwarz von besonderer Relevanz.
Dabei spricht er das besonders bedauerliche Thema von Leuten an, die „persönlich“ gegen Abtreibung sind, aber dafür eintreten, sie sollte legal möglich sein:
„Entweder ist man wirklich Pro Life und bezieht den moralischen Standpunkt, wonach das Gesetz das Recht des Kindes auf Leben verteidigt. Oder man bezieht diesen Standpunkt nicht, sondern ist für das Recht der Frau zu wählen. (…) Wenn man logisch denkt, muss man die eine Seite wählen oder die andere. Aber Abtreibung ist ein heißes Thema, bei dem oft die Emotionen die Diskussion bestimmen und die Logik Amok läuft“ (139).
Ein solcher inkonsistenter Standpunkt wird ja bei anderen moralischen Fragen, etwa der Sklaverei, auch nicht eingenommen.
Analoges gilt für „Diskriminierung“, das Schlagwort unserer Zeit. Aber auch dieses wird nicht konsequent, d.h. auch für die Kinder im Mutterleib, eingesetzt:
„Die Pro-Life-Seite sagt, dass legale Abtreibung Diskriminierung gegen das Kind im Mutterleib bedeutet. Sie bedeutet, dass wir das geborene Kind schützen, aber nicht das ungeborene. Legale Abtreibung bedeutet, zu dem Kind im Mutterleib zu sagen: Du zählst nicht, du bist zu klein“ (143).
Feministische Ideologie und Kulturkampf
Abtreibung ist nicht eine isolierte moralphilosophische Materie. Sie ist zuinnerst mit anderen Themen des derzeit international tobenden Kulturkampfes verbunden – nämlich mit der feministisch fehlinterpretierten Bedeutung menschlicher Sexualität als ganzer und besonders mit dem Krieg gegen die Familie. Schwarz zitiert die feministische Autorin Susan Sherwin, die in ihrer Wortwahl eine geradezu aberwitzig zynische Haltung offenbart. Sie glaubt zudem allen Ernstes, dass die westliche Gesellschaft ein „Patriarchat“ sei, das „Frauen unterdrücke“.
Was auch sehr vielsagend ist, ist Sherwins Eingeständnis, dass es eine „Uneinigkeit unter den Feministinnen auf fast allen anderen Gebieten [außer Abtreibung] gibt“ (146). Die feministische Bewegung wird also offensichtlich nur durch die Feindschaft gegenüber dem ungeborenen Kind zusammengehalten.
Eine Stimme der Vernunft existiert in der Person von Richard Stith, der in einem Artikel „Ihre Entscheidung, ihr Problem – Wie Abtreibung die Männer ermächtigt“ die feministische Haltung zur legalen Abtreibung kritisiert und damit das Offenkundigste aufgezeigt hatte:
„Man sagte, die Legalisierung der Abtreibung würde den Frauen enorme Freiheit gewähren. Sie hatte aber den gegenteiligen Effekt: Sie befreite die Männer und fesselte die Frauen“ (147).
Schließlich weist Schwarz auf den grauenhaften und barbarischen Charakter der Abtreibung als ganzer mit allen katastrophalen Folgen für die Gesellschaft hin:
„Es ist höchste Zeit, über das Klima des Todes zu sprechen, in dem die Abtreibungsindustrie ungehindert gedeihen kann. Entmenschlichende Rhetorik, rationalisierend-verschleiernde Sprache und eine rohe Verachtung des Lebens haben Amerika betäubt und die monströsen Konsequenzen hervorgebracht. Man denke nur an den Horror von Philadelphia [nämlich den Fall des Abtreibers Kermit Gosnell, in dessen Praxis Frauen an den Folgen – legaler! – Abtreibungen gestorben sind und herumstreunende Katzen die Leichenteile von abgetriebenen Kindern gefressen haben]“ (168).
Das Irrationale des Bösen
Die ausführliche Darstellung der Pro-Abtreibungs-Argumente ist ekelerregend. Je detaillierter die suggestiven Sophistereien feministischer akademischer Autoren (beiderlei Geschlechts) dargestellt werden, desto mehr kommt man zur Schlussfolgerung, dass der Titel des Buches, „Abtreibung verstehen“, irreführend ist.
Man kann das nicht „verstehen“.
