Der neue Verhetzungsparagraph – ein Anschlag auf die Meinungsfreiheit

Aus Anlass des 40-jährigen Bestehens der unter Christian Broda initiierten Reform des Strafgesetzbuches (StGB) wurde dieses Regelwerk neuerlich umfassend überarbeitet. Das Ergebnis ist seit einigen Tagen in Begutachtung. Wovon schon länger die Rede war, wurde nunmehr konkretisiert: Namentlich der Verhetzungsparagraph (§ 283 StGB) wird neuerlich verschärft und auch hinsichtlich seiner Tatbestände massiv ausgeweitet.

Hinkünftig genügt es, vor ca. zehn Personen zu hetzen (bisher war man von 150 Personen ausgegangen). Außerdem reicht es, dass die Handlung vielen Menschen zugänglich wird. Die Eignung einer Hetzrede zur Gefährdung der öffentlichen Ordnung ist nicht mehr gefordert. Wird die Handlung einer breiten Öffentlichkeit (Richtwert: 150 Personen) zugänglich, so steigt der Strafrahmen von zwei auf drei Jahre Haft. Wird durch die Hetze eine tatsächliche Gewalttat „bewirkt“ (was immer dies heiße – reicht es etwa schon, ein hasserfülltes Klima mitbereitet zu haben?), sind sogar fünf Jahre Haft möglich.

Konnte bei der letzten, Anfang 2012 erfolgten Novellierung das Aufreizen bloß zu „Hass“ noch abgewendet werden, findet sich der „Hass“ im neuen Entwurf prompt wieder. Zudem wurde der 2012 ausgiebig erweiterte Kreis der geschützten Gruppen (Merkmal des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Weltanschauung usw.) um Personen mit „fehlender Staatsangehörigkeit“ ergänzt: Gegen „Fremde“, „Asylwerber“ oder „Ausländer“ darf hinkünftig ebenfalls nicht mehr „gehetzt“ werden, obwohl es sich bei Nichtösterreichern in Wahrheit um eine überaus heterogene Gruppe handelt, zu der z.B. auch Bürger der BRD oder der Niederlande zählen.

Klammheimlich wurde „sexuelle Ausrichtung“ (also „Orientierung“) durch „sexuelle Neigung“ ersetzt, was bedeutet, dass nebst Sadisten und Masochisten nunmehr auch Pädophile eine eigens vor „Hetze“ geschützte Gruppe darstellen. Weiterhin keinen Schutz vor Gewaltaufrufen gibt es indes für Unternehmer, Hausbesitzer oder Geflügelbauern.

Die größte Überraschung folgt aber erst: Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren ist zu bestrafen, wer „Verbrechen im Sinne der §§ 321 bis 321f (dies umfasst sämtliche Kriegsverbrechen – also nicht nur Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit!), die von einem inländischen oder einem internationalen Gericht rechtskräftig festgestellt wurden, billigt, leugnet, gröblich verharmlost oder rechtfertigt.“ Der Unfug, der 1992 mit dem „Auschwitzlüge-Paragraph“ 3h des Verbotsgesetzes in das österreichische Strafrecht Eingang gefunden hatte, wird massiv ausgebaut und auf sämtliche irgendwo auf der Welt begangene und von irgendeinem internationalen Gericht irgendwann festgestellte Kriegsverbrechen ausgedehnt!

Zwar muss die Leugnung, Verharmlosung usw. gegen eine der geschützten Gruppen „gerichtet“ sein und in einer Weise begangen werden, „die geeignet ist, zu Gewalt oder Hass aufzustacheln“, doch ändert dies nichts daran, dass mit diesem neuen Passus auf leisen Sohlen, ohne jede öffentliche Diskussion, ein Leugnungs- und Verharmlosungsverbot jedweden Völkermordes sowie Kriegsverbrechens (etwa auch gegen Eigentum oder Kulturgüter) hereinschleicht.

Das Fehlen einer öffentlichen Diskussion verwundert nicht, müssen doch in diesem Punkt internationale Vorgaben umgesetzt werden. Auschwitz, Srebrenica oder Darfur haben für jeden Unionsbürger Teil seines kollektiven Geschichtsbewusstseins (sowie permanenten Schuldbewusstseins?) zu sein, um an der Folie des Bösen zivilgesellschaftliche „Werte“ vertreten zu müssen, auf die ebenfalls das Strafrecht einschwört. Die Gleichschaltung „europäischen“ Denkens nimmt ihren Lauf.

