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Schluss mit Demokratie und Pöbelherrschaft

Was scheinbar „schon immer“ da war, bestimmt in entscheidendem Maße das Denken der Menschen. Dass der Staat, neben vielem anderem, für Gesundheitswesen und Bildung zu sorgen hat, scheint daher sonnenklar. Wer sonst sollte es tun? Hätte der Leviathan – anstatt des Gesundheitssystems – einst die Textilproduktion an sich gerissen, würde jedermann es als selbstverständlich erachten, dass er seine Hemden, Jeans und Strümpfe von einem Staatskombinat namens „Jeder nach seinen Bedürfnissen“ zugeteilt bekommt, andernfalls er nackt herumlaufen müsste.

Dass nur ein staatliches Gütesiegel Qualität garantiert, und ausschließlich staatliche Kontrollmaßnahmen sicherstellen, dass überall alles mit rechten Dingen zugeht, steht für die Masse außer Frage. Milton Friedman prägte einst den Begriff der „Tyrannei des Status quo“, der diesen Sachverhalt beschreibt.

Nicht anders verhält es sich mit der Regierungsform, wenn sie nur lang genug praktiziert wird. Die Demokratie wird – mit überschaubar langen Unterbrechungen – selbst in Deutschland und Österreich seit immerhin nahezu hundert Jahren betrieben. Der Großteil der heute lebenden Zeitgenossen hat also weder Monarchie noch Diktatur erlebt. Beides liegt für sie daher ähnlich weit zurück wie Pestepidemien und Bauernkriege. Im Bewusstsein der überwiegenden Mehrzahl der Zeitgenossen westlicher Gesellschaften entzieht sich die Demokratie – oder vielmehr das, was sie dafür halten – jeder Kritik. Etwas anderes war ja scheinbar nie da und ist demnach auch gar nicht vorstellbar. Dass Demokratie keineswegs „alternativlos“ ist; dass jenseits der Massendemokratie Gesellschaftsorganisationsformen denkbar sind, die dem Einzelnen entscheidend aussichtsreichere Möglichkeiten zum „Streben nach Glück“ einräumen, scheint undenkbar.

Die Demokratie ist einfach unschlagbar, wenn nicht sogar etwas Heiliges. Niemals hat die Menschheit etwas Großartigeres erdacht. Wer sich nicht vorbehaltlos zu ihr bekennt, steht am Rande – wenn nicht außerhalb – der zivilisierten Gesellschaft. Wer Kritik an der Demokratie übt, tickt nicht ganz richtig, ist ein anarchistischer Spinner oder macht sich offen oder heimlich für eine Diktatur stark. Oder er gehört gar zu jenem lächerlichen Haufen nostalgischer, meist seniler alter Narren, die das Jahr 1918 gedanklich nie überwunden und den Traum von einer Restauration der Monarchie noch immer nicht ausgeträumt haben.

Dass Demokratien – und zwar mit erschreckender Regelmäßigkeit – dazu neigen, durchaus, um es euphemistisch auszudrücken, suboptimale Ergebnisse zu liefern, wird, wenn überhaupt, nur widerwillig zur Kenntnis genommen. Die viel geschmähten Herren George W. Bush, Silvio Berlusconi, „Tricky Dick“ Nixon, Robert Mugabe oder der Gottseibeiuns jedes aufrechten Demokraten, Adolf Hitler – respektive die beachtlichen Fehlleistungen oder Verbrechen zur Zeit ihrer Herrschaft – sind oder waren indes allesamt Produkte lupenrein demokratischer Prozesse. Gläubige der zeitgeistigen Religion des Demokratismus hören das nicht gerne. Bei der Kür von „Falschen“ in Spitzenämter handelt es sich eben um Pannen, die immer einmal passieren können – und die einfach auszuhalten sind.

Dass bis heute kein zuverlässig wirksamer Mechanismus existiert, der verhindern kann, dass eine Tyrannei mit demokratischen Mitteln installiert wird; dass das herrschende System sich strukturell durch nichts von jenem zur Zeit der Weimarer Republik unterscheidet – und zwar nirgendwo in Europa – regt augenscheinlich niemanden auf.

Die von Montesquieu erdachte Vorstellung von der „Gewaltenteilung“ mag aus der Sicht seiner Zeit durchaus Sinn gehabt haben, als verschiedene Kräfte der Gesellschaft, Krone, Adel, Klerus und Bürgertum, die Legitimation ihres politischen Einflusses und ihrer Macht aus unterschiedlichen Quellen schöpften. Sie alle entstammten de facto verschiedenen Welten. In einer demokratischen Gesellschaft dagegen, in der ein hypothetischer „Gemeinschaftswille“ einen fiktiver „Gesellschaftsvertag“ konstituiert, der alle Mitglieder der Gesellschaft (gewaltsam) gleichmacht, ist eine Gewaltenteilung indes kaum sinnvoll realisierbar.

So sorgfältig ausgeklügelt die von den Gründervätern der USA formulierte Verfassung sein mag: Auch dieses scheinbar wasserdichte System von Checks and Balances krankt an der Tatsache, dass alle relevanten politischen Institutionen ihre Legitimation lediglich auf einen „demokratischen Auftrag“ gründen, der letztlich von ein und demselben Kollektiv – dem der Wähler – ausgeht. Es ist daher so, als ob verschiedene Abteilungen desselben Unternehmens einander gegenseitig kontrollieren würden. So etwas indes kann niemals dauerhaft funktionieren! Wer je in einem Großunternehmen tätig war weiß, dass eine wirkungsvolle Kontrolle nur von außerhalb des Betriebes erfolgen kann. Nicht umsonst existieren unabhängige Treuhänder, die Unternehmensprüfungen vornehmen.

In der politischen Praxis der USA scheint es so zu sein, dass kein einziger Artikel der Verfassung nicht bereits vielfach gebrochen worden wäre. In keinem einzigen Fall ist es deshalb zu einer folgenschweren Verfassungskrise gekommen. Der Wert einer Verfassung ist daher meist geringer als der des Papiers, auf dem sie geschrieben steht…

Es besteht keinerlei Anlass, die Stabilität unserer demokratischen Ordnung als sonderlich hoch einzuschätzen. Die Ereignisse nach den Anschlägen vom elften September 2001 in New York und Washington haben drastisch vor Augen geführt, wie entschlossen und rücksichtslos die gewählten politischen Eliten die erste sich bietende Gelegenheit dazu nützen, ihre Macht schlagartig und entscheidend auszudehnen und grundlegende Freiheitsrechte zu beschneiden oder abzuschaffen.

Einige weitere, sorgsam geplante und ausgeführte Terroranschläge, ein paar wirtschaftlich richtig miese Jahre mehr, garniert mit einigen zusätzlichen Beweisen dafür, dass ein massendemokratisches System dagegen ja doch nichts ausrichten kann – und schon wird der Ruf nach dem „starken Mann“ wieder laut werden. Denn wer mit seiner Freiheit nichts (mehr) anzufangen weiß, wünscht sich stattdessen Sicherheit und die Führung durch eine harte Hand. Schätzt man seine eigene Freiheit als geringwertig ein, sollen auch andere nicht darüber verfügen können. Seltsamerweise regt das alles die ansonsten so sensible, wachsame und jederzeit empörungsbereite Kaste der (Staats-)Intellektuellen nicht im Geringsten auf.

Dieser Text entstammt dem eben im Lichtschlag-Verlag erschienen Buch „Schluss mit Demokratie und Pöbelherrschaft“ von Andreas Tögel.

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