Hier geht es tief in die Philosophie: Das Böse ist eben nicht adäquat „verstehbar“. In der abendländischen Philosophie wird herausgearbeitet, dass das mysterium iniquitatis, das „Geheimnis der Bosheit“, undurchdringlich ist. Anselm von Canterburys Dialog De casu diaboli, „Über den Fall des Teufels“ (1086), ist dafür ein gutes Beispiel. Darum warnen auch die spirituellen Autoren vor einem „Dialog“ mit dem Bösen, in dem ja definitionsgemäß keine Wahrheit sein kann. Der marxistische Autor Leszek Kolakowski hat in seinen „Gesprächen mit dem Teufel“ (1968) genau diesen Dialog auch ad absurdum geführt.
Schließlich bot das 20. Jahrhundert genügend Anschauungsmaterial zur Wirkmacht lügenhafter Propaganda. Sie kann nur wirken, wenn man sich ihr öffnet („Dialog“).
Dasselbe gilt für die Abtreibungspropaganda. Der kirchlicherseits mit ihr geführte „Dialog“ hat nichts genützt und hat keine Kinder gerettet.
Er hat im Gegenteil die Aggression verschärft:
Kundgebungen von Abtreibungsbefürwortern wirken aufgrund der Rhetorik, der Mimik und der Stimmlage ihrer Teilnehmer irgendwie pathologisch. Oder wie „besessen“. Eine ausdrücklich satanistische Choreographie und Maskerade bestätigt diesen Eindruck (wie dem langjährigen Beobachter aus vielen einschlägigen Erfahrungen bekannt ist).
Da die Auseinandersetzung mit diesem gruseligen Thema also eine rutschige Ebene ist, wird man das Unternehmen von Stephen Schwarz, die Abtreibungsargumente „verstehen“ zu wollen, als riskant betrachten müssen.
Andererseits zeigt die umfassende Abwägung der Argumente, dass man bei ehrlichem Nachdenken und Abwägen zwangsläufig zu einer konsequenten Position im Sinne des Lebensschutzes kommen muss. Dabei bleibt Schwarz im Bereich des natürlich erkennbaren Sittengesetzes, greift also nicht auf eine ausdrücklich theologische Argumentation zurück. Erfahrungsgemäß verfängt das aber immer nur bei wenigen Leuten.
Schlussfolgerungen
Die Konklusion dieses wichtigen Buches kann unter drei Titeln subsumiert werden:
- Irrationalität und Rationalisierung: Abtreibung ist etwas zutiefst Irrationales und Verworrenes. Die von den Abtreibungsbefürwortern beigebrachten Argumente sind – nicht überzeugende – Rationalisierungen eines nicht zu rechtfertigenden Verhaltens.
- Schmerz und Trauer: Schwarz führt mit Hinweis auf naturwissenschaftliche Autoritäten aus, dass die Abtreibungsprozedur beim Ungeborenen schon in einem frühen Entwicklungsstadium grauenhafte Schmerzen auslöst. Das ungeborene Kind ist für Schmerz sensibler als das geborene. Besonders die Spätabtreibungen und die Teilgeburtsabtreibungen, bei denen dem Kind das Gehirn abgesaugt wird, sind eine grauenhafte Tortur. Entgegen allen gegenteiligen Behauptungen verursacht die Abtreibung auch der Frau Schmerzen, psychische und oft auch physische. Sie verursacht Trauer bei den involvierten Personen. Sie verursacht ein schlechtes Gewissen und nimmt dem Leben den inneren Frieden und die Freude.
- Wirklichkeit: Die von Schwarz mehrfach erwähnte Website http://www.100abortionphotos.com/, auf der die Resultate von Abtreibungen dargestellt werden, sollte alle Diskussionen von sich aus erledigen.
Nur die Wahrheit kann frei machen. Professor Schwarz leistet dazu einen guten Beitrag. Dafür sei ihm und seiner Co-Autorin Kiki Latimer, sowie dem – durchaus säkularen – Verlag Dank gesagt.
Stephen D. Schwarz, with Kiki Latimer, Understanding Abortion – From Mixed Feelings to Rational Thought, Lexington Books, Plymouth, U. K., 2012, 213 Seiten (leider keine deutsche Übersetzung vorhanden, ein ausführliches Studiogespräch mit den Autoren findet sich auf https://www.youtube.com/watch?v=gXRujyzgjlo)
MMag. Wolfram Schrems, Linz und Wien, katholischer Theologe, Philosoph, Katechist, langjährige Erfahrung im Lebensschutz