Eine eigene Meinungsbildung wird erschwert, denn unter „Verhetzung“ fällt es hinkünftig ferner, „absichtlich schriftliches Material, Bilder oder andere Darstellungen von Ideen oder Theorien“ zu verbreiten, die Hass oder Gewalt gegen eine geschützte Gruppe „befürworten, fördern oder dazu aufreizen“. Die hierbei niedrigere Strafdrohung von einem Jahr suggeriert, dass es eines auf Verhetzung gehenden Vorsatzes gar nicht bedarf. Es reicht die Tatsache, einen Text verbreitet zu haben, der eine „Idee“ oder „Theorie“ enthält, die „Hass“ etwa gegen Homosexuelle oder gegen eine bestimmte Weltanschauung „fördert“. Vorsicht also, wenn man Heterosexualität als vollkommener erachtet oder wenn man über Verbrechen des Kommunismus zu schreiben gedenkt!

Schlussendlich wird ein weiterer Punkt realisiert, der 2012 noch abgewendet werden konnte: Eine „kriminelle Vereinigung“ kann fortan auch bloß durch Verhetzung begründet sein. Mit diesem Kunstgriff werden nicht nur Grundrechtseingriffe (z.B. Durchsuchungen) gegen Vereine begünstigt. Als ob der neue Verhetzungsparagraph nicht weit genug wäre, kann hinkünftig bereits verurteilt werden, wer als Mitglied einer (von den Sicherheitsbehörden konstruierten?) „kriminellen Vereinigung“ gar nicht nachweisbar gehetzt hat.

Was hat die Novelle des StGB ansonsten zu bieten? Hier wäre § 205a StGB zu nennen, der Geschlechtsverkehr ohne Einverständnis unter Strafe stellt. Auch das „Po-Grapschen“ findet Eingang in das Strafrecht (§ 218 StGB). In beiden Fällen stellt die Begehung am Ehepartner künftig einen Straferschwerungsgrund nach § 33 StGB dar. Was absurd ist, weil eine Eheschließung ein grundsätzliches Einverständnis zum Geschlechtsakt beinhaltet, das während aufrechter Ehe insofern nie völlig außer Kraft gesetzt sein kann. Dies scheint den von der ÖVP gestellten Justizminister jedoch nicht zu stören. Das „heilige Wesen“ Frau geht vor – und als Ehefrau ist es wohl per se schon ein „Opfer“.

Äußerst aufschlussreich ist auch § 70 StGB. Dieser definiert die bisherige gewerbsmäßige Begehung einer Tat als eine nunmehr „berufsmäßige“ wie folgt: „Berufsmäßig begeht eine Tat, wer sie in der Absicht vornimmt, sich durch ihre wiederkehrende Begehung ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen und in den letzten zwölf Monaten vor der Tat zumindest zwei solche Taten begangen hat.“ Der letzte Halbsatz ist neu und hat es in sich: Zumeist bandenmäßig organisierte professionelle Taschendiebe und Einbrecher, deren Risiko, ertappt zu werden, ohnedies minimal ist, müssen hinkünftig zwei – selbstredend nachgewiesene! – Vortaten innerhalb eines Jahres (!) begangen haben, um auch vor Gericht als „Berufsverbrecher“ zu gelten.

Ist ein solcher für ein Jahr in Haft (oder schlicht in seinem Heimatland, wo er vom Erbeuteten gut lebt!), kann der nächste Einbruchsdiebstahl nicht „berufsmäßig“ begangen sein, weil es zeitnahe Vortaten diesfalls gar nicht geben kann! Der Profi-Einbrecher, der erneut einbricht, gilt sodann wieder als einfacher Dieb. Doch unter anderem darob gegen „Ausländer“ zu wettern, wird dem Österreicher nunmehr durch § 283 untersagt.

Entschärft wird außerdem das Suchtmittelgesetz (mitsamt der Problematik der Beschaffungskriminalität), wohingegen man beim Verbotsgesetz eine Senkung der weit überhöhten Strafrahmen nicht einmal angedacht hat. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Regierungskoalition den derzeitigen Tiefschlaf der FPÖ-Führung, die monothematisch um den Islam kreist, wenn sie nicht gerade auf Russland- oder auf Liebes-Trip ist, weidlich ausnützt, um ihre Machtbasis abzusichern.

Wilfried Grießer ist Philosoph und Verfasser der Studie „Verurteilte Sprache. Zur Dialektik des politischen Strafrechts in Europa“ (Frankfurt / Main 2012). Eine ausführliche Stellungnahme des Autors zur StGB-Novelle findet sich hier.

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